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II. Reform

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Der Ruf nach einer Reform der Tötungsdeliktsvorschriften im StGB erschallt „seit Jahrzehnten“.[10] „Wenn über das gegenwärtige Tötungsstrafrecht in einem Punkt Einigkeit besteht, dann über seine Korrekturbedürftigkeit“, schrieb Eser in seinem Gutachten zum 53. Deutschen Juristentag 1980 in Berlin.[11] Das betrifft nicht allein, aber in erster Linie und am intensivsten die Regelung des Mordes in § 211 StGB. Diese Vorschrift gilt in vielerlei Hinsicht als missglückt und reparaturbedürftig. Sie ist – entgegen BVerfGE 45, 187 – verfassungswidrig.[12] So häufig die an die Politik und Gesetzgebung gerichtete Forderung erhoben wurde, so häufig ist sie auch ungehört verhallt. Jahrzehntelang bewegte sich auf diesem Gebiet nichts. Das änderte sich überraschend im Herbst 2013. Der Justizministerin des Landes Schleswig-Holstein Anke Spoorendonk war aufgefallen, dass der Text des § 211 StGB die Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Mordes in ungewöhnlicher Weise abbilde. Nicht die Tat „Mord“, sondern der Täter „Mörder“ stehe im Vordergrund. Das sei in einem Tatstrafrecht unüblich und erinnere an die berüchtigte „Tätertypenlehre“. Diese sei in der Zeit der nationalsozialistischen Unrechts- und Gewaltherrschaft von einigen Strafrechtswissenschaftlern salonfähig gemacht und von den Nationalsozialisten bereitwillig zum Umbau des Strafrechts nach ihren Vorstellungen aufgenommen worden. Der heute noch geltende § 211 StGB trage deshalb die Handschrift Roland Freislers, was ein skandalöser Zustand sei. Alles das war freilich schon lange bekannt und nicht bestritten, aber kein Anlass für irgendjemand, aus diesem Grund die sofortige Abschaffung des nationalsozialistisch kontaminierten Gesetzestextes und eine Neufassung zu fordern.[13] Dies empfahl die schleswig-holsteinische Justizministerin und bekam dafür sofort sehr viel Zuspruch und Anhänger. Bundesjustizminister Heiko Maas ergriff die Initiative und kündigte eine grundlegende Reform des Rechts der Tötungsdelikte noch in der laufenden Legislaturperiode an. Eine Expertengruppe mit sachkundigen Personen aus Justiz, Rechtswissenschaft, Anwaltschaft und Ministerium wurde im Frühjahr 2014 damit beauftragt, einen umfassenden Vorschlag für eine Neuregelung zu erarbeiten. Nach einem Jahr intensiver Beratungen legte die Kommission Ende Juni einen umfangreichen Abschlussbericht vor.[14] Dieser sprach sich für eine weitgehende Beibehaltung der auf heterogenen Mordmerkmalen ruhenden Tatbestandsstruktur und für Flexibilisierung und Lockerung der bislang starren und unbeweglichen Sanktionsregelung aus. Der wohl bedeutendste Gesichtspunkt war das Abrücken von der absoluten lebenslangen Freiheitsstrafe, die schon lange als größtes Hindernis einer gerechten und verhältnismäßigen Sanktionierung vorsätzlicher Tötungen galt. Genau dieses Thema war aber auch der Grund dafür, dass der Reformprozess nach Beendigung der Expertengruppe keine Fortschritte mehr machte und schließlich vollständig zum Erliegen kam. Ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wurde im April 2016 vorgelegt.[15] Weiter bewegte sich der Reformprozess danach nicht mehr. Die Ansichten zur absoluten lebenslangen Freiheitsstrafe lagen in den Parteien der Großen Koalition zu weit auseinander, die Gegensätze waren unüberbrückbar. Auch in der Strafrechtswissenschaft stießen die Vorschläge aus dem Bundesjustizministerium nicht auf ungeteilte Zustimmung. Moniert wurde z.B., dass die „vorgeschlagene Gesetzesfassung einen Weg für eine exorbitant milde Bestrafung von Mordverbrechen“ eröffne.[16] Es sei eine „rasante Talfahrt des Strafniveaus für Mordverbrechen zu befürchten.“ Dies führe zu „Desorientierung des Rechtsbewußtseins der Bevölkerung“, an der der Reformgesetzgeber kein Interesse haben könne.[17] So kam es dann auch. Lebenslang für Mord als „Leitwährung des Strafrechts“ bleibt der deutschen Strafrechtspflege erhalten. In dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD findet sich kein Wort zur „Reform der Tötungsdelikte“.[18] Somit bleibt einstweilen alles beim Alten.

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Das Projekt „Reform der Tötungsdelikte“ ist angesichts dieses jüngsten Fehlversuchs dringlicher denn je.[19] Daher sei hier der Vorschlag von Albin Eser in Erinnerung gerufen, der Gegenstand der Beratungen und Beschlüsse des 53. Deutschen Juristentags 1980 in Berlin gewesen ist.[20] Eser empfiehlt ein zweistufiges Modell, bestehend aus einem Grundtatbestand nichtprivilegierter Tötung „Mord“ und einem Privilegierungstatbestand „Totschlag“. Der Grundtatbestand sollte sich auf die Merkmale „vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen“ beschränken und einen Sanktionsrahmen von mindestens acht Jahren Freiheitsstrafe bis zur gesetzlichen Höchststrafe haben (derzeit 15 Jahre, § 38 Abs. 2 StGB).[21] Für den Fall der Beibehaltung der lebenslangen Freiheitsstrafe sollte eine Kategorie „besonders schwere Fälle“ durch gesetzliche Regelbeispiele besonders hervorgehoben werden. Diese Regelbeispiele lassen eine enge Anlehnung an den Mordmerkmalen des § 211 Abs. 2 StGB erkennen („die Tötung in einer für das Opfer besonders qualvollen Weise ausführt“; „das Vertrauen des Opfers oder einer Schutzperson arglistig erschlichen oder bestärkt hat“; „zur Erregung oder Befriedigung des Geschlechtstriebs oder aus Gewinnsucht tötet“; „die Tötung zur Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat begeht“) und sind teilweise in der Entwicklungsgeschichte des § 211 StGB Neuheiten („mehrere Menschen tötet oder zu töten versucht oder die Lebensgefährdung Dritter in Kauf nimmt“; „mit einer Schußwaffe tötet, die er oder ein Tatbeteiligter gewohnheitsmäßig unerlaubt mit sich führt“; „die Tötung unter Mitwirkung eines anderen begeht, mit dem er sich bandenmäßig zur Begehung von Gewalttaten verbunden hat“). Keine Berücksichtigung fanden in dem Vorschlag die Mordmerkmale „Mordlust“ und „sonstige niedrige Beweggründe“. Die privilegierte Tötung „Totschlag“ findet nach Eser ihre materielle Begründung in einer „heftigen Gemütsbewegung“ des Täters, „die den Umständen nach menschlich begreiflich ist“.[22] Die entscheidende „Begreiflichkeit“ konkretisiert Eser mittels dreier Regelbeispiele, die auf provokationsbedingten Affekt (vgl. § 213 StGB), auf ausweglosen Konflikt, Verzweiflung oder Mitleid sowie auf Geburtsaffekt (vgl. § 217 StGB a.F.) rekurrieren. Sanktioniert werden soll die privilegierte Tötung mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

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Die Herausforderung, vor der die von Justizminister Heiko Maas einberufene Expertengruppe stand, bekam durch einen interessanten Gesetzgebungsvorschlag des Deutschen Anwaltvereins eine besondere Brisanz. Für zukünftige Reformbemühungen wird auch diese recht radikale Stellungnahme weiterhin beachtlich sein. Daher seien die Grundzüge des Vorschlags hier kurz skizziert:[23] § 211 StGB soll ersatzlos aufgehoben werden. § 212 StGB soll nur noch aus einem Absatz bestehen, der inhaltlich dem jetzigen § 212 Abs. 1 StGB entspricht. § 212 Abs. 2 StGB fällt weg. Die Strafdrohung des § 212 StGB soll Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe sein. Erwartungsgemäß löste dieser „stark aus der Reihe“ fallende „Radikalvorschlag“[24] ein starkes Echo aus und inspirierte unter anderem einen ebenfalls originellen Gegenentwurf von Tonio Walter[25] sowie einen sehr ähnlichen Alternativvorschlag von Gunnar Duttge.[26]

1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben§ 1 Tötungsdelikte › B. Hauptteil

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