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1. Tatobjekt Mensch

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Alle hier erläuterten Straftatbestände schützen das Rechtsgut „Leben“.[33] Gemeint ist menschliches Leben.[34] Geschütztes Objekt ist also ein Mensch. Dieser Mensch muss im Zeitpunkt der Tat schon und noch existieren, d.h. am Leben sein. Aus dem tatbestandlichen Schutzbereich ausgegrenzt ist das „werdende Leben“ des zwar schon gezeugten, aber noch nicht geborenen – künftigen – Menschen, sowie der Verstorbene. Straftaten in Bezug auf Verstorbene sind Thema des Strafrechts in §§ 168, 189 StGB, strafrechtlicher Schutz des nasciturus in der Schwangerschaftsphase ist Gegenstand der §§ 218 ff. StGB. Taten im unmittelbaren Umfeld der Geburt werfen die Frage der Abgrenzung der §§ 211 ff. von § 218 StGB auf. Wird von der Tat ein noch nicht lebender Mensch betroffen, greifen die §§ 211 ff. StGB nicht ein. Die Tat ist entweder gemäß §§ 218 ff. StGB oder auf der Grundlage des Embryonenschutzgesetzes strafbar oder straflos. Für die Anwendbarkeit der §§ 211 ff. StGB[35] von grundlegender Bedeutung ist deshalb die Festlegung der Grenze, an der menschliches Leben im Sinne der Tötungsdeliktstatbestände beginnt. Die Existenz der §§ 218 ff. StGB ist ein eindeutiges positivgesetzliches Signal, dass das im Mutterleib heranreifende Wesen vor der Geburt kein „Mensch“ ist und nicht durch §§ 211 ff. StGB geschützt wird. Die Abgrenzungsfrage reduziert und konzentriert sich daher auf den genauen Punkt im mehrphasigen Geburtsvorgang, der den Übergang vom nasciturus zum Mensch markiert. Bis 1998[36] gab die ehemalige Strafvorschrift zur „Kindestötung“ in § 217 StGB Auslegungshilfe, indem sie auf eine gegen das Kind in statu nascendi gerichtete Handlung „in oder gleich nach der Geburt“ abstellte.[37] Tötung „in der Geburt“ galt also bereits als Angriff auf menschliches Leben im Sinne der §§ 211 ff. StGB. Daraus folgte, dass das Rechtsgutsobjekt, gegen das sich die Tat „in der Geburt“ richtet, bereits ein „Mensch“ i.S.d. §§ 211 ff. StGB ist. In gynäkologische Kategorien übertragen meint „in der Geburt“ den Zeitraum vom Beginn der Eröffnungswehen bis zum Austreten des Kindes aus dem Körper der Mutter.[38] Der sachliche Grund für diesen frühzeitigen Beginn der strafrechtlichen Menschwerdung ist das Bedürfnis nach strafrechtlichem Schutz des Kindes während der mit spezifischen Risiken behafteten Geburtsphase.[39] Vor allem gegenüber fahrlässigem Fehlverhalten des geburtshelfenden Personals (Arzt, Hebamme) oder der Mutter wäre das Kind ohne strafrechtlichen Schutz, wenn es noch nicht die Qualität eines Menschen hätte. Denn §§ 218 ff. StGB erfassen – vorsätzliche und fahrlässige – nicht tödliche Schädigungen des Körpers und der Gesundheit nicht und beziehen sich auch im Bereich der für die Leibesfrucht „tödlich“ endenden Vorgänge nur auf Vorsatztaten. Da der nasciturus aber mit Einsetzen der Eröffnungswehen zum Menschen wird, greift von diesem Punkt an schon der Schutz der §§ 222, 229 StGB. Aus diesem Grund hat der Wegfall des früheren § 217 StGB keinen Anlass für eine Neubewertung des Abgrenzungsthemas gegeben.[40] Mit dem Beginn der Geburt ist die Leibesfrucht ein Mensch und eine zu ihrem Tod nach diesem Zeitpunkt führende Handlung eine Tötung i.S.d. §§ 211 ff. StGB.

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Allerdings ist Eintritt des Todeserfolges nach Einsetzen der Eröffnungswehen oder nach Beendigung der Geburt nur ein Indiz für eine tatbestandsmäßige Tötung. Wurde nämlich die zum Todeserfolg führende Handlung vor Geburtsbeginn (pränatal) begangen, lag jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch kein „Mensch“ i.S.d. §§ 211 ff. StGB vor. Daher ist zu klären, ob der Zeitpunkt des Handlungsvollzugs oder der Zeitpunkt des Erfolgseintritts über die Menschqualität des Tatobjekts entscheidet. Stellte man auf den Zeitpunkt des Todeserfolgseintritts ab, bestünde die Gefahr, dass die Handlungsfreiheit der schwangeren Frau durch Strafdrohungen unverhältnismäßig eingeschränkt wird. Eine fahrlässige Schädigung des nasciturus, infolge der das Kind mit einer Behinderung auf die Welt kommt oder kurz nach der Geburt verstirbt, wäre als fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung strafbar. Dies stünde in einem Wertungswiderspruch zu §§ 218 ff. StGB:[41] fahrlässiges Fehlverhalten, das zum Abbruch der Schwangerschaft führt, wäre gemäß § 15 StGB nicht aus § 218 StGB strafbar.[42] § 229 StGB käme nicht zur Anwendung, weil der vor Beginn der Geburt „gestorbene“ nasciturus noch kein Mensch war. Die Schwangere bliebe also straffrei. Wenn aber eine schwerwiegende Fruchtschädigung, die bereits Absterben im Mutterleib zur Folge hat, straflos ist, dann darf eine Schädigung, die weniger schwerwiegend ist und die Geburt nicht verhindert, erst recht nicht strafbar sein. Hinzu kommt Folgendes: Die Aussicht ein schwer behindertes Kind zur Welt zu bringen und zudem wegen eigenen dafür ursächlichen Fehlverhaltens nach § 229 StGB strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, würde den Druck auf die Schwangere zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs erhöhen. Dieser wäre gemäß § 218a Abs. 2 StGB eventuell straflos. Zu überlegen wäre des Weiteren, ob die Schwangere aus dem Gesichtspunkt der Ingerenz[43] eine Garantenpflicht (§ 13 StGB) hätte, die Geburt des schwer behinderten Kindes zu verhindern, d.h. die Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Anderenfalls drohte ihr sogar eine Strafbarkeit wegen schwerer Körperverletzung durch Unterlassen, §§ 226 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 13 StGB. Diese strafrechtlichen Gedankenspiele wirken schwer erträglich, ja nachgerade absurd. Aber sie haben in Gesetz und Dogmatik durchaus Rückhalt. Aus diesen Gründen muss es für die Bestimmung der Mensch-Qualität des Tatopfers auf den Zeitpunkt ankommen, zu dem die gesundheitsschädigende Wirkung der Handlung den Körper erreicht.[44] Liegt dieser vor Beginn der Geburt, ist die Tat auch dann keine tatbestandsmäßige Körperverletzung oder Tötung, wenn das Kind zur Welt kommt und mit Gesundheitsschaden lebt oder auf Grund des Schadens alsbald nach der Geburt stirbt. Im letztgenannten Fall kann die Tat als Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 StGB strafbar sein, sofern der Täter mit entsprechendem Vorsatz (§ 15 StGB) gehandelt hat.[45]

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