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Westhofen

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Auf Initiative des Heimatvereins Westhofen stand das örtliche „Traubenblütenfest“ des Jahres 2007 ganz im Zeichen eines lokalhistorischen Ereignisses. Unter dem Motto „160 Jahre Veteranenstein“ waren Höhepunkte des traditionsreichen Weinfestes ein Umzug und ein Schauspiel, die an die Enthüllung und die vorangegangenen Streitigkeiten der Denkmalserrichtung erinnerten. Zu sehen waren in historischer Kostümierung die „Hauptpersonen“ der Einweihung von 1847: der „Großherzog“ und die „Großherzogin“ sowie der „Pfarrer“ und der „Vorsitzende des Veteranenvereins“. Während die „Herrschaften“ in einer Kutsche den Umzug begleiteten, marschierten auch hinkende „Westhofener Soldaten“ mit, die sich, mit roter Farbe beschmiert und auf Krücken gestützt, durch die Gassen schleppten. Bei der nachgestellten Denkmalseinweihung erklangen Trinksprüche und Militärmusik, ein Musikverein intonierte sogar die Marseillaise.

Auch wenn dieses Spektakel nicht ganz der geschichtlichen Wahrheit entspricht (so waren der Großherzog und seine Gattin bei der Einweihungsfeier nicht zugegen), zeigt das Westhofener Beispiel doch, dass Ortsgeschichte nicht nur in staubigen Büchern stecken muss. Die Festversammlung vom 9./10. Juni 2007 berief sich auf folgenden Ausschnitt der Westhofener Vergangenheit:

Wenige Wochen vor Konstitution des Wormser Veteranenvereins hatten Teilnehmer der Napoleonischen Kriege aus dem rheinhessischen Westhofen und 15 umliegenden Gemeinden im April 1846 ihren Veteranenverein gegründet. Nach Genehmigung durch das hessische Innenministerium sollte der Denkstein auf dem Friedhof errichtet werden, doch aufgrund der Intervention des evangelischen Pfarrers wurde der Marktplatz als Standort gewählt. Im Gegensatz zu anderen Orten versagte die Geistlichkeit hier in Westhofen jede Mitwirkung an den Einweihungsfeierlichkeiten für das Denkmal, wie aus einem Schreiben des großherzoglichen Kreisrates an den Bürgermeister hervorgeht:

„Bei dem abzuhaltenden Fest muß ich aber der bestehenden Misshelligkeiten mit dem evangelischen Geistlichen wegen darauf bestehen, dass das Glockengeläute sowie der Aufzug der Schulkinder unterbleibt. Im übrigen finde ich bei dem Festprogramm nichts zu erinnern und empfehle Ihnen nur Vorsicht bei der Auswahl der abzuhaltenden Gesänge. Auch werden Sie die nötige Gendarmeriemannschaft zur Aufrechterhaltung der Ordnung requirieren.“26

Doch auch ohne kirchlichen Segen und ohne Teilnahme eines Regierungsvertreters erlebte Westhofen am 22. August 1847 ein fröhliches Fest, wie aus der Wormser Zeitung vom 26. August 1847 hervorgeht. Um 10 Uhr vormittags fand die feierliche Einweihung des Veteranendenkmals statt. Ansprachen, Böllerschüsse, Trinksprüche und „Festjungfrauen“, die Blumen und Kränze am Stein niederlegten, begleiteten die Feier. Die zahlreich erschienenen Einheimischen und Gäste beteiligten sich mit Gesängen und ließen den Landesherrn hochleben: „Segen des Hessenlands, Herrscher des Vaterlands, Heil Ludwig Dir! Fühl’ in des Thrones Glanz die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein! Heil, Herzog Dir …“

Auch das neue Bauwerk selbst wurde stolz besungen: „Aus rotem Stein gehauen, von eines Künstlers Hand, steht, herrlich anzuschauen, hier auf erhabnem Stand das Denkmal für die Krieger, die sich in heißem Streit als Kämpfer und als Sieger dem Vaterland geweiht.“ Vielleicht förderte die Distanz zur Hauptstadt Darmstadt eine besonders mutige Verehrung Napoleons, wie sie gemäß Wormser Zeitung ein Festredner ausdrückte:

„Er sprach hauptsächlich zu den anwesenden sehr zahlreichen Veteranen aus den verschiedenen Ortschaften, sie erinnernd an die Zeit ihrer Jugend, in welcher sie große Taten vollbracht hätten und in welcher sie an dem Glück und Unglück eines in der Geschichte der ganzen zivilisierten Menschheit einzig dastehenden Mannes beteiligt gewesen, eines Mannes, der unser aller Bewunderung verdient, indem er von der geringsten Stufe des Soldaten sich bis zur höchsten Würde und Ehre, welche nach menschlichen Begriffen besteht, emporgeschwungen …“27

Den historischen Festumzug begleiteten auch zwei Invaliden, „von denen der Eine auf zwei, der Andere auf einem künstlichen Fuße sich mitbewegten“, und den ganzen Tag über wurde am 22. August 1847 auf dem Marktplatz gefeiert, auf dessen Mitte damals das von einem Gitterzaun umgebene Denkmal stand.

Im Unterschied zu den späteren Kriegerdenkmälern für 1870/71 bestechen die vorhandenen Veteranensteine trotz einer gewissen Standardisierung durch Individualität und Originalität. So steht in Westhofen auf drei stark verwitterten Sandsteinstufen ein Steinwürfel, der im Relief das Bildnis eines jungen Soldaten zeigt, der weinend auf einem Felsen sitzt und auf ein zerbrochenes Feldzeichen blickt. Über dem Sockel erhebt sich ein vierseitiger Stein mit der Inschrift, darüber sitzt der Giebel, der militärische Attribute wie Trommeln, Kanonen, Fahnen, Trompeten und Bajonette zeigt sowie den französischen Adler. Das aufwendig gestaltete Denkmal aus rotem Sandstein wird von einem altgriechischen Helm bekrönt. Die Inschrift des Denkmals lautet: „Denkstein der Veteranen zu Westhofen und Umgegend. Zum Andenken! Die während der Epoche der großen Weltereignisse von 1793 der französischen Republick und unter des großen Kaisers Napoleon Fahnen gedienten und wieder in ihre Heimath 1814 zurück gekehrten Veteranen weihen ihren auf dem Felde der Ehre gefallenen Kriegskameraden dieses Denkmal im Jahre 1847. Errichtet unter der Regierung Sr. Königlichen Hoheit Ludwig II., Großherzogs von Hessen und bei Rhein und unter der Leitung des Bürgermeisters Johann Orb I.“ In die Seiten der Stele eingemeißelt sind die Nachnamen und abgekürzten Vornamen von 33 Veteranen aus Westhofen und 73 aus den 15 Ortschaften des Umlandes. Die militärischen Ränge sind französisch vermerkt („sous lieutenant de la Garde Nat.“; „R. d artill. a pied“; „R. Chasseur a Cevall“).

Auf dem Veteranendenkmal sind nicht mehr alle Namen zu entziffern, vor allem die der „Osthofer Veteranen“ auf der Rückseite sind unkenntlich, es befindet sich jedoch gegenwärtig in einem guten Allgemeinzustand. Da es das Aufstellen eines Festzeltes bei größeren Veranstaltungen verhinderte, wurde es im Jahre 1936 abseits des Marktplatzes, auf den „Gänsemarkt“ oberhalb der Straße „Am Markt“ aufgestellt.

Der Überlieferung nach bewahrte die Existenz dieses Veteranensteins Westhofen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges vor Übergriffen französischer Soldaten: „Man behauptete, Westhofen hätte durch den Napoleonstein auf dem Marktplatz das Wohlwollen der Franzosen gefunden. Tatsache ist, daß zu dieser Zeit an diesem Denkmal öfters Kränze niedergelegt wurden.“28 Während der Besatzung des linksrheinischen Deutschlands (1919 bis 1930) aufgrund des Versailler Vertrages ab 1919 (bis 1930) inszenierte die französische Heeresverwaltung Feiern an diesen Denkmälern und ließ über die Bürgermeisterämter die Nachkommen der verstorbenen Veteranen ausfindig machen, um sie zu den Feiern einzuladen und ihnen ein Diplom auszuhändigen.29

Die Verehrung Napoleons in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die hier noch heute sichtbar zum Ausdruck kommt, belegt die unterschiedliche Wahrnehmung von Geschichte zu unterschiedlichen Zeiten. Nach rund vier Jahrzehnten hatten die Veteranen die Schrecken der Feldzüge verdrängt. Die Realität des Krieges aber sah so aus: Zehntausende Tote, Massengräber, Hunger, Läuse, zurückgelassene, verstümmelte, um Hilfe schreiende Kameraden, Schmerz, Erschöpfung, Heimweh und Verzweiflung.30 Zudem verlor ganz Europa mit rund einer Million Toten eine Generation junger Männer. Die Schrecken eines solchen Krieges hatte bereits wenige Jahre zuvor Matthias Claudius in seinem Gedicht „Kriegslied“ (1778) mit nüchternen Worten vorweggenommen:

Matthias Claudius: „Kriegslied“

’s ist Krieg! ’s ist Krieg!

O Gottes Engel wehre,

Und rede Du darein!

’s ist leider Krieg –

Und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

Wenn tausend Väter, Mütter, Bräute,

So glücklich vor dem Krieg,

Nun alle elend, arme Leute,

Wehklagten über mich?

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen

Und blutig, bleich und blass

Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,

Und vor mir weinten, was?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten

Freund, Freund und Feind ins Grab

Versammelten und mir zu Ehren krähten

Von einer Leich herab?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,

Verstümmelt und halb tot

Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten

In ihrer Todesnot?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?

Die könnten mich nicht freun!

’s ist leider Krieg – und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!31

In der Erinnerung an die Feldzüge überwogen jedoch Abenteuer, Kameradschaft und Freiheit so sehr, dass die ehemaligen Soldaten sich selbst und ihrem Kriegsherrn einen Stein „für die Ewigkeit“ setzten.

Bereits seit vielen Jahren stehen die hier beschriebenen Veteranensteine unter Denkmalschutz, um sie vor Veränderungen zu bewahren, diese amtliche Verordnung aber schützt nicht vor mutwilliger Zerstörung und Beschmierung sowie vor Witterungsschäden. Es wäre daher wünschenswert, den Veteranensteinen mehr Aufmerksamkeit zu schenken; sie sollten regelmäßig gereinigt, bei Bedarf instandgesetzt und mit einer Umzäunung für künftige Generationen gesichert werden.


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