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I. Einleitung

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Seit vielen Jahren unterhalten deutsche Städte und Gemeinden Partnerschaften zu Kommunen in Frankreich, England, Italien oder Polen, doch solch freundschaftliche Beziehungen waren in früheren Jahrzehnten keine Selbstverständlichkeit. Jahrhundertelang war Europa auch ein Kontinent der Kriege, daran erinnern noch heute zahlreiche Kriegerdenkmäler.

Der Wunsch, auch über den Tod hinaus nicht vergessen zu werden und „für alle Zeit“ in Erinnerung zu bleiben, aber auch andere nicht zu vergessen, entspringt einem tiefen menschlichen Bedürfnis. Aus dieser Sehnsucht heraus entstanden zahlreiche eindrucksvolle historische, kunsthistorische, literarische und musikalische Zeugnisse der Vergangenheit, die in der Regel der Herrschaftssicherung dienten. Nach den Grabsteinen und Mausoleen als Teil des Totenkultes der Antike, der jedoch nur einer winzigen Schicht der Herrschenden vorbehalten blieb, wurde das Erinnern bereits im Mittelalter zu einer wichtigen Aufgabe der Lebenden gegenüber den Verstorbenen. Die Hinterbliebenen bewahrten das Andenken ihrer Toten auf verschiedenen Wegen. An erster Stelle erfolgte dieses Gedenken über das tägliche Gebet bzw. mit dem Jahresgedenken im Gottesdienst. Aber auch die Geschichtsschreibung erinnerte an die Toten und ihre Taten. Im mittelalterlichen Verständnis waren die Vorangegangenen nicht tot, sondern sie blieben über ihr irdisches Ende hinaus Teil der Gemeinschaften, denen sie zu Lebzeiten angehörten. Die Verstorbenen waren weiterhin unter den Lebenden, den Hinterbliebenen präsent.

An diese Vorstellung knüpfen die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandenen Kriegerdenkmäler an, die, wie Grabsteine allgemein, an ein gelebtes Leben erinnern und den Angehörigen der Verstorbenen Trost spenden, zugleich aber auch auf die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens hinweisen sollten gemäß biblischer Überlieferung: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebräer, 13,14). So stellen die Denkmäler eine bis heute anschauliche Geschichtsquelle dar und dienen noch im 21. Jahrhundert als schaurig-schöner Geschichtsunterricht außerhalb der Schule dem ganzen Volk.

Diese Denkmäler sind gegenwärtig, ohne jedoch Gegenwart darzustellen. In unseren Tagen fristen sie oftmals im wahrsten Sinne des Wortes ein Schattendasein, zum einen, da die Erinnerungsstätten für Kriege, Siege und Niederlagen unauffällig platziert sind, zum anderen, weil ihre bewusste Wahrnehmung durch einen gewissen Gewöhnungseffekt unterminiert wird.


Denkmäler sind – wie hier das Denkmal zu Ehren der Teilnehmer und Gefallenen des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 in Pfeddersheim bei Worms – allgegenwärtig.

Diese Beobachtung machte bereits Robert Musil. In seinen 1936 erschienenen Erzählungen „Nachlaß zu Lebzeiten“ schreibt der österreichische Schriftsteller:

„Das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, dass man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden doch zweifellos aufgestellt, um gesehen zu werden, ja, geradezu um Aufmerksamkeit zu erregen; aber gleichzeitig sind sie durch irgend etwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert.“1

Zudem findet kaum noch eine öffentliche Nutzung dieser Denkmäler statt, auch haben sie mit dem zeitlichen Abstand zum Kriegsgeschehen bzw. mit dem Ableben der Angehörigen von Kriegsteilnehmern und Gefallenen an Bedeutung verloren. Während heutzutage die meisten Kriegerdenkmäler unter Denkmalschutz stehen und als bedeutungslose Selbstverständlichkeit hingenommen werden, galten sie nach dem Zweiten Weltkrieg häufig als störend und überflüssig, berührten sie doch ein Tabu, Krieg und Tod, und wurden oft als nationalistisch interpretiert und diffamiert. Doch dies war nicht immer so, daher sei der Blick gerichtet auf den geschichtlichen Hintergrund der Kriegerdenkmäler und auf die kollektive Gedächtniskultur, die zeigt, dass sich die Rezeption von Denkmälern mit der Zeit wandelt, während das Denkmal als Bauwerk den Geist der Entstehungszeit widerspiegelt.

In der Regel befindet sich noch heute in jeder Gemeinde Deutschlands ein Denkmal für die Teilnehmer des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 sowie eines für die Gefallenen des Ersten und die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Es handelt sich hierbei um singuläre Schauplätze innerhalb des Ortes, an denen zum Teil schon seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erinnert, getrauert, geehrt, gefeiert und ermahnt wurde. Diese Denkmäler waren somit Plätze immer wiederkehrender feierlicher Rituale, die wie Flagge und Hymne Identität stifteten und ein Gefühl von Zugehörigkeit und Heimat vermittelten. Zugleich waren sie Ausdruck des politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses unserer Vorfahren. In der Regel hat die Kirche hier der Erinnerungskultur assistiert, doch dies wiederum hing stark vom jeweiligen Ortsgeistlichen ab. In vergangenen Zeiten, insbesondere im 19. Jahrhundert, stellten die evangelischen und katholischen Pfarrer bei politisch-militärischen Gedenkveranstaltungen nicht nur einen Raum im Sinne einer Örtlichkeit zum Feiern zur Verfügung (z.B. die Kirche), sondern wirkten aktiv an ihnen mit. Dies zeigt zum einen die religiöse Verbundenheit der Menschen, zum anderen, dass der Politik Rituale des Gedenkens fehlten und sie sich daher den religiösen Feierstil zu eigen machte. Solche Rituale schufen früher zeitlich, örtlich und auch emotional Ordnung in dem meist eintönigen Jahresablauf der Menschen und boten den einzelnen Teilnehmern der Veranstaltungen ihren jeweils spezifischen Platz in der Gemeinschaft der Trauernden, Gedenkenden und Feiernden.

Heute dagegen ist die Erinnerung an das Gestern und Vorgestern viel stärker institutionalisiert; Bibliotheken, Forschungsinstitute, Museen, Gedenkstätten haben es sich neben den steinernen Zeugen zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an die Vergangenheit aus verschiedenen Blickwinkeln differenziert zu betrachten. Dieses kollektive Gedächtnis hüten Lehrer, Zeithistoriker, Denkmalschützer, Filmemacher, Bildhauer, Architekten, Schriftsteller, Journalisten und – auf unterer Ebene mit oftmals leidenschaftlichem und gar überzeugenderem Engagement – sogenannte Ortschronisten. Dank dieser Vermittler wird das aufeinandergeschichtete Geschehen – davon leitet sich der Begriff Geschichte ab – lebendig, denn Vergangenheit entsteht ja erst dadurch, dass sie erzählt, aufgeschrieben, dargestellt wird. Wie unterschiedlich gerade Ortsgeschichte weitergegeben wird, lässt sich anhand der zahlreichen Chroniken feststellen, die zumeist anlässlich von Jubiläen herausgegeben werden. Sachlich oder anekdotenreich, im Plauderton oder mit wissenschaftlichem Anspruch wird die Vergangenheit in Wort und noch mehr in Bildern zum Sprechen gebracht. Im Vergleich zeigt sich hier, an welchen Abschnitt der Geschichte und damit verbundene Ereignisse und Namen erinnert, welche ignoriert oder übergewichtet herausgestellt werden. Die Kriege erhalten meist ein eigenes, kurzes Kapitel, oftmals fotografisch dargestellt werden auch die Denkmäler des Ortes, „schmücken“ sie doch für alle sichtbar das Gemeinwesen. Allerdings fehlt diesen Abbildungen oft genug ein Kommentar, sie erfüllen dann lediglich die Funktion der Bebilderung.

Unter Denkmal im hier beschriebenen Sinne sind architektonische Werke gemeint, die zum bleibenden Gedächtnis an ein bestimmtes geschichtliches Ereignis (Kriege) errichtet wurden. Der österreichische Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Alois Riegel, der im Zeitalter der „Denkmalmanie“ lebte, bezeichnete in seiner erstmals 1903 erschienenen Schrift „Der moderne Denkmalkultus“ das Denkmal als „ein Werk von Menschenhand, errichtet zu dem bestimmten Zweck, um einzelne menschliche Taten oder Geschicke (oder Komplexe mehrerer solcher) im Bewusstsein der nachlebenden Generationen stets gegenwärtig und lebendig zu halten. Es kann entweder ein Kunstdenkmal oder ein Schriftdenkmal sein, je nachdem es das zu verewigende Ereignis mit den bloßen Ausdrucksmitteln der bildenden Kunst oder unter Zuhilfenahme einer Inschrift dem Beschauer zur Kenntnis bringt.“2

Damit dient das Denkmal als Zeugnis einer vergangenen Epoche und kann, je nach geschichtlichem Hintergrund, verstanden werden als Siegesdenkmal, als Gefallenen- oder Opferehrenmal oder als Mahnmal. Auf jeden Fall appelliert das „Denk-mal“ im wahrsten Sinne des Wortes an den Betrachter: „Denk mal darüber nach!“ Man soll sich Gedanken machen und solche in der Öffentlichkeit präsenten „Erinnerungshilfen“ als Symbole im Wandel der Zeit entdecken und begreifen. Auch wenn in vorliegender Betrachtung Denkmäler für Gefallene und Vermisste der Kriege im 19. und 20. Jahrhundert und der Wandel des Gefallenengedenkens im Vordergrund stehen, werden die weitgehend einheitlich gestalteten Kriegsgräberfriedhöfe, die „letzte Ruhestätte“ der gefallenen Soldaten im In- und Ausland, nicht berücksichtigt.

Die folgenden Ausführungen sind das Ergebnis jahrelangen Recherchierens „vor Ort“ und in den Archiven. Entstanden ist eine mehrere hundert Fotos umfassende Sammlung von (Krieger-) Denkmälern, von denen hier nur eine exemplarische Auswahl besprochen werden kann. Für die zahlreichen Anregungen und Hinweise, die ich in dieser Zeit erhalten habe, danke ich vielmals, insbesondere den Damen und Herren des Vorstandes des Altertumsvereins Worms. Mein aufrichtiger Dank gilt ebenso dem Lektor der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, Daniel Zimmermann, für die konstruktive Zusammenarbeit und Bernd Braun für die Assistenz bei der fotografischen Erfassung der Denkmäler.

Von Helden und Opfern

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