Читать книгу LEGENDEN DER BLUTWÖLFE - ARAVIA - Jörg Ringhoff - Страница 11
Kapitel 4
ОглавлениеEin Klappern und Ächzen weckte ihn aus seinem Schlaf. Wo war er?
Als Lord Marzo in die Höhe schnellte, machten sich seine schmerzenden Knochen sofort bemerkbar. Stöhnend fiel er wieder zurück und begann sich nun ganz langsam und vorsichtig zu erheben. Jetzt erinnerte er sich auch wieder. Er war in dieser seltsamen Waldhütte.
Bei Finsterforst, dieses bisschen Schmerz hält mich nicht auf, dachte er sich und streckte sich zu seiner vollen Größe. Dennoch betrachtete er sorgsam die Schwellungen und Wunden an seinem Körper. Es fühlte sich an, als würden seine Rippen ihm bei jedem Atemzug in die Lunge stechen. Interessiert analysierte er einige Minuten lang die unterschiedlichen Schmerzen, die sein Körper so hervorbrachte. Hoffentlich war nichts gebrochen.
Vorsichtig ging er hinaus dem Geräusch entgegen.
Als er den Platz vor der Hütte betrat traute er seinen Augen nicht. Wo er noch vor wenigen Stunden, jedenfalls nahm er an er hätte nur ein paar Stunden geschlafen, auf einer kleinen Grasfläche geschlagen wurde, befand sich nun ein großer ... Übungsplatz. Wie aus den Legenden der Seher Finsterforsts, die sein Vater von Zeit zu Zeit erzählte.
Hölzerne Puppen, lange Holzbalken, schwingende Säcke voller Sand und ähnliche Ausrüstungsgegenstände standen hier überall herum und die namenlose Kriegerin mittendrin lächelte ihm selbstzufrieden zu.
„Na hab ich dich etwa geweckt Marzo? Wie gefällt dir dein neuer Trainingsplatz?“
Der junge Mann brachte immer noch kein Wort heraus. Wie konnte das sein?
„Ich habe gesehen, dass in dir eine unglaubliche Kampfkraft schlummert, der Furor ist stark in dir! Hier kannst du nunmehr wirklich alles bis aufs Kleinste erlernen.“
Immer noch starrte Marzo auf das Wunder was hier binnen kurzer Zeit aus dem Boden gestampft wurde. Es musste Hexerei dahinter stecken.
„Nimm dir dein Schwert Sohn Finsterforsts.“, Die Kriegerin ging zu einer der Holzpuppen hinüber, „Schaut was ich mache.“
Wortlos hob der junge Adelige seine Trainingswaffe vom Boden auf. Wenigstens schien sie es gut mit ihm zu meinen - auf ihre herrische Art zumindest.
Er würde es seinem Vater und Askan schon noch zeigen. Wenn er hier fertig war, dann würde er mit ganzen Banden von Falschmünzern den Waldboden aufwischen und sein Vater müsste sich endlich eingestehen, dass er, Marzo - ein großer Krieger werden würde. Langsam bekamen die Holzpuppen das ernste Gesicht seines Vaters und andere das Erstgeborenen-Grinsen seines Bruders. Die schmerzenden Finger krampften sich um den Schwertgriff. Marzo achtete gar nicht mehr auf die Anweisungen der Kriegerin, als er wild auf die Puppen einschlug.
Am späten Abend, leuchtende Sterne schienen schon durch das Blätterdach, lehnte er ermüdet an der Puppe. Die Schwarzhaarige Kriegerin kam dazu und setzte sich neben ihn. Minutenlang sprach keiner ein Wort. Wie in Gedanken wog sie ihr Schwert in den Händen.
„Was glaubst du was das hier ist Marzo?“
Eigentlich war er viel zu müde um zu antworten, aber er spürte die Wichtigkeit in dieser Frage, also sagte er das Offensichtliche:
„Ein edles Schwert meine Dame …“
„Hm... ja, aber was ist ein Schwert?“, ohne eine Antwort abzuwarten sprach sie weiter,
„Es ist nichts weiter als ein Werkzeug für den Krieger. Es ist das, was der Hammer für den Zimmermann und die Nadel für den Schneider ist - ein Werkzeug, welches die Arbeit leichter macht…Verliert der Handwerker seinen Hammer, nun so bleibt er immer noch Handwerker und kann mit seinem Wissen vielleicht einen Stein oder einen Stock benutzen um die Arbeit zu vollenden. Jemand der jedoch keine Ahnung vom Zimmermannshandwerk hat, kann einen noch so guten Hammer besitzen, er wird nichts zustande bringen.“
Lord Marzo nickte nachdenklich.
„Das Schwert, die Axt oder der Streitkolben sind nichts anderes als die stahlgewordene Manifestation deines Siegeswillens. Gebe einem Versager ein Schwert in die Hand und er wird ein Versager bleiben. In den Händen eines Kriegers jedoch, wird es zu einem Werkzeug der Vernichtung. Es liegt an dir, wie du mich eines Tages verlässt. Als Krieger, oder als Versager mit einem Schwert in der Hand.“
Der junge Mann sah in den weiten Sternenhimmel.
„Gut Sohn Finsterforsts, legt Euch zur Ruhe. Morgen wird ein harter Tag für Euch.“
Die wievielte Meile war es? Die Kriegerin machte keine Anstalten langsamer zu werden. Er fiel wieder ein Stück zurück und stützte sich auf seine zittrigen Knie.
Die in Gold gehüllte Amazone drehte ein paar kleine Runden um ihn herum:
„Oh, du möchtest also eine Pause machen mein Sohn. Na dann ruh dich aus, ich werde dich nachher hier abholen.“, ohne ihn weiter anzusehen lief sie auch schon wieder davon.
„Ich brauche keine Pause!“, presste er zwischen den Zähnen hervor, trat gegen den nächsten Baumstamm und nahm das Tempo wieder auf.
Unzählige Tage verbrachte Lord Marzo gänzlich in der kleinen Waldhütte, nach jedem Training war er immer sofort in sein Lager aus Stroh gefallen und erst erwacht, wenn ihn die Kriegerin wieder früh weckte. Tag um Tag griffen sie zu ihren Trainingswaffen und schlugen stundenlang auf die Puppen oder aufeinander ein und nur wenn die Namenlose ihn mal wieder ein paar Meilen durch den Wald hetzte, sah Marzo eine andere Umgebung. Er wusste kaum noch wie sich Gelenke anfühlten die nicht wehtaten. Tag um Tag musste er immer schwerere Steine oder Bäume ausstemmen und weitere Strecken laufen oder stundenlang regungslos in einer Position verharren. Keine Ruhetage. Jeden Tag eine andere Muskelgruppe wie die Kriegerin ihn lehrte.
Mit einem milden Lächeln und Stolz begutachtete sie seine Fortschritte. Sie gönnte ihm so gut wie keine Pausen und nur das Nötigste an Schlaf und Erholung. Ob Marzo wirklich Fortschritte machte, konnte er selbst nicht beurteilen.
Jeder Tag schien ihm gleich. Schmerzen und Erschöpfung diktierten seinen Tagesablauf.
„Kommt Marzo, es ist wieder Zeit. Zu den Waffen.“
Die frühen Morgenstunden waren immer am schlimmsten. Die Schmerzen des gestrigen Abends hallten dann gleich doppelt so sehr nach. Wie jeden Morgen nach einer kleinen Erwärmung und Dehnung schritten sie hinaus auf den Platz und begannen sich lauernd zu umkreisen. Jederzeit bereit den kleinsten Fehler des Anderen auszunutzen. Hier draußen war alles anders. Vielleicht lag es allein am Sonnenlicht, aber sobald Marzo den Kampfplatz betreten hatte, spülte das Adrenalin seine Schmerzen hinfort.
Hier am Bergpass der Vergessenen auf dem ausgetretenen Übungsgelände war alles anders. Er war kein Junge hier, kein Holzsammler oder Gartengräber, kein Unkrautjäter oder Getreidebündler. Hier war er ein Krieger - Lord Marzo aus Finsterforst. Nichts war bedeutungslos hier draußen. Jeder Schritt, jedes Blinzeln oder die Verlagerung des Gewichts konnte über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Diesmal würde er einfach auf ihren ersten Zug warten. Er verlagerte sein Gewicht auf das hintere Bein, diese Bewegung hatte die Kriegerin immer für einen Angriff ausgenutzt. Tatsächlich stürmte sie auch wie erwartet vor, leichtfüßig wich Marzo aus und täuschte einen Gegenangriff vor - die Angreiferin fiel auf die Finte herein. Ein kraftvoller Ausfall fegte die Plattenträgerin von ihren Beinen und Marzo grinste zufrieden.
Wütend sprang die Namenlose wieder auf die Beine:
„Was soll das? Warum hast du nicht weiter nachgesetzt?“
„Nun werte Dame, ich habe Euch ausgekontert- und nunmehr gewonnen."
Der junge Mann lachte.
„Du denkst du hast gewonnen Marzo? Gar nichts hast du! Nicht mit so einer kleinen Finte! Meinst du ich kann dich von hier unten nicht mehr töten? Mit dem Schwert nach deinen Beinen schlagen oder deine Gedärme von hier aus aufspießen? Es ist ein gewaltiger Fehler deinen Feind zu unterschätzen! Nichts ist vorbei solange dein Gegner nicht den letzten Atemzug ausgehaucht hat. Nur ein toter Feind ist ein besiegter Feind! Kein toter Gegner wird sich des Nachts an dich heranschleichen und dir aus Rache im Schlaf die Kehle durchschneiden.“
Lord Marzo fuhr sich angewidert mit der Hand zum Hals:
„Aber was ist wenn ...“
„Stärke ist alles! Töte deinen Gegner bevor er sich wieder von seinen Verletzungen erholt und sich rächen will. So einfach ist das."
"Ich kann doch nicht einfach so jemanden töten, die Ehre des Sieges muss doch nicht mit dem Tod des Besiegten einhergehen.", protestierte er.
"Marzo, du sprichst vom Töten als wäre es etwas Schlechtes, als hättest du es nie getan."
"Meine Dame, ich habe nie ..."
"Du hast getötet und gemordet Lord Marzo, so wie jedes Lebewesen auf unserer Welt. Nur durch den Tod anderer können wir selbst überleben. Pflanzen, Tiere... alle fallen sie uns zum Opfer, damit wir leben können. Erinnere dich an das Schlachten in eurem Anwesen in Finsterforst, wenn das Schwein aus dem Stall geführt wird. Es ist unruhig, es quiekt und grunzt um sein Leben, denn es riecht den Mord. Du kannst mir erzählen, dass du nicht den genauen Wortlaut der Schreie verstehst - aber nicht dass du die Botschaft nicht hörst - Tötet mich nicht."
Lord Marzo blickte zu Boden.
"Nur weil du ihre Schreie nicht deuten kannst heißt es nicht, dass sie nicht leiden, dass sie nicht um das Leben ihrer Kinder flehen. Mord und Tod sind überall und wenn du eines Tages stirbst und dein Körper verrottet, so nährt er den Boden, auf das neuer Weizen dort erwächst. Alles was lebt, existiert nur durch den Tod anderer. Der Starke überlebt, der Schwache geht unter.
Das ist die Natur, das ist deine Natur Lord Marzo. Sie zu verleugnen heißt sich selbst zu verleugnen. Wir töten, damit wir leben und wir sterben damit andere leben können - so ist es im Großen und im Kleinen. Akzeptiert es Sohn Finsterforsts und Ihr werdet einst ein mächtiger Krieger sein.", sie wischte sich die schweißverklebten Haare aus dem Gesicht und lächelte den Adeligen beruhigend an.
Ein großer Krieger, das war es was er immer sein wollte.
„Schluss für heute.“, kommentierte sie seinen fragenden Blick.
„Meine Dame ? Es ist doch kaum Mittag - der ganze Tag liegt noch vor uns!“, Marzo starrte sie fassungslos an. Wollte sie ihn nur testen?
„Gehe nach Hause Sohn Finsterforsts und komm morgen wieder.“
"Nach Hause? Wieso...?", seine Widerworte fegte sie mit einer bloßen Handbewegung davon, ging steif an ihm vorbei ins Haus und schloss die Tür hinter sich.
Verwirrt stand der junge Adelige noch einige Minuten wie versteinert vor der verschlossenen Hütte. Dann setzte der Regen ein. Dicke schwere Tropen hämmerten auf seine Schulter als Lord Marzo sich schweren Schrittes auf den Weg zurück nach Hause, zurück nach Finsterforst machte. Seine Gefühle galoppierten hin und her. Irgendwo zwischen Resignation und Wut auf seine Lehrerin und diesen verdammten Regen kamen sie zur Ruhe. War er die letzten Tage nicht konzentriert genug gewesen? Oder ärgerte sich die Kriegerin immer noch darüber, dass er den Todesstoß nicht angesetzt hatte? Er hatte die Lektion doch gelernt.
Aus der Ferne sah er schon wie sich Finsterforst und das Anwesen seiner Familie durch die Regenschwaden abzeichnete. Eine wohlbekannte alte Last legte sich auf seine Schultern.
Marzo ging an dem gemauerten Brunnen vorbei, direkt auf das Gebäude mit dem Familienwappen der Dynastie zu. Das hohe Gras streifte seine Hosenbeine, während seine Blicke nach links und rechts schossen. Als er näher kam, erkannte er, dass die Mauern des Gebäudes von Ranken verwuchert waren.
Irgendetwas beunruhigte den jungen Mann zunehmend.
Nachdem Marzo das Haupthaus betreten hatte, bemerkte er, dass die Innenausstattung völlig unbehelligt geblieben war, kein Dieb oder Räuber hatte sich darüber her gemacht. Es war nur alles sehr staubig und wirkte verlassen. Überall moderiger Geruch, in den weitläufigen Räumen Spinnennetze … wie lange war er nur fort gewesen? Ein ungutes Gefühl schoss durch Marzos Körper.
Zu seiner Befremdung waren scheinbar auch sein Vater und Askan noch immer nicht zurückgekehrt, alles befand sich noch genau in dem Zustand wie an jenem Tag, an dem er fortgegangen war. Selbst die Milchschale- nun voll mit Wasser, lag noch unberührt an der Hauswand.
Marzo erblickte in dem Gefäß sein Spiegelbild, zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit.
Noch vor kurzer Zeit schaute ein junger Mann mit dunkelbraunem Haar aus der Reflexion seines Selbstbildes zu ihm. Doch das weiche brünette Haar war nun schwarz, lang und strähnig. Er sah wie eine Träne über sein hartes, gealtertes und kantiges Gesicht lief - und ins Wasser tropfte. Fast hoffte er nachdem die Wellen, welche die Träne dort verursachte, wieder sein altes Ich im Spiegelbild zu erblicken. Aber so schnell die Hoffnung kam- so schnell verschwand sie wieder als sich ihm immer noch das Antlitz eines Kriegers darbot. Er war gefangen in einem Körper, der nicht sein eigener war. Zumindest noch nicht.
Aus ihm war ein Mann geworden - die jugendhafte Leichtigkeit in seinen Augen war verschwunden, tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht gegraben.
Erschrocken stolperte er zurück. Was war nur geschehen? Es mussten wirklich viele Jahre vergangen sein, wie war das nur möglich?
Marzo vergrub sein Gesicht in den Händen.