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Kapitel 8

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Am nächsten Tag erwachte der Adelige mit dröhnendem Schädel und einem flauen Gefühl im Magen in einem breiten Bett. Der zerschundene Körper fühlte sich herrlich vertraut an. Sein Lager hatte neben der Decke und dem Kissen sogar noch Laken und das beinahe in Weiß. Diese waren auch viel weicher und weniger stachlig als die Strohunterlagen, welche ihm in der kleinen Waldhütte als Nachtlager gedient hatten. Bei all diesem Prunk fühlte er sich schon ein bisschen schuldig, als er die hässlichen Blutflecken entdeckte, welche er auf dem Laken hinterlassen hatte.

Neben seinem Bett standen noch ein Tisch und eine Schale aus Metall. Irgendwo hier mussten doch seine Sachen liegen. Dort am Bettpfosten hing sein Hemd und unter dem Tisch lag seine Plattenrüstung. Die Stiefel standen direkt an der Tür, nur wo war seine Hose?

Mühsam kramte er in seinen verschwommenen Erinnerungen, was war bloß mit ihm passiert? Vermutlich lag es an dem nordischen Starkbier, welches Marzo gestern probiert hatte. Dieses Getränk war ja wirklich ein teuflisches Zeug. Da klopfte es an der Tür.

„Lord Marzo. Mein Herr, sind sie schon wach?“, das klang nach der Stimme des Schankwarts.

„Ähm, Herr Lord... ich, ich deponiere ihre Hose hier vor die Tür, sie lag draußen vor dem Fenster. Ich war so frei sie reinigen zu lassen. Also, ich gehe dann wieder.“, den Schritten nach zu urteilen entfernte er sich wirklich. Vorsichtig öffnete Marzo die Tür einen Spalt, der Gang war menschenleer und da lagen wirklich seine Beinkleider vor der Tür.

Schnell zog er sie zu sich hinein und kleidete sich an. Was war denn gestern nur passiert? Noch ganz in Gedanken schlenderte er den Gang entlang und die Treppe hinunter in den Schankraum. Der Geruch von warmen Essen und Bier erregte bei ihm sofort eine leichte Übelkeit.

Eisenwolf saß auf demselben Platz wie auch schon am vorherigen Abend. Ob er da nun immer noch saß - oder schon wieder - war wohl nicht herauszufinden, und eigentlich wollte er es auch gar nicht wissen. Erst einmal musste er raus aus diesem stickigen Raum. Schnellstmöglich marschierte Lord Marzo durch den Slalom aus Tischen und Stühlen ins Freie und sog die frische Luft ein. Das tat richtig gut. Diese roch zwar nicht annähernd so belebend wie im Dunkelwald, aber alles schien erträglicher als der abgestandene Kneipendunst.

„Herr Lord! Wohin so schnell? Komm setz dich. Iss was, trink einen Schluck!“, rief ihm Eisenwolf nach. Marzo drehte sich wieder zur Taverne, sog noch einmal tief die gute Luft ein und ging zu seinem Tisch herüber. Eisenwolf schob ihm noch die Reste seines Frühstücks, zwei Eier und ein kleines Stück Fleisch herüber und begann gleich auf ihn einzureden:

„Werter Lord. Während Ihr… nun... beschäftigt wart, habe ich nachgedacht…“

Beschäftigt? Sharella, welche gerade die Tische abwischte, warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. Verdammt - jetzt war Marzo wirklich verärgert darüber, dass er sich nicht an die gestrige Nacht erinnern konnte. Er hatte immer stillschweigend und angespannt lauschen müssen wenn sein Vater und Bruder von diesen Dingen geredet hatten und nun, wo er sich sicher war, dass er es auch mal versucht hatte, konnte er sich nicht erinnern. Vielleicht lagen seine Kopfschmerzen ja gar nicht am Bier sondern an dem, was die hübsche Elfe Sharella gestern mit ihm gemacht hatte.

„Marzo, ich habe noch etwas Wichtiges im Hafenviertel von Donnerhall zu erledigen. Ich habe mir gedacht das du vielleicht auch Lust verspürst mal etwas von der Stadt zu sehen, mich zu begleiten und nebenbei noch etwas Silber zu verdienen.“

„Wo ihr doch gerade von Silber redet...“, meldete sich der Schankwart zu Wort, „Ich war bislang ja recht freigiebig gewesen, aber wann gedenkt ihr denn zu bezahlen?“

Lord Marzo nickte in seine Richtung: „Ich zahle für uns beide zusammen.“ Eisenwolf klopfte ihm lachend auf die Schulter.

„Das wären dann... ein Frühstück, ein Zimmer, dreiundzwanzig Krüge Bier… das macht alles in allem...... zweiundzwanzig Silberstücke.“

Lord Marzo hatte eigentlich erwartet, doch etwas länger mit seinen einundvierzig Silberlingen auszukommen. Es schien plötzlich so, als wäre Eisenwolfs Vorschlag eine richtig gute Idee.

„Hafenviertel also...“, meinte der Adelige.

„Eine gute Entscheidung Marzo, brechen wir auf!“, Eisenwolf grinste und zeigte dabei eine Reihe gelber Zähne.

Sichtlich beeindruckt folgte Lord Marzo dem grauhaarigen Krieger durch die verwinkelten Gassen und Straßen Donnerhalls.


Er hatte ganz vergessen sich von Sharella zu verabschieden und der Gedanke an die Elfe ließ sein Herz schneller schlagen- diese ganzen Wunder um ihn herum lenkten ihn allerdings schnell davon ab.

Die Straßen folgten keinem klaren Muster. Mal ging es steil hinauf, mal eine ebenso steile Treppe hinab und immer wieder stand ein Haus, eine Baracke oder ein alter Wachturm im Weg, der die Straße zu einer erneuten Biegung zwang.

Sein Vater hatte nicht übertrieben, was die Beschreibung der Stadt anging.

Während die kleineren, dunklen Gassen kaum bevölkert waren und man nur aufpassen musste nicht in Berge von Unrat oder auf Katzen zu treten, hatte er Mühe auf den breiten Wegen Eisenwolf nicht aus den Augen zu verlieren, weil sich dort die Leute beinahe auf der Straße umliefen. Händler, Kaufleute, Bauern, Handwerker oder einfache Stadtbewohner wollten alle von hier nach dort. Während Marzo sich höchstwahrscheinlich in der Stadt verlaufen hätte, und jede Biegung ihn erneut seiner Orientierung beraubte, schien sich Eisenwolf hier ganz gut auszukennen. Der Krieger stapfte zielstrebig voran und hielt nicht einen Atemzug inne um den Weg zu überdenken.

Marzo selber war derzeit einfach nur darauf bedacht seinen Geldbeutel mit den verbliebenen Silberstücken bei sich zu behalten und Eisenwolf auf den Fersen zu bleiben, so dass er kaum Zeit hatte sich die wundersamen Gebäude der Stadt anzusehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie dann den gewaltigen Hafen, auf dem sich beinahe ebenso viele Menschen, Argosianer, Zwerge, Dryaden und Elfen tummelten wie auf den überfüllten Straßen. Riesige Handelsschiffe und andere, schlankere Boote aus Holz legten hier an oder fuhren in das Unbekannte. Es war ein unbeschreibliches Wunder. Unzählige Arbeiter beluden und entluden die großen Galeeren und kleinere Kähne mit Stoffballen, Hölzern, Fässern und Truhen. Die verschiedensten Hautfarben schillerten über den Platz und die unterschiedlichsten Sprachen hallten von hier nach dort. Die harten, rollenden Worte der Zwerge reihten sich nahtlos an den melodische Klang der Elfensprache und die wispernden Laute der Dryaden. Ein elfischer Lastenträger streifte ihn kurz im Vorbeigehen.

Lord Marzo hielt erstaunt inne, seine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen, Donnerhall war wahrlich etwas ganz Besonderes. Beeindruckt bestaunte er eines der Luftschiffe, welches gerade unter den lauten Befehlen seines Kapitäns in den Himmel stieg. Das große Ding hob erst zögerlich vom Boden ab und schwankte unsicher im Wind, dann stieg es jedoch immer sicherer nach oben, der Wind griff in die Segel und trug es hinfort.

„So, hier müssten wir richtig sein.“, ließ Eisenwolf verlauten.

In der Nähe entdeckte der Lord einen Elfen, der das Beladen seiner Galeere begutachtete. Seine auffällige Kleidung wies ihn sofort für jedermann als Kapitän des Schiffs aus.

„Aye Kapitän.“, rief Eisenwolf dem Elfen zu,

„Wir suchen eine Argosianerin namens Hutah oder Hutha... Schon mal was von ihr gehört?“ Der gut gekleidete Mann drehte sich zu den beiden um. Er beschattete seine Augen und betrachtete sie eingehend:

„Schon wieder? Ihr seid heute nicht die Ersten die nach Hutha von Argossa fragen. Hat die fromme Seelenhirtin etwa angefangen ihren Besitz zu verschenken?“

„Nein, nicht das wir wüssten. Wir suchen ehrliche Arbeit und haben gehört, dass sie ein paar Leute anheuert.“, erwiderte Eisenwolf.

„Ehrliche Arbeit, wie? Die könntet ihr auch hier bei mir haben. Ich suche noch ein paar Leute für die Überfahrt nach Westen, Richtung Grimgard.“, der Elf wies mit einem Kopfnicken auf sein Schiff,

„Na gut wenn ihr nicht wollt Menschen, ich kann euch auch nicht mehr sagen als all den anderen. Die Argos Hutha residiert momentan in der Donnerhall Basilika, entlang dieser Straße da drüben.“, er wies quer über den Platz, „Könnt ihr gar nicht verfehlen.“

Eisenwolf schritt sofort in die angewiesene Richtung. „Danke!“, meinte Marzo noch schnell und folgte Eisenwolf.

Hutha? Was war das wieder für ein Name? Wofür rekrutierte eine Argosianerin Bürger in Donnerhall… Diese Wesen, so hatte man es ihm gelehrt, waren doch eher in dem sagenumwogenden Granumgard, tief unter der Erde beheimatet, grübelte er.

Auf der anderen Seite des Platzes befanden sie sich auch schon zweifellos auf dem Basilikaplatz, denn vor dem großen Bauwerk sammelte sich schon eine Unmenge von gemeinem Fußvolk, Zwerge mit riesigen Äxten, Schwertkämpfer, Bogenschützen und sonstige Gestalten versuchten sich gegenseitig mit ihrem Auftreten zu übertrumpfen.

Und inmitten all dieser Figuren entdeckte er seinen Bruder Askan!

„Marzo? Bei der alten Susan- Marzo, bist du es wirklich?“

„Mein Bruder. Ich hab dich schon so lange nicht mehr gesehen, Askan, wie ist es dir ergangen?“, Lord Marzo umarmte seinen Bruder innig. Er war zwar der Erstgeborene und immer bevorzugt worden, doch er war auch sein Blut - sein Bruder!

„Familiengeschäfte führten mich nach Donnerhall Marzo, was auch sonst. Tja ... weißt du, es ist viel passiert in den sechs Jahren. Vater ist auf der letzten Reise schwer verwundet worden. Vermutlich hat er es nicht geschafft, jedoch dulden unsere Geschäfte mit dem Fürsten Shayatin keinen Aufschub. Aus diesem Grunde bin ich an seiner Stelle kurzfristig nach Donnerhall gereist und werde mich nach der Rückkehr um Vaters letzten Willen kümmern, aber... was um Himmels willen machst du denn eigentlich hier? Und… wo warst du all die Jahre Marzo? Wir hatten das Schlimmste befürchtet. Sicherlich hat Vater die Sorge um dich den Rest gegeben. Was ist passiert kleiner Bruder? Bist du von dem alten Mann da entführt worden?“

Eisenwolf beugte sich zu Marzo:

„Der Vater von dem er da redet, ist das auch der Deine?“

„Ja… vielmehr... war er es.“, erwiderte Marzo. Die Nachricht vom Tod seines Vaters weckte tiefe Emotionen in ihm, er fühlte sich einfach nur schlecht und nutzlos. In Gedanken sah er sich noch einmal als kleinen Jungen, glücklich herumtollend mit seinen Eltern und dem großen Bruder. Das Gefühl der Unbeschwertheit wich wie ein Fieberschauer mit dem Wissen um den Tod seines Vaters endgültig aus seinem Inneren… und aus dem Nebel der Trauer schritt schemenhaft die Gestalt der heiligen Norwiga. Ihre Worte hallten in seinem Kopf wider:

„Das ist die Natur, das ist deine Natur Lord Marzo. Sie zu verleugnen heißt sich selbst zu verleugnen. Wir töten, damit wir Leben und wir sterben damit andere leben können - so ist es im Großen und im Kleinen. Akzeptiert es Sohn Finsterforsts und Ihr werdet einst ein mächtiger Krieger sein."

Marzo atmete tief aus und sah seinem Bruder fest in die Augen.

„Ich habe eine Bestimmung Askan, ich weiß dass du es nicht verstehen wirst mein Bruder - eine höhere Fügung hat mich mit Eisenwolf verbunden- verbunden um den Pfad eines Kriegers zu beschreiten.“

„Ja ja schon gut Marzo, aber sagt mal alter Greis, was will jemand wie Ihr mit meinem kleinen Brüderchen anfangen?“, bohrte Askan nach.

„Redest du mit mir?“, fuhr Eisenwolf ihn sogleich an, „Redest du mit mir? Hast du mich gerade einen alten Greis´ genannt?“

Askan schwieg und starrte die beiden Männer an.

„Du kommst hierher, erzählst meinem Waffenbruder Marzo so nebenbei, dass sein Vater tot ist, beleidigst mich und dann stehst du vor mir - und schweigst? Wenn nicht das Blut meines Gefährten auch in dir fließen würde, du hättest den heutigen Tag nicht überlebt!“

Eisenwolf schaute Marzo fragend an.

„Ist dein Bruder etwa auch ein Krieger?“, fragte er ihn.

„Ja,“ erwiderte Marzo versteinert, „ Askan ist der Erstgeborene der Dynastie des Finsterforstes, Sohn Hochlord Kanes und Adel des Finsterforstes, sein jüngerer Bruder Marzo ist vor langer Zeit gegangen… für immer.“

Langsam drehte sich Askan herum und beschenkte sichtlich erstaunt seinen Bruder Marzo noch mit einem letzten herablassenden Kopfschütteln, bevor er ohne ein weiteres Wort davonging.

Das schlechte Gefühl, die Trauer um den Tod seines Vaters blieb allerdings bei Marzo, der Schmerz zog ihn in all seinen Gedanken hinab, herunter in eine schwermütige Tiefe die nie wieder vergehen würde.

Doch weinen würde er nicht... niemals wieder.

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