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Kapitel 10

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Am späten Abend saßen die beiden Krieger mit den acht anderen „Auserwählten“ zusammen und der stolze Eisenwolf erzählte ihnen seine Kriegsgeschichten, wobei er einige Sachen dann doch lieber ausließ, während er andere schillernd ausführte. Morgen würden sie sich mit den anderen auf den Weg machen um die Seelenhirtin Hutha von Argossa sicher zu ihrem Ziel zu geleiten.

Marzo sah sich in der Runde um.

Der Elf neben ihm hörte auf den Namen Eralin und hatte diesen Auftrag angenommen um sich in der großen Stadt vor den Augen einiger Gesetzeshüter mit allzu vielen Fragen zu verstecken. Hierher kam niemand von der Stadtwache, hier fragte niemand nach Gesetzlosen. Es hieß die Arbeit für wohlhabende Argosianer sei weitaus angenehmer als ein Aufenthalt im Verließ Donnerhalls.

Gnarf ein junger Dryade war aus seiner Heimat geflohen und da er nichts gelernt hatte, aber genug Ehrgefühl besaß um nicht auf den Weg eines Diebes oder Wegelagerers zu geraten, schlug er sich mit gelegentlichen Dienstleistungen durchs Leben.

Überraschenderweise gehörte auch der ihm durch die Reise nach Donnerhall bekannte, rothaarige Zwerg Frobil Flammenbart zu der Söldnertruppe. Marzo hatte erfahren, dass dieser sich aus jahrelanger Knechtschaft der Kultisten befreit hatte. Die mittlerweile achtundsechzig Jahre alten Gesichtszüge wirkten auf Marzo plötzlich weise- aber auch angriffslustig, tatsächlich genau so, wie sich Marzo seit seiner Kindheit einen Zwergenkrieger aus dem fernen von hohen Bergen umgebenen Hammerfest vorgestellt hatte.

„Hört zu Gefährten! Morgen in aller Früh´ geht es los! Jetzt beginnt allerding erst einmal der gemütliche Teil des Abends.“, verkündete Flammenbart. Seine linke, gelähmt wirkende Gesichtshälfte starrte die Runde herausfordernd an. Marzo blickte auf Eisenwolf, dieser zuckte nur mit den Schultern.

Das konnte ja nur halb so schlimm werden.

„Na wunderbar, dann kann es ja losgehen. Das Ritual !“, der Zwerg förderte eine gewaltige Flasche mit durchsichtigem Inhalt und zwei Gläser zu Tage.

„Nun, es ist weniger ein Ritual, als einfach ein ganz normales Beisammensitzen unter Söldnern wie uns, aber aye ... ich steh auf den Namen ´Das Ritual´. Hier Eralin, du fängst an. Und du auch Negmah.“, er wies die schweigsame in Leder gekleidete Amazone an, sich auf den Platz gegenüber von Eralin zu setzen und schenkte beiden ein Glas voll dieser beißenden Flüssigkeit ein.

Negmah schnupperte daran. Oh man, das Zeug ätzte ihr ja fast die Schleimhäute weg. „Was ist das?“, fragte sie angewidert.

„Das ist Frobil Flammenbarts Selbstgebrannter!“, lachte Gnarf.

„Wenn der alte Zwergenmann auch sonst nichts kann, im Schnapsbrennen ist er unübertrefflich. Es gibt in ganz Donnerhall nichts Vergleichbares. Und nun endlich runter mit dem Zeug!“

Es war wohl am besten nicht weiter darüber nachzudenken, gleichzeitig hoben Marzo und alle anderen die Gläser und tranken sie aus. Negmah schüttelte sich kurz und schenkte Gnarf ein gequältes Grinsen. Dieser jedoch wurde von einem gewaltigen Hustenkrampf geschüttelt. Der Schnaps brannte wie Feuer in seiner Kehle. Schlagartig wurde ihm schlecht, die Welt begann sich auf einmal schneller und schneller zu drehen, sie verfärbte sich in ein seltsam leuchtendes Grün. Gnarf kippte seitlich vom Stuhl und blieb zuckend auf dem Boden liegen.

Flammenbart und Negmah begannen lauthals zu lachen, Eralin wuchtete den kleinwüchsigen Gnarf auf eines der Betten und der Zwerg wandte sich derweil Eisenwolf zu: „Das ging ja mal fix. Du bist dran.“

Der grauhaarige Krieger setzte sich grinsend auf den soeben frei gewordenen Stuhl. „Nun dann, trinken wir Alterchen.“, er hob das neu gefüllte Glas und schüttete den Inhalt in sich hinein.

Nach dem dritten Glas konnte auch die junge Kaina von Hallstade keinen weiteren Tropfen mehr vertragen und wurde durch Marzo abgelöst, der nun mit Eisenwolf und Frobil Flammenbart trank. Es war wahrlich ein barbarisches Ritual, in dem sich keiner der gestandenen Männer gern geschlagen gab.

Einige lange Stunden später schliefen beinahe alle in ihren Betten oder auf dem Boden, nur Marzo fand keine Ruhe. Die anstehende Reise beschäftigte ihn doch mehr als er sich eingestehen wollte … oder war es noch etwas anderes? Er prüfte seine Gefühle, ging in sich und die Elfe Sharella erschien vor seinem geistigen Auge. Langsam erhob er sich.

Der Zwerg Frobil saß derweil allein am Tisch und leerte Glas um Glas, bis die dickbauchige Flasche nichts mehr hergab. Starr blickte Flammenbart in sein verzerrtes Spiegelbild auf dem Boden der Flasche.

Noch immer nicht…

Noch immer hatte er es nicht geschafft all seine Erinnerungen zu ersäufen. All diese quälenden Gedanken, die sich aus der Tiefe unermüdlich emporarbeiteten. Wutentbrannt schleuderte er die Flasche von sich und diese zersplitterte über der Tür. So plötzlich wie die Wut über ihn gekommen war, verließ sie ihn auch wieder und tiefer Gram legte sich auf die rosigen Gesichtszüge des Zwerges. Konnte diese Schuld jemals vergeben werden?

Während sich der alte Zwerg Gedankenverloren in seine Decke hüllte, schlich sich Marzo leise aus der provisorischen Unterkunft der angeheuerten Söldner.

Auch Sharella konnten augenscheinlich nicht zur Ruhe kommen und ging am kleinen Bach des Stadtparks entlang. Zwar waren die heutigen Anstrengungen in der Taverne nicht weniger gewesen als die der vergangenen Tage, aber die Elfe schien irgendwie aufgewühlt. Sie hatte vor einigen Stunden mit dem Menschensohn, dem Lord Finsterforsts zu Abend gegessen, vielmehr hatte sie ihren Mund öfter zum Reden geöffnet als ihre Speisen zu verzehren. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Dabei lernte Marzo zum ersten Mal etwas von der Frau kennen, die ihn seit ihrer ersten Begegnung so faszinierte. Und es begann ihn zu interessieren, wer diese Frau, wer diese liebliche Sharella von Elfenhain wirklich war.

Seine Augen suchten in der Dunkelheit nach ihr und entdeckten ihre Gestalt schließlich weiter abseits am Wasser. Nach einigen Augenblicken erkannte Marzo dass sie ihr Gewand abgestreift hatte und langsam in den Bach glitt. Das helle Licht des vollen Mondes spiegelte sich wider auf der sich kräuselnden Wasseroberfläche und warf genug Licht um die weiblichen Formen ihrer Silhouette deutlich zu erkennen. Ihre Bewegungen waren von einer betörenden Anmut. Ein leichtes Lächeln zog sich über Marzos Gesicht. Das Bild erinnerte ihn an Zuhause. Auch dort nahmen die jungen Frauen gern ein nächtliches Bad in den Gewässern Finsterforsts, wohl wissend, dass, weit genug entfernt, die neugierigen Blicke der jungen Männer auf ihnen ruhten.

Auch Sharella musste sich dessen bewusst sein. Aber er war sicher, dass sie nicht seinetwegen ein nächtliches Bad nahm. Scheinbar störte es sie einfach nicht. Völlig unbefangen stieg sie tiefer in den Bach bis nur noch ihr Kopf herausschaute. Leise zog die Elfe ihre Bahn in der Mitte des Gewässers.

Als sie Marzos Blick bemerkte, hob sie kurz eine Hand und winkte ihm zu. Er erwiderte den Gruß und nickte lächelnd. Dann machte sie kehrt und schwamm mit weit ausholenden Bewegungen zurück. Das Mondlicht ließ ihre weiße Haut in dem klaren Wasser hell schimmern. Ganz bewusst genoss Marzo den anmutigen Anblick und verfolgte die Gestalt mit seinen Augen, bis sie im Mondschatten hoher Bäume verschwand.

„Ist denn das eine Art, einer Frau beim Baden zuzuschauen?" fragte Kainas vorwurfsvolle Stimme unerwartet dicht neben ihm. Seine Aufmerksamkeit hatte nicht genug seiner Umgebung gegolten, sonst hätte er die Zauberin sicher eher bemerkt.

„Sie ist sich meiner Gegenwart durchaus bewusst", erklärte Lord Marzo unbefangen.

„Wie Ihr meint", ließ Kaina diese Behauptung stehen und verschwand mit einem seltsamen Blick in Richtung des Adelsmannes ebenfalls in der Dunkelheit des Parks.

Sharella wartete auf ihn am Rande des kleinen Bachs. Marzo streichelte sie sanft über ihre Wange und sprach:

„Wie oft ich dich besuchte in meinen Träumen, wie sehr ich dich ersehnte, Sharella von Elfenhain.“, und sie legte ihren Kopf zurück an seine Brust und es war ihr, als würden hundert Elfen Vinetas zarte Lieder der Liebe singen.

Fahles Mondlicht bedeckte das Wasser und es schimmerte als wäre es übersät von abertausenden Kristallen.

„Halte mich Marzo, mein geliebter Marzo, denn diese Nacht währt nicht ewig…“, flüsterte Sharella leise in sein Ohr und seine Hände strichen sanft durch ihr langes, weißes Haar, über ihren Rücken hinab und umfassten ihre schmale Taille.

Leicht näher zog Marzo sie nun an sich heran, und die Zeit schien still zu stehen.

„Wie lange habe ich vermisst zu fühlen was ich in diesem Moment zum ersten Mal empfinde … Wir sind füreinander bestimmt, es ist eine höhere Fügung Marzo. So lange gesucht nach dir, solange gewartet, solange gehofft, ich werde dich niemals mehr verlieren.“, und beide fühlten sich wie in Trance und glaubten zu schweben, als sie sich küssten....

Als Sharella am frühen Morgen erwachte, spiegelten sich in ihren Augen noch immer die vergangenen Stunden und es war ihr, als könnte sie seine Hände fühlen, seine Augen sehen, ihn umarmen und hören als er sprach:

„Ich liebe dich.“

Doch Marzo war nicht mehr da. Trauer und Sehnsucht verschmolzen mit Glück und Zufriedenheit - als sie ihren Blick dem Horizont zuwandte, wusste sie- spürte sie- das auch sie ihn liebte.

LEGENDEN DER BLUTWÖLFE - ARAVIA

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