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Abgrund

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Erst nach einem Wimpernschlag erschreckte sich Jero, denn der Arm fühlte sich gut an, warm und weich. Er wollte sich erheben und dem Eingedrungenen in die Augen schauen und stellte mit Unbehagen fest, dass sein Vorhaben misslang. Da sah er erst die weiteren Arme, die sich kalt und glitschig um seine Beine geschlungen hatten und sie fest hielten. Ein weiterer weicher und warmer Arm hatte sich der rechten Schulter bemächtigt, und Jero vermochte nicht, seinen Oberkörper zu drehen. Er sah den rot leuchtenden Griff seines neuen Schwertes vor sich, wollte es ziehen. Und die Arme ließen sich nicht bewegen.

Der Ritter wandte sich, konnte nur noch seinen Kopf bewegen, mit dem er im Blickwinkel nur einen vagen, schemenhaften Brei von Schwarzem und Rotem hinter sich erkennen konnte. Er hielt inne, verschnaufte, gab nicht auf und versuchte, sich mit aller Kraft loszureißen. Da spürte er, dass er gefangen war, und er schrie einen Schrei, den niemand hörte, und der auch seinen Ohren verborgen war.

Nach diesem Verzweiflungsatem, der lange währte, sackte der starke Ritter zusammen, dämmerte dahin, wie ein Floß auf einem grauen Fluss, der eine weite Ebene durchzog, und dessen Ufer von Schilf gesäumt war - an einem trüben Nachmittag mit grauen Wolken am Himmel. Schließlich schlief Jero ein und erwachte nach unbestimmbaren Träumen, die wirr und fieberhaft geschehen waren und eine tiefe Unruhe in des Ritters Seele verankerten.

Zunächst - beim Öffnen seiner Augen - wusste er nicht, in welchem Gemäuer er sich befand. Ein kühler Wind streifte umher, der Ritter setzte sich auf, schaute umher und entdeckte in dem Düsteren um ihn herum den grauen Steinaltar. Da erinnerte er sich an das vergangene Geschehen, erhob sich hektisch und blickte um sich - den Eindringling suchend und mit der rechten Hand den Schwertgriff umschlossen haltend. Allmählich wurden Jeros Bewegungen langsamer und schließlich stand er nur noch da, spürte den kühlen Wind um seinen Kopf wehen.

Verwirrt war der Ritter, hatte Zweifel, die einkerkernden Arme erlebt zu haben, waren sie vielleicht nur ein Schreckgespenst seiner unruhigen Träume gewesen.

Etwas streifte ihn am Kopf, und blitzschnell zog Jero sein neues Schwert, drehte sich dabei und vollführte mit der eleganten Klinge einen sicher geführten und kraftvollen Hieb. Noch den Nachhall des Blinkens seines Schwertes vernehmend sah er in das Dunkle vor sich, dann schnell um sich, dann nach oben und schließlich vor sich auf den Boden. Er entdeckte das Ende des Seils, das ihn auf den Turm und in dessen Inneres gebracht hatte.

Präzise abgetrennt lag das Seilstück vor ihm auf dem Steinboden, und der Ritter war erleichtert. Er verschnaufte, erinnerte sich dann an das Blau in der Öffnung im Turm und schaute erneut hoch. Durch die Öffnung sah er einen hellblauen Himmel, in dem ein schönes Wetter zu verweilen schien.

Der Ritter ergriff das Seil, und da dachte er an seine Zweifel. Ein Blick in den Bereich gegenüber dem Altar mochte Sicherheit geben. Jero ließ das Seil los und drehte sich zu der Stelle hin, in der das Schwarze und Rötliche gelauert hatte und sah nur Düsternis. Ihm stockte der Atem, und er begann zu schwitzen. Er schaute weg, konnte das Düstere nicht mehr ertragen, und das Helle auf dem Boden um ihn herum machte ihm Mut.

Da zog er sein Schwert und richtete erneut seinen Blick ins Düstere. Die Bedrohung ergriff wieder von ihm Besitz, und er löste sich aus der Spannung mit einem Hieb durch die Luft vor ihm. Jero machte einen Schritt und schlug erneut mit dem Schwert und tat den nächsten Schritt. So mühte er sich vorwärts - Schritt für Schritt und Hieb für Hieb - und durchteilte mit der scharfen Klinge seines Schwertes Undurchdringliches.

Da erkannte Jero Mauerritzen. Die Turmmauer war erreicht, und hier gab es nichts, nur Düsternis und hektisch schaute der Ritter in seinem Unglauben umher. Allmählich beruhigte er sich, hatte den gewohnten Altar, die Öffnung oben im Turm und das durch die Schießscharten herein rieselnde Sonnenlicht gesehen. Er gewöhnte sich an die Düsternis, in der er stand und die ihm die gewohnten Dinge nicht verbarg und die ihr Bedrohliches verlor und Geborgenheit den Ritter empfinden ließ.

Da machte Jero einen Schritt zurück, zur Mauer hin, und seine nackten Füße traten auf etwas kaltes und metallenes. Er erschreckte sich, sah hinunter und sprang zur Seite. Es war nur eine weitere Luke, deren Deckel silbrig schimmerte. Der Ritter kniete sich hin, besah ihn sich und fühlte mit der rechten Hand über die glatte Fläche. Das Metall schien Silber zu sein, und das Gefühl der Bedrohung kehrte zurück, denn unter dem Lukendeckel mochte möglicherweise das sein, über dessen Existenz Jero sich Gewissheit verschaffen wollte.

Sofort zog er sein Schwert, sah schon Arme unter dem Silberdeckel hervorquellen und erschreckte, als sich tatsächlich der Lukendeckel hob. Drei dieser gefangen gehaltenen Arme zeigten sich, züngelten und tasteten umher und verloren - der Ritter beobachtete sie mit der Gesamtheit seiner visuellen Kraft - ihren Schrecken, muteten sie doch auf seltsame Weise hilflos an.

Eine Spur Mitleid gebar in Jero, er wollte sich schon nähern, da erinnerte er sich an den Alptraum, der Wirklichkeit und spürbar gewesen war und ihn in seiner Gesamtheit in jenem Moment vernichtet hatte. Wut löste diese andere Empfindung ab, und mit eiskalter Präzision und mit kanalisiertem und auf einen Punkt gerichtetem Zorn schlug der Ritter die hervorlugenden Armenden ab. Blut spritzte, rann und floss über die Silberplatte und die blankpolierte Klinge von Jeros Schwert. Ferne Schreie drangen aus der Tiefe unter dem Lukendeckel, und die verstümmelten Arme zuckten zurück, so dass das Silber herunter krachte.

Der gelbe Himmel und die graue Ebene

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