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5 »Hier ist einfach gar nichts«
Als Köchin in den Kimberleys
ОглавлениеWarum, so fragt man sich auf der Fahrt von Katherine in Richtung Westen, hat man Termiten nicht längst einen Architekturpreis verliehen? Mühelos kombinieren ihre bis zum Horizont reichenden, in einem feurigen Rot leuchtenden Siedlungen das Eckige mit dem Runden, das Filigrane mit dem Wuchtigen, das Gestreckte mit dem Steilen. Einige der meist mannshohen Bauten erinnern mit ihren Türmen, Erkern und Simsen an kunstvolle Kathedralen. Da es wohl kaum ein religiöser Impuls war, der die Insekten zu dieser Meisterleistung trieb, belegt ihr Werk, dass Erhabenes auch dem Instinkt entspringen kann.
Sogar dem Feuer, das plötzlich überall in der Hügellandschaft an unserem Highway lodert, halten die Behausungen stand. Wo der Wind in den ausgetrockneten Busch fährt, sprühen Funken auf, die wie irre gewordene Glühwürmchen vor uns her hüpfen. Die schwarzen Rauchschwaden, die in der Ferne aufsteigen, lassen auch unsere Fantasie schwarzmalen. Ist die Tatsache, dass uns seit einer halben Stunde nicht ein einziges Auto entgegenkam, eine Indiz für die Sperrung der Strecke? Auch die beiden Kolosse, die sich röhrend aus dem Rauch schälen, verschaffen keine Entspannung. Na klar, solche gigantischen Lastzüge packen das – aber wir?
Erst als wir die Trupps entdecken, die immer wieder ordnend an den Brandherden eingreifen, wird uns klar: Es handelt sich um gezieltes »Backburning«, eine von den Aborigines erfundene Methode, die verhindern soll, dass ein Feuer in der Hitze des Hochsommers vom Unterholz auf größere Flächen überspringt.
Ein paar Dutzend gedrungene Häuser und Hütten mit Parabolspiegeln auf den Dächern, ein »Bottle Shop«, auf dessen Parkplatz Aboriginefamilien die Alkoholration für den Abend verstauen, hier und da der rührende Versuch, einem Beet ein paar Blümchen abzuringen – das also ist Halls Creek, jenes Kaff, in dem die Temperatur im Sommer auf Grad klettern kann und das seine Bewohner in sarkastischer Selbstverachtung »Hell’s Crack« nennen. »Höllenloch«, bedeutet das frei übersetzt.
Die Nationalstraße Nummer eins, auf den ersten 5000 Kilometern unserer Recherchenreise unsere wichtigste Leitlinie, wird in diesem Abschnitt von einem Rudel streunender Köter beherrscht. Dringt, was nicht häufig vorkommt, ein fremdes Fahrzeug in ihr Revier, verwandeln sie sich in kläffende Furien.
Der Kampfhund, der sich vor dem Eingang unseres Motels ausgestreckt hat, befindet sich, gottlob, im Welpenalter. Tapsig schlägt er mit der Pfote immer mal wieder nach Kakerlaken, die seinen Attacken allesamt entkommen und selbst dann nicht in Gefahr geraten, wenn sie auf ihrer Flucht in den Swimmingpool fallen. Dessen Oberfläche deckt das faulige Laub eines ganzen Herbstes.
Mit Vierradantrieb ausgestattete Pritschenwagen vor den Zimmertüren verweisen auf die Stammgäste dieser Herberge: Handwerker, die in den nördlichen Randzonen des Bundesstaates Western Australia defekte Zäune, Stromleitungen, Kühlschränke oder Fernseher reparieren. Hin und wieder nächtigen hier auch Sozialarbeiter, die sich tagsüber abmühen, Aborigines bei der Gründung kleiner Betriebe zu unterstützen, und die abends beim Barbecue ihren Frust im Gesöff aus dem Sixpack und in Sturzbächen des Sarkasmus ertränken.
Nirgendwo anders in Australien, so ist aktuellen Medienreporten zu entnehmen, offenbart sich das Elend der Aborigines so drastisch wie in dieser Region. Als der Staat den Hilfeschrei der drangsalierten Frauen erhört und ein Alkoholverbot über die Siedlungen verhängt, formieren sich die Männer zu einer bizarren Demonstration. Auf Transparenten, die sie mitführen, heißt es: »Wir wollen trinken – jetzt!«
Soll man am Fuße des Kimberley-Plateaus an seinem journalistischen Ritual festhalten und sich beim Manager des Motels erkundigen, ob hier deutsche Auswanderer leben? Man befürchtet, dass man sich lächerlich macht mit einer solchen Frage – und stellt sie, wie die Goldsucher in dieser Gegend auf das unverhoffte Glück bauend, dann doch. »Unsere Küchenchefin ist Deutsche«, antwortet der Mann an der Rezeption. »Katja heißt sie. Heute hat sie frei. Aber morgen zum Frühstück ist sie wieder im Dienst.«
Die Küchenfee von Halls Creek trägt Schnürstiefel und hat einen Händedruck, der sie als gradlinig und durchsetzungsfähig ausweist. Die Botschaft, die von ihrem offenen Gesicht ausgeht, lautet: Ich kann ein Kumpel sein – aber wehe, das wird ausgenutzt! Ein Kurzhaarschnitt bändigt ihre dichten Locken. Das verleiht ihrer kräftigen Statur etwas Sportives. Man kann sie sich gut als Steuerfrau einer Rudermannschaft vorstellen, zunächst als lautstarke Antreiberin und dann mit Glückstränen auf dem Treppchen stehend – natürlich dem obersten.