Читать книгу Sehnsucht Australien - Jürgen Bertram - Страница 11
Katja Pfetzing, 30
ОглавлениеHier ist einfach grad mal gar nichts. Meine Leute zu Hause, die können sich das nicht vorstellen. Als ich meiner Mutter erzählt habe, dass ich 400 Kilometer fahren muss, wenn ich mir einen Knopf kaufen will, da war sie sauer. Du bist ja betrunken, hat sie gesagt. Sie versteht nicht, was das für Entfernungen sind hier in Australien. Neulich hat sie mich angerufen und gemeint: Wir haben doch diesen Onkel da in Esperance, schau doch mal vorbei bei dem. Mama, hab’ ich gesagt, weißt du, wie weit das ist von hier? Das sind mehr als 3000 Kilometer. Am anderen Ende der Leitung hörst du dann: Ach so, ja. Aber du weißt genau, sie kapieren es nicht richtig. Ich will nicht, dass mich jemand aus Deutschland hier besucht. Ich glaube, Halls Creek wäre ein zu großer Schock für sie. Später sollen sie kommen. Später, wenn ich woanders wohne, vielleicht an der Ostküste.
Ich bin als Backpacker hier gelandet, als Rucksacktourist. Ich war schon fast ein Jahr lang unterwegs in Australien, als ich in einer Zeitung die Anzeige fand: Arbeiten in den Kimberleys – Küchenchef für Halls Creek gesucht. Die Gegend stand ohnehin auf meinem Reiseplan, und da hab’ ich mir gedacht: Schau’n wir uns den Laden doch mal an.
Ich komme aus Spangenberg, bei Kassel liegt das, und auf Schloss Spangenberg habe ich auch meine Ausbildung zur Köchin gemacht. Später habe ich an der Nordsee gearbeitet, in Sankt Peter-Ording, in Österreich und schließlich in der Schweiz. Zehn Jahre Saisonarbeit – irgendwann hatte ich genug davon. Ich weiß noch, dass ich da am Thuner See saß und dachte: Ich muss mal raus aus dem ganzen Schlamassel. Es wird Zeit, mal was ganz anderes zu machen. Und da ich Wein mag, hab’ ich mir überlegt: Ich geh nach Australien. Ich nehme mir die Freiheit, einfach mal zu machen, was ich will.
Ich habe mir ein »Working Holiday«-Visum besorgt, das gilt ein Jahr lang und erlaubt dir, zwischendurch auch mal Geld zu verdienen in Australien. Eigentlich wollte ich nur drei Monate in Halls Creek bleiben, aber dann habe ich hier meinen Partner kennengelernt, und jetzt bin ich schon fast ein Jahr in diesem Kaff. Mein Visum war irgendwann abgelaufen, aber da die Motelbesitzer mich unbedingt halten wollten als Köchin, haben sie sich als Sponsoren angeboten. Wenn wir nachweisen können, dass wir ein Jahr zusammen waren, kann Wayne diese Funktion übernehmen, und dann sind wir frei, woanders hinzugehen. Wir haben vor, uns einen Camper zu kaufen und durch Australien zu reisen. Und irgendwo werden wir dann sicher ein Plätzchen finden, wo wir bleiben können.
Nach Deutschland zurück – das kommt für mich nicht infrage. Du kannst arbeiten wie ein Tier, und alles, was du kriegst, ist ein feuchter Händedruck. Ich hab’ schon gut verdient an der Nordsee, aber wenn man sieht, was da alles abgezogen wird ... Ich weiß nicht, ich mag es einfach hier in Australien. Das Leben ist irgendwie leichter, nicht so hektisch. Bei uns will immer einer den anderen übertrumpfen, du hast immer irgendwie Stress, und das brauch’ ich nicht wirklich.
Ich finde auch, dass die Leute hier hilfsbereiter sind. Als ich mich entschieden hatte, in Halls Creek zu arbeiten, habe ich meine letzten 300 Dollar zusammengekratzt und bin von Perth nach Kununurra geflogen. Am Flughafen hat man mir dann erzählt, dass ich noch lange nicht am Ziel bin. Ich müsste weiter mit dem Bus fahren, und das nicht mal eben zehn Minuten, sondern vier Stunden lang. Ich dachte, um Gottes willen – aber na ja, was soll man machen. Und dann hat mich eine Familie aufgegriffen, die ihren Sohn am Flughafen abgesetzt hatte. Die haben wohl gesehen, dass ich mich nicht auskannte und sich rührend um mich gekümmert. Weil der letzte Bus schon weg war, durfte ich bei ihnen übernachten, sie haben mir die Gegend gezeigt und sogar in Halls Creek angerufen, damit mich jemand von der Busstation abholt. So etwas habe ich in Deutschland noch nicht erlebt.
Als ich angefangen hab’ im Motel, da hatten wir jeden Tag zehn Essen, und das war’s auch schon. Im letzten halben Jahr hat sich das hochgeschraubt auf achtzig Leute pro Tag, und die hab’ ich ganz allein gefüttert. Das Personal, das hier aufläuft, ist eine Katastrophe. Viele Backpacker sind dabei, aber die meisten kennen die Uhrzeit nicht. Sie kommen Stunden zu spät, oder sie sind sturzbetrunken. Im vergangenen Sommer hat man mir zehn Leute für die Küche geschickt, aber ich musste sie alle entlassen. Ich kann mir das nicht erlauben, mit unzuverlässigem Personal zu arbeiten. Bei uns essen viele Touristen, meistens Camper, auch Bustouren kommen und vor allem die Monteure, die hier in der Einöde stationiert sind. Zurzeit wohnen bei uns fünfzig Arbeiter, die ein neues Elektrizitätswerk bauen. Die brauchen morgens um sechs pünktlich ihr Frühstück, und abends haben sie am liebsten ein Steak oder ein Stück Lamm.
Dass man auch Gemüse essen kann, musste ich den Leuten hier erst beibringen. Am Anfang waren die Jungs total irritiert, wenn ich Blumenkohl oder Zucchini aufgetischt hab’. Ich hab’ ihnen dann gesagt: Ich esse das auch, und ich lebe noch. Wenn’s jetzt frisches Gemüse gibt, meldet sich das gesamte Polizeikorps des Ortes zum Essen an. Manche bestellen sogar nur Gemüse. Auch verschiedene Soßen haben wir jetzt im Angebot. Früher wurde hier alles mit derselben Käsesoße übergossen. Mir wurde schon übel, wenn ich das Zeug nur roch.
Manchmal wochenlang abgeschnitten von der Welt: Katja Pfetzing mit ihrem australischen Freund Wayne
Meine Vorräte kommen aus Perth, das ist 2800 Kilometer entfernt. Wir bestellen per Telefon oder Internet, und einmal die Woche fährt ein Riesentruck vor. Zuerst war es nicht einfach für mich, sich an diese Art der Organisation zu gewöhnen. Vor allem während der Regenzeit kann es kritisch werden, wenn du nicht rechtzeitig aufgestockt hast. Meist beginnt die Regenzeit im Januar, und wenn du Pech hast, bist du wochenlang abgeschnitten von der Welt. Da steht das Wasser so hoch auf den Straßen, dass hier nichts mehr rein und raus geht.
Am Anfang konnte ich mir das gar nicht vorstellen, als man mir davon erzählt hat. Hier ist doch Flachland, hab’ ich gesagt. Wie, bitte schön, soll denn das gehen, zwei Meter Wasser auf den Straßen. Mein Partner meinte: Du wirst dich wundern, und so war es denn auch. Wir wohnen zwei Kilometer außerhalb des Ortes, mitten im Busch. Nicht weit von unserem Haus fließt ein Creek, ein kleiner Bach, total unscheinbar. Aber im letzten Sommer hat es drei Stunden volles Programm geregnet, und aus dem Bächlein war ein reißender Fluss geworden. Ich hab’ dagestanden und gedacht: Wie komme ich jetzt zur Arbeit? Ich werde ganz gewiss nicht durch das Wasser waten. Was weiß denn ich, was für ein Getier da rumschwimmt. Schlangen womöglich, vielleicht auch Krokodile.
Unheimlich finde ich es nicht, wenn man von der Welt abgeschnitten ist. Man gewöhnt sich daran, wir genießen es sogar. Unser Haus ist auf Stelzen gebaut, das Wasser kann nicht reinlaufen. Wir finden es wunderbar, mal unsere Ruhe zu haben. Normalerweise habe ich nicht viel Freizeit. Ich arbeite viel, sechs Tage die Woche, jeweils zwölf bis dreizehn Stunden. Wenn wir es doch mal schaffen, ein Wochenende abzuzwacken, dann geht es raus in den Busch. Das gefällt mir, das mag ich. Du kannst hier noch nach Gold suchen, und wenn du Glück hast, findest du was. Ich habe neulich fünf Stunden mit einem Detektor auf den Knien gelegen und am Ende tatsächlich ein paar Gramm in der Hand gehalten. Von dem Nugget habe ich einen Ring machen lassen. Den nehme ich mit heim, wenn meine Mutter ihren fünfzigsten Geburtstag feiert.
Die Aborigines – ja, das ist hier ein Riesenproblem und auch nicht zu übersehen, oder? Aber Wayne arbeitet mit einem zusammen, der ist ein richtig netter Kerl. Er wurde unter einem Baum geboren, und keiner weiß genau, wann das war. Er hat uns schon ein paarmal mit in den Busch genommen und vieles erklärt. Zum Beispiel, an welchen Bäumen du nach Wasser graben kannst, welche Beeren du essen darfst und welche auf gar keinen Fall. Wunderschöne Beeren, sehen toll aus, aber fass sie besser nicht an. Er kennt Gegenden, in denen wilde Melonen wachsen, es ist echt interessant mit ihm, du lernst eine Menge.
Etwa 180 Kilometer von hier, Richtung Springvale, ist ein wunderschöner Platz mit Wasserlöchern. Ideal zum Campen und Fischen. Als wir dort zum ersten Mal ein Wochenende verbracht haben, wollte ich natürlich gleich ins Wasser springen, es war furchtbar heiß. Aber Wayne meinte: Tu das lieber nicht, hier gibt’s Krokodile. Ich hab’ keins entdecken können und gesagt: Du spinnst. Nachts hat Wayne dann mit seiner Taschenlampe das Wasser ausgeleuchtet, und ich sah überall diese roten Augen – unheimlich. Unser Freund hat uns erklärt, wie die Aborigines das machen. Sie werfen zunächst einen Hund ins Wasser, und wenn der nach zehn Minuten noch munter planscht, schicken sie die Kinder zum Schwimmen hinterher.
Konsumansprüche darfst du hier nicht haben. In Halls Creek gibt es wirklich nur das Allernötigste, und auch das nicht immer. Bei uns ist mal ein Japaner gelandet, der mit dem Fahrrad unterwegs war in den Kimberleys. Sein Schlauch war kaputt, und es hat vierzehn Tage gedauert, bis die Werkstatt einen neuen besorgt hatte. Der Junge hat in der Zwischenzeit bei mir in der Küche gearbeitet. Er war der beste Spüler, den ich je hatte.
Die meiste Angst habe ich davor, mal ernsthaft krank zu werden. Dann kannst du nur darauf hoffen, dass dich die Flying Doctors rechtzeitig rausholen. Schwangere werden grundsätzlich vierzehn Tage vor dem Geburtstermin nach Perth geflogen. Wir haben hier auch eine kleine Krankenstation, aber das ist nichts Verlässliches. Als ich mir die Rippen angebrochen hatte, haben sie mich dort geröntgt. Aber der Apparat war so uralt, dass man kaum was sehen konnte auf den Bildern. Ich kann nur hoffen, dass uns hier nie etwas Schlimmeres passiert. Was soll man machen, mit dieser Angst muss man leben.
Zurzeit sind die Temperaturen noch einigermaßen erträglich, es ist ja erst September. Aber schon innerhalb der nächsten Wochen wird es richtig heiß, und zu Weihnachten werden wir furchtbar schwitzen. Ich weiß noch, dass wir im vergangenen Jahr unter unserem mickrigen Eukalyptusbäumchen saßen, wir hatten den mit Kugeln behängt, als meine Mutter anrief. Sie hat erzählt, dass es zu Hause zehn Grad hat, minus. Ich konnte nur stöhnen: Bei uns sind es 42 Grad plus.