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Helmut Schimmel, 68

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Wenn ich den Leuten hier in Australien von meiner Heimat erzähle, dann sage ich immer: Ich komme aus einem Dorf, das damals wohl das rückständigste in ganz Deutschland war. Tatsächlich gehörten wir zu den Letzten, die Elektrizität, fließendes Wasser und gepflasterte Straßen bekamen, und bei uns wurde auch einer der letzten Wilderer auf deutschem Boden erschossen. Das Dorf heißt Schnellbach, und es liegt mitten im Hunsrück. Zu meiner Zeit waren die Leute dort sehr arm. Es gab nur wenige Bauern, die mehr als zwei Kühe hatten und von der Landwirtschaft leben konnten. Die meisten verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie Musik machten. Sie zogen von einer Kirmes zur nächsten und machten Musik.

Meine Mutter war Kriegerwitwe, sie hatte es nicht leicht damals mit drei kleinen Kindern. Wir waren Flüchtlinge, ursprünglich stammt meine Familie aus Schlesien. Ich wurde 1939 in Hermannsdorf bei Breslau geboren. Meine Mutter hat uns durchgebracht, indem sie für die Bauern im Hunsrück arbeitete. Sie hat auf den Feldern gearbeitet oder die Wäsche gemacht, es war harte Arbeit, sehr hart. Aber das weiß man natürlich erst zu schätzen, wenn man älter ist.

1989 war ich zum letzten Mal in Deutschland und habe auch meine alte Heimat besucht. Schnellbach nennt sich jetzt Höhenluftkurort. Viele neue Häuser wurden gebaut, aber die meisten stehen leer, weil die Bewohner nur die Ferien dort verbringen. Alles hat sich total verändert, und wenn du aus Australien kommst, dann fällt dir besonders die Beengtheit auf. Ein Dorf am anderen, und so vieles ist verboten. Ich weiß noch, dass ich mit einem meiner alten Schulfreunde angeln gehen wollte. Ich hab’ zu ihm gesagt: Los, komm, lass uns fischen gehen. Forellen aus dem Bach, so wie früher. Der Mann hat fast einen Herzinfarkt bekommen und mir klargemacht, dass man dafür ins Gefängnis kommen kann.


Aus dem Hunsrück ins Northern Territory: Helmut Schimmel, Gärtnereibesitzer und Farmer

Nein, ich könnte heute nicht mehr in Deutschland leben, ich würde da nicht mehr hinpassen. Hier ist vieles viel einfacher, man findet leichter Zugang. Ich kann hier einen Minister anrufen, und ich weiß, dass ich einen Termin bekomme. Unseren Ministerpräsidenten habe ich mehrfach getroffen, so etwas ist kein Problem in Australien. In Deutschland würde man nicht mal auf die Idee kommen, oder?

Ob ich mich als richtiger Aussie fühle? Schwer zu sagen. Ich weiß nur: Ich träume in Englisch. Und ich denke, ich werde hier sterben. Australien war gut zu mir. Ich sage immer: Um das zu erreichen, was ich hier erreicht habe, hätte ich in Deutschland viel mehr investieren müssen, in jeder Beziehung.

Dabei wollte ich eigentlich gar nicht nach Australien, ich bin eher per Zufall hier gelandet. Nachdem ich in Bad Kreuznach am Max-Planck-Institut Gartenbau studiert hatte, wollte ich die Welt sehen. Und ich wollte dabei auch Japan besuchen. Ich dachte, in meinem Beruf könnte ich davon profitieren. Also habe ich mich auf den Weg gemacht, per Fahrrad. Soweit es irgend ging, habe ich mich über Land vorwärtsbewegt. Italien, Türkei, über den Bosporus, Iran, Irak, Pakistan, Indien, Ceylon, schließlich per Schiff nach Indonesien. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich insgesamt zwei Jahre gebraucht, um nach Japan zu gelangen. Ich habe dort weiterstudiert, bis ich erfuhr, dass in Melbourne und in den USA große internationale Pfadfindertreffen stattfinden würden. Ich war damals begeisterter Pfadfinder, bin es heute noch, und natürlich musste ich da unbedingt hin.

1964 bin ich in Darwin angekommen, per Schiff. Ich mochte die Gegend hier auf Anhieb. Ob es die Weite war, die Freundlichkeit der Leute – ich weiß es nicht, es hat mich einfach gepackt. Sicher, die Menschen hier sind auch heute noch freundlich – aber damals, das war einfach überwältigend. Diese Offenheit, die Gastfreundschaft, ständig wurde man zu Barbecues eingeladen. Darwin hatte in den Sechzigern gerade mal 24 000 Einwohner, verglichen mit heute eine Kleinstadt. Um Geld für meine Weiterreise zu verdienen, habe ich mir erst mal einen Job gesucht, und abends habe ich Englischkurse belegt. Zum Unterricht bin ich mit dem Rad in die Stadt gefahren, das waren ungefähr zwanzig Kilometer, und ich erinnere mich bis heute, dass mir einmal sieben Autos auf dieser Strecke entgegenkamen. Mein Gott, habe ich damals gedacht, was für ein Verkehr.

Als ich dann schließlich zusammen mit den Boyscouts aus Darwin nach Melbourne und Amerika gereist bin, wusste ich: Eines Tages komme ich zurück. Ein Jahr lang bin ich noch durch Südamerika geradelt, von Caracas bis an den Amazonas, und danach habe ich in Deutschland meine Sachen geordnet. Ich bin zu meiner Mutter in den Hunsrück gefahren und habe ihr gesagt: Ich mache hier klar Schiff und gehe nach Australien. Begeistert war sie nicht, aber was konnte sie tun? Da war nichts in Deutschland, was mich gehalten hätte. Schon unterwegs hatte ich immer, wenn ich an zu Hause dachte, Darwin vor Augen.

Meine englische Freundin hatte auf mich gewartet, und 1967 haben wir unser gemeinsames Leben begonnen. Zunächst habe ich für die Fluggesellschaft Quantas gearbeitet, aber schon 1969 habe ich mich mit einem Betrieb für Gartenarchitektur selbstständig gemacht. Mit Schubkarre und Schaufeln ging es los, aber schon bald hatten wir dreißig Angestellte. Fast alles, was heute im Stadtbild von Darwin an Gartenarchitektur zu sehen ist, stammt von unserer Firma. Natürlich war es nicht so einfach, wie es sich jetzt hier darstellt, der Anfang ist immer schwer. Aber ich denke, auch heute noch kann man es in Australien zu etwas bringen, wenn man bereit ist, hart zu arbeiten.

Das Gelände hier ist an die hundert Hektar groß, aber wir bewirtschaften nur fünfzig. Wir haben das Land ringsum vor allem deshalb gekauft, um die Lagune zu schützen, die sich hinter der Gärtnerei ausbreitet. Noch sind nur wenige hier, aber in den nächsten drei Wochen werden Tausende von Gänsen einfliegen, um an der Lagune zu brüten. Sie wissen inzwischen, dass dort nicht geschossen wird.

Meine Frau und ich, wir lieben die Natur, das ist auch etwas, was uns an diese Gegend bindet. Wir sind das, was man in Australien bush people nennt, wir mögen die Einsamkeit. Wir haben schon unsere Flitterwochen im Busch verbracht, und als wir ein bisschen Geld übrig hatten, haben wir eine station gekauft: Diese Farm war mehr als 700 Kilometer entfernt, im Barkly Tableland, irgendwo im Nirgendwo. Mit dem Auto fuhr man achteinhalb Stunden von Darwin bis zur Farm, und was mich dabei am meisten beeindruckt hat: Auf der gesamten Strecke gab es nur einen Abbieger. Du fuhrst endlos geradeaus, und einmal ging’s links ab. Das ist auch Australien, das ist das Outback.

Die Farm war riesig, wir hatten schließlich 13 000 Stück Rindvieh. Dafür brauchte man natürlich Personal, und das wurde uns eines Tages zu viel. Nach zehn Jahren haben wir die Farm verkauft, schweren Herzens. Wir haben es geliebt, da draußen. Drei Jahre lang haben wir uns umgeschaut, dann haben wir wieder ein Stück Land im Outback gekauft. Dieses Areal ist nur anderthalb Autostunden von Darwin entfernt, liegt in der Nähe vom Kakadu-Nationalpark. Eigentlich wollten wir nur eine Hütte draufsetzen, aber wie es so geht: Erst baut man eine Veranda, dann ein Schlafzimmer, schließlich noch die Küche – und plötzlich hat man ein vollständiges Anwesen.

Einen Teil des Landes haben wir verpachtet. Wir haben nur eine 27 Quadratkilometer große Koppel behalten, auf der wir Rinder züchten. Bantengs, die bringen gutes Fleisch, und mir macht das Spaß. Natürlich ist nicht alles vergnüglich da draußen, der Busch ist immer eine Herausforderung. Wir haben zum Beispiel Stechakazien auf unserem Land, ein furchtbares Zeug mit Dornen. Die Dinger wuchern wie verrückt, und die Saat bleibt dreißig Jahre lang im Boden. Ich denke, ich werde noch zwanzig Jahre damit beschäftigt sein, Stechakazien zu vernichten.

Unser Haus steht auf einem Hügel, man kann von dort die Wasserstellen überblicken. In den Lagunen sind etliche Krokodile, aber normalerweise greifen sie nicht an. Am Ende der Trockenzeit sind sie manchmal sehr hungrig, dann sollte man allerdings aufpassen. Im vergangenen Jahr habe ich zwei männliche Tiere miteinander kämpfen sehen, ein grandioses Spektakel. Ich habe geschrien, aber ich hätte vermutlich direkt neben ihnen stehen können, ohne dass sie voneinander abgelassen hätten.

Eines der Krokodile ist der Boss, wir nennen es Walter. Ich schätze, dass es an die fünf Meter lang ist. Wenn ein fremdes Auto aufs Gelände fährt, dann schlägt Walter Wellen im Wasser. Krokodile stecken auf diese Weise ihr Gebiet ab. Sie wollen dir damit klarmachen: Hier bin ich, und hier habe ich das Sagen. Unsere Autos kennt Walter. Wenn wir kommen, bleibt die Lagune ruhig. Meine Frau hat Angst, sie geht nicht mehr schwimmen. Mir macht das nichts aus. Wenn’s mir zu warm wird, steige ich ins Wasser. Allerdings: Ich schwimme nicht in der Nacht, das wäre tatsächlich zu gefährlich.

Wir leben zur Hälfte auf der Farm, zur anderen Hälfte in Darwin. Völlig aus dem Geschäft zurückziehen möchte ich mich noch nicht, auch wenn ich merke, dass ich älter werde. Früher konnte ich einen zwanzig Gallonen schweren Benzinkanister mit einem Ruck auf einen Pritschenwagen hieven – das geht jetzt nicht mehr. Meine Ratgebersendung im Radio habe ich seit zwanzig Jahren. Früher habe ich auch Fernsehen gemacht, aber das wurde mir zu viel. Da müsste ich samstags und sonntags auf Sendung sein, und das sind genau die Tage, an denen hier in der Gärtnerei am meisten los ist.

Zurzeit verkaufen sich Bougainvilleen am besten, eine sogenannte Bambino-Variante. Sie ist kompakter und hat auch mehr Blüten als der normale Strauch. Wissen Sie, Pflanzen sind auch Modesache. Man verkauft, was die Leute wollen. Wir haben sogar Rosen im Angebot, und sie machen sich gar nicht mal so schlecht, trotz des tropischen Klimas. Wenn’s nach mir ginge: Ich würde keine Rosen pflanzen. Aber die Leute, die aus kühleren Gegenden hierherkommen, wollen ihre Rosen, und dann sollen sie Rosen haben.

Ich weiß nicht, ob unser Sohn den Betrieb übernehmen wird. Gärtnereien sind sehr arbeitsintensiv, und man kann sich auch verspekulieren. Wir sind eine Partnerschaft mit einem Unternehmen in Saudi-Arabien eingegangen und haben für den Markt dort drüben Pflanzen im Wert von 150 000 Dollar gezogen. Aber die Saudis kommen mit dem Geld nicht rüber, und jetzt sitzen wir auf dem Grünzeug. Natürlich wäre es schön, wenn der Laden in der Familie bleiben würde. Aber wenn es zu schwer wird für Hardy – auch okay. Wir zwingen ihn zu nichts.

Sehnsucht Australien

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