Читать книгу Der Segen der Einwanderer - Jürgen Feder - Страница 27

Оглавление

Der Bastard-Staudenknöterich mit seinen weißen Blüten ist ein Hybride und breitet sich üppig aus.

Bastard-Staudenknöterich

Reynoutria x bohemica

Familie der Knöterichgewächse

(Polygonaceae)

Die mit umstrittensten Karrieristen und bekanntesten Neophyten sind die Staudenknöteriche. Auch wenn vielen das Thema (noch) unbekannt ist, so haben doch nicht wenige schon mal von dieser Gattung gehört.

Neben den meist einjährigen »normalen« Knöterichen (Persicaria) gibt es noch Wiesenknöteriche (Bistorta), Windenknöteriche (Fallopia), die Vogelknöteriche (Polygonum) und eben jene sehr wüchsigen Staudenknöteriche (Reynoutria). Von letzterer Gattung existieren drei spätfrostempfindliche, feuchtigkeits- und nährstoffliebende Arten in Deutschland, längst regelrechte Schlüssel-Neophyen: Japanischer Staudenknöterich (Reynoutria japonia, bis 3 Meter hoch, seit 1872 in Deutschland. Sachalin-Staudenknöterich (Reynoutria sachalinensis), bis 4 Meter hoch, 1869 zuerst in Europa, in Deutschland sicher später als erstgenannte Art. Und seine Hybride, der Bastard-Staudenknöterich (Reynoutria x bohemica), bis 3,5 Meter hoch).

Jahrzehntelang kannte ich nur den Japanischen Staudenknöterich und den Sachalin-Staudenknöterich, die sich sowohl durch ihre Wuchshöhe als auch durch ihre Blätter deutlich unterscheiden. Beim Japanischen Knöterich sind die Blätter bis 20 Zentimeter lang und unten wie abgeschnitten, dagegen hat der Sachalin-Staudenknöterich bis 50 Zentimeter lange, unten abgerundete Blätter.

Dann, Ende der 1990er-Jahre, wurde erstmals von einem Bastard zwischen den beiden Gattungen berichtet. Im Bremer Florenatlas (2006) nur fünf Raster, im Atlas für ganz Niedersachsen (inklusive Bremen, 2007) mal gerade 40 Raster davon belegt.

Seitdem ist der Bastard auf einem ungeahnten Höhenflug, heute sehe ich fast nur noch ihn! Seine Blätter intermittieren zwischen beiden Eltern. Sie sind länger, unten nicht so gerade abgestutzt, und während früher kaum oder verkümmerte Blüten beobachtet wurden, kann man diese in wahren Blütenorgien jetzt überall von Ende August bis Oktober finden.

Anlässlich einer Fahrt 2020 von Bremen über das Erzgebirge, Dresden, Görlitz, Frankfurt/Oder entdeckte ich an den Bächen und Flüssen nur diese Hybride. Teils in riesigen Massen an Unstrut, Saale, Weißer Elster, Zwickauer Mulde, Zschopau, Freiberger Mulde, Elbe und Neiße. Dann ausgedünnt auch an der Oder bis Frankfurt. Kilometerweit weiße Blütenbänder im Spätsommer – an Flüssen, aber auch an Gräben, Straßenrändern und Wegen. Ebenfalls in Bayern im August 2020.


Die mittlere Neiße 2020 unterhalb von Görlitz, ein riesiges Staudenknöterich-Eldorado

Den ersten Sachalin-Staudenknöterich sah ich auf meiner »Osttour« erst nördlich von Eisenhüttenstadt/Brandenburg, und das auch noch ganz kleingartennah. Den Japanischen Staudenknöterich sah ich nirgends.

2020 längs der Wupper, in Wuppertal nur dieser Bastard, so weit das Auge reicht. Und auch im Bremer Raum passiert eine ganz mysteriöse Verwandlung. Im Hafen findet man den Bastard und nicht mehr den ehemals häufigen Japanischen Staudenknöterich.

So kommt es, dass der »Deutschland-Atlas« die beiden kleinblättrigen Arten einfach zusammenfasst. Das macht einerseits Sinn, andererseits gehen auf diese Weise wichtige Daten unter, wenn man beide bisher artig unterschieden hat. Lange Rede, kurzer Sinn. Wüchsig sind alle, richtig meine Freunde sind sie jedoch nicht, aber man kommt zur Bekämpfung viel zu spät.

Da sie alle bambusartig Unterschlupf für Tiere bilden, vor allem in Städten und dank schwer verrottbarer Sprosse auch im Winter. Da man alle jung als saures und Vitamin-C-reiches Gemüse essen kann, wie Rhabarber oder Spinat. Da sie inzwischen alle wunderbar blühen, Fliegen und Bienen Nahrung bieten und sich zudem im Herbst goldgelb verfärben, gewinne ich diesem Naturphänomen dann doch noch etwas Gutes ab. Außerdem kann man ein Pflanzenstärkungsmittel aus ihnen herstellen (»Milsana«). Und bei dieser Üppigkeit sind sie als Energiepflanzen zunehmend im Gespräch.

Und ob sich diese Knöteriche nun gegenseitig das Leben schwer machen oder fast überall mit Brennnesseln, Brombeeren, Hopfen, Ketten-Labkraut, Kratzbeere, Rohr-Glanzgras, Schilf, jungen Weiden oder mit einem weiteren Neophyten, dem Drüsigen Springkraut, duellieren – da ist doch keiner besser als der andere.

An Rhein und Ruhr zum Beispiel oder auch an Kanälen wuchs vorher überhaupt nichts oder nichts mehr. Vor allem Agrarfabriken haben diese Entwicklung gefördert, die weiter fortschreitende Überdüngung unserer Landschaften, die ständigen Bau- und Bodenbewegungen taten ihr Übriges, der Mensch mit seinen Gartenabfällen überall. Denn zuerst waren alle bloß Zierpflanzen, Schaupflanzen in Botanischen Gärten, bis man ihrer schnell überdrüssig wurde. Nur so gelangten sie aus dem Fernen Osten zu uns, nur so konnte ihr Siegeszug in unsere Landschaften starten.

Und was man nun dagegen tun kann? An der Neiße zwischen Görlitz/Sachsen und Ratzdorf/Brandenburg schien mir regelmäßiges und tief bis auf den Boden reichendes Mähen ein Teilerfolg.

Während auf polnischer Seite alles hemmungslos zugewuchert war, galt das nicht für die westliche Seite. Nutzungsaufgabe fördert diese Gattung also sicherlich, Beschattung hindert leider aufgrund dieser jetzt so heißen Sommer kaum noch. Auch kann das Abdecken mit dickeren Gummimatten zwecks Ausdunkelung der Knöteriche ein probates Mittel sein.

Kleinere Bestände an Wegen sollten Förster und Landwirte bekämpfen, auch ich ziehe schon lange immer mal was en passant heraus.

In Naturschutzgebieten sind diese drei Quertreiber rechtzeitig auszubaggern oder auszugraben. An den Flussläufen im Bergland wird man sicher zu spät kommen, und ich gebe hier offen zu – diese drei sind inzwischen echte Problempflanzen, wie es aber tatsächlich nur insgesamt weniger als zehn Neophyten sind.

Zudem laufen erfolgversprechende Versuche, diese Staudenknöteriche als Entgifter bei der Dekontamination verseuchter Industrieflächen zu gewinnen, da sie in erheblichem Maße Schwermetalle aufnehmen können. Also auch hier abwarten und vielleicht etwas mehr Gelassenheit an den Tag legen.

Der Segen der Einwanderer

Подняться наверх