Читать книгу Kokain - Hotel - Jürgen H. Ruhr - Страница 12
IX.
ОглавлениеGut gelaunt und pünktlich erschien ich im Büro. Christine sah mich erstaunt an und konnte sich wieder einmal ihren Spott nicht verkneifen: „Oh, heute so pünktlich, Chef?“ Ich nickte nur. „Wie wäre es mit einem Kaffee, Chrissi?“
Ein arbeitsreicher Tag würde vor uns liegen. Letzte Nacht waren mir einige Gedanken gekommen. Ich zog den Schreibblock zu mir und schon füllte sich das leere Blatt.
Chrissi kam mit meinem Kaffee und schaute mir über die Schulter. „Was bedeutet das mit dem Arzt da, Chef?“ Sie stellte den Becher auf meinen Schreibtisch.
„Vielleicht eine Aufgabe für dich. Wir müssen zweifelsfrei herausfinden, ob diese Marlene nun Drogen genommen hat oder nicht. Wer könnte das besser wissen, als ihr Arzt?“ Christine sah mich zweifelnd an. „Ich glaube nicht, dass wir da irgendeine Auskunft bekommen werden. Ärztliche Schweigepflicht.“ - „Deswegen musst du auch - sozusagen Undercover - tätig werden. Mach einen Termin bei dem Arzt und siehe zu, ob du im persönlichen Gespräch etwas herausbringen kannst. Oder vielleicht sogar an deren Computer heran kommst ...“ Ich reichte Chrissi das Blatt mit der Adresse des Arztes. „Hier sind alle noch fehlenden Daten und Informationen, die ich gestern von Marianne Kotschak bekommen habe. Lege doch einfach schon einmal eine Akte über diesen Fall an.“
„Und wie soll es dann weitergehen?“ - „Wir müssen zunächst herausfinden, wo Marlene zuletzt war. Dabei kann uns der Eintrag in ihrem ‚Auftragsbuch’ ein wenig helfen. ‚H Pa Hr E’ - Hotel Pa... Es kann ja nicht allzu viele Hotels mit den Anfangsbuchstaben Pa hier in Gladbach oder in der Nähe geben. Da musst du einfach einmal ins Internet schauen. Gurgel doch mal!“ - „Googeln, Chef, so heißt das. Du solltest dir das endlich merken. Oder noch besser: Schaff dir einen eigenen Computer an. Einen Laptop.“
Ich nickte. Daran dachte ich ja auch schon. Auch wenn es sehr bequem war, die Arbeit Christine zu überlassen, so würde ich früher oder später doch so ein Gerät kaufen müssen.
Nun, das wäre eine schöne Aufgabe für den heutigen Morgen und ließe sich ja auch mit einem reichhaltigen Frühstück im Café CnakBak verbinden. Danach wäre ich gestärkt für den Kauf eines dieser Geräte. „Google doch mal, ob es einen guten Computerladen mit Beratung hier in der Innenstadt gibt.“
Chrissi tippte schon fleißig auf ihrer Tastatur herum. „Wie war es denn gestern, in diesem Sportstudio?“ Die Frage hatte ich befürchtet. „Anstrengend, Chrissi. Aber reine Zeitverschwendung. Da werde ich wohl kaum noch einmal hingehen!“
Christine sah auf. „Aha. Das habe ich mir fast gedacht.“ Dann sprang der Drucker an. „Hier, ein kleiner Laden in der Fußgängerzone. ‚NSOW CoSer Frojan’ - ich würde aber an deiner Stelle lieber zu ‚Saturn’ gehen.“ - „Nein, Chrissi, ich brauche vernünftige Beratung. Keine Null-Acht-Fuffzehn Abfertigung. Was soll denn dieses NSO... Dingsda bedeuten?“ - „Nord Süd Ost West Computer Service Frojan.“
„Aha.“
Nie hätte ich gedacht, dass ein Laden noch kleiner und heruntergekommener sein könnte, als meiner. Aber doch, das gab es. Ich stand vor dem kleinen Geschäft, auf dem in goldenen Buchstaben ‚NSOW CoSer’ prangte. Direkt darunter hatte ein legasthenischer Witzbold in blauer Farbe ‚Isch binn gröhste - H.B.’ gesprüht. Wurde das denn nicht vom Firmeninhaber sofort entfernt? Und: sollte ich nicht vielleicht doch besser zu ‚Saturn’ gehen?
Kurzentschlossen betrat ich den Laden. Begleitet von einem nicht enden wollendem Gebimmel, stand ich vor einer kleinen, schmuddeligen Verkaufstheke. Dann hörte ich im Hintergrund die Toilettenspülung.
„Ah, Kundschaft. Willkommen, willkommen.“ Ein kleiner Mann, er hatte wohl gerade die zwanzig überschritten, kam auf mich zu. Dabei wischte er sich die Hände an seiner Jeanshose ab. „Was kann ich für sie tun?“ - „Ich suche einen Rechner. Einen Laptop!“ - „Wunderbar, wunderbar. Einen Labetabe. Ja, sehen sie, ich habe so viele davon, dass ich sie verkaufe!“ Der kleine Mann lachte meckernd.
„Labetabe?“ Damit wusste ich nichts anzufangen. Außerdem sah ich in dem Laden keinen einzigen Rechner. Hier ein paar Tastaturen und Mäuse, da ein Grabbeltisch mit verschiedenen Kabeln; aber weit und breit nicht ein Rechner.
„Ja, hähä, so nennen wir Fachleute einen Laptop unter uns: ‚Labetabe’.“ Ich schüttelte den Kopf. „Habe ich noch nie gehört. Wo sind denn die guten Stücke?“ Der Verkäufer sah mich irritiert an: „Die guten Stücke?“ - „Ja, die Rechner, ihre ‚Labetabe’?“
„Warum sagen sie das denn nicht gleich, guter Mann. Kommen hier einfach herein und äußern sich nicht. Moment!“ Wie ein Wiesel verschwand der Kleinwüchsige in dem Raum, aus dem er auch zuvor schon gekommen war. Wieder hörte ich die Wasserspülung rauschen und schon kam er mit einem Laptop in der Hand zurück. Wenigstens hörte das nervtötende Gebimmel jetzt auf.
„Hier, das Neueste auf dem Markt.“ Mit einem Krachen stellte er das Gerät auf der Theke ab. Irgendwie erschienen mir Laptops in meiner Erinnerung kleiner. „Das erscheint mir aber ein recht großes Gerät.“ - „Ja, damit lässt sich ja auch Großes erledigen! Schau’n se hier: Diskettenlaufwerk. Und hier: Wie viele schöne Anschlüsse.“ Ich zweifelte. Das sollte das neueste Gerät sein? „Diskettenlaufwerk? Ich dachte, die gibt es schon gar nicht mehr?“ - „Aber, guter Mann, die sind doch wieder richtig im Kommen! Ich sehe ihnen doch an, dass sie Ahnung von Technik haben. Noch nie etwas vom neuen ‚FDL - System’ gehört?“
Ich schüttelte fragend den Kopf. „FDL - System? Nein, habe ich nicht.“ - „Fast Disketten Laufwerk System. Das ist so schnell, schneller geht’s nicht.“ Naja, ich wusste - zugegebener Maßen - nicht viel über Computer. In meiner alten Firma wurde damals immer mit Karteikästen und Speicherschreibmaschinen gearbeitet und ich habe mich auch nie wirklich für diese Computer interessiert. Deswegen brauchte ich ja hier und jetzt die persönliche Beratung. Aber irgendwie kam mir das Ding doch veraltet vor ...
„Haben sie noch andere Rechner?“, wagte ich den Vorstoß, aber der Verkäufer sah mich aus großen Kuhaugen an: „Noch andere Rechner? Ich denke, sie suchen einen Laptop? Für den hier mache ich ihnen jetzt einen Sonderpreis. Der ist gut. Also!?“
Ja, also? Ich schaute mir das Gerät noch einmal an. „Wo ist denn das DVD Laufwerk?“ - „Brauchen sie nicht. Hier ist ein Anschluss dafür.“ Er zeigte auf einen Anschluss an der Geräteseite. „Also, wenn sie jetzt mal ganz leise sind, dann nenne ich ihnen den Sonderpreis!“ Abwartend schaute er mich an. Ich nickte. Der Sonderpreis würde mich schon interessieren. „Zwöli...“ Der Mann sprach so leise, ich konnte ihn nicht verstehen. Grinsend blickte er mir ins Gesicht. „Und, ist das ein Sonderpreis?“ - „Ich habe nichts verstanden!“ - „Ah, sie sind ein ganz Schlauer, sie wollen handeln. Also, dann eben keinen Sonderpreis, sondern den normalen.“ Er nannte mir eine Zahl, die unserer aktuellen Jahreszahl sehr nahe kam.
Plötzlich erklang direkt hinter der Theke eine amerikanische Polizeisirene. Ich zuckte zusammen. „Keine Angst, mein Freund. Das ist nur mein Handy.“ Sekunden später hielt der Mann einen winzigen Kasten an sein Ohr. Während er in das Gerät sprach, schaute er mich immer wieder an. „Ja, der Laptop ist zurzeit noch da, aber hier steht ein Kunde, der will ihn kaufen. Nein, auch wenn du mir das Doppelte bietest, der Kunde hier war zuerst da ...“ Dann hielt er das Handy ein wenig vom Ohr fort und sah mich an: „Und wollen sie den Laptop nun kaufen oder nicht?“
Ja, wollte ich oder nicht? Wenn ich jetzt ‚nein’ sagte, wäre das Gerät möglicherweise weg. Ich nickte: „Ich nehme den Computer.“ Der Verkäufer legte sein Handy weg und rieb sich die Hände. Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf, der aber sofort wieder verloren ging: Das Handy sah so aus, als wäre es gar nicht eingeschaltet gewesen ... Aber das konnte ja wohl nicht sein.
Christine schaute mich an, als wäre ich der größte Idiot auf dieser Erde. „Chef, was ist denn das nun wieder?“ - „Ein ‚Labetabe’.“ Ich hatte schließlich etwas gelernt. „Chef, das ist ein Signal!“ Ein Signal? Chrissi sprach in Rätseln. Was für ein Signal? Ich formulierte meine Frage: „Was für ein Signal?“
„Ein Signal dafür, wie selten blöd du manchmal sein kannst!“
Also, das verstand ich nun nicht. Chrissi konnte aber auch immer so direkt sein. Ich verschanzte mich hinter meinem Schreibtisch und öffnete den Deckel des Laptops. Meines neuen Laptops.
Nur, das nützte mir recht wenig, denn schon stand meine Sekretärin hinter mir: „Chef, das ist der älteste Schrotthaufen, den ich seit langem gesehen habe. Von deinem Auto einmal abgesehen. Ich denk’ du wolltest dich beraten lassen? Diese Dinger gibt es seit - lass’ mich überlegen - ja seit zirka Neunzehnhundertfünfundachtzig nicht mehr. Diskettenlaufwerk, ja hallo! Nicht einmal USB Anschlüsse hat das Ding.“ - „USB? Was ist denn das?“ Was sollte ich machen? Ich drückte den Einschalter. Nichts. Dann tippte ich auf der Tastatur herum. Auch nichts.
Kurzentschlossen nahm Chrissi mir das Gerät fort. „So, da kümmere ich mich jetzt drum. Gib mir doch mal die Quittung, Chef.“ Quittung? Quittung bekam ich keine. Stattdessen schaffte es der Verkäufer, seine schmierige Hand in meine zu drücken und mich aus dem Laden zu schieben. Natürlich, nachdem ich meine Geldscheine auf den Tresen blätterte.
„Keine Quittung? Mensch, Jonathan, Jonathan! Wie viel hast du für den Schrott denn bezahlt?“ Ich nannte den Preis. Ungläubig schüttelte Chrissi den Kopf. Dann sah sie auf die Uhr: „Das klär’ ich gleich heute Nachmittag. Und als kleines Dankeschön lädst du mich jetzt zum Mittagessen ein.“ Dankeschön? Noch hatte sie doch gar nichts getan? Und was wollte Chrissi da eigentlich klären? Offensichtlich war ich von dem Verkäufer hereingelegt worden, es gab keine Quittung und über einen Rechtsanspruch verfügte ich somit kaum. Ich nickte ergeben. Nur - für mehr als einen schnellen Imbiss bei Curry - Erwin würde sie mich nicht begeistern können.
Auf Curry - Erwin ließ Christine sich gar nicht erst ein. Also doch ins ‚Chez Duedo’. Leider nahm sie keine Rücksicht auf meine desolate finanzielle Situation und auf gelegentliche Anspielungen reagierte sie mit ‚Einsparungen’, die ich durch sie haben würde.
Jetzt wartete ich hier im Büro auf ihre Rückkehr. Viel versprach ich mir von Chrissis Aktion nicht ...
Ich nahm mir meine Notizen vor. Das Hotel. Hoffentlich handelte es sich bei ‚H Pa’ wirklich um ein Hotel. Sonst könnten wir uns tot suchen. Genau zwölf Hotels, deren Name mit ‚Pa’ begann, waren heute Vormittag von Christine notiert worden. Ich wollte mich erst einmal auf die in der näheren Umgebung zum Tatort konzentrieren. ‚Hotel Paradies’, ‚Hotel am Park’, ‚Hotel Palmenstrand’, ‚Hotel Pagode’, ‚Hotel Patschek’, ... Ich trug die Standorte in meine Karte ein. Zwölf Hotels in und um Mönchengladbach herum, davon sechs in der näheren Umgebung zum Tatort. Ich würde mir diese sechs einmal aus der Nähe ansehen müssen.
Chrissi blieb übermäßig lange fort. Die würde diese Gelegenheit doch nicht zum ausgiebigen Shoppen nutzen? Ich schaute auf die Uhr. Eigentlich schon Feierabend. Meine Konzentration ließ nach. Christine war doch wohl nichts passiert? Der kleine Verkäufer sah zwar nicht sonderlich gefährlich aus, aber man konnte ja nie wissen. Sollte ich vielleicht ...
Aber da öffnete sich die Ladentür und grinsend kam meine Sekretärin in das kleine Büro. Unter dem Arm ein riesiges Paket in einer Plastiktüte. Ich wusste es ja! Keine Chance. Mit dem Verkäufer ließ sich nicht verhandeln. Ich grinste zurück.
„Alles klar, Chef. Hier.“ Sie zog einen Karton aus der Tüte. ‚Netbook’ stand darauf. Es handelte sich eindeutig nicht um das Gerät, das ich in dem Laden kaufte. Ehrfürchtig blickte ich Christine an. Teufelsweib!
„Hast du das alte weggeschmissen und ein neues gekauft?“ - „Umgetauscht Chef, das Männeken war ganz schnell von einer ‚Geld zurück Aktion’ zu überzeugen. Obwohl er sich anfänglich die ersten dreißig Sekunden sträubte. Dann sah er aber recht schnell ein, dass es für ihn und seine Gesundheit das Beste wäre, einem Umtausch zuzustimmen.“ - „Und dieses Gerät?“ Hecktisch öffnete ich den Karton; leider zerriss ich ihn auch ein wenig dabei. Irgendwie ging es mir nicht schnell genug.
„Das ist von Saturn. Du solltest nur den Karton nicht so zerfleddern. Drei Jahre Garantie. Das neueste Gerät auf dem Markt. Und hier“, sie legte mir einen Packen Hunderter auf den Schreibtisch, „das ist das Rückgeld. Das neue Gerät hat nur gut ein Drittel deiner Errungenschaft gekostet!“
Ich staunte. Liebevoll strich ich über die glatte Fläche des Computers. Dann klappte ich den Deckel hoch. Sogleich leuchtete der Bildschirm auf und zeigte mir eine Programmauswahl an. „Toll.“
„Aber das Beste kommt noch“, Christine war kaum zu stoppen, „hier - dafür hat das Geld auch noch gereicht.“ Sie schob mir noch ein kleines Päckchen hin.
Was war das jetzt wieder? Pralinen? Als kleines Dankeschön, dass ich so ein guter Chef war? Und so nett eingepackt. In Geschenkpapier! Chrissi war doch meine Lieblingssekretärin - und meine einzige.
Rasch riss ich die Verpackung auf. Der Karton eines Handys blickte mir entgegen. „Ein Handy!?“
„Fast richtig, Chef. Ein Smartphone. Damit kannst du alles machen ...“ - „Auch telefonieren?“ - „Auch. Telefonieren, ins Internet, fotografieren und kleine Filmchen aufnehmen. Damit bist du mit der Technik auf dem neuesten Stand. Lies die Bedienungsanleitungen. Dann kannst du in kürzester Zeit Computer und Handy bedienen. Ich mach’ jetzt Schluss für heute.“ Christine wandte sich zum Gehen. „Moment!“, rief ich ihr hinterher. Dann nahm ich einen der Hundert - Euro - Scheine und reichte ihn ihr. „Ich glaube, das hast du dir verdient.“
Über den Bedienungsanleitungen - die ich wirklich las - vergaß ich fast die Zeit. Das Handy, oder besser Smartphone, stellte sich als ein kleines Wunderding heraus. Da kam mein altes Gerät natürlich nicht mit. Auch der Computer ließ sich recht einfach bedienen. Plötzlich machte es mir richtig Spaß, mit den Geräten zu arbeiten. Sogar Datum und Uhrzeit wurden am Bildschirm angezeigt. Achtzehn Uhr. Da war doch noch etwas? Ach ja - wie gut, dass ich nicht mehr in dieses Karv Dong Heisters, dieses dämliche Sportstudio, gehen wollte. So gewann ich heute richtig Zeit.
Ich fuhr meinen Rechner herunter - ja, soviel hatte ich schon gelernt: der Rechner musste ‚heruntergefahren’ werden - und überlegte: Sollte ich mal wieder zu Ernie ins PUB INN gehen? Zur Feier des Tages einen - oder zwei - echt irische Whiskey zu mir nehmen?
Eine hervorragende Idee. Hier war es heute so gut gelaufen, dass ich mir ruhig etwas gönnen sollte. Rasch schloss ich den Laden ab und schon stand ich in meiner kleinen Wohnung.
Achtzehn Uhr dreißig. Halb sieben. Um sieben würden die mit ihrem Training anfangen. Aber ohne mich. Da stand die Sporttasche. Sollte sie ruhig! Die brauchte ich nicht mehr. Im Vorbeigehen gab ich ihr einen leichten Tritt. Eigentlich könnte ich die Tasche ja auch auspacken und die Sachen wegräumen ... Ich hob die Tasche hoch. Wieder ein Blick zur Uhr. Zum Sportstudio war es nicht weit. Ich könnte noch pünktlich dort sein ... Energisch schüttelte ich den Kopf. Nie und nimmer!
Als ich mit leicht überhöhter Geschwindigkeit auf den Parkplatz des Sportstudios ‚Krav Maga Heisters’ einbog, dachte ich noch, dass Ernie heute bestimmt ohne mich auskommen würde, irischer Whiskey hin oder her.
„Hallo Jonathan.“ Jennifer blickte mir strahlend entgegen. Eine Gruppe von uniformierten Polizisten strebte Richtung Ausgang und unterhielt sich lautstark dabei. Wie ich ausmachen konnte, befanden sich auch Frauen darunter. Jennifer sah meinem Blick hinterher: „Ja, wir bilden hier auch Polizisten aus. Schön, dass du wieder da bist.“ Sie reichte mir eine kleine Karte. „Die ist für deine persönlichen Spinde hier im Haus.“ - „Spinde? Wieso mehrere?“ - „Du findest in allen Bereichen kleine Schränke, die du nutzen kannst. Auf der Karte ist eine Nummer. In der Bibliothek sind darin - zum Beispiel - schon alle notwendigen Bücher für dich. Natürlich kannst du sie mit nach Hause nehmen. In der Umkleide findest du verschiedene Trainings- und Kampfanzüge. Wir haben für alles gesorgt.“
Gedankenverloren trottete ich in den Umkleideraum. Was wäre eigentlich gewesen, wenn ich nicht wiedergekommen wäre? Offensichtlich waren hier ja schon einige Vorbereitungen getroffen worden. Jetzt erschien es auch logisch, dass ich auf dem Fragebogen meine Konfektionsgröße angeben musste.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. „Hallo Jonathan. Nicht träumen. Zieh dich um und komm in die Bibliothek. Bevor wir mit einigen Grundbegriffen beginnen, zeige ich dir, womit du dich die nächsten Wochen beschäftigen musst.“
Was sollte das nun wieder? Sam befand sich schon wieder auf dem Weg nach draußen und ließ mich einfach mit einem Berg an Fragen zurück. Dann schaute ich mich in dem Raum um. Irgendwo musste doch der verflixte Schrank mit meiner Nummer sein!
Die Karte wurde durch einen Schlitz gezogen und wie von Zauberhand öffnete sich die Tür. Ich staunte. Fein säuberlich aufgereiht hingen da zwei Kampfsportanzüge. Einer weiß, einer schwarz. Nun, man würde mir schon sagen, wann ich welchen tragen sollte. Zwei weitere Trainingsanzüge ergänzten die Kollektion. Neue, äußerst hochwertige und teure Sportschuhe standen darunter. Ich wählte einen der beiden Trainingsanzüge. Fürs erste musste das genügen. Im Zweifelsfall konnte ich mich ja noch einmal umziehen.
Sam wartete schon in der ‚Bibliothek’ auf mich. „Setz dich, Jonathan. Heute beginnen wir mit deinem Training. Bestimmt wirst du dich über die Ausstattung gewundert haben. Aber wie ich sehe, trägst du ja schon einen der neuen Trainingsanzüge.“ Ich nickte und nahm ihm gegenüber Platz. „Gut. In deinem Fall wird das Training ein wenig über das ‚normale’ Maß hinausgehen. Wir bieten hier drei Stufen der Ausbildung an: die erste beinhaltet ein Kraft- und Kampftraining - oder nur Kraft oder Kampftraining; die zweite das Training und eine Ausbildung in verschiedenen Rechten - für zum Beispiel Sicherheitskräfte; und die dritte Stufe beinhaltet zudem noch das Waffentraining mit allem was dazu gehört.“
„Aha.“ Ich verstand kein Wort. Dabei befand ich mich doch lediglich hier, um ein wenig Kampfsport zu lernen. Der Rest interessierte mich gar nicht! Erneut zweifelte ich an meiner Entschlussfähigkeit: Wieso war ich heute wieder hierhin gekommen?
„Du, Jonathan, erhältst hier bei uns die Ausbildung Stufe drei.“
„Äh, Sam“, unterbrach ich ihn. „Ich wollte eigentlich nur ein wenig Kampfsport lernen. Und wenn ich es recht betrachte, ist auch mehr dieser Bernd schuld, der mir die Visitenkarte gab und dann natürlich Christine, die darauf besta...“
Sam ließ mich nicht zu Ende stammeln. „Sicher, Jonathan. Aber anhand deiner Angaben auf dem Fragebogen und der Fürsprache einer geschätzten Person, nehmen wir dich in unser Programm Stufe drei auf.“ - „Aber wenn ich nicht will? Und wer hat mich in diese Scheiße geritten?“ Ich wollte ja eigentlich ganz ruhig bleiben, aber was zu viel war, war zu viel! Hier wurde einfach über meinen Kopf hinweg entschieden. Wütend sah ich Sam an.
„Bernd. Bernd hat dich empfohlen.“ Was wussten die jetzt hier über Bernd und mich? Hatte dieser Bernd nun doch geplaudert? Angegeben mit ‚unserer’ Nacht? Ich spürte, wie mein Kopf heiß und rot wurde. „Bernd? Ich habe mit Bernd nichts zu schaffen! Wir haben uns nur einmal getroffen - also quasi getroffen, so, also ...“
Sam sah mich ernst an. „Wenn Bernd dir helfen will, dann bedeutet das schon etwas. Aber letztlich ist es deine Entscheidung, was du möchtest. Und deswegen sitzen wir jetzt hier. Eigentlich wollte Bernd selbst mit dir reden, aber er ist verhindert und zurzeit in Köln tätig. Also muss ich das übernehmen. Und du wirst dich jetzt und hier entscheiden müssen. Training ja oder nein!“
Mir schwirrte der Kopf. Bernd, immer wieder Bernd. Was hatte der eigentlich mit der ganzen Sache zu schaffen? Warum engagierte er sich so für mich? Ein leichtes Grinsen stahl sich in mein Gesicht: natürlich, Bernd war von unserer ‚Liebesnacht’ so angetan, dass er die Gedanken nicht mehr von mir lassen konnte. Ich war aber auch ein toller Lover! Dann klärten sich meine Gedanken - verdammt, ich war doch nicht schwul. Was ging mir nur für ein wirres Zeug durch den Kopf? Ich kannte ja noch nicht einmal den vollständigen Namen meines ‚Gönners’.
Aber viel wichtiger: was wollte ich selbst eigentlich? So wie es aussah, setzte man mir hier die Pistole auf die Brust. Training ja oder nein!
„Was heißt das nun? Training ja oder nein?“ - „Du musst dich festlegen, Jonathan. Wenn du dich für ein Training entscheidest, egal welcher Stufe, dann bist du verpflichtet das auch durchzuführen. So oft wie möglich, selbst samstags und sonntags. Da macht es keinen Sinn, halbe Sachen zu machen. Entweder ganz oder gar nicht. Bringst du diese Disziplin nicht auf, so bist du hier bei uns falsch. Es gibt noch eine Menge anderer Sportvereine, bei denen du trainieren kannst.“ - „Aber, aber, das ist, also ich meine, also.“ Irgendwie fielen mir nicht die rechten Worte ein.
„Wie soll das denn funktionieren? Und was soll das kosten? Also, Sam, ich habe momentan nun nicht gerade die finanz...“
Sam erklärte es mir in aller Ruhe. „Die Kurse lassen sich leicht finanzieren. Außerdem kannst du später den einen oder anderen Job für uns übernehmen. Mach’ dir über das Finanzielle also keine Sorgen. Ansonsten kommst du am besten so gegen neunzehn Uhr zum Training hierhin. Außerdem erhältst du von uns noch Stoff, den es zu lernen gilt - so dass du auch entsprechende Prüfungen ablegen kannst und damit Fähigkeiten erlangst.“ - „Prüfungen, Fähigkeiten? Was soll das sein?“
Sam legte mir die Hand auf die Schulter. „Also, Jonathan. Jetzt hör’ mir einmal genau zu: Du hast dir da einen Beruf ausgesucht - oder auch nicht selbst ausgesucht, wenn ich das richtig verstanden habe - der, gelinde gesagt, durchaus einige Gefahren mit sich bringen kann. Nach allem, was Bernd erzählt hat, hast du eigentlich keinen blassen Schimmer, was du da tust. Das gefährdet im geringsten Fall dich, kann aber die Menschen in deiner Umgebung in Lebensgefahr bringen. Ohne eine vernünftige Ausbildung solltest du dich dann vielleicht lieber auf das Zurückbringen entlaufener Hunde konzentrieren!“ Das hörte ich doch schon einmal. So oder so ähnlich.
„Oder du gibst den Job ganz auf und machst irgendetwas anderes.“
Ja, natürlich. Sam hatte Recht. Aber was sollte ich ansonsten denn tun? In meinem früheren Beruf war keine Arbeit zu bekommen. Lange genug suchte ich ja nach einem passenden Angebot. Hier mit der Detektei, das war natürlich eine Schnapsidee meiner Eltern und der Pötings gewesen; aber irgendwie machte mir die Sache auch Spaß. Einmal von dem missglückten Auftrag mit dem Auto abgesehen. Die Situation auf der Autobahn tauchte plötzlich vor meinen Augen auf. Die Geschwindigkeit, die Gangster und die auf mich gerichtete Pistole. Ohne es zu wollen, brach es aus mir heraus und ich begann Sam alles zu erzählen. Als ich endlich endete, überkam mich eine große Erleichterung.
Eine ganze Weile herrschte Stille. „Du solltest das Training Stufe drei absolvieren“, sagte Sam ruhig. „Bernd hat großes Potenzial in dir erkannt. Du kannst es in dem Job zu etwas bringen, wenn du dich entsprechend weiterbildest und ausbilden lässt!“ - „Bernd, Bernd. Ich höre immer wieder Bernd! Und ich kenne nicht einmal seinen vollständigen Namen. Wer ist dieser Bernd eigentlich?“
Sam sah mich fragend an. „Du weißt es nicht? Bernd Heisters, dem gehört das alles hier!“