Читать книгу Kokain - Hotel - Jürgen H. Ruhr - Страница 9
VI.
ОглавлениеEs war damals ein regnerischer Tag gewesen. Trotz meiner Kopfschmerzen, die von einer kleinen Bierparty herrührten, ließ ich es mir nicht nehmen, in mein Büro zu kommen.
Da dies leider zwei Stunden zu spät war, musste ich mir einige böse Blicke von Christine gefallen lassen. Aber sie verlor kein Wort, denn auf dem wackeligen Stuhl vor meinem Schreibtisch saß eine nicht mehr ganz taufrische Blondine. Oder Brünette, nur wasserstoffblond gefärbt.
Meine Detektei bestand jetzt gerade einmal einen Monat und da saß sie vor mir: Mein vermutlich erster Fall. Rasch umrundete ich meinen Schreibtisch und hielt der Dame die Hand hin. „Jon Lärpers. Ich bin der Chef hier.“
Die Dame übersah meine Hand geflissentlich. „Und ich warte schon zwei Stunden!“ Aus den Augenwinkeln konnte ich ein Grinsen Christines erkennen. Dann lenkte die Blonde doch ein. „Eva Fabriés. Sie müssen mir helfen.“ - „Dazu bin ich da, Frau Fabriés. Dazu bin ich da. Dann erzählen sie doch einmal, um was es geht.“ Ich sah die Frau erwartungsvoll an.
„Nun, also, es geht um mein Auto. Das wurde quasi gestohlen.“ - „Wenn ihr Auto gestohlen wurde, dann sollten sie zur Polizei gehen.“ Wieder nichts. Was wollte diese Frau hier? Das war kein Fall für einen Detektiv, sondern eindeutig für die Polizei.
„Nein, nein, der Wagen wurde ja nicht gestohlen.“ Ich schaute die Frau Fabriés verwirrt an. Auto gestohlen, aber auch nicht gestohlen?
„Nun, der Fall liegt nicht ganz so einfach.“ Das schien mir auch so.
„Mein Mann und ich, also mein Ex - Mann jetzt, wir haben uns getrennt. Vor drei Monaten. Und ich behielt das Auto. Jetzt allerdings hat mein Ex - Mann mir das Auto wieder weggenommen. Ich will meinen Wagen aber wiederhaben. Verstehen sie?“
Ja, ich verstand und rieb mir in Gedanken vergnügt die Hände. Eine leichte Sache! Schnell verdientes Geld. „Nun, dann werde ich das gute Stück doch einfach mal zurückholen.“ Jovial schlug ich die Hände gegeneinander. „Nichts einfacher als das.“
Eva Fabriés schaute mich befremdet an. „Sie wissen nicht, wer ich bin, oder?“ Nun, natürlich wusste ich, wer sie war - Eva Fabriés.
„Mein Mann, Ernod Fabriés, ist Besitzer mehrerer Clubs. Noch nie den Namen Fabriés gehört?“
Ich schüttelte den Kopf. Noch nie gehört. „Was für Clubs, gnädige Frau?“ - „Nun, gewisse Etablissements, wenn sie verstehen...“
Nein, ich verstand nicht. Da half mir Christine in ihrer unverblümten Art: „Hier, Chef“, dabei drehte sie ihren Monitor leicht zu mir. Ich konnte zwar nichts auf dem Bildschirm erkennen, aber die Geste zählte. Christine referierte: „Porno - Fabriés. Besitzt in ganz Deutschland zahlreiche Bordelle.“
Aha.
Eva Fabriés nickte.
„Und wo liegt das Problem, Frau Fabriés? Ich hole ihren Wagen zurück und gut ist’s.“
„Nun, mein Ex - Mann hat seine Bodyguards und außerdem kann er sehr jähzornig werden. Also - es ist nicht gerade ungefährlich.“
Ich winkte ab. Im Kopf formte sich schon ein Plan: Bei dunkler Nacht würde ich den Wagen gekonnt aufknacken und zu seiner Besitzerin zurückführen. Ein Kinderspiel!
„Frau Fabriés überlassen sie alles ruhig mir. Ich bin Privatdetektiv und lebe täglich mit der Gefahr. Der Wagen wird schneller wieder in ihren Händen sein, als sie denken.“
Ich schaute auf die Uhr und stand auf. Kurz vor eins. Es wurde Zeit für meine Mittagspause. Dann reichte ich der Blonden die Hand, die sie diesmal nahm. Wenn auch nur zögerlich. „Ich habe jetzt noch einen Termin, alles Weitere können sie ja mit meiner Sekretärin besprechen.“
Zur Feier des Tages gönnte ich mir ein großes Steak im ‚Chez Duedo’. Eigentlich wolle ich ja bei ‚Curry - Erwin’ nur eine Kleinigkeit zu mir nehmen, aber mein erster Auftrag verursachte euphorische Gefühle. Und so ein Auftrag wollte ja schließlich gefeiert werden! Leicht schwankend betrat ich nach der Mittagspause wieder mein Büro. Verdammt, etwas weniger Rotwein zum Essen hätte es aber auch getan. Vielleicht sollte sich doch erst ein kleines Mittagsschläfchen halten.
So ließ ich Christine auch gar nicht erst zu Wort kommen. „Ich hab’ noch Pause, Chrissi, ich leg’ mich ein wenig hin...“ Und schon war ich wieder draußen.
Als ich wieder ins Büro kam, fiel mir sofort auf, dass Christine sauer war. „Also, Chef, so geht das aber nicht. Du hättest mit der Dame vielleicht etwas intensiver reden sollen. Weißt du überhaupt, auf was du dich da eingelassen hast?“
„Ach, Chrissi. Sei doch froh, wenn wir überhaupt einen Auftrag bekommen. Was kann denn da schon so schlimm dran sein, ein Auto zu knacken und zu seinem Besitzer, also zu seiner Besitzerin, wieder zurückzubringen?“
Christine sah mich düster an. „Den Wagen wirst du nicht einmal aufbrechen müssen, hier sind die Schlüssel. Aber schau dir doch lieber einmal hier im Internet die Informationen der Polizei über den feinen Herrn Fabriés an.“
Ich trat hinter sie und schaute auf den Schirm. Ja, Christine hatte Recht. Dieser Auftrag konnte arg ins Auge gehen. ‚Illegaler Waffenbesitz’ und ‚organisierte Prostitution’ waren da noch die geringfügigsten Einträge. Jetzt fragte ich doch recht kleinlaut: „Aber was soll ich machen? Wir brauchen den Auftrag. Kann ich nicht vorsichtig sein?“
So schien ich Christine zu gefallen, denn ihre Stimme wurde ganz weich. „Gib den Auftrag zurück. Das ist eine Nummer zu groß für dich. Außerdem nützt es nichts, wenn ich mir bald wieder einen neuen Job suchen kann, nur weil mein Chef tot ist.“ - „Also, jetzt mal den Teufel nicht gleich an die Wand, Chrissi. Wir sind hier in Deutschland und nicht in Amerika oder, oder ...“ Mir fiel nichts Passendes ein. „Noch gibt es hier Recht und Gesetz. Ich muss halt vorsichtig vorgehen. Gib mir doch mal bitte die Daten.“
Christine seufzte. Dann schob sie mir eine Seite mit den notwendigen Informationen zu. Das sah doch alles ganz gut aus: kleiner Sportwagen; Porsche soundso - da kannte ich mich nicht aus; Schlüssel vorhanden - also kein Aufknacken; Standort vermutlich Bremen - auch noch eine kleine Reise mit Spesen, Hotelübernachtung, gutem Essen und ... Vielleicht auch noch ein paar Tage Recherchen - ich nahm mir vor auf jeden Fall ein paar Tage dafür einzuplanen. ‚Ermittlungen vor Ort’ nannte sich das.
Dann fiel mir das Wichtigste ein: „Hat die Dame einen Vorschuss bezahlt?“ Christine nickte. „Ja, hat sie. Allerdings genau berechnet. Geld spielt angeblich keine Rolle und nach der Aktion hat sie vor, großzügig zu bezahlen. Nur das Auto, das will sie unbedingt wiederhaben. Es schien ihr sehr, sehr wichtig. Persönliche Erinnerungen. Sie hängt da irgendwie dran.“
Ich jubelte. Bei einigem Geschick könnte ich bestimmt eine Woche Ermittlungen daraus machen. Mit dem so verdienten Geld ließe sich eine ganze Weile leben. Na, wie könnte ich da diesen Job nicht annehmen?
Mein vager Plan von vorhin, verfeinerte sich. Die nächsten paar Tage müsste ich erst einmal hier im Büro mit Recherchen zum Fahrzeug verbringen. Schließlich wollte ich ja gut vorbereitet an die Arbeit gehen. Dann ließen sich ...
Christine beendete meine Überlegungen mit einem Schlag: „Du fährst morgen früh direkt mit dem Zug nach Bremen. Ich habe alles schon gebucht.“ - „Wie früh?“, meine Pläne zerplatzten lautlos. „Dein Zug geht ab Rheydt Bahnhof um sechs Uhr einundvierzig. Bahnsteig zwei. Hier sind die Unterlagen, ich habe dir alles ausgedruckt. Auch eine Fahrkarte ist schon dabei. In Düsseldorf musst du umsteigen. Aber wie gesagt: das habe ich dir alles ausgedruckt. Du kommst um kurz nach zehn Uhr am Bremer Hauptbahnhof an, fährst von dort mit dem Taxi zu einem Hostel mit dem wunderschönen Namen ‚Youth - West’. Das liegt in unmittelbarer Nähe zum Club ‚Weidmanns - Gunst’. Der Wagen soll dort auf dem Hof stehen. Du checkst dann in dem Hostel ein. Zahl’ im Voraus, da du schon in der Nacht wieder weg musst. Den Tag nutzt du, um dich mit der Örtlichkeit vertraut zu machen. Nachts verlässt du die Pension und holst den Wagen. Über diese Route“, sie reichte mir eine ausgedruckte Karte, „kommst du schnellstens zurück und lieferst den Wagen ab.“
Puh, das ging mir zu schnell. So viele Informationen! Gut, dass Chrissi schon alles ausgedruckt hatte. Ich rechnete. Aber das war ja nur ein Tag. Und ausgerechnet ein ‚Hostel‘.
Christine erriet meine Gedanken: „Mehr Zeit lässt uns deine blonde Dame auch nicht und die Unterbringung ist ja nur bis spät in die Nacht. Deine Kundin hat den Zeitplan genau festgelegt. Dumm ist unsere Auftraggeberin jedenfalls nicht. Solltest du aus irgendeinem Grund in Bremen länger brauchen, müssen wir erst Rücksprache mit ihr halten.“
Von wegen - Geld spielt keine Rolle. Die Dame legte ja jetzt schon mein Budget fest. Da blieb mir aber wenig Spielraum. Nun ja, immer noch besser als gar kein Auftrag. Und Autofahren machte mir eh schon immer Spaß.
Morgens mit einem Rollkoffer durch Rheydt ist ja an sich schon nicht lustig. Als dann aber noch ein leichter Nieselregen durch meine Jacke drang, erlebte meine schlechte Laune einen Höhepunkt.
Leider versetzte mich mein Taxi, so dass ich zu Fuß zum Bahnhof musste. Christine war auch nicht zu erreichen gewesen - ihr Telefon klingelte zwar, meine liebe Sekretärin ging aber einfach nicht an den Apparat. Mit Ach und Krach schaffte ich es gerade noch rechtzeitig in den Zug. Gut, dass meine Unterlagen vollständig waren und auch die Fahrkarte schon dabei lag.
Nach vielem Hin und Her - in Bremen waren die Aufzüge im Bahnhof außer Betrieb und ich musste ellenlange Treppen steigen - stand ich endlich vor dem etwas heruntergekommenen Hostel. ‚Hostel’. Ich schüttelte mich. Billiger, als in dieser ‚Familien - Jugendherberge’ hätte man mich wohl kaum unterbringen können. Von wegen ‚Luxushotel’, wie ich es mir ausgemalt hatte! Immerhin lag der ‚Club’ nur eine Straße weiter.
Wie Christine mir zuvor riet, zahlte ich das Zimmer sofort und in bar. Leider hatte sie für mich nicht reserviert und ich musste ein Doppelzimmer nehmen, da ansonsten nichts mehr frei war. Na, wenigstens bekam ich überhaupt noch ein Zimmer. Andernfalls hätte ich vermutlich die halbe Nacht auf der Straße verbringen dürfen.
Der Club war wirklich leicht auszumachen gewesen und tatsächlich stand ein knallroter Porsche Boxster auf dem Hof. In meiner Tasche klimperte der Schlüssel. Ich sah mich um; niemand zu sehen. Vorsichtig näherte ich mich dem Fahrzeug. Einfach mal einen Blick hinein werfen. „Wir haben noch geschlossen“, riss mich eine tiefe, barsche Stimme aus meinen Überlegungen. „Und der Eingang ist vorne. Was willst du eigentlich hier, Bürschchen?“
Ich entfernte mich schnell, noch bevor der Besitzer dieser tiefen Stimme meiner habhaft werden konnte. Puh, das war ja noch einmal gut gegangen. Heute Nacht würde ich besser aufpassen müssen. Ich schaute mir noch ein wenig die Gegend an und legte im Geiste eine Fahrtroute Richtung Autobahn fest. Gut, dass Christine auch hier beste Vorarbeit leistete und ich über die entsprechenden Ausdrucke verfügte. Über die Autobahn würde es dann schnurstracks zurück nach Mönchengladbach gehen. Ein einfacher und genialer Plan. Was sollte da schon schief gehen?
Zurück im Hostel kämpfte ich mich erst einmal durch eine Großfamilie, die mit ihren missratenen Söhnen ausgerechnet das Zimmer neben mir beziehen musste. Einige Zeit brüllte der Vater noch herum, dann schlug die Tür mit lautem Knall zu, und aus dem Gekreische der Kinder konnte ich entnehmen, dass Vater und Mutter wohl ohne ihre Brut das Hostel verließen.
Bei dem Lärm nebenan war an Schlaf leider nicht zu denken und ich wälzte mich ruhelos herum. Irgendwann schaltete ich den Fernseher an - ein Uraltmodell, aber doch wenigstens schon Farbfernsehen - und drehte den Ton ab. Als gegen zwei Uhr endlich Ruhe einkehrte, vermutlich waren die Eltern von ihrem Ausflug wieder zurück, musste ich auch schon aufstehen.
Nun ging ich ja bestens vorbereitet an diesen Auftrag heran und meine Arbeitsutensilien lagen bereit: Handschuhe. Auf gar keinen Fall wollte ich Fingerabdrücke hinterlassen. Nun ja, es waren meine klobigen, gut gefütterten Winterhandschuhe, aber sie würden ihren Dienst tun. Dann meine Wollmütze. Schon zu Hause schnitt ich in weiser Voraussicht zwei Sehschlitze hinein. Passte. Auch die Pläne legte ich mir zurecht. Dann hielt ich Ausschau nach meiner ‚Waffe’. Auch vorhanden und in einwandfreiem Zustand. Ich hatte im Büro noch extra frische Batterien in den Elektroschocker eingelegt und ein kurzer Test überzeugte mich von der Funktion. Dieses kleine Gerät könnte im Notfall Leben retten. Mein Leben! Ich stellte mich vor den Spiegel und übte das schnelle Ziehen meines elektrischen Lebensretters. Hell schlug der Funke über. Noch einmal! Wunderbar. Gegner von hinten. In einer raschen, fließenden Bewegung zog ich den Schocker, drehte mich auf der Stelle und - Feuer. Leider kam ich irgendwie aus dem Gleichgewicht und stolperte gegen den Fernseher. Der Funke sprang über, ein lauter Knall und das Gerät tat keinen Mucks mehr. Oha, Kollateralschaden.
Entgegen meinen Erwartungen, schaffte ich es wirklich unbemerkt aus dem Hostel heraus zu kommen. Um diese Zeit war die kleine Rezeption nicht mehr besetzt und die anderen Gäste schliefen wohl alle.
Ein fahler Mond beschien meinen kurzen Weg. Meinen Rollkoffer trug ich, um jegliche Geräusche zu vermeiden. Da war auch schon der Hinterhof. Der Wagen stand immer noch an seinem Platz. Eine kleine Lampe erhellte die Szenerie nur gering. Rasch streifte ich meine Mütze und die Handschuhe über. Dann tastete ich nach dem Autoschlüssel.
Gebückt schlich ich an den Wagen heran. Mit den Handschuhen war es gar nicht so einfach den Schlüssel zu halten und die Tür zu öffnen. Zweimal fiel er mir herunter. Die Luft anhaltend, lauschte ich. Nichts. Nur aus dem ‚Etablissement’ drang leise Musik und Lachen. Also weiter. Endlich öffnete sich die Tür des Fahrzeuges. Leise schob ich mich auf den Fahrersitz. Schon wollte ich den Wagen starten, da erinnerte ich mich an meinen Koffer, der noch draußen stand. Tür wieder auf und vorsichtig nach dem Koffer geangelt. Endlich lag auch der auf dem Beifahrersitz. Noch einmal ein Blick: nichts. Mit zitternden Fingern startete ich den Wagen. Gott sei Dank sprang der auch sofort an. Nie würde ich mich daran gewöhnen können, dass das Zündschloss hier links vom Lenkrad angebracht war. Was dachten sich die Konstrukteure dabei eigentlich? Dass die ganze Welt aus Linkshändern besteht?
Mit einem aggressiven Brüllen erwachte der starke Motor zum Leben. Jetzt hieß es schnell sein. Rückwärtsgang eingelegt und Gas. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich eine Tür öffnete und zwei übergroße Kerle in den Hof eilten. Vorwärtsgang und weg! Mit jetzt schon überhöhter Geschwindigkeit raste ich auf die Straße. Im Rückspiegel konnte ich die zwei Hünen erkennen, die zu einer amerikanischen Protzkarre am Straßenrand sprinteten. Da bog ich aber schon um die Ecke.
Licht an. Mit einigem Fummeln fand ich den Lichtschalter. Die nächste Ampel zeigte rot - jetzt nur nicht anhalten - und schon fuhr ich auf der Hauptstraße Richtung Autobahn. Zufrieden lehnte ich mich zurück. Mein erster Auftrag! Wer hätte gedacht, dass das so einfach war.
Die Protzkarre bemerkte ich, als ich gerade auf die Autobahn fuhr. Erst verschwommen im Rückspiegel, dann etwas klarer. Der kam eindeutig näher. Das konnten nur meine Verfolger sein! Ich gab Gas. Der Porsche machte einen kleinen Sprung vorwärts und schon wuchs wieder der Abstand zum anderen Fahrzeug. Tja, wer besaß hier den PS stärkeren Sportwagen? Die Tachonadel zitterte um die Hundertneunzig und der Motor schnurrte lustig vor sich hin.
Der nächste Blick in den Rückspiegel zeigte mir allerdings, dass meine Verfolger über mindestens genau so viel PS verfügen mussten, wie ich. Jetzt befand sich der Wagen verdammt nah hinter mir. Würde ich denen entkommen? Ich fuhr noch schneller. Der hinter mir spielte jetzt andauernd mit der Lichthupe. Ich tastete nach meinem Elektroschocker. Schon setzte der Wagen zum Überholen an. Dann fuhren wir auf gleicher Höhe. Eine Pistolenmündung richtete sich auf mich.
Ich schaltete ab. Hier übernahm mein Unterbewusstsein nun die Kontrolle. Wie in Zeitlupe konnte ich mich selbst beobachten. Mein rechter Fuß trat hart auf die Bremse, was der Porsche mit einem Schleudern quittierte. Der fremde Wagen sauste vorbei. Schon flammten dort auch die Bremslichter auf. Mein Unterbewusstsein ließ den Fuß die Bremse lösen, gab wieder Gas, drehte das Lenkrad und der Wagen schlitterte eine Ausfahrt herunter. Wunderbar. Damit dürfte ich den Jungs entkommen sein. Ich entspannte mich. Leider ein wenig zu sehr, denn sofort machte sich ein feuchter Fleck auf meiner Hose breit. Ich konstatierte: das konnte nur mein Unterbewusstsein verursacht haben.
Schon rauschte ein Ortsschild an mir vorbei ‚Cloppenburg’. Verdammt, wo war ich denn jetzt?
Allmählich durfte ich die Kontrolle über mich selbst wieder übernehmen und als erste Maßnahme reduzierte ich die Geschwindigkeit auf einhundertundvierzig. Ich würde irgendwo anhalten und mir eine neue Fahrtroute zurechtlegen müssen.
Auf der Landstraße befanden sich weder Menschen, noch andere Fahrzeuge. Und im Rückspiegel entdeckte ich keine Verfolger. Ich reduzierte meine Geschwindigkeit weiter. Auch wenn überall Schilder mit ‚siebzig’ standen, einhundertundzwanzig war schon in Ordnung. Ich entschied, erst einmal der Landstraße zu folgen und dann weiter zu sehen.
Immer noch keine Protzkarre hinter mir - wunderbar!
Gerade passierte ich ein Schild, das Richtung ‚Rheine’ wies, da erblickte ich ihn wieder im Rückspiegel: den amerikanischen Wagen. Unentwegt kam er näher. Ja gaben die denn nie auf?
Ich beschleunigte. Felder und Wiesen sausten an mir vorüber. Der Verfolger fiel erneut zurück. Hinter einer Kurve folgte ein kleines Wäldchen. Das war meine Chance! Wieder stieg ich mit aller Kraft auf die Bremse und wieder schlingerte der Porsche bösartig. Da, ein Waldweg! Heftig drehte ich am Lenkrad. Dann wieder Vollgas und schon verschluckte mich der schützende Wald.
Leider folgte auch schon wieder eine Kurve und die übersah ich! Mit einem knirschenden Geräusch hob der Wagen vom Boden ab, der Motor heulte gequält auf, und gleich darauf landete der Porsche krachend in einer Ansammlung von Büschen. Wieder reagierte ich instinktiv und trat das Bremspedal bis zum Anschlag durch. Das Fahrzeug rutschte auf eine Wiese, stellte sich quer und überschlug sich. Dann landete es wieder auf den Rädern und ich übergab mich auf den prall vor mir aufragenden Airbag. Gut so, wenigstens bekam meine Kleidung nichts davon ab.
Die Luft entwich aus dem Airbag und die ganze Chose schwappte auf meine Hose.
Der Motor war erstorben; hier gab es wohl auch keine Möglichkeit weiterzufahren. Schnell drehte ich die Lichter aus, hangelte nach meinem Koffer, der im Fußraum gelandet war, stemmte die verkeilte Tür auf und zog instinktiv den Fahrzeugschlüssel ab. Mir war nichts passiert! Welch ein Wunder. Ich tastete mich ab. Wirklich. Alles in Ordnung.
Nun, das konnte ich von dem Wagen weniger behaupten. Ob das alles repariert werden konnte? Ich beschloss, nicht auf Antworten zu warten und machte mich zu Fuß auf den Weg. Immer Richtung Wald. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis meine Verfolger ebenfalls hierhin fanden.
In dem Moment, als ich den Waldrand erreichte, drang das Motorgeräusch des amerikanischen Wagens zu mir. Natürlich hatten die beiden den Waldweg entdeckt. Rasch verschwand ich im Wäldchen und nahm endlich meine Wollmütze ab, die ich sorgfältig in meiner Tasche verstaute. Auch die Handschuhe konnte ich nun getrost ausziehen.
Nach gut einer halben Stunde Fußmarsch stand ich an einer ausgebauten Straße. Ein freundliches Schild informierte mich, dass es hier Richtung ‚Rheine’ ging. Somit ließ mich mein Orientierungsvermögen nicht im Stich: hier war ich richtig.
Treu folgte mir mein Rollkoffer. Mein Plan stand fest: Christine musste mich hier abholen. Bis dahin würde ich mich versteckt halten, falls meine Verfolger hier auftauchen sollten. Schon hielt ich mein Handy in der Hand. Kein Netz? Ich drückte alle Tasten. Nein, das Gerät schien defekt zu sein. Bei dem Unfall zu Bruch gegangen. Auch das noch. Also musste ich nach einer Möglichkeit zu telefonieren Ausschau halten. Gab es überhaupt noch öffentliche Telefonzellen?
Ich sah mich um. Vermutlich müsste ich Richtung Stadt marschieren. In der Gegenrichtung war so etwas wie ein Fußballplatz auszumachen. Sollte ich es vielleicht erst einmal dort versuchen?
Das Glück schien mir hold. Neben dem in die Jahre gekommenem, und von jugendlichen ‚Künstlern’ durch zahlreiche Sprühaktionen verunstaltetem Kassenhäuschen, stand wirklich eine Telefonzelle. Gelb. Auch ordentlich besprüht und mit Sprüchen wie: ‚hier was Thomas, the best fukker of wohrld’ verschönert. Schade, dass die Rechtschreibung der Jugend solche Probleme bereitete!
Die Telefonzelle war wirklich in Takt. Ich nahm den Hörer ab und erhielt umgehend ein Signal. Gepriesen sei die heile Welt. Auch das entsprechende Kleingeld fand ich in meinen Taschen.
„Verdammt, Jonathan, weißt du wie spät es ist?“ Christines Rufnummer kannte ich auswendig. So häufig wie ich bei ihr anrief, war die Nummer schon fast ein Teil meiner selbst geworden. Chrissi, der Retter in der Not ...
„Chrissi, hör zu, ich habe ein Problem.“ - „Klar, es ist gerade fünf Uhr morgens. Wer mich da weckt, der hat ein Problem! Ruf doch einfach später im Büro an.“
Mich überkam die Panik. „Warte Chrissi, ich brauche dringend deine Hilfe.“ Wenigstens legte sie nicht direkt auf, sondern grunzte nur unwillig. Ich schilderte in kurzen Sätzen mein Problem.
„Hab’ ich doch gesagt, dass das Ganze eine Nummer zu groß für dich ist. Aber der Herr Superdetektiv wollte mir ja nicht glauben!“
Hier half nur, sich kleinlaut zu geben und zu bereuen. Endlich willigte Christine ein, mich abzuholen. Aber nur gegen das Versprechen, sie heute Abend opulent zum Essen auszuführen. Verflixt, dieser Job kostete mich mehr, als er einbrachte ...
„Wie siehst du denn aus?“ Christine betrachtete mich angeekelt von oben bis unten. „Hast du dich bekotzt? Hier, mache dich erst einmal sauber, bevor du in meinen Wagen steigst.“ Sie reichte mir einige feuchte Tücher, mit denen ich meine Hose notdürftig abwischte.
Während der anderthalb Stunden Rückfahrt sprach sie kein Wort mehr mit mir. Dafür saß ich im Durchzug, was ich über alle Maßen hasste. Morgen würde ich wieder eine Erkältung haben!