Читать книгу Kokain - Hotel - Jürgen H. Ruhr - Страница 5

II.

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Es regnete in Strömen, als ich endlich in dem Stadtteil Wickrathberg anlangte. Welch Erinnerungen! Hier wuchs ich einst auf, hier kannte ich jeden Stein und jeden Strauch.

Leider musste sich im Laufe der Zeit doch wohl das Eine oder Andere verändert haben, denn als ich schwungvoll in die Auffahrt zu meinem Elternhaus einbiegen wollte, stoppte eine kleine Mauer meine Fahrt. Fluchend stieg ich aus dem Wagen und besah mir den Schaden. Wieder eine hässliche Delle mehr im rechten Kotflügel. Aber bei dem Regen und meinem schlecht reinigenden Scheibenwischer konnte ich diese Mauer ja auch gar nicht sehen. Ein paar Steine waren herausgebrochen. Na, die Freude ihren Sohn wiederzusehen, würde bei meinen Eltern überwiegen. Ich hatte mich ja auch die letzten Jahre kaum noch gemeldet. Aber das würde jetzt ganz anders werden. Ich könnte den beiden zur Hand gehen, Rasen mähen, mein Zimmer schön einrichten, Freunde zu Besuch einladen, Gartenfeste feiern und und und.

Als sich beim fünften Klingeln - zugegeben ein inzwischen recht zorniges Klingeln - nichts rührte, musste ich einsehen, dass meine geliebten Eltern wohl nicht daheim waren. Nun, sie würden bestimmt bald wieder zurück sein. Wenigstens hörte der Regen jetzt allmählich auf. Nass war ich aber trotzdem.

Ich schaute auf meine Armbanduhr. Ein besonders schönes Stück. Rolex. ‚Echt Rolex’, wie mir der Verkäufer am Strand von Ibiza glaubhaft versicherte. Für solch ein gutes Stück muss man natürlich einiges an Euro mehr berappen. Aber was nix kostet - dat is auch nix!

Neunzehn Uhr und zweiunddreißig. Ich rechnete. Die Uhr stellte ich zuletzt vor ungefähr zwölf Stunden, dann ging sie nunmehr eine halbe Stunde und sechs Minuten nach. Merkwürdig, dass diese teure Uhr immer drei Minuten nachging. Pro Stunde.

Somit musste es jetzt um die zwanzig Uhr sein. Wo blieben meine Eltern? Sonst befanden sie sich um diese Zeit immer zu Hause. Es war ihnen doch wohl nichts passiert? Oder waren die zwei einfach nur in Urlaub gefahren? Wenn sie jetzt längere Zeit weg wären, wie sollte ich dann ins Haus kommen?

In meiner Jugend konnte ich oftmals ein auf Kipp stehendes Fenster öffnen und war auch so hinein gelangt. Sicherlich ging damals die ein oder andere Blume und der ein oder andere Blumentopf zu Bruch, aber ich musste wenigstens nicht draußen warten. Irgendwann aber verboten mir meine Eltern das Hineinklettern und da hält man sich schließlich dran. Besonders dann, wenn das Taschengeld gestrichen werden soll.

Also versuchte ich es erst einmal auf der Rückseite. Vielleicht stand ja ein Fenster auf Kipp. Oder würde ich vielleicht über den Balkon hineingelangen? Da es jetzt allmählich dunkel wurde, konnte ich die Fenster im oberen Stock nicht gut erkennen. Hier unten war alles geschlossen. Schade, nichts zu machen.

Vorsichtig hangelte ich mich an dem Rankgitter der Rosen hoch, bis ich endlich den Balkon erreichte. Schon stand ich darauf. Nein, hier war auch alles zu. Ob ich eine Scheibe einschlagen sollte? Ich verwarf den Gedanken und kehrte zum Auto zurück. Was nun? Beim Nachbarn fragen? Der kannte mich zwar nicht, aber höflich fragen, wo meine Eltern seien, konnte ich ja. Gleich einmal zu ihm herüber gehen.

Aber erst musste ich wieder ein wenig warm werden. Und vielleicht die nassen Klamotten loswerden. Im Handschuhfach fand ich noch eine halbvolle Flasche Weinbrand. Der Alkohol wärmte mich erst einmal. Und im Koffer auf dem Rücksitz fand ich auch schnell ein trockenes T - Shirt und eine Hose. Da es jetzt doch ziemlich dunkel war, entledigte ich mich ohne Scheu meiner nassen Kleidung.

Das T-Shirt hatte ich mir schon übergezogen und gerade wollte ich die Hose umständlich vor dem Lenkrad anziehen, als es an mein Seitenfenster klopfte. Überrascht drehte ich den Kopf und blickte in das Licht einer starken Taschenlampe. Dann öffnete sich vorsichtig die Tür.

„Polizei - würden sie bitte einmal langsam aussteigen. Halten Sie ihre Hände so, dass ich sie sehen kann.“ Fast hätte ich einen Lachanfall bekommen. Die eine Hand befand sich gerade in meiner Unterhose, um meinen Johnny zurecht zu legen - natürlich nur, damit ich die sehr enge Jeanshose auch problemlose hochziehen könnte - und die andere Hand - also einen Finger davon - benutzte ich, um einen sehr störenden Popel aus einem meiner Nasenlöcher heraus zu transferieren.

Nun gut. Nachdem ein zweiter Polizist an der rechten Fahrzeugseite der Aufforderung des Kollegen mit dem Klopfen seiner Pistole gegen das Fenster Nachdruck verlieh, konnte ich gar nicht schnell genug aus dem Auto herauskommen.

Da stand ich nun in T - Shirt, Unterhose und Socken auf den nassen Steinen und musste die Hände auf die Motorhaube legen.

„Was machen sie hier?“ Der Ton klang weder freundlich noch herzlich. Und schon schnupperte der Polizist: „Sie haben ja getrunken. Alkohol am Steuer?“ Was wollten die Beamten denn von mir? Schließlich wohnte ich doch hier! „Ich wohne hier. Also, äh, meine Eltern wohnen hier. Und nein. Nicht am Steuer.“ Ich versuchte mich umzudrehen, wurde aber unsanft wieder zurecht geschubst.

„So, so. Sie wohnen hier. Seit wann denn?“ Das wurde mir zu dumm. Dieser junge Polizistenschnösel! „Immer schon.“ Das ‚du Hirni’ verkniff ich mir.

„Also, sie wohnen hier und das schon immer schon. Und haben auch keinen Alkohol getrunken?“ - „Sag ich doch. Und doch“ - „Was und doch?“ - „Also ein wenig Alkohol doch, wegen der Kälte.“ - „Sie geben also zu, Alkohol getrunken zu haben und sind dann noch gefahren?“ - „Nein, nicht gefahren - nur gestanden.“ Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie der Polizist den Kopf schüttelte. „Sie sitzen in Unterhosen in einem Auto mit dem sie nicht fahren und trinken Alkohol weil ihnen kalt ist? Ist das denn ihr Wagen?“ - „Würde ich sonst drin sitzen?“

Der Polizist leuchtete mir ins Gesicht. „Was glauben sie, wen wir schon wo drin sitzen gesehen haben. Dann zeigen Sie mir doch mal ihre Papiere. Und erklären sie mir, warum das Fahrzeug ein Frankfurter Kennzeichen hat, wenn Sie doch schon immer hier wohnen.“ „Die Papiere habe ich in meiner Hose.“ Beide Polizisten sahen auf meine Unterhose. „Nein“, ‚du Hirni’, „in der Jeans.“

Der zweite Polizist hielt die Hose hoch, die ich anziehen wollte. „Diese hier?“ - „Nein, die andere. Die auf dem Beifahrersitz.“

Rasch kam er wieder mit der Hose zurück. In der anderen Hand hielt er die Weinbrandflasche. „Die Hose ist ja klatschnass und sieht aus, als wären sie durch ein Blumenbeet gerobbt.“ Er machte sich an dem Kleidungsstück zu schaffen. „Hier sind keine Papiere. Nichts.“ - „Dann liegen die auf dem Beifahrersitz. Herrgott nochmal!“ - „Nun, mal schön ruhig. Fluchen hilft auch nicht weiter.“ Wieder verschwand der Mann in meinem Wagen. „Hier ist nichts.“

Ich überlegte. Vielleicht fiel mir die Brieftasche herunter, als ich den letzten Meter durch die Rosen abrutschte. Dann müsste sie noch unter dem Balkon liegen. Was sollte ich aber jetzt den Polizisten sagen. ‚Als ich auf den Balkon kletterte - beim Einbruchsversuch - sind mir die Papiere vielleicht aus der Tasche gefallen?’ Ob diese beiden Herren für meine Situation Verständnis aufbringen würden?

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Wir nehmen sie erst einmal mit auf die Wache. Legen die ihre Hände bitte auf den Rücken.“ Schon spürte ich, wie sich ein Paar Handschellen um meine Gelenke schloss. „Aber. Die Papi...“ Nicht einmal ausreden durfte ich. „Ruhe jetzt! Sie kommen mit“, herrschte mich einer der Gesetzeshüter an.

Ich musste mich umdrehen und sah direkt in die Gesichter von mehreren neugierigen Passanten. Nachbarn wahrscheinlich. Während mich der eine Polizist zu einem wartenden Polizeiwagen brachte, hörte ich noch, wie der Zweite die Passanten nach den Hausbewohnern befragte. Dann schloss sich die Tür des Wagens hinter mir.

Auf der Polizeiwache musste ich lange Zeit auf einer Bank gegenüber dem Tresen warten. Die Hände immer noch in Handschellen hinter dem Rücken konnte ich nur sehr unbequem sitzen. Neugierig wurde ich von einer jungen Polizistin beäugt, deren Hauptaufgabe wohl im Brühen und Servieren von Kaffee bestand. Flüsternd, aber immerhin so laut, dass jeder im Raum es verstehen konnte, fragte sie ihren Kollegen, ob ich der gesuchte Vergewaltiger sei. Wegen der fehlenden Hose und der nassen Unterhose. Und so.

Der Kollege zuckte mit den Schultern. Vermutlich issers!

Nach einer geraumen Weile kehrte endlich einer der Polizisten zurück, die mich hierhin verschleppt hatten. In der Hand hielt er eine übergroße Latzhose. „Ziehen sie die über. Ich muss jetzt ihre Personalien aufnehmen. Außerdem machen wir anschließend noch eine Blutprobe. Wegen des Alkohols und des Fahrens unter Alkoholeinfluss. Kommen sie mal hier an den Tresen.“ Er hielt mir die Hose hin. Dann merkte er, dass ich ja immer noch die Handschellen trug. „Ups - die haben wir ja vergessen.“

„Name? - Alter?“ Ich nannte meinen Namen und er tippte ihn auch fleißig in seinen Computer.

Dann aber ging es wieder einmal mit mir durch: „Mein Alter heißt Walter Lärpers und wohnt da, von wo sie mich weggeholt haben.“ Um das Witzige an der Sache zu betonen, grinste ich lustig dazu.

„Ihr Geburtsdatum! Die dummen Späße werden ihnen noch vergehen. Und was soll das dämliche Grinsen? Wollen sie mich verarschen?“

Mit dem war wirklich nicht gut Kirschen essen. Dieser Polizisten - Hirni.

Dann blickte der Mann hoch: „Sie haben ja den gleichen Nachnamen, wie der Bewohner des Hauses.“ Jetzt konnte ich mir ein ‚ach sieh an’ nun doch nicht verkneifen. Aber der Polizist setzte noch einen drauf: „Das ist doch nicht ihr wirklicher Name? Sie haben den vom Klingelschild? Stimmt‘s?“

Nein stimmte nicht. Aber jetzt schwieg ich beleidigt.

„Sie bleiben erst einmal die Nacht über hier und morgen befasst sich dann unsere Kripo mit ihnen!“ Dem guten Beamten stand die Schadenfreude im Gesicht geschrieben. Diesen Schwerverbrecher haben wir dingfest gemacht. Jawohl!

Die Nacht in der Zelle war eine echte Quälerei gewesen. Nachdem mir irgend so ein Amtsarzt, der übrigens wesentlich schlimmer nach billigem Fusel roch, als ich, nachdem mir also dieser ‚Arzt’ den halben Arm zerstochen hatte, und triumphierend mit einem Röhrchen meines Blutes davonzog, verpflegte man mich mit einer schon älteren, geschmierten Stulle mit Leberwurst. Ich hasse Leberwurst. Dazu ein Pappbecher mit lauwarmen Wasser. Hier saß ich nun bei Wasser und Brot!

An Schlaf auf der harten Pritsche war nicht zu denken. Irgendein betrunkener Jugendlicher in einer Nachbarzelle rief alle paar Minuten nach seiner Mutter - ‚Mama, holl mie hey ruut’ - und legte sich dann mit dem Polizisten an, der ihn zur Ruhe anhielt.

Seit dieser Nacht ist mein Repertoire an Schimpfwörtern um einiges angewachsen.

Gegen Morgen nickte ich doch wohl etwas ein, wurde aber umgehend durch den Wachmann wieder aus dem Schlaf gerissen. „So, junger Mann. Dann machen sie sich mal bereit.“ Verschlafen blickte ich den in der Zellentür stehenden Mann an. „Nun, mal auf. Hopp, hopp. Wir sind hier kein Ferienparadies. Die Kripobeamtin wartet schon.“

Mühsam rappelte ich mich auf. Mir taten alle Knochen weh und mein Magen knurrte vernehmlich vor Hunger. Natürlich aß ich das Brot gestern nicht. Bah, Leberwurst! Und in einem Anflug von Zorn schleuderte ich beide Scheiben einzeln gegen die Wand. Da klebten sie immer noch, was schon ganz lustig aussah.

„Was ist mit Frühstück?“, versuchte ich vorsichtig und in demütigem Tonfall mein Glück. Allerdings belehrte mich der Blick des Wärters auf die Brotscheiben, dass es mit etwas zu essen wohl nichts werden würde. Und richtig. Er knurrte nur: „Frühstück hängt da“, und zeigte auf die Wand.

„Folgen!“ Schon marschierte er ab, stellte sich neben die Tür. Wohl aus Sicherheitsgründen, da ich ja ein unberechenbarer Schwerverbrecher war, hielt er seinen Gummiknüppel in der Hand. Mit kurzen Kommandos ‚links’ - ‚geradeaus’ - ‚rechts’ - ‚hier lang’ lenkte er mich in ein winziges Büro, in dem eine Frau mittleren Alters saß. Sie blickte nur kurz auf, dann widmete sie sich wieder ihrem Computer. Mein Wächter postierte sich derweil neben der Tür und schlug leicht mit seinem Gummiknüppel gegen seine Hand.

Plötzlich ruckte der Kopf der Beamtin hoch und mit einem zornigen Blick sah sie den Polizisten an. „Daumann, Mensch, legen sie endlich den Knüppel weg. Sie machen mich verrückt!“ Der mit ‚Daumann’ Angesprochene verstaute die Prügelwaffe mit einer Langsamkeit, die mich direkt an den ‚Bullet Mode’ in Spielfilmen denken ließ.

‚Line lost - You have lost - Game over’ klang es da plötzlich aus dem Computer. Die Kriminalbeamtin wandte sich hektisch wieder dem Bildschirm zu. „Scheiße. Das ist ihre Schuld, Daumann!“ Dann sah sie mich an. „Was wollen sie hier?“ Ich merkte, dass diese Frau jetzt schlechte Laune hatte. Na das konnte ja lustig werden. Also versuchte ich es auf die freundlich - heitere Art: „Gefangener Lärpers meldet sich zum Verhör!“ Dabei grüßte ich zackig nach Militärart.

Die Mundwinkel der Beamtin sanken noch weiter herab. „Wohl ein Spaßvogel, was? Na die Scherze werden ihnen noch vergehen! Daumann, verdammt, wo ist denn die Scheiß - Akte von diesem Witzbold?“ Daumann warf nur einen kurzen Blick auf den Schreibtisch: „Liegt direkt vor ihnen, Frau Kriminalkommissarin.“

In meinem Eifer schob ich nach: „Da vorne!“ Das brachte mir einen bösen Blick und ‚sie reden nur, wenn sie gefragt werden’ ein.

„Mensch, Daumann, warum sagen sie das denn nicht gleich?“ - „Sie haben mich nicht gefragt.“ - „Ich kann nicht immer nur Fragen stellen, ich muss auch Antworten bekommen.“ - „Ja.“ - „Was ‚Ja’, Daumann? Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?“ - „Nein, Frau Kriminalkommissarin.“ Die Beamtin blätterte nun in der Akte. „Daumann, geh’n se mal Kaffee holen. Schwarz und mit viel Zucker. Und schlafen se nicht dabei ein!“

Daumann sah sich ungemütlich um. „Sie wissen doch, Frau Kriminalkommissarin, dass ich sie mit dem Gefangenen nicht allein lassen darf.“ - „Daumann, Mensch, meinen Sie denn, ich kann mich nicht verteidigen?“ Die Dame langte in ihre Schreibtischschublade und förderte einen großkalibrigen Revolver zutage. Mir wurde langsam mulmig. Was stand mir nun noch alles bevor? Gab es hier vielleicht auch einen Folterkeller? Ich nahm mir vor, alles zu sagen. Zumindest alles, was ich wusste. ‚Und’, sagte ich zu mir ‚keine Scherze mehr, sonst wirst du am Ende doch noch erschossen.’

Daumann dackelte ab. Nun, ein Kaffee würde mir gut tun. Dachte ich.

„Setzen!“ Der Befehl wurde an mich gerichtet und die Frau zeigte auf einen Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand. Rasch folgte ich der Anweisung.

„Mein Name ist Elisabeth Unruh, ich werde sie jetzt verhören und den Fall hier aufklären. Sie dürfen mich Frau Kriminalkommissarin nennen.“ - „Ja.“ - „Ja?“ Es erschien mir, als wenn diese Unruh gleich mächtig an zu brüllen fangen würde. Schielte sie nicht auch zu ihrem Revolver? „Das heißt ‚Ja, Frau Kriminalkommissarin’. Kapiert?“ Oh, oh. Jetzt nur keinen Fehler machen. Wie ich es aus alten Filmen kannte, sprang ich von meinem Stuhl hoch, legte die Arme steif links und rechts an meinen Körper und brüllte aus Leibeskräften „Jawoll, Frau Kriminalkommissarin!“ Dann ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen. Doch die gute Frau musste meine Aktivität missverstanden haben, denn plötzlich hielt die den Revolver in der Hand.

Die würde mich doch jetzt nicht erschießen? Ich ging auf Tauchstation. Flach lag ich vor dem Schreibtisch, als Daumann mit einer Tasse dampfenden Kaffees wieder den Raum betrat. Eigentlich sah ich ihn ja nicht, da ich meinen Kopf fest auf den Boden gedrückt hielt und beide Arme schützend darüber lagen. Nein, ich roch den würzigen Duft des Kaffees und mein Magen drehte sich um vor Hunger. Dann hörte ich, wie eine Porzellantasse am Boden zerschellte und ein vorsichtiger Blick ließ mich eine braune Brühe erkennen, die langsam auf mich zufloss. Ich schaute an Daumanns Beinen hoch und erkannte, dass er mit gezückter Waffe in der Türe stand.

„Daumann, Mensch Daumann. Mein Kaffee! Stecken sie die Waffe weg.“ - „Wollte der Gefangene fliehen - Frau Kriminalkommissarin?“ - „Wer weiß Daumann. Das ist aber kein Grund, meinen Kaffee hinzuwerfen. Los, Abmarsch und holen sie mir einen neuen.“ Dann wandte Frau Kriminalkommissarin sich an mich, wobei sie über den Rand ihres Schreibtisches auf mich herunter lugte. „Und wir setzen uns nun wieder fein auf den Stuhl, ja? Aber dalli!“, brüllte sie noch hinterher.

Kleinlaut setzte ich mich wieder. „So, wo waren wir stehengeblieben? Ah ja. Sie haben versucht in ein Haus einzubrechen, sind trunken Auto gefahren und ihr Fluchtversuch ist gescheitert. Mal sehen, was noch alles dazu kommt ...“

Aber zunächst erschien Daumann wieder. Schwungvoll setzte er einen Becher mit der Aufschrift ‚Polizists Liebling - Die Polizei dein Freund und Helfer’ auf den Schreibtisch. Ein wenig der Flüssigkeit schwappte dabei auf meine Akte, was die Beamtin mit einem tadelnden ‚Daumann, Daumann’ kommentierte. Dann versuchte sie den Kaffee mit der bloßen Hand wegzuwischen, wobei sie alles ordentlich verschmierte. Daumann, Daumann!

„Was haben Sie dazu zu sagen?“ Jetzt endlich kam die Zeit der Erklärung. Jetzt konnte ich etwas zu meiner Entlastung sagen. Mich rechtfertigen. Man würde sich bei mir entschuldigen, vielleicht bekäme ich ja auch einen Kaffee - aber vorsichtig Daumann nichts verschütten! - und bald wäre ich bei meinen Eltern.

„Ich komme aus Frankfurt.“ - „Ich habe sie nicht gefragt, woher sie kommen, sondern was sie zu der Sache zu sagen haben. Herrgott!“ Sollte ich jetzt darauf hinweisen, dass ich nicht ‚Herrgott’, sondern Jonathan Lärpers hieß? Lieber nicht. Der Revolver lag noch zu bedrohlich auf dem Tisch. Vorsichtig setzte ich erneut an, die Lage zu klären: „Ich heiße Jonathan Lärpers un...“ - „Ich weiß, wie sie heißen - oder vorgeben zu heißen. Das war auch nicht meine Frage. Also, ich halte jetzt einmal fest: Der Festgenommene weigert sich der Sache dienliche Aussagen zu machen.“ Schon tippte sie etwas in ihren Computer. Diesmal ließ sich allerdings kein ‚Game over’ hören.

Erneut sah mich die Frau an. Bedauernd stellte ich fest, wie abgehärmt und verbittert der Gesichtsausdruck dieser deutschen Beamtin war. Sah die gute Frau denn nur Schlechtigkeit? Nur schlechte und böse Menschen? Ich vermutete, dass ich an ihrer Stelle auch den Glauben an das Gute verlieren könnte.

Aber sie startete freundlicherweise noch einen Versuch, gab mir noch eine letzte Chance: „Also, wir zwei fangen jetzt noch einmal ganz von vorne an. Ich gebe ihnen jetzt eine letzte Chance. Tun wir einmal so, als wenn wir uns gerade getroffen hätten. Also: Mein Name ist Elisabeth Unruh.“

Schweigen. Wurde von mir erwartet, dass ich auch etwas sagte? Sollte ich denn nicht nur reden, wenn ich gefragt wurde? Schweigen. Wäre eine Stecknadel gefallen, so hätte man das hören können.

Dann erklang das Donnern der kriminalkommissarischen Faust auf den Schreibtisch. Deutlich konnte ich erkennen, wie es die schwere Waffe ein paar Zentimeter in die Luft hob. „Verdammt!“, brüllte die Beamtin, „sind sie verstockt. Ihren Namen, das ist jetzt aber ihre allerletzte Chance!“

Bei dem Ton konnte ich nicht anders. Stracks sprang ich auf, Hände an die Hosennaht. „Jonathan Lärpers, Euer Gnaden!“ Ups, das war sicherlich falsch gewesen. „Euer Kriminalkommissarin.“ Besser? War das die erwartete Reaktion? Der hochrote Kopf der guten Frau belehrte mich eines Besseren. Schielte sie nicht schon wieder nach ihrem Revolver?

Zum Glück ging in diesem Moment das Telefon. Aber Frau Kriminalkommissarin ignorierte das nervtötende Klingeln und sah mich aus blutunterlaufenen Augen nur böse an. ‚Die erschießt dich jetzt. Ade schöne Welt’ dachte ich noch. Doch da rettete mich Daumann. Daumann der Gute. Daumann, dem ich vermutlich mein Leben zu verdanken habe.

„Telefon“, warf er in den Raum und ließ nach einigem Zögern folgen: „Frau Kriminalkommissarin“.

Irritiert hob die Frau den Hörer ab.

„Aha, gut. Sind sie sicher? Aha. Na, das sind ja keine guten Nachrichten. Jawohl Chef. Aber wir waren nahe vor einem Geständnis. Und beide unten? Ja. Gut.“ Seufzend legte Frau Kriminalkommissarin Elisabeth Unruh den Hörer wieder auf. Keine guten Nachrichten? Musste ich nun in den Folterkeller? Todesstrafe? Ich war mir sicher, dass es in Deutschland keine Todesstrafe mehr gab. Oder einfach erschießen? Eine Kugel opfern und dann sagen: ‚auf der Flucht erschossen’?

Meine Hände und Knie fingen an zu zittern.

„Sie haben unverschämtes Glück gehabt, Lärpers!“ Und an Daumann gewandt: „Der hat unverschämtes Glück gehabt.“ Daumann, der doch gar nicht wissen konnte, worum es ging, nickte: „Stimmt, Frau Kriminalkommissarin, der hat wirklich unverschämtes Glück gehabt.“

Gut. Prima. Ich hatte unverschämtes Glück gehabt. Treuherzig sah ich die Kriminalkommissarin an.

„Die Blutprobe ergab nur einen Blutalkoholwert von null Komma eins fünf Promille, da sind sie aus dem Schneider. Und unten in der Wache warten zwei ältere Leute auf sie, die sich als ihre Eltern ausgeben. Offensichtlich haben sie den Wagen in der Auffahrt gesehen, die Nachbarn befragt und sind dann direkt hierhin geeilt. So, sie unterschreiben jetzt noch das Protokoll und dann können sie gehen.“

Sie sah Daumann an, der ihre Aufmerksamkeit heischend mit der Hand wedelte. „Was ist, Daumann?“ - „Die Hose.“ - „Frau Kriminalkommissarin!“ Daumann korrigierte sich: „Die Hose, Frau Kriminalkommissarin!“ - „Daumann, welche Hose?“ - „Na die des Freigelassenen. Frau Kriminalkommissarin.“ - „Also, Daumann. Jetzt versuchen wir es einmal mit ganzen Sätzen. Sonst können sie sich demnächst bei der Streife melden.“ - „Nun, Frau Kriminalkommissarin. Ich bin bei der Streife ... Die Hose ist Eigentum der Polizei.“

Elisabeth Unruh sah mich triumphierend an: „Aha. Sie wollten wohl die Hose mitgehen lassen? Diebstahl von Polizeieigentum?“ Dann brüllte sie plötzlich wieder los: „Runter mit dem Ding. Aber dalli. So etwas dulde ich hier nicht!“

Schon sprang ich auf und nestelte an den Riemen, um das gute Stück schnellstmöglich auszuziehen. „Doch nicht hier! Geh’n se mit Daumann mal auf die Toilette und erledigen sie das da! Aber vorher unterschreiben sie das Protokoll. Und dann ab. Ich muss schließlich noch Verbrecher jagen!“

Daumann dirigierte mich mit dem wohlbekannten ‚links’ - ‚rechts’ - ‚hier lang’. Den Gummiknüppel ließ er diesmal stecken. Ich war ja doch nicht so gefährlich, wie es zunächst wohl den Anschein machte. Die Hose durfte ich dann in einer Toilettenkabine alleine ausziehen.

Die Wache füllte sich um diese Zeit mit allen möglichen Leuten, die alles Mögliche wollten. Hier ein Taschendiebstahl, da eine Anzeige wegen Hausbesprühung. Der Mann sagte immer ‚Gräfferie’, meinte aber wohl ‚Graffiti’. Ich nahm nur Gesprächsfetzen wahr und hielt Ausschau nach meinen Eltern. Plötzlich deutete ein kleines Mädchen auf meine nicht mehr ganz reinen Unterhosen und flüsterte ihrem Vater etwas ins Ohr. Der sprach auch direkt den nächsten Polizisten hinter der Theke an: „Hallo, hallo, sie da Herr Polizist. Schau’n se mal wie der Mann hier rumläuft. Vor Kindern. Ist das der Exebizonist, den sie suchen?“ Nun sah der Polizist mich an. „Exhibitionist - nein, das ist er wohl nicht.“

Aber das konnte ich natürlich erklären: „Die Hose hat mir ihr Kollege oben auf der Toilette abgenommen.“ Dann sah ich meine Eltern.

„Junge, wie läufst du denn herum. Und wie du wieder aussiehst.“ Mein Vater gab mir die Hand, zog seine Windjacke aus und schlang sie mir um die Hüften. „Mein Junge.“ Mutter traten vor Rührung die Tränen in die Augen. „Aber Mutter, du brauchst doch nicht zu weinen. Es is...“ - „Deine Mutter weint nicht, sie hatte gestern in Düsseldorf eine Augenoperation.“ Mein Vater fühlte sich verpflichtet zu erklären. „Wir sind dort eine Nacht im Hotel geblieben und heute Morgen zurückgekehrt. Dann haben wir deinen Wagen in der Einfahrt gesehen. Dass du immer noch diese Schrottlaube fährst. Und die Mauer hast du auch kaputt gefahren. Das wirst du aber bezahlen! Du bist doch versichert?“

Ich war überwältigt. So viel Wiedersehensfreude!

„Du hast in Frankfurt also alles aufgegeben? So mir nichts - dir nichts?“ Mein Vater spielte mit seinem Kaffeelöffel herum. „Und wo willst du jetzt hin? Doch nicht hier zu uns. Wir haben keinen Platz!“ Ich schaute meine Mutter fragend an. Mit der konnte ich eher reden, als mit Vater. Unter ständigen Vorhaltungen schafften wir es schließlich bis hier ins elterliche Wohnzimmer zu gelangen.

„Aber es gibt doch noch mein Zimmer. Ich könnte euch ja auch hier helfen und ...“ - „Dein ‚Helfen’ kennen wir“, unterbrach mich mein Vater barsch. „Wieso haben wir eigentlich so lange nichts von dir gehört? Du hättest ja wenigstens einmal anrufen können oder einen Brief schreiben oder eine Karte.“

Meine Mutter rührte umständlich in ihrer Kaffeetasse herum, stellte diese dann entschieden auf den Tisch und sah mich an: „Dein Zimmer steht nicht mehr zur Verfügung. Da hat sich dein Vater eine Autorennbahn aufgebaut.“

Ich musste lachen. Mein alter Herr und eine Autorennbahn! Mit wem wollte der denn wohl Autorennen fahren?

„Jawohl“, bestätigte mein Vater jetzt stolz. „Eine echte Carrera Bahn. Mit Looping und Kreuzung!“

‚Was für ein kindischer Scheiß’ schoss es mir durch den Kopf. Wohlweislich unterdrückte ich aber meine Worte. „Können wir die nicht abbauen? Oder mein Bett daneben stellen?“ Jetzt kam mir eine geniale Idee: „Und wir fahren dann gegeneinander Rennen, was Paps? Mit wem willst du denn sonst auch fahren? Mit Mama?“

Mein Vater sah mich böse an. „Hermann und ich, wir fahren regelmäßig Rennen.“ Hermann? Meinte mein Vater wirklich Hermann Taubern, den Nachbarn drei Häuser weiter? Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Hermann Taubern? Der alte Sack? Lebt der wirklich immer noch? Wie alt ist der inzwischen? Vermutlich auch noch dement und kann ein Rennauto nicht von einem Schaukelpferd unterscheiden.“ Ich musste lachen.

„Hermann ist lediglich zwei Jahre älter als ich und noch sehr gut in Schuss. Kein bisschen dement oder senil. Aber so wie du das sagst, bin ich in deinen Augen also auch ein alter Sack!?“ Mein Vater schaute mich mit hochrotem Kopf wütend an. Den Löffel warf er klirrend auf den Tisch. Dann erhob er sich rasch und verschwand die Treppe hinauf.

„Das hättest du jetzt nicht sagen dürfen, Jonathan“, tadelte mich meine Mutter. „Das wird er dir krumm nehmen. Hermann und dein Vater sind die besten Freunde und auch wenn diese ganze Idee mit der Rennbahn ziemlich kindisch ist, so haben die beiden doch ihre Freude daran.“

Ja sicher. Eine Autorennbahn in meinem Zimmer! Und wo sollte ich schlafen? Jeder dachte nur an sich - nur ich, ich dachte an mich.

„Und was soll nun aus mir werden? Wo soll ich denn unterkommen?“ - „Nun, Jonathan, du bist fast dreißig Jahre alt. Du hattest eine gute Arbeit und wenn du arbeitslos bist, dann suche dir eine neue Stelle. Und eine kleine Wohnung.“

In diesem Moment polterte mein Vater wieder die Treppe herunter. In der einen Hand ein Telefon und in der anderen eine Zeitung. Sich noch halb auf den Stufen befindend, rief er uns entgegen: „So, jetzt habe ich Nägel mit Köpfen gemacht. Hier in der Stadtteilzeitung steht eine wie für dich geschaffene Wohnung. Ein Zimmer, Küche und Bad. Liegt zwar direkt über einem Geschäft aber das steht leer.“ Laut schnaufend ob so viel Anstrengung, ließ er sich in seinen Sessel fallen. „Meine Rennbahn bleibt auf jeden Fall stehen!“

„Eine Wohnung?“ Ich klang sicherlich nicht gerade begeistert. Da musste ich ja alles wieder allein machen: kochen, waschen, putzen, und so weiter. Vielleicht auch wieder arbeiten gehen, obwohl ich mir doch wahrlich jetzt eine kleine Auszeit verdient hatte? „Eine Wohnung“, wiederholte ich, „wo soll das denn sein? Und wie soll ich das bezahlen?“ Nein, das würde nun wirklich nicht gehen. „Ich habe ja gar kein Geld.“ Genau, das war die Lösung. Ruhig so tun als ob und dann den Vermieter mit fehlendem Geld und meiner Arbeitslosigkeit vergraulen. Und außerdem war es ja mehr als schwierig, in meinem Beruf wieder Arbeit zu finden. Das versuchte ich in Frankfurt ja lange genug. Ich wurde wieder zuversichtlicher.

„Na, Paps, wenn du dir schon die Mühe gemacht hast, rufe ich da natürlich einmal an.“ Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. „Bestimmt bekomme ich ja die Wohnung, wenn ich erst einmal mit dem Vermieter gesprochen habe.“

Mein Vater sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. Ahnte er, warum ich auf einmal so zugänglich war? Egal, ich sah mich jedenfalls schon diese dämliche Rennbahn abbauen und in Kisten verstauen. Das war doch schließlich mein Zimmer - oder?

„Schön, dass du so einsichtig bist und dir die Idee gefällt, Jonathan. Ich habe mir alles auch schon gut überlegt. Also pass auf! Aber das Beste ist: Ich habe mal wieder alles für dich geregelt und den Vermieter eben schon angerufen. Und wie der Zufall es so will, handelt es sich um einen Bekannten von Hermann. Ja, wie klein doch die Welt ist. Und, lieber Jonathan, du wirst es nicht glauben: Heute Nachmittag treffen wir uns bei der Wohnung und du kannst die Schlüssel übernehmen. Schon heute Abend nächtigst du in deinen eigenen vier Wänden.“ Vater lachte leise und fügte dann überflüssigerweise noch hinzu: „Und nicht wieder im Gefängnis.“

Jetzt aber mischte sich Mutter ein und hätte ihr für die Worte fast um den Hals fallen können: „Aber Walterchen“, sie nannte meinen Vater immer ‚Walterchen’ oder auch schon einmal ‚Walt’, immer ausgesprochen wie ‚Woohlt’, was den alten Herrn regelmäßig zur Weißglut trieb.

Ich zog meine Gedanken des Umarmen - Wollens meiner Mutter zurück und schaute sie stattdessen böse an. Aber Mutter konnte ihren Redefluss jetzt nicht mehr stoppen; sie meinte es ja nur gut: „Findest du nicht, dass das doch ein wenig zu schnell geht? Der arme Junge ist doch gerade erst hier angekommen und muss sich noch ausruhen.“ - „Papperlapapp!“ Vaters roter Kopf signalisierte Gefahr. „Rede nicht so einen Blödsinn, Frieda. Dein ‚ach so armer’ Junge ist alt genug, für sich selbst zu sorgen. Da er wohl alle seine Habseligkeiten im Auto spazieren fährt, kann er auch genauso gut heute in seine neue Wohnung ziehen. Der Mietvertrag wird unterschreiben und damit basta! Ja, er kann sogar noch die alte Luftmatratze haben.“ Mutter zeigte sich eingeschüchtert. „Die Blaue?“ - „Ja, genau die!“ - „Die hatte ich doch immer am See dabei.“ - Das stimmt, Frieda. Aber das ist nun auch schon zwanzig Jahre her.“ - „Da hast du auch wieder recht, Walterchen. Ja gut, dann soll der Junge meine Luftmatratze haben. Er muss aber sorgsam damit umgehen.“

Vater rieb sich die Hände. Hier hatte ich nichts mehr zu sagen. Und wenn ich nun einfach den Mietvertrag nicht unterschreiben würde? Genau. Ich erinnerte mich an die Kriminalbeamtin: Meine letzte Chance. So war das auch hier. Einfach hinfahren, nicht unterschreiben und dann hierhin zurück. Diese Autorennbahn abzubauen, wäre doch bestimmt ein Klacks. Und im Notfall könnte ich dann sogar in meinem Zimmer auf der ‚blauen’ Luftmatratze schlafen. Perfekt.

„Gut, dann fährst du nachher dahin. Mutter und ich brechen nämlich genau zu dem Zeitpunkt auch auf. Wir machen eine Woche Urlaub in der Eifel.“

Mutter sah meinen Vater überrascht an: „Aber Walterchen, davon habe ich ja gar nichts gewusst. Ich muss dann ja noch packen und ...“ ‚Walterchen’ rieb sich erneut vergnügt die Hände und schaute mich mit einem Grinsen unverwandt an, während er sprach. „Ja, Frieda. Das sollte auch eine Überraschung sein. Ein paar Tage Erholung tun auch dir gut - nach deiner Augenoperation!“

Oh, Mann. Der alte Herr schien mich durchschaut zu haben. Eigentlich wie immer. Es war mir noch nie so recht gelungen, ihm etwas vorzumachen. Das fing schon im zarten Kindesalter mit fünf Jahren an, als ich das zweijährige Nachbarskind für die zerschossene Fensterscheibe verantwortlich machen wollte. Auch damals durchschaute er mich schon schnellstens.

„So, Jonathan, hier hast du die Adresse. Im Herzen Rheydts. Eine ruhige Nebenstraße. Wunderbare Lage. Und Morgen, natürlich in aller Frühe, meldest du dich auf dem Arbeitsamt. Sonst stehst du nämlich bald ohne Geld da. Die erste Miete und die Kaution werde ich dem Vermieter überweisen, das ist schon geklärt. Das Geld zahlst du mir natürlich zurück! Meinetwegen auch in Raten.“

Ja, hurra! Mitten in Rheydt. Ich hasste diese Stadt wie die Pest. Auch recht schön weit weg von meinen Eltern. Mit Schaudern dachte ich an meinen letzten Besuch in der Innenstadt, auch wenn der schon viele Jahre zurücklag: Lärm, Autos noch und nöcher, Gestank und Abgase und überall diese hektischen Personen, die wie rastlose Ameisen ihren Shopping - Erlebnissen hinterherhechelten. Leere Geschäfte, eine mehr als verkorkste Verkehrsplanung und viel zu viele Menschen aller Couleur.

Aber: gab es denn für mich eine Alternative? Meinen Plan hier in mein Jugendzimmer zurückzukehren, wusste mein Vater ja blitzgescheit zu vereiteln. Mir fielen keine Argumente mehr ein, die die beiden vielleicht doch noch überzeugen würden, ihren einzigen Sohn im Haus zu behalten.

Seufzend fügte ich mich in mein Schicksal.

„Noch eine Tasse Kaffee, mein Junge?“

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