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IV.

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Die Übernahme der Wohnung ging reibungslos über die Bühne. Der Vermieter schaute mich zwar zweifelnd an, sagte aber nichts.

Dann stand ich in dem leeren Raum.

Neben der Luftmatratze nötigten mir meine Eltern auch noch ein paar Decken auf und letztendlich drückte mir meine Mutter noch fünfzig Euro in die Hand. Mein Vater hatte nur jede Menge guter Ratschläge für mich.

Seufzend machte ich mich daran, mein Lager für die Nacht vorzubereiten. Wie sich allerdings nach langem Pusten herausstellte, war die Luftmatratze kaputt und ich musste meine erste Nacht in der Wohnung quasi auf dem harten Boden verbringen. Mir taten alle Knochen weh.

Dafür hatte ich das Glück, dass es unten an der Straßenecke ein Café gab. Ein reichhaltiges Frühstück entschädigte mich dort für die letzte Nacht.

Beim Arbeitsamt winkte man wie gewohnt ab. Ob ich nicht daran interessiert wäre, zunächst für vierhundert Euro bei einer Waschstraße anzufangen? Nein? Aha, faul ist er auch noch.

Kaum wieder zu Hause angekommen, klingelte es auch schon an meiner Wohnungstür. Wer könnte das jetzt sein? Niemand, außer meinem Vermieter und meinen Eltern, wusste doch, dass ich hier wohnte. Und richtig, da standen sie: meine Eltern.

„Junge, wo warst du denn so lange? Deine Mutter und ich versuchen nun schon seit Stunden dich zu erreichen. Wo treibst du dich denn wieder herum?“ - „Beim Arbeitsamt.“ - „Und das dauert so lange? Na ja. Und hast du jetzt Arbeit?“ - „Nein ...“

Ich schaute meinen Vater provozierend an: „Ich dachte, ihr wolltet in Urlaub fahren. Was macht ihr dann hier?“ Jetzt hatte ich ihn. Ich war gespannt, wie mein alter Herr sich jetzt aus der Affäre ziehen wollte. Meine Mutter sah sich derweil in meiner Wohnung um und ob der Leere oder des Dreckes hörte ich im Hintergrund hin und wieder ein ‚Ach, wie das hier aussieht. Oh, Junge ...’

Hallo, ihr wisst doch wohl noch, dass ich erst gestern hier eingezogen bin?

„Wir mussten unsere Pläne ändern. Für dich! Erst sollst du in Lohn und Brot kommen, dann finden deine Mutter und ich wieder ein wenig Ruhe.“ Und im Hintergrund Mutter wieder: „Nein, was für ein Dreck. Nicht einmal die Fenster sind geputzt.“

Aber mein Vater ließ sich nicht beirren: „Also, ich habe da schon etwas angeleiert. Komm’ Samstag zum Abendessen zu uns.“ - „Worum dreht es sich denn?“ Wenn mein Vater etwas ‚anleierte’, galt es auf der Hut zu sein. „Nun, lieber Sohn, das soll eine Überraschung werden. Nur so viel: es geht um deine Arbeit.“ Dann wandte er sich meiner Mutter zu, die in der kleinen Küche stand und vor sich hinmurmelte: ‚der Junge muss hier unbedingt putzen’.

„Frieda, komm wir gehen. Jonathan wird bestimmt noch genug zu tun haben.“ Meine Mutter sah mich an: „Jonathan, du musst hier unbedingt putzen. Wie kannst du nur in diesem Schmutz leben? Und warum hast du deine Luftmatratze nicht aufgepumpt? Bist du dazu auch schon zu bequem?“

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, rauschten die beiden die Treppe herab. Na, das fing ja gut an. Ich sollte mir einen Plan zurechtlegen, was ich alles noch erledigen musste. Zunächst brauchte ich ein Bett, Putzsachen und mein Handy.

Mir graute schon vor Samstag.

Der Samstagabend kam schneller, als erwartet. Mittlerweile hatte ich meine Wohnung ein wenig eingerichtet; einige gebrauchte Möbel mussten für den Anfang genügen. Meine Bank räumte mir schweren Herzens einen Kleinkredit ein. Allerdings war der sehr klein.

Lustlos putzte ich die Wohnung. Besonders die Fenster waren stark verschmutzt. Jetzt konnte man wenigstens wieder hindurchblicken.

Mein Handy fand ich zwischen einigen alten Socken. Endlich konnte ich auch telefonisch wieder erreicht werden. Das Leben normalisierte sich!

Bis meine Eltern mich am Samstag in das nächste Chaos stürzten.

Diesmal bekam ich keine Chance, die Mauer an unserer Einfahrt zu tranchieren: die Einfahrt stand mit einem dieser übergroßen Geländewagen voll. ‚Protzkarre’ dachte ich verächtlich. Da kompensierte wieder jemand die fehlende Größe seines Geschlechtsteiles mit gekauftem Blech. Na, oder vielleicht war der Wagen ja auch geleast. Da es sich eindeutig nicht um das Fahrzeug meiner Eltern handeln konnte - die parkten ja sowieso immer in der Garage und fuhren aus Sparsamkeitsgründen eher einen Kleinwagen - fragte ich mich, wer heute Abend bei dem Essen dabei sein würde. Was planten meine Eltern jetzt schon wieder zur angeblichen Rettung ihres einzigen Sohnes?

Während ich also noch in der Einfahrt stand, mit meinem Fahrzeugschlüssel so in der Hand herumspielte und ernsthaft überlegte, dieser Protzkarre einen feinen Seitenstreifen zu verpassen, öffnete sich auch schon die Haustür und mein Vater winkte mir. „Jonathan, willst du den ganzen Abend da stehen und diesen schicken Wagen bewundern? Ja, Junge, da musst du ein wenig sparen und dann kannst du dir auch so ein schönes Teil leisten. Und jetzt komm’ endlich herein, wir wollen gleich essen.“

„Wen habt ihr denn da zu Besuch?“ Ich sprach gedämpft, während mich meine Mutter umarmte. Meine Neugier musste ja nicht jeder mitbekommen. „Überraschung, Jonathan. Komm ins Wohnzimmer.“

Da saßen sie. Wie die Hühner auf der Stange. Ein älterer Herr mit einem weißen Vollbart, weißen Haaren und einem in die Jahre gekommenen Anzug in braun. Daneben ein etwas schwabbeliger Mittdreißiger in Sakko und Krawatte, beides fein aufeinander abgestimmt. Soweit eine rote Krawatte zum grünen Sakko passt. Unwillkürlich drängte sich mir der Begriff ‚Jägersmann’ auf.

Der Jüngere kam mir irgendwie bekannt vor; jedoch wollte mir partout nichts zu ihm einfallen. So schaute ich die beiden auch recht verständnislos an.

„Junge, schau’ doch nicht so belämmert! Das sind die Pötings. Die Albert Pötings.“

Aha. Die Albert Pötings also. Wer aber waren die Albert Pötings? Gut, dass mein Vater mir erneut auf die Sprünge half: „Du warst mit Albert zusammen in der Schule. Ja Junge, erinnerst du dich denn nicht?“ Ein leichter Schlag auf meinen Hinterkopf sollte mein Erinnerungsvermögen aktivieren.

Und wirklich, da war es wieder: Albert Pöting. Ein kleiner, dicker Streber. Den musste ich ab der Grundschule bis zum Abitur ertragen. Und das teilweise auch noch als mein Tischnachbar. Wo hatte Vater den denn ausgegraben? Und dann auch direkt mit Verstärkung? Albert und Albert. Vater und Sohn. Pat und Patachon. Dick und Doof. Was fiel mir an Nettigkeiten noch ein? Hatten wir für Albert auf dem Schulhof nicht immer den Spruch parat gehabt: ‚Pöting, Pöting, wir hau ‚n dir auf die Klöten’? Ob ich das jetzt hier mal loswerden sollte? Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Beide Pötings nickten. Ja, wir erkannten uns wieder.

„Albert ist Polizist.“ Mein Vater war kaum zu verstehen, da er mit vollem Mund sprach. Schon stopfte er wieder Kartoffelsalat nach. Aber Pöting Junior kam ihm zu Hilfe: „Kriminalkommissar, Jonathan. Kriminalkommissar. Hier in unserem schönen Mönchengladbach.“ Und auch er schaufelte sich ordentlich Kartoffelsalat in den Mund. Seit meiner Kindheit hasste ich Kartoffelsalat. Und die Steigerung davon: Kartoffelsalat mit Brühwurst. So saß ich dann auch vor einem leeren Teller. „Junge, du isst ja gar nichts! Hast wohl vorher wieder dieses neumodische Zeugs gegessen - wie hieß das doch gleich, Walterchen?“ ‚Walterchen’ spuckte beim Sprechen einige Kartoffeln und Gurkenstücke auf die Tischdecke „Pzzla.“ - „Was, Walterchen?“ - „Pizza.“ - „Ja, genau Pizza. Oder diese Börger.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Kriminalkommissar. Hier in Gladbach.“ Ja, fing der Pöting denn schon wieder damit an? Bisher war mir immer noch schleierhaft, um was es heute Abend überhaupt ging. Also gut, soviel wusste ich: um mich und eine Arbeit für mich. Ich dachte an mein Erlebnis auf der Polizeiwache und die desillusionierte Kriminalkommissarin und schaute Albert Junior genervt an. „Muss ich jetzt ‚Herr Kriminalkommissar’ zu dir sagen?“ - „Nein, nein Jonathan. Du kannst mich ruhig Albert nennen. Aber zu der Idee, die dein Vater und ich ...“ Albert Junior wurde von seinem Vater unterbrochen. „Herr Lärpers und ich, Albert. Herr Lärpers und ich!“ Überraschenderweise sprach Albert Senior mit leerem Mund.

„Also, ja. Die Idee, die die beiden haben, zu der kannste ‚Sie’ sagen. Wir werden ...“ Jetzt unterbrach ihn mein Vater: „Das besprechen wir lieber in aller Ruhe nach dem Essen. Soviel Zeit muss sein. Eine Entscheidung dieser Tragweite kann nicht mit vollem Mund getroffen werden!“ Und er tunkte ein Stück Brühwurst in den reichlich auf seinem Teller verteilten Senf, schlabberte davon ein wenig auf sein Hemd und sah mich zufrieden schmatzend an. „Wir haben die ideale Lösung für dich.“

Ja, prima. Ich sehnte mich nach Frankfurt zurück. Zurück in mein eigenes Leben. Welcher Teufel hatte mich geritten, zu denken ich könnte hier wieder einziehen, ein problemloses Leben führen und mir in aller Ruhe einen guten Job suchen?

„Und nach der Besprechung zeig’ ich euch allen mal meine Carrerabahn.“

Mir wurde schlecht.

„So, Junge, was denkst du dir denn, weswegen wir hier sitzen?“ Mein Vater und seine ‚beliebten’ Ratespiele. Er und Pöting Senior saßen Albert Junior und mir gegenüber und genossen einen übergroßen Cognac. Mutter war nach dem Essen stracks in die Küche geeilt. Hier sollte schließlich ein Männergespräch stattfinden.

Den Cognac bot mein Vater uns gar nicht erst an: ‚Ihr müsst ja noch fahren!’

Jetzt hob er theatralisch die Arme. „Ich habe es ja schon angedeutet, es geht um deine Zukunft. Um deine Arbeit. Um einen Job. Nicht auf der Straße herumlungern und deinen Eltern auf der Tasche liegen sollst du. Nein! Ich habe mir - und das kann ich mit Stolz sagen - etwas ganz Tolles überlegt.“ Pöting Senior räusperte sich. Schnell ergänzte mein Vater: „Ja, also, Herr Pöting und ich, meine ich natürlich.“ Mein Vater holte tief Luft und trank einen riesigen Schluck Cognac.

„Mein lieber Sohn! Wir haben uns etwas für dich überlegt.“

Ja, das kapierte selbst ich mittlerweile. Aber was?

„Dass Albert Kriminalkommissar ist, hast du ja inzwischen mitbekommen. Nun, den Herrn Pöting kenne ich aus dem Kaninchenzüchter - Verein.“

Wen nun? Pöting Junior oder Senior. Ich schwieg. Jetzt bloß meinen Vater nicht unterbrechen. Das konnte böse Folgen haben. Aber da nahte das Unheil schon in Form eines Zwischenrufes meiner Mutter aus der Küche: „Walterchen, erzähl’ dem Jungen doch einmal, dass du Herrn Pöting vom Kaninchenzüchter - Verein her kennst.“ - „Habe ich schon, Frieda. Und jetzt stör’ uns Männer hier mal nicht.“ Wieder nahm er einen ordentlichen Schluck zu sich. Rührte sein roter Kopf jetzt von der Wut oder vom Alkohol her?

„So, wo war ich stehengeblieben? Ach ja, also Herr Pöting und ich kennen uns vom Verein her. Vom Kaninchenzüchter - Verein! Und der Albert, sein Sohn, ist Kriminalkommissar. Noch einen Schluck, Herr Pöting?“ Großzügig schenkte mein Vater nach. Albert Junior grinste mich dümmlich an und machte das ‚Daumen hoch’ - Zeichen.

Ja, verdammt, worum ging es denn nun? Ich zwang mich, Ruhe zu bewahren. Jetzt drang wieder Mutters Stimme aus der Küche: „Hast du dem Jungen schon gesagt, dass er ein Detektivbüro eröffnen wird?“

Mein Vater sprang mit hochrotem Kopf auf und warf dabei sein Cognacglas um. „Das wollte ich gerade. Wenn du uns nicht immer unterbrechen würdest! Außerdem sollte das meine Überraschung für den Jungen sein. Das hast du mir nun gründlich versaut!“ Er setzte sich wieder und versuchte den verschütteten Cognac mit dem Handrücken zurück ins Glas zu befördern. „Jetzt schau einmal, was du angerichtet hast!“ Dann schenkte er sich nach und nahm erneut einen tiefen Schluck. Sein Blick, schon ein wenig glasig, richtete sich auf mich.

„Also, gleich Montag wirst du dich selbständig machen. Die Pötings und ich haben alles besprochen. Es herrscht großer Bedarf an Detektiven in dieser Stadt und damit hast du eine gesicherte Zukunft. Das Lokal unter deiner Wohnung wird dein Büro. Ich habe schon mit deinem Vermieter gesprochen, der Mietvertrag wird erweitert. Deine Mutter“, dabei warf mein Vater einen bösen Blick Richtung Küche, „und ich werden dich die erste Zeit natürlich finanziell unterstützen. Beziehungsweise dir helfen. Ich habe schon mit deiner Bank gesprochen, dein Kleinkredit wird erweitert. Du brauchst später, wenn der Laden gut läuft, lediglich alles zurück zu zahlen. Nun, was sagt du?“

Ich war baff. Nicht, dass ich keinerlei Ahnung von der Materie hatte und hier einfach so überrannt wurde. Nein, ich wurde gefragt, was ich dazu sage? Das schien mir einmal etwas ganz Neues. Aber wieso konnte mein Vater so mir nichts dir nichts über meine Finanzen informiert sein? Gab es denn kein Bankgeheimnis hier? „Ich habe do...“

„Sag’ nichts, Sohn. Wir haben uns das alles sehr gut überlegt. Danken kannst du mir später.“

Wieder räusperte sich Pöting Senior vernehmlich.

„Uns natürlich. Also, morgen wirst du direkt deinen Laden putzen und in Schuss bringen.“

Morgen, am Sonntag? Mein Vater verlor sich in Details. Eifrig nickend unterstützten ihn die Albert Pötings. Selbst von einer Sekretärin war da die Rede. Sie hatten natürlich auch schon jemanden ausgesucht. Nette, kleine Studentin, die sich etwas dazu verdienen musste. Und Möbel, ja Möbel für das Büro könnte ich da und dort günstig gebraucht erhalten. Und bei kriminaltechnischen Fragen stünde mir Pöting Junior jederzeit zur Verfügung. Nur nicht, wenn er arbeiten müsste oder in seiner Freizeit. Aber sonst fast immer. Ich könnte bei Bedarf ja dann einen Termin machen.

Welch rosige Zeiten!

Als Mutter dann mit einem Schokoladenkuchen das Wohnzimmer betrat, war der Jubel groß. Bei allen. Nur nicht bei mir.

Später dann, in meiner kleinen Einzimmerwohnung, auf meinem breiten Bett, günstig gebraucht gekauft und mit einigen Macken versehen, tröstete mich der Rest meines Weinbrandes. Auf was hatte ich mich da wieder eingelassen? Also eher einlassen müssen? Sollte ich vielleicht einfach meine paar Sachen packen und verschwinden? Aber wohin? Außerdem richtete ich mich hier gerade ein wenig häuslich ein. Und meine Eltern meinten es ja nur gut.

Über alle meine Zweifel konnte mich das mit viel Theatralik überreichte Geschenk meines Vaters dann allerdings auch nicht hinwegtrösten: Ein Buch mit dem schönen Titel: Der kleine Detektiv - oder: auf den Spuren Sherlock Holmes.

Mit dem Buch im Arm schlief ich endlich ein.

Kokain - Hotel

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