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Der Tod beim Pionierlager

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An einem sonnigen Apriltag fuhr ich mit Alberto in Richtung Süden. Die Berge des Kaukasus schienen greifbar nahe. In einem der Dörfer unweit der ersten Erhebungen wurde unser gekennzeichnetes OSZE- Fahrzeug gestoppt. Einige Leute redeten unkoordiniert auf mich ein und immer mehr Menschen kamen hinzu. Wir sollten einigen der mit Autos vorgefahrenen Männern folgen. Sie wollten uns oben auf der Bergstraße die Spuren eines der jüngsten russischen Verbrechen zeigen. Wir sollten ihnen sofort folgen. Ich entschied ohne zu zögern, auf das Angebot der Männer einzugehen. Alberto war im gepanzerten Landrover geblieben und ich ahnte, dass er vielleicht anders entschieden hätte. Deshalb verlor ich keine Zeit, um Alberto den Inhalt meiner Absprachen zu erläutern, sondern stieg in das Fahrzeug, murrte Alberto an, er solle zur Seite rücken, denn wir würden nun den Männern ein Stück folgen. Nachdem der Fahrzeugkonvoi den Ort verlassen hatte, fragte Alberto energisch: „Was soll das! Wir haben bereits den Ort verlassen und ich bin nicht bereit, weiter diesen Männern zu folgen! Wir müssen sofort umkehren!“ Ich war aufgetourt und schrie zurück: „Wenn es dir nicht passt, kannst du ja sofort aussteigen. Anhalten werde ich aber deshalb nicht extra!“ „Meine Regierung hat mir ausdrücklich verboten, mich nicht bewusst in Gefahr zu begeben“, entgegnete der sichtlich erregte Alberto. Ich ließ mich nicht beeindrucken und setzte die Fahrt fort. Es ging bergan in das bewaldete Mittelgebirge, das später in den Großen Kaukasus übergeht. Die ausgetrockneten Wege hüllten den Konvoi in eine Staubwolke, so dass man kaum das vorausfahrende Fahrzeug sehen konnte. Die Fahrt führte bis auf eine Anhöhe. In Friedenszeiten befanden sich hier touristische Gebiete. Dies war an entsprechenden Schildern zu erkennen, die auf Sanatorien und Restaurants hinwiesen. Links der Strasse sah ich eine Einfahrt in ein eingezäuntes Gebiet. Über der Einfahrt war in großen Buchstaben „Pionierlager“ zu lesen. An einer ansteigenden Straße, kurz vor einer steilen Kurve, hinter der sie offensichtlich in das nächste Tal führte, stoppten die vorausfahrenden Wagen. Ich sprang aus dem Landrover. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, waren Schreckensbilder zu sehen:

Vier zerstörte und völlig ausgebrannte Schützenpanzerwagen und am Straßen- und Waldrand Leichen von Soldaten russischer Truppen. In der Straßenmitte befanden sich mehrere etwa einen Meter breite und dreißig bis vierzig Zentimeter tiefe Krater von Geschosseinschlägen. Ein Bild der Verwüstung und des Grauens. Zunächst wortlos zeigten dies die tschetschenischen Männer. Dann die Kommentare, dies sei die Tat der Gottlosen, denn der Kommandeur der nahegelegenen Einheit der Russen sei über die Soldatenleichen hier oben bereits vor drei Tagen informiert worden und habe nichts zu deren Bergung unternommen. Männer des Dorfes würden nun die Beisetzung der jungen Russen, die nicht wüssten wofür sie starben, im Tal durchführen. Ich sah mir das Gebiet genau an, machte Fotos und fand auch halb verbranntes Papier mit russischen Schriftzeichen. Die Einschläge auf der Straße könnten auf ungelenkte Raketen schließen lassen, die möglicherweise von einem Hubschrauber abgeschossen worden waren. Die im Wald gelegenen Einschläge zu untersuchen, war auf Grund der großen Minengefahr nicht anzuraten. Diese Mot.-Schützeneinheit könnte also von den eigenen Hubschraubern bekämpft worden sein. Ein Bild des Grauens in der so schönen Natur. Nebenan deutet ein etwas verrostetes Schild auf das Pionierlager wenige Meter entfernt hin. Wann werden hier jemals solche friedliche Zeiten wiederkehren können? Die Wanne eines gepanzerten Kampffahrzeuges war aufgerissen und Teile des Getriebes waren durch die thermische Waffenwirkung zu Asche zerfallen. Gefallene Soldaten lagen am Straßenrand. Die Erkennungsmarken der Soldaten brachen wir durch, um sie dem russischen Kommandeur zu übergeben.

Wie ich später erfuhr, interessiert sich kaum ein Vorgesetzter für Gefallene, denn die darf es nicht geben. Es gab auch keine Regelungen für die Kompensation der Hinterbliebenen.

Dieses Ereignis hatte ein Nachspiel. Alberto beschwerte sich über mein Verhalten, ihn ohne zu fragen in eine gefährliche Situation hinein gezogen zu haben. Ich erhielt eine Abmahnung, weil ich nicht das Recht hätte, über Sicherheit und Leben von Kameraden allein zu entscheiden.

Mein Mandat: Die Menschen achten!

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