Читать книгу Mein Mandat: Die Menschen achten! - Jürgen Heiducoff - Страница 8
Sernowodsk, Samaschki und andere tschetschenische Dörfer
ОглавлениеWir hatten Grosny bereits am frühen Morgen verlassen, um den gesamten Tag zur Verfügung zu haben. Wir erreichten die Fernstrasse Baku – Rostow am Don, die Grosny im Süden tangiert. Diese breite, mehrspurige Magistrale, die parallel zu den Bergketten des Grossen Kaukasus verläuft, war an einigen Stellen unterbrochen und umgeleitet, um die Fahrzeuge besser kontrollieren zu können.
Wir erreichten einen etwa fünf Kilometer langen Abschnitt dieser Magistrale, der völlig gerade verlief. Hier stand eine Autokolonne am Straßenrand. Es war zunächst kein Grund für diesen Stau wahrnehmbar. So fuhren wir langsam an den erstaunten Fahrzeuginsassen vorbei.
Nach etwa zweihundert Metern peitschten Schüsse uns entgegen. Der Schreck saß uns in den Gliedern. Die Schüsse kamen von einem Straßenposten, der sich etwa dreihundert Meter vor uns in einer Deckung befand. Wir setzten zurück. Keine Chance, das Problem zu lösen. In diesem Moment sahen wir, wie sich aus der Kolonne hinter uns eine Frau in der Kleidung einer Krankenschwester löste und in der Straßenmitte langsam in Richtung des Postens lief. Später erfuhren wir, dass diese mutige Frau einer französischen NGO angehörte, die den Menschen elementare medizinische Versorgung anbot. Die Zeit schien fest zu stehen. Sie näherte sich schweigend dem Posten. Und nichts geschah. Kein Schuss, keine Aufregung. Kurze Zeit später konnten wir alle passieren.
Wir mussten auf eine Straße im bewaldeten Bergland ausweichen. Es war sehr eng. Uns kam eine russische Militärkolonne entgegen. Wir wichen aus, weil auch hinter uns gepanzerte Fahrzeuge der Russen fuhren. Wir standen etwas abseits der Straße, als plötzlich Schüsse einem gewaltigen Knall folgten. Da waren zwei gepanzerte Fahrzeuge aneinander geprallt und die darauf sitzenden, zum Teil schlafenden russischen Soldaten wurden herunter geschleudert. Zu Tode erschrocken und die Situation nicht erkennend schossen sie zunächst wild um sich. Wir sprangen in eine Deckung, zum Teil hinter unseren gepanzerten Landrover.
Keine Zeit für Nachbereitungen, denn wir wollten nach Samaschki, das nur wenige Kilometer entfernt war. Wir wussten, dass die Dörfer Samaschki und Sernowodsk in den letzten Tagen schwer zerstört worden sind. Die russischen Truppen und die Bojewiki schoben sich gegenseitig die Schuld zu.
Schon aus der Entfernung waren die Zerstörungen von Sernowodsk zu sehen. Über einigen Ruinen waren Rauchsäulen zu sehen. Uns kamen Flüchtlinge entgegen. Wir hielten an und zu unserem Erstaunen waren die Leute sehr gesprächig. Sicher waren wir die ersten, die sich überhaupt um ihr Schicksal kümmerten. Vielleicht haben sie auch Hilfe erwartet. Im Dorf selbst hielten sich vorwiegend alte Leute auf, denen die Strapazen der Flucht nicht mehr zuzumuten waren.
Insgesamt erfuhren wir im Laufe unserer Gespräche Folgendes:
Als die russischen Truppen vor drei Tagen die "Säuberung" des Dorfes durchführten, befanden sich etwa 50 bis 60 bewaffnete Tschetschenen, Boewiki im Ort. Die Soldaten seien von Hof zu Hof gezogen, in die Häuser eingedrungen und hätten willkürlich Möbel, Ställe oder Gebäude zerstört. Nachdem sich die russische Infanterie aus dem Dorf zurückgezogen hätten, wurde den bewaffneten Tschetschenen ein Korridor geöffnet, durch den sie ohne Verluste das Dorf verlassen konnten. Der anschließend für die Bewohner zur Verfügung gestellte Flucht – Korridor sei weder zeitlich noch räumlich ausreichend gewesen, um eine sichere Evakuierung zu gewährleisten. Und dann habe vor den Augen der fliehenden Zivilbevölkerung die systematische Vernichtung des Dorfes mit massiertem Artillerie- und Hubschrauberbeschuss begonnen. In dieser Zeit hätte sich ein Teil der Menschen noch im Ort befunden. Später hätten sich Raub und Plünderungen vor allem nachts durch z.T. betrunkene russische Soldaten fortgesetzt. Ein Augenzeuge, der sich mit seiner Adresse verbürgt hat, berichtete davon, dass willkürlich Menschen gefesselt und anschließend getötet wurden,
indem sie aus fliegenden Hubschraubern gestoßen worden seien. Er schwor bei seiner Ehre, dass er dies selbst gesehen habe.
Hunderte von Flüchtlingen campieren im Nachbarort Slepzowskaja. Eine Rückkehr in ihr Heimatdorf war erschwert durch den hohen Zerstörungsgrad, durch das Fehlen von Wasser, Elektrizität, Heizmaterial sowie durch die Angst vor den anhaltenden nächtlichen Raubzügen.
Wiederholt wurde auch über die gezielte Jagd und Beschießung von Fahrzeugen und Menschen durch Hubschrauber berichtet, deren Herkunft nicht feststellbar sei, weil sie ohne
sichtbare Kennzeichen flögen.
In all diesen Fällen waren nie Bevollmächtigten der moskautreuen Regierung vor Ort, um nach den Gefechtshandlungen die Lage festzustellen und erste Hilfsmaßnahmen zu organisieren.
Die erste humanitäre Hilfe erfolgte unter unsagbarem Einsatz durch internationale Hilfsorganisationen, vor allem durch das IKRK.
Der neue russische Militärkommandant des Dorfes - ein Oberst hatte angeordnet, am Checkpoint sowie am Kommandanturgebäude die Flagge der Sowjetunion zu hissen. Nach einer Kontrolle meiner Dokumente (vom Befehlshaber der Föderationstruppen genehmigte uneingeschränkte Bewegungsfreiheit) machte der Oberst unmissverständlich deutlich, dass er im Dorf der King sei und ich mich künftig nur mit russischer Begleitung in
seinem Reich zu bewegen habe, da nicht auszuschließen sei, dass auch OSZE- Personal Opfer von Hubschrauberattacken werden könne. Im übrigen, so der Oberst, würden in seinem Dorf sowjetische Traditionen und Gesetze herrschen. Man erzählte, es habe sogar bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Einheiten dieses sich zur Sowjetunion bekennenden Kommandeurs und seinen Rivalen, die stolz die russische Flagge zeigten.
Wir näherten uns dem Nachbardorf Samaschki. Der Name dieses Dorfes ist bereits im Frühjahr 1995 um die Welt gegangen. Große Teile der Häuser sind durch russische Bomben und Artilleriegeschosse zerstört, die Bevölkerung ausgeraubt und vertrieben worden. Frauen wurden vergewaltigt – in der moslemischen Großfamilie Grund genug zum ewigen Verstoß aus dem Clan. All diese Unmenschlichkeiten liegen eben gerade ein Jahr zurück und wieder kursieren Meldungen über eine zweite Vernichtung des Dorfes. Als wir uns dem Dorf näherten, kamen Frauen, Kinder und zum Teil auch alte Männer entgegen. Der Ort selbst ist noch hermetisch von Inneren Truppen abgeriegelt. Mein skandinavischer Kamerad sprach mit einem der Posten und es gelang. Einer der Soldaten begleitete uns zur Kommandantur. Als der Soldat das Fahrzeug verlässt, um die Ausländer im Kommandanturgebäude anzumelden, nutzte ich, der am Steuer saß, die Gelegenheit, schnell weiter ins Dorf hinein zu fahren. Es folgen schreckliche und unbeschreibliche Bilder und Szenen. Es war eine unbeschreibliche Stille zwischen den Ruinen, obwohl in den Kellern ihrer Häuser noch Leute saßen. Ein alter Mann stottert aufgeregt, er werde seinen verwüsteten Hof und sein zerstörtes Haus nicht verlassen. Im Krieg gegen die Deutschen, die er nie als seine Feinde betrachtet hatte, habe er für Großrussland gekämpft und gelitten. Nun leide er wieder durch Russland. Leider sei er zum Kämpfen zu alt und zu schwach.
Es sind kaum zehn Minuten vergangen, als ein gepanzertes Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit durch die Straßen des Dorfes jagte. In der Parallelstraße stoppt es, stößt zurück und verfolgt unser Fahrzeug der OSZE. Ich betrachtete es als zweckmäßig, rechts ran zu fahren und zu halten. Wir wurden zum Kommandanten begleitet. Dieser belehrte uns selbstherrlich über die Tradition seiner Truppe und über die Unfehlbarkeit der russischen Streitkräfte überhaupt. Uns wurde das Wort überhaupt nicht erteilt. Schnell eskortierte man unser Fahrzeug aus dem Dorf.
Wenn man durch das Land im Nordkaukasus fährt, fallen die sauberen Dörfer ins Auge. Überall wurde geharkt, geputzt und irgend etwas gewerkelt. Selbst nachdem Gebäudeteile oder Fensterscheiben infolge von Waffeneinsatz zerstört wurden. Lange war kein Schaden zu sehen. Da wurde aufgeräumt und aufgebaut. Und dies selbst auf die Gefahr hin, dass mit weiteren Zerstörungen zu rechnen ist. Der Aufbau, so sagen die Tschetschenen, ist eine Form des Widerstandes.
Nach der Deportation der Nordkaukasusvölker und auch der Wolgadeutschen in die zentralasiatischen Steppen sollen die tschetschenischen und auch die Dörfer der Deutschen deutlich von den kasachischen oder russischen äußerlich unterscheidbar gewesen sein.
Tschetschenien - das ist die naturgegebene eindrucksvolle Stille der unberührten Bergwelt des Kaukasus.
Am Fuße der weißen Berge verspürt man die Unendlichkeit von Zeit und Raum.
Man fühlt den Geist des seit Jahrhunderten nach Freiheit strebenden tschetschenischen Volkes. Man kann in Ansätzen fühlen, wo die Quelle der Kraft und Ausdauer dieser Menschen liegt.
Die Tschetschenen haben trotz ständiger nationaler Unterdrückung, trotz Deportation - oder vielleicht gerade deshalb wie kaum ein anderes Volk ihre alten Traditionen, Sitten, Gewohnheiten und Gebräuche bewahrt.
Ich hielt mich einige Wochen in einem Dorf weit südlich von Grosny auf.
Wir schrieben April des Jahres 1996 im oberen Arguntal bei Schatoi. Ich saß auf der Treppe zum Wohnhaus des Asujew-Clans. Die Stille des Frühlingstages war trügerisch.
Es war Krieg – ein nicht erklärter Feldzug gegen das Volk der Weinachen.
Meine Gedanken irrten wild durch die Vergangenheit – nach Russland, in das ferne Mecklenburg und nach Sachsen, wo ich die meiste Zeit meines Lebens verbrachte. Ist dies die Stunde der Abrechnung? Unentwegt nähern sich paarweise Jagdbomber dieser Idylle und zerrissen die Stille mit dem Dröhnen der Triebwerke und den Detonationen der Bomben und Raketen.
Wann würde dieses Inferno ein Ende haben?
Was suche ich hier am Großen Kaukasus? Welcher Teufel schickte mich in diese Hölle?
Wer bestraft mich, dieser Gefahr ausgesetzt zu sein und diese Entbehrungen auf mich zu nehmen?
Diese Fragen blieben unbeantwortet, denn es ist eine halbe Lebensgeschichte, die zur Beantwortung zu erzählen wäre.
Ich überlegte, worin der Unterschied besteht zwischen den Menschen, die in einem abgelegenen Dorf in der Weite Russlands abends vor ihrem Haus sitzen und den Asujews, die im Nordkaukasus das Gleiche tun. Warum werden die einen in Ruhe gelassen und die anderen immer wieder bestraft? Die einfachen Tschetschenen standen immer für die Russen ein. Im Großen Vaterländischen Krieg haben viele der Älteren mit viel Tapferkeit für die Sowjetunion gekämpft. Ihnen wird kein ruhiger Lebensabend gegönnt. Krieg wird über sie gebracht.
Dennoch – ich empfand auch eine Art Zufriedenheit, vielleicht Erfüllung.
Im Frühling ist dieses Land besonders schön. Der Schnee begann zu schmelzen und ließ die kleinen sauberen Bäche anschwellen. Die oberen Bergpässe wurden allmählich wieder passierbar. Man fühlte sich fortan nicht mehr so stark isoliert wie in den Wintermonaten. Im Winter ist der Nordkaukasus wie eine unendlich breite Sackgasse. Man kommt in Richtung Süden irgend wann nicht mehr weiter. Unpassierbar ist dann der Kamm oder auch der Übergang zum georgischen Pankisital. Wenn die Jagdbomber oder Kampfhubschrauber auf die Menschen zufliegen, gibt es ohnehin keine Möglichkeit des Ausweichens oder Entkommens. Doch im Winter ist da noch das bedrückende Gefühl des Eingesperrtseins, denn hinter einem steht die unüberwindbare Wand des Großen Kaukasus. Deshalb ist mit dem Tauwetter eine Art Freiheitsgefühl verknüpft.
Die schlichten, aber sauberen tschetschenischen Bergdörfer fügten sich gut in die bezaubernde Landschaft ein. Ihre Attraktivität wurde durch die Berge aufgewertet. Um so erschreckender waren die Spuren des Krieges. Seit Wochen wurden Bombenangriffe geflogen und Wohnhäuser zerstört. Die Leidtragenden waren ausschließlich Zivilisten – auch Alte, Frauen und Kinder. Die meisten der jungen Männer hatten sich den Kämpfern angeschlossen und die Dörfer verlassen.
Neben der Liebe zu dieser Bergwelt sind es aber vor allem die Menschen, die mich fesseln. Man achtet mich, weil oder obwohl ich aus dem fernen Deutschland hier her kam. Für die Großfamilie war ich der Gast, das heißt, ich stehe im Mittelpunkt, vieles dreht sich um mich und man respektierte mich. Immer wieder betonen die Männer der Asujews, sie seien für meine Sicherheit verantwortlich. Mir war klar, dass dies keine leeren Worte waren. Nie werde ich die Situation vergessen, in der Magomed, einer der Söhne des alten Selemchan sich mit seinem Körper auf mich warf, um mich vor Splittern zu schützen, als unser Fahrzeug unter Beschuss geriet.
An den Abenden fanden sich alle noch zu Hause befindlichen Männer der Großfamilie Asujew gewöhnlich zusammen. In der großen Wohnküche wurden die Nachrichten des russischen Fernsehsenders ORT, das Allgemeine Russische Fernsehen verfolgt. Dann folgten gewöhnlich lang anhaltende Diskussionen. Man trank unendlich viel Tee. Alkohol ist tabu. Mit diesem Produkt der russischen Unkultur und des Unglaubens wolle man nichts zu tun haben, urteilen die Männer. Magomed erklärt: „Was sollen wir tun? Die Russen wollen uns mit ihrem feigen Luftterror aus unseren Dörfern vertreiben. Doch wir werden widerstehen und die Gegend nicht verlassen. Die Russen wollen unser Land erobern und unsere Reichtümer ausbeuten. Dazu brauchen sie uns Tschetschenen nicht. Wir sollen getötet oder vertrieben werden.“ Und Selemchan ergänzte: „Wir werden standhaft bleiben, so wie unsere Ahnen immer fremden Eroberern widerstanden. Selbst wenn die Ungläubigen uns in alle Regionen ihres riesigen Landes vertreiben sollten, werden wir zusammen halten und unsere Familien werden nicht zerfallen.“ Dann forderte er mich auf: „Sag es deiner Regierung: Die Russen sollen ihr großes Land aufbauen statt unseres zu zerstören! Sie sollen ihre Soldaten zur Aufbauarbeit in die Dörfer des weiten Russland schicken, damit es dort so ordentlich wird, wie in unseren Dörfern“. Und Magomed wurde leidenschaftlich: „Allah ist groß! Und der Allmächtige ist auf unserer Seite!“ Dann wich er vom Russischen ins Tschetschenische aus. Ich verstand nur noch Wortfetzen wie „Arier“ und „Hitler“. Alle hatten inzwischen begriffen, dass ich diese „Argumentation“ hasste.
Die Frauen der Familie versammelten sich nach erledigter Arbeit in einem Nebenzimmer, jederzeit bereit, die Männer zu bedienen. In ungewöhnlicher Weise werden die Männer umsorgt und ich als Gast in besonderem Maße. Mir wurde untersagt, an den Abenden meine mit Schlamm total verschmierten Schuhe selbst zu reinigen, denn dies sei Frauenarbeit und es gehöre zum Service gegenüber dem Gast.
Die Asujews, aber auch Nachbarfamilien verfügten über gute politische und militärische Kenntnisse. Sie waren dank des sowjetischen Bildungssystems erzogen, selbständig zu urteilen. Sie verfügten aber auch innerhalb des Clans über ein Subordinationsgefühl gegenüber dem Älteren, das uns Mitteleuropäern fremd ist.
In den Nächten sollte man Haus und Hof und damit den Schutz der Familie nicht verlassen. Doch es ist Vollmond und dies bedeutet in der Bergwelt eine besondere Faszination zu erleben. Da nimmt man schon mal ein Defizit an Sicherheit in Kauf, um sich den Reizen der Natur hinzugeben. Vollmond im Kaukasus – ein unvergessliches Ereignis, ja Erlebnis.
Die Schönheiten der Natur stehen in einem kaum erfassbaren Kontrast zu den Unmenschlichkeiten des Alltages in diesem nicht erklärten und schwer erklärbaren Krieg. Der Kampf erfasste immer breitere Schichten der tschetschenischen Gesellschaft und drohte zunehmend zu einem Bürgerkrieg zu eskalieren. Auf tschetschenischer Seite verwischen die Grenzen zwischen Rebellen, Aufständischen und den unbeteiligten Menschen. Das machte es naturgemäß für die russischen Besatzer schwer, zwischen ungesetzlich bewaffneten Kriminellen und der eigentlichen Bevölkerung zu unterscheiden.
Den Militärs, auch den in Tschetschenien verhassten Vertragssoldaten, den „Kontrakniki“ kann man nicht die gesamte Schuld an dem Leiden im Kriegsgebiet zuschreiben. Sie haben Befehle und sie handeln im Auftrag der Politiker. Will sagen, dass damit die gesamte Schuld der Politik zuzuschreiben ist. Magomed behauptete, die Kontraktniki seien in russischen Strafvollzugsanstalten geworbene Gewaltverbrecher, denen Haftverschonung versprochen wurde, wenn sie sich in Tschetschenien bewähren würden. Und er behauptete weiter, dass viele willkürlich in seiner Heimat inhaftierte Landsleute ohne Gerichtsverfahren unter die Kriminellen in den russischen Gefängnissen gemischt würden.
Zum typischen Bild in tschetschenischen Dörfern gehören Frauen, die mit bis zur Präzision ausgebauten Karren Wasser holen. Manchmal schleppen sie auch Wassereimer mit einem Schultertragegestell. Damit verbringen sie oftmals den halben Tag.
In Grosny versorgen sich die Leute mit Trinkwasser in den Kellern der zerbombten Häuser, die mit Müll zugeschüttet waren, aus leckenden Wasserleitungen.
Die Stromversorgung lag am Boden. Unsere OSZE - Gruppe hatte, um die Sat - Anlage, die Computer- und Fernmeldeeinrichtung betreiben zu können, ein Stromaggregat hinter dem Haus.
Die Notdurft wurde in einer Bretterbude entrichtet und alles fiel in eine Grube. Im Sommer war es da vor Ungeziefer und Fliegen kaum auszuhalten.
Grosny war völlig zerschossen und zerbombt. Ich möchte den Straßenzug sehen, dessen Kanalisation funktioniert. Die Abwasserrohre sind bereits innerhalb der Häuser verstopft.
Die Menschen, die in den Ruinen gar keine Existenzmöglichkeit mehr finden konnten, wurden evakuiert. Sie wurden nach Dagestan oder Inguschetien verbracht. Die meisten fanden dort Asyl bei Verwandten, andere mussten in den Flüchtlingslagern unterkommen.
Die Russen haben Erfahrungen in Umsiedlungen ganzer Völker. Sie haben die Tschetschenen und andere in den 1930-er Jahren in Viehwaggons getrieben und Richtung kasachische Steppe gefahren. Wer den Transport überlebt hatte, wurde irgendwo in der Steppe "in die Freiheit" entlassen. Man baute sich Hütten und überlebte ... irgendwie. In den 1950-er Jahren durften diese Leute erst in die Heimat zurück. Jedoch die meisten ihrer Häuser waren von Russen bewohnt. Erneut begann man von Null sich einzurichten.