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Die Hauptschule als Kern der Reform
ОглавлениеIn den ersten Ausformulierungen des Schulentwicklungsplanes wird ganz deutlich im Sinne des Dt. Ausschusses die Hauptschule als modernes Konzept der “Schule von morgen“ beschrieben, auch wenn sie dabei als begrenztes Konzept und Überleitung zu weiteren Reformen charakterisiert wird.
“Die Schule von morgen
darf keine Jahrgangsklassen haben, die nur dem Durchschnitt der Begabungen gerecht werden
muss Lerngruppen aus Schülern mit annähernd gleicher Leistungsfähigkeit für bestimmte Fächer bilden
muss Arbeitsgruppen aus Schülern mit ungleicher Leistungsfähigkeit für solche Fächer bilden, in denen es auf gleiche Leistungsfähigkeit nicht ankommt
muss Aufstieg oder Abstieg (Versetzung oder Nichtversetzung) in einem Fach durch Übergang in eine andere Kursgruppe mit höheren oder niederen Anforderungen regeln.
Schulen der Zukunft sind differenziert
nach der Begabungshöhe und Leistungsfähigkeit
nach der Begabungs- oder Neigungsrichtung.
Alles lässt sich nur verwirklichen, wenn die Trennwände zwischen der Volksschuloberstufe, der Realschule, der Unter- und Mittelstufe des Gymnasiums und der Berufsfachschule fallen. Die Schule von morgen kann am besten leisten, was die Gesellschaft von heute fordert, wenn eine neue Schulform entsteht: die Gesamtschule“ (Stadtschulamt Frankfurt (Hrsg.), Schulen der Zukunft — Heft 1, S.9)
Als eine solche Schule wurde für Frankfurt die Hauptschule nicht nur konzipiert, sondern auch konsequent eingerichtet. Mit in die Überlegungen ging die Tatsache ein, dass der verstärkte Trend zu weiterführenden Schulen in Frankfurt am Main dazu geführt hatte, dass die Mehrzahl der damaligen Volksschuloberstufen einzügig blieb. Um aber die nach Leistung und Neigung differenzierten Lerngruppen bilden zu können, benötigte man mindestens zwei, besser aber drei Züge. Untersuchungen, so die Planer, hätten ergeben, dass dreizügige oder sechszügige Hauptschulen besonders rationell seien, während zwei, vier oder fünf Züge nicht zur optimalen Raumausnutzung führten. Die Folgerung: Angestrebt wurde die Zusammenlegung von Oberstufen mehrerer Volksschulen in zentralen Hauptschulen. (Stadtschulamt Ffm., SEP 1, Ffm.1968, S.79)
Ostern 1966 wurden in Frankfurt die ersten Hauptschulen durch Zusammenfassung mehrerer benachbarter Volksschuloberstufen gegründet.
Dabei griff man auf erste Erfahrungen mit der Einführung des 9.Schuljahres in der Volksschuloberstufe zurück. Es war zunächst als freiwilliges 9.Schuljahr eingerichtet worden:
1955 die ersten Klassen in Hessen
1957 die ersten 3 Klassen in FFM
1962 bereits 16 Klassen = 15% der zur Entlassung kommenden Volksschüler .(a.a.O. ‚S.1)
Ursprünglich fand der Unterricht nur in der Volksschule selbst statt, Bildungspläne wurden von Arbeitsgemeinschaften erarbeitet, erprobt, verbessert und abermals erprobt - ein Vorlaufmodell für den späteren Ansatz der Rahmenrichtlinienentwicklung und -erprobung. Die Zusammenarbeit mit der Berufsschule wurde auf Anregung des damaligen Staatsekretärs im Kultusministerium, W. Müller in das Konzept aufgenommen. “Problematisch war von Beginn an die Heranführung der Schüler an jede manuelle Tätigkeit. “Musisches“ und “technisches“ Werken stritten um den Vorrang, die Einführung in die moderne Arbeitswelt blieb zunächst umstrittenes Unterrichtsfach. (a.a.O. ‚S.2)
Die Einführung als Pflichtschuljahr geschah 1963. In dieser Zeit setzte aber bereits schon ein Rückgang der Teilnehmerzahlen ein, da alternativ die 2jährige Berufsfachschule mit der Möglichkeit, den mittleren Abschluss zu erwerben, besucht werden konnte — für viele Schüler eine attraktive Alternative.
Das Konzept der inneren Gestaltung der neuen Schulform “Hauptschule“ versuchte vor allem dem Prinzip der Differenzierung gerecht zu werden. Der Unterricht in den Hauptschulen wurde erteilt als
Kernunterricht in Deutsch und Weltkunde
Kursunterricht in Mathematik und Englisch, z.T. auch in Rechtschreiben. “Es wurde jeweils ein Kurs mehr eingerichtet, als Klassen vorhanden waren. So entstanden leistungshomogene Arbeitsgruppen mit Frequenzen zwischen 25-35“. (Stadtschulamt Ffm. (Hrsg.), Schulen der Zukunft — Heft 4, S.13) Ein Kurswechsel während des Schuljahres war möglich.
Fachunterricht in Religion, Sport, Werken, Familienhauswesen, Naturkunde und Naturlehre, hier als Differenzierung nach Neigung zwischen Physik und Chemie. Die hier, z.T. auch wegen des Experimentalunterrichts gebildeten Gruppen sind leistungsheterogen.
Wahlpflichtkurse in Musik, Chor, Zeichnen.
Arbeitsgemeinschaften je nach Möglichkeit und Nachfrage in Naturwissenschaften, Musik oder kreativen Bereichen (Laienspiel, Foto)
Ab der 9. Klasse trat dann die Arbeitslehre hinzu, die in Zusammenarbeit mit der Berufsschule stattfand. Dieser Arbeitslehreunterricht, der von Berufsschullehrern erteilt wurde, war berufsfeldorientiert und eröffnete bei guten Leistungen den Weg zur Berufsfachschule und damit zur Mittleren Reife.
Schon in der Konzeption des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen von 1965 war Arbeitslehre das Herzstück der Hauptschule, der Kern der Reform gewesen. Sollte sie doch einen Weg eröffnen, die Schüler erfolgreicher auf die Anforderungen der Gesellschaft und der Zukunft vorzubereiten, als dies der herkömmlichen Volksschule möglich war. Ein Ansatz, der in der “Empfehlung zur Hauptschule“ der Kultusministerkonferenz vom Juli 1969 bestätigt wurde.
Für die Autoren des Schulentwicklungsplanes 1 für Frankfurt war diese größere Effektivität wesentliche Begründung für die angestrebten Veränderungen:
“Die verlängerte Schulzeit drückt manche Familie schwer, und sie verschlingt erhebliche Geldmittel. Dies lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Schule zwei Aufgaben erfüllt, die bisher kaum gestellt waren:
* alle Jugendlichen, die in die Arbeitswelt eintreten, sind durch Berufsorientierung darauf vorzubereiten;
* alle Jugendlichen, die sich bereits für ein Berufsfeld oder für eine Berufsgruppe entschieden haben, bekommen in der Schule eine breit angelegte Berufsausbildung. Die neue Schule wird diese Aufgaben erfüllen, wenn die bisherigen Berufsfachschulen durch Integration einbezogen sind. Die Einbeziehung der Berufsfachschulen bereichert zunächst die Hauptschule, später die Gesamtschule, durch Bildungsgüter aus Wirtschaft und Technik. Es werden Begabungen gefördert, die bisher in allgemeinbildenden Schulen vernachlässigt wurden (Stadtschulamt Ffm. (Hrsg.), Schulen der Zukunft, Heft 1, S.10)
Die Umsetzung der Planung begann eigentlich schon 1965 mit einem faktischen Integrationsversuch an der Wittelsbacher-Schule: Ab diesem Jahr wurden 12 Stunden des Unterrichts in Kursen wie in der Berufsfachschule und von deren Lehrern unterrichtet. Drei Berufsfelder waren vertreten: metallgewerbliches, kaufmännisches und hauswirtschaftlich-pflegerisches Berufsfeld. Gute Schüler(innen) sollten dann an einer Berufsfachschule ein 10. Schuljahr besuchen können und die “Mittlere Reife“ erlangen. Aber auch die anderen Schüler und Schülerinnen hätten, so stellt der Magistrat fest, für ihr künftiges Leben profitiert. Bemerkt worden sei eine deutliche Motivationssteigerung, da die Schüler das Gefühl hatten, etwas für das Leben Brauchbares zu lernen. Im weiteren Verlauf der Reform sollte daher eine Vorbereitung dieser Phase im 7. und 8. Schuljahr durch berufsorientierenden Unterricht sowie den Besuch verschiedener Berufsschulen geplant werden.
Darüber hinaus sollte die Differenzierung weitergeführt werden: “auch im 5. und 6. Schuljahr... wurde in Kern und Kurs unterrichtet. Neben den Fächern Deutsch, Weltkunde und Naturkunde, die im Kern zusammengefasst sind, werden Leistungskurse in Deutsch, Rechnen und Englisch erteilt, in der besten Gruppe von einer Realschullehrerin.“ (a.a.O.,S.13)
Dieser erste Ansatz wurde jedoch im Rahmen der Diskussionen um die Vorschläge des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen zur Ausgestaltung der Hauptschule bald modifiziert. Schon 1967 wurde ein Konzept von Arbeitslehre diskutiert, das — nicht nur in Hessen — für die zukünftige Entwicklung des Faches tragend wurde: Nicht die Orientierung auf Berufsfelder hin, die Hilfe zur unmittelbaren Berufsfindung sollte das Anliegen sein, sondern «Arbeitslehre als zeitgemäße Allgemeinbildung“. So formulierte denn 1967 F. Jahn für das Stadtschulamt Frankfurt ein Konzept, das ab 1969 in fünf großangelegten Versuchen an Frankfurter Hauptschulen erprobt wurde und für die Hessische Konzeption des Faches die Eckpunkte setzte. (vgl. hierzu: Jahn/Caspars/Nowozimski 1970 und Christian/Salg 1970)
“Die Folgerungen, die zuerst von den auf sich allein gestellten Praktikern für den Unterricht gezogen wurden, gingen in zwei Richtungen: Helfen wir den Jugendlichen bei der Berufsfindung - Überwinden wir ihre Schulmüdigkeit durch praktische Arbeit... Wir wissen heute, dass diese Konzeption didaktisch zu kurz gedacht war, aber wir dürfen auch feststellen, dass sie bereits in die wesentlichen Arbeitsgebiete vorstieß, die einer Hinführung zur Arbeitswelt adäquat sind.“ (Stadtschulamt Ffm. (Hrsg.), Schulen der Zukunft, Heft 3, S.17)
Trotz all dieser konsequenten und wegweisenden Entwicklungen galt die Hauptschule in den Planungen des damaligen Schuldezernenten Willi Cordt nur als Zwischenschritt zu einer weiteren Modernisierung des Bildungssystems, der Einrichtung von Schulzentren/Gesamtschulen ohne jedoch zunächst explizit zu einer bestimmten Form von Gesamtschule führen zu müssen. Dafür finden sich verschiedene Belege:
“Die Hauptschule ist eine notwendige Durchgangsstufe auf dem Wege zur Gesamtschule. Sie kann gebildet werden durch Integration von
* Volksschuloberstufen und Realschule
* Volksschuloberstufen und Berufsfachschule
* Volksschuloberstufen, Realschule und Berufsfachschule“ (Stadtschulamt Ffm. (Hrsg.), Schulen der Zukunft, Heft 1, S.1O)
“Im Gegensatz zur Grundschule kann die selbständige Hauptschule nur eine Zwischenlösung bilden. Der Dt. Ausschuss hat die Bildung von Förderstufen und damit die Möglichkeit zu einem um zwei Jahre verlängerten gemeinsamen Schulbesuch vorgesehen. Er möchte im Anschluss daran das traditionelle dreigliedrige Schulwesen beibehalten und lediglich die Übergänge zwischen den einzelnen Schularten verbessern. Hier wurde ein Kompromiss vorgeschlagen, der angesichts der Entwicklung des gesamten Europäischen Schulwesens nicht von Dauer sein kann.“ (Stadtschulamt Ffm. (Hrsg), SEP 1, S.78)
„Fernziel kann daher nicht die selbständige Hauptschule neben der Realschule und dem Gymnasium sein, vielmehr muss die integrierte und differenzierte Sekundarschule vom 5. bis zum 10. Schuljahr angestrebt werden... In der Zwischenzeit müssen arbeitsfähige Hauptschulen als Übergangslösung in Kauf genommen werden, die eine im 5. und 6. Schuljahr begonnene Differenzierung - als Förderstufe oder nicht - für die verbleibenden drei Schuljahre ausbauen“. (a.a.O. S.79)