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Nix krank

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Früher, wann immer das war, zuweilen scheint es, es sei vor Jahrzehnten gewesen, früher sprach man unter Kollegen und Freunden gelegentlich und ohne schlechtes Gewissen darüber, sich außerplanmäßig mal ein paar Tage Erholung zu gönnen, auszusteigen aus der Mühle der Arbeit, der blinden Mechanik des Weiter-so zu entrinnen – und krankzufeiern. Es durfte dann, so die Wahrnehmung dessen, der ja durch Abwesenheit letztlich der Wiederherstellung seiner körperlichen und psychischen Arbeitskraft diente, der Boß im Dienste der Produktivität, d. h. im Dienste seines Profits, ausnahmsweise ruhig selber mal eine Ecke schärfer buckeln.

Das Krankfeiern war eine Waffe, keine sehr spitze, aber ein Mittel, um diejenigen, die über die Produktionsmittel verfügen, ein wenig zu triezen. Noch früher, vor Jahrhunderten, erfreute sich der Blaue Montag unter Handwerkern so großer Beliebtheit, daß er regelrecht institutionalisiert wurde. Es gab einmal etwas, das man Klassenbewußtsein nannte, und sei es lediglich Ausdruck eines Restes an sozialem Stolz und Würde gewesen.

Heute herrschen die einen wie gewohnt, und die anderen beherrscht die Angst, die Angst, den Job, die materielle Grundlage ihres Lebens, zu verlieren. Wen noch die Gnade irgendeines »Arbeitgebers« ereilt, wer noch für ein paar Euro bei höchst prekären Arbeitsbedingungen ackern und rackern darf, darf froh und dankbar sein, dankbar seinem Ernährer, dem Unternehmer, den der große Demiurg, der Markt, schuf, auf daß der Terror, den sich die Menschen in der bedingungslosen Konkurrenz selbst zufügen, nie ende.

Es sind dies Zeiten, in denen der »objektive Geist« (Hegel) schamloser und rabiater denn je um nichts anderes als um Sekundärtugenden wie Selbstausbeutung und Unterwerfung rotiert, flankiert von sog. Philosophen (Norbert Bolz & Co.), die den Markt zum Heiligtum der Moderne erklären und seine »zivilisierende Funktion« preisen. Der Markt indes schert sich, das war schon immer so, einen feuchten Kehricht um seine Professoren und verwandelt die sog. Zivilgesellschaft vollends in einen Disziplinierungsapparat, angesichts dessen der (angeblich) Unproduktive endgültig nichts mehr zu lachen hat.

Der Berufsstand des Detektivs, der krankgeschriebene Lohnabhängige im Auftrag des Herrn observiert und gegebenenfalls des Betrugs am Betriebsvermögen überführt, ist hoch angesehen, und simultan erreicht die Zahl der Krankmeldungen einen historischen Tiefstand. Die Einschüchterung zeigt Wirkung, und wer ganz sichergehen will, ob er nun wirklich krank ist und dieser Verfehlung Rechnung tragen möchte, befragt den Think tank der Bourgeoisie, die Redaktion der Bild-Zeitung, die Tips erteilt, wann man sich wie krankmelden darf, nach Recht und Gesetz.

Ich für meinen Teil werd’ mal bei meiner Ich-AG anfragen, unter welchen Umständen ich das Recht in Anspruch nehmen darf, mich vor mir selbst krankzumelden. Die Zeit, bis mich eine Auskunft erreicht, bringe ich locker rum – auf dem Sofa liegend und ein altes Lied pfeifend: »Danke für meine Arbeitsstelle ...«

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