Читать книгу Anschwellendes Geschwätz - Jürgen Roth - Страница 18
Krautlese
ОглавлениеAusgerechnet Karl Kraus, dem maximal drei von hundert Katachresen und journalistischen Wortschlunzen durch die Lappen gingen und der solche Exempel für gedankliches Gekrautere mit dem Vernunftfuror des hochangestrengt Formbewußten zerpflückte und zerriß, hat sich dagegen verwahrt, Stilblüten »auszujäten«, das zeuge »von einem schlechten Geschmack, von einem, der da wünscht, daß in der Zeitung nur korrekte Phrasen wachsen. Stilblüten sind die glücklichen Ausnahmen, denen wir in der Wüste der Erkenntnis begegnen. Und ist es nicht von einer ergreifenden Symbolik, wenn einer Zeitung der Satz gelingt: ›Sterbend wurde sie ins Spital gebracht, wo sie einem toten Kinde das Leben gab.‹ Geschieht das nicht unser aller gemeinsamen Liebsten, der Kultur? Sterbend wurde sie in die Redaktion gebracht und gebar die Phrase. Ach, wer doch dem toten Kind das Leben gäbe! Er würde die Mutter retten.«
Kraus erblickte wenn nicht bereits in der »Kultur«, dann gewiß in der bekannten »Welthirnjauche« der phrasendrechselnden, darob eben sehr wohl unermüdlich Stilblütenbastarde erzeugenden Journalistik allen Anfang der Barbarei, und ohne garantiert allzuviel vom Wiener zu wissen, gelang dem ohnehin nicht üblen Frankfurter Schriftsteller Jörg Fauser mit seinem gleichgesinnten Verdikt zur allgemeinen »Kulturjauche« ein ähnlich gelagerter epistemischer Punch.
Aber beide sind jetzt widerlegt – zum einen durch die Zeitung der Heilsarmee, die sich Der Kriegsruf nennt, ab ovo für sprachliche Totalkollateraltreffer sonder Zahl geradestehen müßte und gleichwohl: in einer Ausgabe von immerhin zwölf Seiten augenscheinlich weder einen einzigen gravierenden grammatischen noch einen bemerkenswerten metaphorischen Harakirihieb zuwege bringt – und nur aufs schönste und korrekt z. B. von der »Aussendung der Kadetten« berichtet, bei welchem Jubelfest Erhabenes geschieht: »Durch beeindruckende Anbetungstänze wird das Schicksal der Menschheit dargestellt.«
Zum anderen widerspricht das Frankfurter Stadtteilperiodikum Das Blättche – übersetzt heißt »Feuilleton« ja nichts anderes als »Blättchen« – dem Wiener/Frankfurter Duo, und sei’s insbesondere durch seine »köstlichen« Chefinnen- und Kulinarkolumnen, in denen sämtliche Wörter am richtigen Satzplatz und in ordentlichstem Reih- und Satzglied herumstehen, etwa wie folgt: »Die Kollegin, die da immer mittwochs für uns so lieb Brote schmiert, fragte mich, wieviel ich denn wollte. Ich dachte kurz nach und bestellte ›drei Scheiben, mit Käse‹. Nun ging ich davon aus, drei Scheiben Brot belegt zu bekommen, die dann zusammengeklappt insgesamt drei halbe Brote ergäben. Was ich aber bald darauf in einem kleinen Paket in Händen hielt, waren sechs halbe doppelte Brote, die aus insgesamt drei doppelt belegten Brotscheiben, sprich insgesamt sechs Scheiben Brot entstanden waren. Seitdem denke ich darüber nach, daß drei Scheiben Brot eben nicht überall das gleiche sind.«
Kein Wort schießt da, bei aller verwirrenden Relativität der Welt und der Zahlen, ins ungestüme Kraut. Still blüht der Stil, ohne eine einzige blättrige Blüte hervorzutreiben. Um den Journalismus ist es also doch nicht allzu schlecht bestellt. Bzw. offenbar viel zu gut, zumindest in den Gärten seiner regionalen und religiösen Einfalt, sollte die Publizistik hier möglicherweise auch lediglich »Kultur als Käsestulle« (Jörg Fauser) präsentieren oder prolongieren. Oder andererseits und gewissermaßen vice versa wiederum wieder doch nicht?
»Jesus bietet sie an«, die »Pause« als Erholung vom kurrenten »Streß«, weist Der Kriegsruf schließlich doch noch den Weg, die Pause »als echte, kraftspendende, wohltuende Auftankphase mit Abladechancen«. Den Satz hätte sich Karl Kraus dann evtl. auch rausgezupft, und er hätte ihn eingetopft und auf die Werkstattfensterbank gestellt – auf daß er weiterblühe und gedeihe und in einer wohltuenden Arbeits- und Auftankpause in seiner abladend-erlösenden Chance zur Kraft- und Sinnfindung vollends begriffen und demzufolge heftig begossen werde.