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Mission Intervention

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Das war eine gute Nachricht. »Nicht selten wurde der rote Teppich ausgerollt«, berichtete die WELT am 4. Januar 2003 über die kurz zuvor getätigte Reise des Günter Grass in den Jemen – in ein von Stammesfehden heimgesuchtes, »bis an die Zähne bewaffnetes Land«, das sich »finanziell verausgabt« hatte: zum Wohle der zwölfköpfigen Delegation, zum Wohle der jemenitischen Tradition des Lehmbauhandwerks, der Grass als Gegenleistung für die entgegengebrachte Gastfreundschaft mit einer Spende in Höhe von 10.000 Euro das Überleben sichern will, und zum Wohle des Nobelpreisstaatsgastes im besonderen: »Das Reisegepäck gewann von Station zu Station an Gewicht: silberne Krummsäbel, Schmuck für die Gattin, eimerweise Honig und pfundweise Kaffee, Folklore und Kostbarkeiten.«

Von Gewicht waren auch die Worte, die Grass, der »übrigens unerschrocken und mutig« das »wunderschöne Land« durchkreuzte, zwischen islamoradikal-präsidialer Ordensverleihung, Wasserpfeifenrunde und Bankett an arabische Dichterkollegen und, in einem Interview mit dem TV-Sender Al Dschasira, an die Welt richtete. Erst wollte er »unverblümt über Erotik in der Literatur sprechen«, dann äußerte das sonnige Gemüt beim Fernsehen: »Ich bin dafür, daß wir jetzt alle nackt baden gehen.« Das mochten sie zwar nicht, dafür liegt Grass nun eine Einladung in den Irak vor. Die Reise war ein voller Erfolg.

Baden hingegen ging wenig später die Mission des Menschenrechtstrios Günter Wallraff, Rupert Neudeck und Norbert Blüm. Diese drei guten Geister wollten gleichfalls eine Reise tun, nach Tschetschenien und Inguschetien. Es kam jedoch nur zum Anreisen. Die Behörden am Moskauer Flughafen verweigerten der trinitätischen Betroffenheitstruppe ohne Angabe von Gründen die Einreise. »Die Jungs waren ausgesprochen ruppig«, erzählte Blüm als pars pro toto der Menschenrechtsvertreter der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (12. Januar) und erklärte der Heimat das gemeinsame, leider gescheiterte Ansinnen: »Wir wollten Berichten nachgehen, denen zufolge die russische Armee dort die Menschenrechte verletzt.«

Es blieb also bei einem Zeitungsgespräch und einem schmukken Photo mit drei verkniffenen Gesichtern. Aber die Absicht zählt.

Ohne Einladung und somit auf ganze eigene und uneigennützige Initiative war derweil eine elf Frau und Mann starke Gruppe rund um die Tübinger Gesellschaft »Kultur des Friedens« gen Irak aufgebrochen, um nicht zu intervenieren, sondern um sich mal ganz global zu solidarisieren oder vielleicht doch eher zu sondieren, was so los und wie die Lage ist. Die Frankfurter Rundschau zitierte unter der sehr richtigen Überschrift »Kultur & Engagement« das prominenteste Mitglied der höheren diplomatischen Kurzzeitvereinigung, Liederhannes Konstantin Wecker: »Wir möchten den Menschen in Deutschland berichten, was wir dort gesehen haben, und für den Frieden werben.« Außerdem wollte er den Menschen in Bagdads und Basras Kulturhäusern, Kliniken und Universitäten beweisen, »daß es auch westliche Menschen gibt, die keine Waffeninspekteure sind«. Diese Menschen sind freigiebig, weil sie Spielzeug und Gitarren mitbringen und ein Gratiskonzert geben. »Die Mission der Reise«, erweiterte Wecker live aus Bagdad gegenüber der taz (15. Januar) allerdings die Motive seiner Handlungsweise, »war nicht das Konzert. Ich möchte diesen Krieg verhindern.« Für die Zeit danach kündigte er weiteren Einsatz an: »Ich will beispielsweise in Bibliotheken nachfragen, ob sie alte Noten haben, die wir hierher schicken können.«

Während Wecker und die aufrechten zehn ein »Friedenssignal« (Frankfurter Rundschau) setzten, hißten schon im Dezember 2002 dreiunddreißig »Hamburger Künstler« die Kriegsfahne und schalteten im Hamburger Abendblatt eine Annonce, mit der sie sich für einen Baustopp bei der Airbus-Werkserweiterung im Stadtteil Finkenwerder stark machten. Die Philippika, die u. a. der Filmregisseur Hark Bohm unterzeichnet hatte, klagte die Hinterlist der Hamburger Politik an, die im Vorfeld und vollen Wissen Öffentlichkeit und Gerichte über die wahren Absichten des Luftfahrtunternehmens getäuscht habe, über eine dem Planfeststellungsverfahren zuwiderlaufende Verlängerung der Start- und Landebahn z. B. oder die Zuschüttung des Naturschutzgebietes Mühlenberger Loch.

Ausgesprochen angesprochen und angegriffen fühlte sich darob der ehemalige, an der Planung federführend beteiligt gewesene SPD-Wirtschaftssenator Thomas Mirow (gegen ihn wurde Anzeige wegen Betrugs erstattet). Er schlug zurück, veröffentlichte im Abendblatt vom 16. Dezember einen offenen Brief an seinen Freund, den »lieben Hark«, und entkräftete die Vorwürfe betreffs einer angeblichen »Lex Airbus« (erschlichene Gemeinnützigkeit usf.), diverser Mauscheleien im Aufsichtsrat und etwaiger »Katastrophenszenarien«, um zu schließen: »Künstlerinnen und Künstler sind wichtig für unsere Gesellschaft. Mir liegt deshalb an der Möglichkeit zum offenen Gespräch über Tatsachen und Meinungen anstelle von bösen oder gar bösartigen Unterstellungen.«

Das ließ sich Hark nicht zweimal sagen und zeigte, was eine Harke ist. Am 20. Dezember legte er in eigener Mission und einem nicht nur betroffenen, sondern offensichtlichst auch besoffenen offenen Brief via Abendblatt seine Meinungen und Tatsachen dar. »Lieber Thomas«, weinte es da aus dem Armenviertel, dem Elbvorort Großflottbek, wo dem Bohm sein Häuschen prangt, »meine Tochter, die zwei Kilometer weiter elbwärts in der Schule sitzt, wird dreimal kurz hintereinander aus dem Unterricht gerissen. Und mit ihr mindestens 3.000 andere Kinder.« Schuld seien die mit »Vollgas« und voll niedrig über ihn, Hark, und 3.000 andere Kinder hinwegfliegenden Flieger, die viel »Abgas« ausspien und ein immenses »Absturzrisiko« darstellten. Außerdem seien bloß 2.000 statt, wie versprochen, 4.000 Arbeitsplätze geschaffen worden, und die »demokratische Moral« verletze vollends, daß diese Garantie von ihm, dem Thomas, bewußt vorgeschoben worden sei: »Auf eine unverbindliche Zusage hin belastet der Staat Hamburg meine Familie mit Lärm und Dreck [...]. Er verwandelt das schönste Stück englisch-hanseatischer Gartenkultur, den Jenischpark, zu einer ungenießbaren Einflugschneise. Er zerstört den Strom Elbe, der die identitätsstiftende Metapher für meine Heimat Hamburg liefert. Der Staat zerstört die Heimat meiner Familie. Gerade als Sympathisant der Sozialdemokratie fühle ich mich bitter enttäuscht.« Und das, Hand auf die Metapher des Staates der Sozialdemokratie, der ohne Identität Harks Familie zur Ungenießbarkeit des Lebens ausliefert, »treibt uns Künstler auf die Barrikaden«.

Weshalb sich Hark (63, Film) von Thomas und seiner verlogenen Sozialdemokratie (sie »verhöhnt den Rechtsstaat«) ab-, dem Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (62, CDU) zuwandte und einen wirtschaftspolitischen Überfliegerkatalog aufstellte, der u. a. konzis forderte, nur klitzekleine und moderat-mittlere Airbusse zu produzieren und dies zu tun: »Rückführung des Mühlenberger Lochs in ein Naturschutzgebiet. Nutzung des ins Mühlenberger Loch geschütteten Sandes für den Bau eines Olympiastadions an anderer Stelle.«

Was lehrt uns all das? Der deutsche Intellektuelle ist auf dem Vormarsch und zur Stelle, regional und global – als organischer Intellektueller, wie ihn Gramsci verstand, als in die Produktion eingreifender und für Gerechtigkeit sorgender Aufmischer, Rumtreiber und Freund des Volkes.

Das ist ein Fortschritt.

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