Читать книгу Das bunte Leben eines einfachen Seemanns - Jürgen Ruszkowski (Hrsg.) - Страница 7
ОглавлениеGroße Fahrt als Decksjunge nach Afrika
Nachdem ich den Heuerschein und das Seefahrtsbuch beim 1. Offizier abgegeben hatte, wurde mir meine Kammer, die im Achterschiff unter Deck lag, und die ich mit einem zweiten Decksjungen teilen musste, gezeigt. Ich begann, meinen Seesack zu leeren, alles einzuräumen und lernte auch den anderen Decksjungen kennen. Dieser war schon vier Monate an Bord und machte mir gleich unmissverständlich klar, dass es sein Privileg wäre, die untere Koje benutzen zu dürfen. Ich musste also in die obere ziehen, was mir aber gar nichts ausmachte. Mein Kammerkollege zeigte mir an diesem Tage noch so einiges vom Schiff, auch führte er mich in meine Arbeit ein, und dabei kam die erste Überraschung für mich. Dachte ich doch tatsächlich, ich könne am nächsten Tag an Deck die nötigen Arbeiten verrichten bzw. sie erlernen, so machte er mich mit Arbeiten vertraut, die zwar oben an Deck, aber innen in der Mannschaftsmesse zu erledigen waren, grob gesagt, ich war die Putzfrau, der Kellner, der Essenholer, kurz gesagt, der „Moses“ eben.
Die Üngültigmachung der linken Seite des Seefahrtbuchs war erforrlich, als sich später 1962 mein Aussehen so verändert hatte, dass ein neues Bild eingefügt werden musste.
In den kleinen Aufbauten am Heck des Schiffes befanden sich neben der Messe für das Mannschaftspersonal nur noch einige Abstellräumlichkeiten. Die Messe, in der die Decks- und Maschinencrew zusammen, aber an getrennten Tischen die Mahlzeiten einnahmen, war mein Revier. Mir wurde gezeigt, wie ich zu den Mahlzeiten aufdecken musste, wo sich das Inventar befand und welche Rituale beim Essenholen zu den Hauptmahlzeiten beim Koch vor der Kombüse mittschiffs herrschten. Alle waren freundlich und zuvorkommend, zumindest noch hier in Hamburg.
Nach zwei Tagen verholten wir in ein anderes Hafenbecken, wo wir Stückgut luden. Von all dem bekam ich aber nicht viel mit, zu eingebunden war ich in mein Tagwerk und zu groß auch meine Angst, schon gleich etwas verkehrt zu machen. Als wir drei Tage später ausliefen, war ich mittlerweile alleine für die Mahlzeiten und das nötige Nebenbei verantwortlich. Ich musste ab jetzt dreizehn Leute der Decksbesatzung und sieben Mann des Maschinenpersonals bedienen und für sie das Essen von mittschiffs aus der Kombüse holen.
Wir befanden uns längst auf See, als ich das Ziel der Reise erfuhr. Nach Zuladungen in Bremen, Amsterdam und Bordeaux sollte die Reise nach Westafrika gehen, mit verschiedenen Löschhäfen, die mir zu damaliger Zeit alle unbekannt waren.
In Bremen bekamen wir eine Vielzahl von Kisten und Kasten an Bord. Von der eigentlichen Beladung sah ich aber nicht viel. Ich musste beim Essenholen nur immer aufpassen, wenn ich über Deck nach mittschiffs zur Kombüse ging, musste immer die dem Land abgewandte Seite wählen. An einen Landgang war überhaupt nicht zu denken. Erstens hatte ich kein Geld und zweitens war mein Dienst erst abends um 19 Uhr beendet. Danach ging’s ab unter die Dusche und dann in die Kammer zur Unterhaltung mit dem anderen Decksjungen und dann ab in die Koje, denn morgens um 6:30 Uhr musste ich schon wieder aufstehen.
Der Tagesablauf im Hafen beim Lade- oder Löschbetrieb sah für mich folgendermaßen aus: Die Schichten der Hafenarbeiter begannen um 6 Uhr morgens. Dann waren schon einige der Besatzungsmitglieder an Deck, um das Ladegeschirr richtig zu stellen bzw. die Luken vorher zu öffnen. Deshalb war morgens meine erste Arbeit, diese Leute mit Kaffee zu versorgen, vorher musste ich aber erst einmal die Unordnung der Nacht beseitigen. Es war bei den Seeleuten so üblich, dass sie, wenn sie nachts von Land kamen, sich oftmals noch in der Messe aufhielten, um sich noch selbst was zum Essen aus dem Kühlschrank zu holen oder sich eine Tasse Kaffee zu machen. Die Überreste nächtlicher „Gelage“ durfte ich dann morgens als erstes beseitigen. Danach wurde für das Frühstück aufgedeckt, was um 7:30 Uhr begann. Kurz vorher musste ich über Deck nach mittschiffs zum Koch und die Mahlzeiten dort in speziellem Geschirr abholen und bei jedem Wetter über Deck nach achtern tragen.
Üblicherweise gab es jeden morgen an Bord eine warme Mahlzeit, seien es Frikadellen, Eier in jeder Form, auch mal Bratwurst oder Würstchen, mal ein Kotelett, dazu natürlich mehrere Sorten Brot, viele Sorten an Wurst und immer Butter. Margarine war an Bord unbekannt. Dazu bekamen wir Kaffee bis zum Abwinken. Ich musste immer aufpassen, dass genug auf den Platten war. Selbst musste ich bei der Nahrungseinnahme immer zurückstehen, war immer als Letzter dran. Hatten alle gegen 8:00 Uhr fertig gefrüh-stückt, begaben sie sich an ihren Arbeitsplatz an Deck oder in die Maschine.
Jetzt begann für mich das große Saubermachen. Alles musste abgeräumt und gereinigt werden, das Geschirr wieder eingeräumt, Reste von Wurst und Käse in den Kühlschrank gelegt werden.
Der Tisch, an Bord Back genannt, musste piekfein gesäubert und auch der glatte Fußboden gewischt werden. Zwischendurch blieb kaum Zeit für einen Blick an Deck, wo doch hier in Europa alle Ladung für die afrikanischen Häfen an Bord gehievt wurde, was mich durchaus interessierte. Aber ich würde sicher später noch genug Gelegenheit bekommen, den Lösch- und auch Ladebetrieb kennen zu lernen.
Um 10:00 Uhr war schon wieder Kaffeezeit. Alle Utensilien, wie Kaffeebecher, Teelöffel, Milch und Zucker mussten parat stehen, wenn die Decksbesatzung und auch das mitunter arg ölverschmutzte Maschinenpersonal pünktlich in der Messe eintrudelten. Jetzt musste der Kaffee fertig sein, denn viel Zeit war nicht für diese Pause der Besatzung. Jeder wollte gerne der erste sein, der sich aus der übergroßen Kaffeekanne einschenkte, natürlich herrschte auch hierbei die an Bord übliche Hierarchie.
In dieser Hierarchie stand ich ganz unten, deshalb durfte ich auch sofort, nachdem die Mannschaft die Messe wieder verlassen hatte, erneut mit dem Saubermachen beginnen. Alles musste abgewaschen, alles wieder in die Schubladen und Schränke eingeräumt werden.
Und weiter ging es auch in den Gängen im gesamten Achterschiff. Auch hier musste ich fegen und feudeln. Die Handläufe mussten abgewischt werden. Beim Hinaustragen von Eimern mit Müll zur an Deck stehenden Tonne mit Abfall, die damals erst immer auf See geleert wurde, stieß ich mir immer noch die Schienenbeine wund an den hohen Einstiegssüllen, die ein Eindringen von Wasser in die Unterkunftsräume verhindern sollten. Aber das würde sich schon geben, wie man mir sagte.
Inzwischen ging es auf die Mittagszeit zu, und ich musste langsam daran denken, wieder die Backen herzurichten, Teller, Messer, Gabel, Löffel bereit legen und das Tragegestell mit den Essenstöpfen hervor holen. Pünktlich um 12:00 Uhr dann musste das Essen, welches ich zeitig genug aus der Kombüse mittschiffs zu holen hatte, achtem in der Messe auf der Back sein. Viele hungrige Mäuler bedienten sich mit großem Appetit. Mein Augenmerk musste sich immer auf eventuellen Nachschub richten, denn viele aus der Mannschaft waren mit einem Schlag nicht voll zufrieden, sondern nahmen auch manchmal einen zweiten Nachschlag. Ich jedenfalls war dauernd in Bewegung, allerdings nicht, ohne auch meinen Teil zu mir zu nehmen.
Im Hafen hatte die Decksbesatzung bis 13:00 Uhr Pause, die Restzeit der Stunde nach dem Essen verbrachten die Leute meist in der Kammer oder saßen bei gutem Wetter an Deck, ehe auch für sie wieder die Arbeit begann.
Das Schlimmste für mich war, dass noch Leute nach dem Essen in der Messe sitzen blieben, denn das brachte meinen Zeitplan beim Saubermachen doch etwas durcheinander. Platz machte mir damals vor 13:00 Uhr keiner, und ich wollte schnell fertig werden, denn meine Pause begann nach dem Säubern der Messe und dauerte bis zur Nachmittagskaffeezeit, die für 15.00 Uhr angesetzt war.
In den ersten Wochen meiner Fahrzeit, in der noch alles neu war, nutzte ich diese Pause, um mich ein wenig an Deck umzusehen oder auch einfach nur, dem Ladebetrieb zuzusehen.
Das Kaffeekochen, eine der Hauptbeschäftigungen, begann dann schon wieder um 14:30 Uhr. Dazu wurden wieder Kaffeebecher mit Löffeln aufgedeckt, Milch dazugestellt, bevor die Matrosen, Leichtmatrosen, Jungmänner und mein Kammerkollege sowie die Maschinenleute in der Messe erschienen. 15 bis 20 Minuten Kaffeepause, Gespräche über Gott und die Welt, und ich war schon wieder mitten drin. Alles abdecken, abwaschen, wegräumen sowie fegen und feudeln, reine Routine. Aber es lag ja nur noch eine Mahlzeit vor allen.
Um 15:30 Uhr war ich wieder mit der Arbeit alleine, wieder alles abräumen, abwaschen, wegräumen. Danach war auch mal Zeit, aus der Kombüse Nachschub an Wurst und Käse zu besorgen, auch Brot und Butter mussten ständig aufgefüllt werden.
Gegen 17:30 Uhr wurde dann wieder aufgedeckt, aus der Kombüse wieder etwas Warmes geholt und alle Decksbesatzungsmitglieder sowie das Maschinenpersonal erschienen zum letzten Gefecht für diesen Tag, nur mit dem Unterschied, dass sie schon Feierabend hatten und frisch gewaschen in der Messe erschienen. Ich hatte dann das Vergnügen, wieder alles abwaschen zu dürfen, alles wegzuräumen, kurz durchzufeudeln. Dann erst wurde auch für mich das Wort „Feierabend“ zur Wirklichkeit.
Die Liegezeit in Bremen war nicht lange, weiter ging es nach ein paar Tagen in Richtung Amsterdam, ein Katzensprung nur.
Amsterdam
Hier erhielten wir wieder Mengen Ladung in alle Luken für Afrika. Es war zu der Zeit sehr schlechtes Wetter, die Decksbesatzung schimpfte, da abends nach Ladeende immer alle Luken mit Regensegeln dicht gehängt werden mussten, bei gutem Wetter konnten die Lukenöffnungen einfach bis zum nächsten Morgen offen bleiben.
Diese Schlechtwetterperiode betraf mich auf den ersten Blick eigentlich gar nicht, ich war ja im Trockenen. Allerdings musste ich ja immer das Essen von mittschiffs aus der Kombüse holen, ca. 45 Meter über Deck, was manchmal voller Stauholz oder abgelegter Scheerstöcke lag. Es war wirklich manchmal eine richtige Kletterei - und wehe, ich fiel mal hin! Wegen mir war es nicht schlimm, aber das Essen! Dazu gibt es eine Episode, zu der ich später einmal etwas berichten werde. Von der Stadt Amsterdam habe ich bei diesem Aufenthalt leider nichts zu sehen bekommen, aber das holte ich später nach.
Der Seetörn nach Bordeaux war schon etwas länger. Hier ging es stundenlang den Gironde-Fluss hinauf. Das erste Mal hatte ich Gelegenheit, versenkte Schiffe, die aus dem Wasser ragten, als Kriegshinterlassenschaft zu sehen. Hiervon hatte ich schon vor Jahren gelesen, hätte aber nie gedacht, dass sie immer noch hier liegen würden. Bordeaux war der erste Hafen, in dem ich Gelegenheit hatte, in der Mittagspause an Land zu gehen. Leider war die Zeit zu kurz, um viel zu sehen. Interessanterer war der Hafen. Bordeaux war und ist ein Tidehafen. Der Tidenhub beträgt fast acht Meter, und ich konnte mit Erstaunen das Schiff fast auf dem Grund liegen sehen.
Bordeaux
Hier in Bordeaux wurde die Ladung an Bord genommen, die in den ersten Löschhäfen wieder entladen werden sollte. Dies sollte unter anderem Dakar in Westafrika sein. Auf einer Landkarte konnte ich mir schon mal ansehen, wo es lag.
Nach einigen Tagen, in denen mein Verhältnis zu den übrigen Besatzungsmitgliedern immer besser und intensiver wurde, verließen wir Bordeaux, und die Reise nach Westafrika begann.