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Ostasienreise mit der „ELISABETH BORNHOFEN“

Schon am nächsten Morgen war ich auf dem nahe gelegenen „Heuerstall“ und versuchte mein Glück. Allerdings war das Schicksal mir nicht hold, ich bekam kein Schiff. Die folgenden Tage flossen so dahin. Abends saß ich im gegenüberliegenden London-Haus in einer Kneipe, die es wohl heute auch noch gibt. Hier wurde mein Geldbeutel dann schnell ganz mager. So war ich froh, dass meine Besuche auf dem Heuerstall am 10.11.1957 endlich Erfolg hatten und ich einen Tag später auf dem Motorschiff „ELISABETH BORNHOFEN“ als Decksjunge einsteigen konnte.


Es war ein Stückgutschiff mit Zwischendecks und noch einem Wellentunnel in den Luken 4 und 5, welcher später noch einmal eine Rolle spielen sollte. Der 2. Offizier brachte mich persönlich nach achtern und übergab mich dem Bootsmann mit Namen Rudi Schlag, einem Zwei-Meter-Monstrum, aber ausgestattet mit gutem Gemüt. Mir wurde eine Kammer zugeteilt, in der noch ein Decksjunge schlief. Ich hatte schon die Befürchtung, wieder als Backschafter wirken zu müssen. Meine Sorge wurde aber vom Bootsmann zerstreut, denn er meinte, ich solle mal erst meine Sachen auspacken und dann am nächsten Tag morgens um halb acht in der Messe erscheinen.

Dieser erste Abend wurde von mir genutzt, um den anderen Moses, der ja offensichtlich Backschafter spielen musste, nach den Geflogenheiten auszufragen, die an Bord so herrschten.

Er erzählte mir dann allerhand von diesem und jenem. Mir kam im Vergleich zu meinen Erfahrungen auf der STECKELHÖRN alles sehr bekannt vor. Seine Erzählungen deckten sich haargenau mit meinen Erlebnissen. Heute würde ich sagen: Da saßen zwei arme Schweine zusammen, die doch eigentlich keine, aber auch noch gar keine Ahnung hatten!

Der nächste Morgen begann mit dem Frühstück in der Messe. Hier war fast alles genauso wie auf meinem ersten Schiff. Mein Kammerkollege zeigte mir einen Platz, der garantiert frei war, und nach und nach kamen alle Besatzungsmitglieder von Deck und ebenso die Reiniger und Schmierer sowie der Storekeeper zum Frühstück. Bei den Tischgesprächen, die geführt wurden, konnte ich natürlich nicht mithalten. Ich war schlau genug, meinen Mund zu halten, um nicht irgendwas Unpassendes zu äußern. Einige der Junggrade interessierten sich für meine letzten Hafenaufenthalte mit meinem ersten Schiff. Ansonsten hielten sich die Begrüßungsakte in Grenzen.

Um 8:00 Uhr ging es dann endlich an Deck. Ich bemerkte, wie die Hafenarbeiter Stückgut in die verschiedenen Luken verstauten. Meine erste Aufgabe war es, mit einem Leichtmatrosen zusammen Stauholz von den an Deck gestapelten Holzlukendeckeln zu nehmen und, von einem Stropp umgeben, an der Wasserseite im Gangbord zu stapeln. Weiterhin musste ich in Luke 1 mit nach unten ins Zwischendeck. Der Unterraum war voll, jetzt musste angedeckelt werden. Zum ersten Mal habe ich auf die schwer zu verschiebenden Scheerstöcke geschimpft. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Und alles ohne Arbeitshandschuhe! Ein Matrose, der meine Hände als gefährdet erkannte, gab mir freundlicherweise ein paar nagelneue Arbeitshandschuhe, ich aber musste erst mal lernen, damit zu arbeiten. Bei dieser Arbeit des Zwischendeckandeckelns wurde mir auch bewusst, wie unfallträchtig es wohl sein musste, wenn der Unterraum nicht, wie jetzt, bis fast obenhin voll Kisten war, sondern leer. Schnell begriff ich, dass die Arbeit hier dann ganz schön gefährlich sein konnte.

Der erste Arbeitstag verging sehr schnell: Kein Antreiben, immer mal eine kurze Verschnaufpause zum Rauchen, die offizielle 20-Minuten-Pause um 10 Uhr, pünktlich um 12:00 h Mittag, nachmittags noch mal Kaffeepause und pünktlich Feierabend.

So etwas war ich ja nun wirklich nicht gewohnt. Dann das Erlebnis in der Messe: Alles wurde mir vorgesetzt, ich brauchte nicht nach Mittschiffs und Essen holen, das war jetzt vorbei, so hoffte ich jedenfalls. Und dann der Feierabend. So früh schon nicht mehr arbeiten, waschen, umziehen. Jetzt war Freizeit, und das schon so früh, unglaublich! Dass es auch noch anders kommen könnte, dessen war ich mir gar nicht bewusst.

Abends schloss ich dann immer mehr Freundschaft mit dem Moses-Kollegen, der mir auch irgendwie leid tat, aber: Was sein muss, muss eben sein.

Vier weitere Tage vergingen mit Arbeiten an Deck: Luken im Zwischendeck andeckeln. Immer mehr merkte ich die Ähnlichkeiten zum Alltag auf der STECKELHÖRN, der ich wahrlich nicht nachtrauerte.

Jetzt wird es richtig ernst

An Land bin ich an diesen Tagen nicht einmal gekommen, wie auch, Geld hatte ich kaum noch - und Bier hatte sogar der Moses. Auch ein Jungmann, der schon fünf Monate an Bord war, hatte reichlich Holsten-Export unter der Back stehen. Ich merkte sehr schnell, dass man sich wegen des Eigentumsrechts nicht so anstellte, mit anderen Worten, Seeleute waren zu der Zeit recht freigiebig, das schloss Bier und Zigaretten ein.

Irgendwann an einem Mittag ist das Schiff dann ausgelaufen. Ich musste mit auf die Back. Jetzt nahm ich zum ersten Mal bewusst wahr, was alles erforderlich war, um alle Landverbindungen zu lösen. Allerdings hatte ich nicht gerade viel zu tun. Mir wurde aufgetragen, die Drahtleinen, die mit Spillkopfhilfe eingehievt wurden, gleich auf die handbetriebene Trommel aufzudrehen, reine körperliche Schwerstarbeit, desto mehr Draht auf die Trommel kam. Weiterhin durfte ich mit Hand anlegen beim Aufschießen der Manila, alles musste schnell gehen. Als alle Leinen an Bord waren, genoss ich das Ablegen des Schiffes vom Kai.

Elbabwärts ging es nun in Richtung See. Bremen sollte unser nächster Ladehafen sein. Noch auf der Elbe wurden die Ladebäume heruntergelassen, wieder eine neue Erfahrung für mich. Ich durfte, bzw. musste beim Fieren des Baumes, das von einem Ma-trosen an der Winch verrichtet wurde, die Backbord-Gei einholen und darauf achten, dass der herunterkommende Baum nicht ausschwenkte. Da gutes Wetter herrschte, wurde nicht groß seeklar gemacht, der Seetörn aus der Elbe heraus und bald darauf wieder in die Weser war ja nicht lang.

Angekommen in Bremen machten wir im Europahafen fest. Hier lag alles voller großer Schiffe, einige der Schornsteinmarken waren mir bekannt, diese Reedereifarben hatte ich schon auf meiner Reise mit der STECKELHÖRN gesehen. Hier in Bremen blieben wir nur zwei Tage. An beiden Tagen musste ich beim normalen Tagewerk immer an der Seite eines Matrosen bleiben und sollte immer nur aufpassen und somit registrieren, was alles zu tun war. Der Matrose, ein umgänglicher Enddreißiger, war schon seit über einem Jahr auf der ELISABETH BORNHOFEN, erzählte mir aber wenig von den Häfen, in denen das Schiff vorher schon überall war.

Im Beisein des bulligen kleinwüchsigen Vollgrades musste ich dann auch schon mal selbständig morgens die deutsche Flagge anknoten und hoch holen, an Deck aufklaren und so manche für mich völlig neue Arbeitsgänge erledigen, aber alles ging ohne Hast und Eile.

An abendlichen Landgang war nicht zu denken. Ich war nach Feierabend fix und fertig. In Anbetracht all der vielen neuen Eindrücke trank ich am Abend zusammen mit meinem Kammerkollegen, der ja gezwungener Weise viel später Feierabend hatte, noch einige Flaschen Bier, und es wurde ein wenig erzählt und sich dann zur Ruhe begeben.

Nach der Beladung in Bremen ging es die Weser abwärts in die Nordsee in Richtung Amsterdam, auch nicht gerade eine lange Reise. Für diesen Törn waren alle Luken angedeckelt und mit nur einer Persenning abgedeckt und auch verschalkt worden, die Bäume wurden alle heruntergelassen und die Geien festgesetzt. Bei diesen Arbeiten brauchte ich nur kurz aufzupassen, wie es gemacht wurde, dann konnte ich schon selbst mit anpacken und stand nicht dumm in der Gegend herum, wie man so sagt. Auch beim Ablegen wusste ich jetzt schon, was alles zu tun war und packte immer sofort mit an.

Schon weit vor dem Einlaufen in den Hafen von Amsterdam wurden die Bäume wieder aufgestellt und die Persenninge von den Luken genommen, die ganze Decksbesatzung, außer dem Rudergänger, war im Einsatz. Angekommen am Liegeplatz in Amsterdam wurden die Bäume, die ganz hoch gestellt waren, zu der dem Land abgewandten Seite verbracht, damit sie den Kränen, mit denen hier die Ladung an Bord gebracht werden sollte, nicht im Wege waren.

Nachdem die Lukendeckel wieder in Stapeln an Deck lagen und die Scheerstöcke verschoben, waren wir ladebereit, und alsbald begannen auch die Verladearbeiten. Kisten und Kasten, Maschinenteile, deren empfindliche Teile sorgfältig verpackt waren, einiges Sackgut und auch viele Fässer kamen an Bord und verschwanden in den einzelnen Luken.

Gegen 16:30 Uhr war für mich Feierabend, schnell gewaschen und umgezogen, dann ging ich mit einem Jungmann an Land. Geld hatte ich nicht einen Cent in der Tasche, aber der Jungmann hatte mir einige Biere auf seine Kosten in Aussicht gestellt. Wie nicht anders zu erwarten, landeten wir nicht in den kulturell ansprechenden Stadtgegenden, sondern saßen schon kurze Zeit später in einer Kneipe namens „bij Marion“. Mein Begleiter war hier bekannt, seinen Erzählungen zufolge war er hier schon das dritte Mal und hatte sich wohl Chancen ausgerechnet bei der dunkelhaarigen Marion. Wie viele Jungmänner hatte diese wohl schon durch ihr fabelhaftes Aussehen geködert? Auf jeden Fall schmeckte uns das Heineken-Bier und wir bewunderten beide die vielen Geldscheine aus aller Welt, die von der Wirtin an den Tresenüberbau geklebt worden waren.

Nach noch einigen Besuchen in anderen Lokalitäten, die alle irgendwie ähnlich aussahen und ausschließlich mit Seeleuten bevölkert waren, zuckelten wir etwa gegen 23:00 Uhr wieder zurück an Bord, zu Fuß natürlich, für ein Taxi reichte es damals noch nicht.

Beim Vorbeigehen an der Mannschaftsmesse im Achterschiff sah ich, dass noch einige Matrosen darin saßen und diskutierten. Auf der Back standen etliche leere Bierflaschen und auch Brotbretter sowie Aufschnittplatten waren zu sehen. Unwillkürlich musste ich an den Moses denken. Ich wusste, dass er am nächsten Morgen alles aufklaren musste um anschließend zum Frühstück aufzubacken. Er würde fluchen und über die Verunreiniger schimpfen - genau wie ich vor noch gar nicht allzu langer Zeit. Aber Mitleid war jetzt nicht angebracht, es war nun mal so.

Der nächste Morgen begann nach dem Frühstück sogleich mit viel Arbeit. In verschiedenen Zwischendecks musste Stauholz ausgelegt werden, in einigen Unterräumen war alles bald voll. Dann musste schnell das Zwischendeck angedeckelt werden, damit zügig weitergeladen werden konnte.

Der zweite Abend hier in Amsterdam wurde von mir nicht zu einem Landgang genutzt. Ich hatte mich mit einem Messesteward angefreundet und verbrachte den Abend bei ihm in der Kammer, die mittschiffs lag. Er versuchte mich aufzuklären über die Eigenarten verschiedener Offiziere und auch über den Koch und die Kochsmaaten, mit denen er beruflich jeden Tag Kontakt hatte. Ich hörte mir alles ohne Kommentar an, was sollte ich auch sagen.

Letzte Station in Europa – Antwerpen

Unsere letzte Station in Europa sollte für dieses Mal Antwerpen sein, auch wieder nur ein Katzensprung von Amsterdam aus, trotzdem, auch hier wieder ein vorheriges Seeklarmachen, dann ging’s ab nach Belgien.

In der Nacht wurde ich plötzlich geweckt, mit dem Hinweis: „In einer halben Stunde Einlaufen Antwerpen“, und schon bald darauf stand ich auf der Back, voraus die Lichter der Schleuse vor dem Hafen. Es folgte das Festmachen in der Schleuse, Warten, Losmachen, und nach einer halben Stunde lagen wir mit Schlepperhilfe am Ladeplatz.

Noch in der Nacht wurden die Bäume wieder gestellt und die Luken geöffnet, dann war wieder Ausscheiden bis zum Frühstück, es waren aber noch gerade zwei Stunden bis dahin, also wurde es mit Schlafen nichts mehr.

Hier in Antwerpen kamen viele Händler an Bord, die uns allen etwas verkaufen wollten. Man konnte praktisch alles kaufen und brauchte sich auch wegen der Bezahlung keine Sorgen zu machen, die Händler, deren Shops immer in der Nähe des Hafens lagen, holten sich schon ihr Geld.

In den nächsten drei Tagen wurden die Laderäume endgültig mit vielen Kisten und auch einigen Sportwagen, die im Zwischendeck festgezurrt wurden, vollgeladen. Abends bin ich noch zweimal an Land gegangen, die Kneipen hier waren genauso einladend wie eintönig genau wie in Amsterdam, trotzdem lag ja immer der Reiz des Neuen in solchen Exkursionen, es war für mich eben noch alles unentdeckt.

Nach Ladeende wurden die Luken endgültig angedeckelt und drei Lagen Persenninge darüber gezogen. Schwierigkeiten bereiteten dabei die nach dem Ausrollen sehr steifen Persenninge, die an den Seiten eingeschlagen und nach Einklemmen der Schalklatten mit Keilen festgeschlagen wurden. Letzteres erledigte der Zimmermann, ein rechthaberischer blonder Weiberheld.

Die Bäume wurden heruntergelassen, auf die Deckstützen gelegt und hier gesichert. Alle drei Geien von jedem Baumpaar wurden abgeschäkelt und zusammengeholt, mit einem halben Schlag gegen ein Auseinanderfallen gesichert und dann in die jeweiligen Lukeneinstiege, immer in der Mitte der Deckshäuser ins Zwischendeck heruntergelassen.

Alle diese Arbeiten sollten sich in den kommenden Wochen und Monaten nach fast jedem Hafenaufenthalt immer wiederholen und gehörten zum allgemeinen Matrosenalltag, es war einfach unerlässlich in Hinsicht auf die Sicherheit von Schiff und Besatzung.

Und irgendwann war es dann soweit, alles war bereit, es hieß: „Klar vorn und Achtern“, und nach dem Hochdrehen und Beiklappen der Gangway (vorher musste noch das unter der Gangway angebrachte Sicherheitsnetz entfernt werden) wurden die Leinen losgemacht, mit Schlepperhilfe legten wir vom Kai ab, durchschleusten noch einmal, und bald darauf dampften wir in Richtung See. An Deck wurden noch einige Brooks voll kaputtem Stauholz für ein späteres Überbordwerfen zurechtgelegt, alle Manila-Leinen auf der Back wurden unter Deck verbracht und der normale Seetörn begann.

Die drei Wachen waren längst eingeteilt. Ich durfte leider nicht mit Wache gehen, musste als Tagelöhner täglich um 08:00 Uhr an Deck sein, hatte aber dafür auf See um 16:30 Uhr Feierabend, was ich in den nächsten Tagen sichtlich genießen sollte.

Da es jetzt mittlerweile Dezember war, waren die Temperaturen dementsprechend winterlich. Mitunter fegte einem ein eiskalter Wind um die Ohren, wenn man den Verrichtungen an Deck nachging. Das Wetter war auch noch im Englischen Kanal einigermaßen gut, aber in der Biscaya angekommen bekamen wir ordentlich einen auf die Nase. Bei diesem schlechten Wetter war Farbewaschen in den Gängen mittschiffs angesagt, eine nicht immer befriedigende Arbeit. Einige Tage später besserte sich das Wetter aber, und andere Arbeiten standen an.

Bald schon konnte man milderes Klima erwarten, das Mittelmeer ließ uns alle hoffen. Als wir die Meerenge von Gibraltar erreichten, war leider keine gute Sicht. Es war an einem frühen Morgen, und ich war enttäuscht, kaum etwas zu sehen. Die Temperaturen waren jetzt merklich angenehmer, und ab und zu fuhren wir auch dicht unter Land. Oftmals studierte ich eine in meiner Kammer hängende Landkarte.

Die anstehenden Arbeiten tagsüber an Deck führte ich jetzt schon ziemlich selbständig aus. Viel brauchte man dabei nicht zu können. Rost stechen, kurz mit der Drahtbürste drüber und dann ein Schlag Menninge drauf, am nächsten Tag dann die Hauptfarbe aufgetragen: Fertig war der Lack.

Nach Feierabend, wenn ich geduscht hatte, legte ich mich bei immer angenehmeren Temperaturen schon mal auf die Achteraufbauten in eine Hängematte und träumte vor mich hin. Mensch, was war das Leben schön!


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