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Ungewohnte Höhenluft

Günter Siebert ist nicht zu bremsen. Der Mann lebt seinen Traum. Mit offenen Augen. Weshalb er nur wenig schläft. Drei bis vier, maximal fünf Stunden. Der Bierverlag und die Lebensmittelläden, das ist die Pflichtübung. Die Kür aber ist Schalke, der Aufbau seiner Wunschelf. Dafür ist ihm kein Weg zu weit, kein Opfer zu groß und – überraschenderweise – kein Spieler zu teuer. Über seine Privatgeschäfte hat er gute Kontakte zu den ortsansässigen Banken geknüpft. Günter Siebert ist wer in Gelsenkirchen – und damit auch kreditwürdig. Die hohen Schulden des Vereins wandelt er in mittel- und längerfristige Kreditverträge um. Aus eigener Tasche gewährt er eine Bürgschaft über 300.000 Mark. Vizepräsident Orzewalla bürgt gar für 500.000 Mark.

Geld ist dennoch knapp auf Schalke. Verträge wie der von Aki Lütkebohmert lassen sich noch problemlos aus dem laufenden Etat bestreiten. Für Spieler mit größerem Namen aber muss man sich etwas einfallen lassen. Siebert zahlt 600.000 Mark an Ablöse für Lütkebohmert, Reinhard Libuda und Heinz van Haaren. Ein ungeheurer Kraftakt für einen darbenden Klub wie Schalke 04. Und doch wären Libuda und van Haaren nicht gekommen, hätte ihnen Siebert nicht noch ein zusätzliches Bonbon in Aussicht gestellt: Grundstücke zum Spottpreis im städtischen Großbauprojekt Tossehof. Später profitieren auch noch Klaus Fichtel und Norbert Nigbur von dieser Joint-Venture-Maßnahme zwischen Stadt und Verein. Die guten Kontakte ins Rathaus beginnen sich auszuzahlen.

Der Vertrag mit Libuda ist schnell gemacht. Der Arbeiterjunge aus dem Gelsenkirchener Stadtteil Haverkamp ist trotz Europacup-Triumph in Dortmund nie glücklich geworden. Obwohl er keineswegs auf Kohle, sondern im ostwestfälischen Wendlinghausen bei Lemgo geboren ist, gilt der „Stan“, wie er in Anlehnung an den englischen Rechtsaußen Stanley Matthews genannt wurde, auf Schalke als Identifikationsfigur. Zurückhaltend, oft scheu, der Gegenentwurf zu einem Star.

Aus seinem Wunsch, nach Schalke zurückzukehren, macht der Nationalstürmer in Dortmund kein Geheimnis. Zwischenzeitlich wittern die BVB-Fans sogar Hochverrat angesichts auffällig lustloser Vorstellungen ihres einstigen Europapokalhelden. Am Ende sind alle Beteiligten froh über den Deal. Libuda spart sich die täglichen 70 Kilometer für Hin- und Rückfahrt, parkt seinen Porsche wieder im Haverkamp. Die Borussia hat einen latent lodernden Brandherd gelöscht, und Schalke ist um eine Attraktion reicher. Wobei Günter Siebert neben der sportlichen Verstärkung in diesem Zusammenhang durchaus auch an steigendes Zuschauerinteresse und entsprechend höhere Einnahmen denkt.


Rückkehr des verlorenen Sohnes: Ab der Saison 1968/69 spielt Libuda wieder auf Schalke.

Am schwierigsten gestaltet sich der Transfer Heinz van Haarens vom MSV Duisburg. Der wird angesichts seiner Spielmacherqualitäten 1968 längst in einem Atemzug mit Günter Netzer genannt. Weil der in Marl Geborene von seinen Eltern die niederländische Staatsbürgerschaft geerbt hat, will ihn Bondscoach Georg Kessler zum Nationalspieler machen. Voraussetzung dafür aber ist – nach Oranje-Philosophie – ein Wechsel über die Grenze. Vorständler der Spitzenklubs Ajax Amsterdam und Feyenoord Rotterdam rennen van Haaren das Haus ein. Das finanziell beste Angebot aber liegt ihm vom Borsigplatz vor. Borussia Dortmund hat Geld, unter anderem das, was Schalke für Libuda überweisen muss. Die Geschichte hat nur einen Haken. Van Haaren hat bereits bei Schalke zugesagt.

Am Abend des 30. April 1968 greifen Siebert und Co. zum Äußersten, um den Konkurrenten aus Dortmund auszustechen. Schalkes Mannschaftsbetreuer Eduard „Ede“ Lichterfeld holt van Haaren nach dem Nachmittagstraining am Duisburger Vereinsgelände ab, fährt ihn ins schmucke Wohnhaus des Schalker Verwaltungsratsmitglieds Karl-Heinz Lange. In dessen Partykeller harren bereits in froher Erwartung die Herren Siebert und Aldenhoven. Die offizielle Wechselfrist des DFB beginnt am 1. Mai. Dann erst darf unterschrieben werden. Nicht früher, aber aus Schalker Sicht auf keinen Fall später.

An der Kellerbar von Architekt Lange füllen sich die Aschenbecher. Die Luft im holzgetäfelten Raum ist nichts für Nichtraucher. Und damit auch nichts für van Haaren. Doch der 27-Jährige macht gute Miene zum listigen Spiel. Auf seinem Bauch fühlt er die weichen Borsten eines Pinsels. Welch ein Durchhalteszenario, und alles nur seinetwegen. Seine Laune wird noch besser, als Hanna Siebert zur Tür reinkommt. Aus ihrer Handtasche reicht sie ihrem Mann ein Kuvert. Darin 50 Tausendmarkscheine, frisch vom Privatkonto der Sieberts abgehoben. Feierlich blättert der Präsident seinem Neuzugang die Scheine auf den Tisch. Es ist das versprochene Handgeld. Van Haarens feierlicher Vertragsunterschrift steht nichts mehr im Weg. Um Mitternacht ist es endlich so weit. Fünf Stunden haben sie gewartet, bis van Haaren in zwei Sekunden für drei Jahre unterschreibt. Als der Mai gekommen ist, prosten sich alle Partygäste zu. Es lebe die Freiheit und mehr noch der FC Schalke 04! Nur einer verabschiedet sich eilig: Ede Lichterfeld besteigt das Entführungsfahrzeug, um den mit der Anschrift des DFB versehenen Briefumschlag zur Post zu bringen.

Erneut beginnt die Saison nicht gut für Schalke. Zwar verfügt Trainer Brocker mit Klaus Fichtel, Heinz van Haaren, Gerhard Neuser, Aki Lütkebohmert, Reinhard Libuda und dem kurzfristig von Rapid Wien geholten Franz Hasil über erstaunliche spielerische Qualität im Kader. Die gewünschten Ergebnisse aber wollen sich nicht einstellen.

Nach zwei Auftaktniederlagen in Duisburg und zuhause gegen Braunschweig geht die Reise am 31. August 1968 nach Stuttgart. Für Aki Lütkebohmert ist es ein denkwürdiger Tag. Mittags, bei der Abschlussbesprechung in der Höhengaststätte Böhringer im Stuttgarter Stadtteil Rotenberg, kritzelt Günther Brocker die Aufstellung auf die Tafel. Als letzten Namen schreibt er „Lütkebohmert“. Aki zuckt zusammen. Zwar hatte ihn der Trainer am Tag zuvor bereits vorgewarnt, jetzt aber, wo er seinen Namen liest, weiß auf grün, stellt sich spontan ein nervöses Kribbeln in der Magengegend ein. Er soll Linksaußen spielen, wahrlich nicht seine Lieblingsposition. In einigen Vorbereitungsspielen hat es ein paarmal ganz ordentlich geklappt, aber mehr auch nicht.

Brocker ist gezwungen, etwas zu ändern. In der Bild-Zeitung wird vor der Partie bereits sein Kopf gefordert. Als die Besprechung zu Ende geht, ruft Kapitän Erlhoff Brocker entgegen: „Wir werden uns für Sie zerreißen!“ Etliche Mitspieler stimmen ein.

Was die 12.000 Zuschauer dann im Neckarstadion zu sehen bekommen, ist keine fußballerische Offenbarung der Gäste. Besonders der junge Linksaußen tut sich offensichtlich schwer. Eine Halbzeit lang wirkt er wie ein Fremdkörper. Zur Pause steht es 1:0. Brocker schwört die Mannschaft noch mal ein und schnappt sich kurz vorm Rausgehen Lütkebohmert. Libudas Ausgleichstor in der 68. Minute ist Schalkes erster Saisontreffer. Am Ende bringt er auch den ersten Punkt. Aki Lütkebohmert ist nach dem Tor das gewachsene Selbstvertrauen anzusehen. Obwohl sein Auftreten insgesamt viel zu zaghaft war, ist die Schlussphase in Stuttgart ein Fingerzeig. Für ihn und für den Trainer. Der ist hocherfreut über den Spielverlauf und bedankt sich anschließend in der Kabine bei jedem Spieler per Handschlag.

Aki Lütkebohmert ist fortan Stammspieler. Am fünften Spieltag hat er großen Anteil am ersten Saisonsieg. In Bremen gelingt ein überzeugendes 3:1. Aki bringt die Königsblauen in der 21. Minute in Führung und sorgt mit wiederholten Flügelläufen immer wieder für Unruhe im Bremer Strafraum. Nach dem Schlusspfiff stürmt die Mannschaft demonstrativ auf die Aschenbahn, um den nach wie vor stark in der Kritik stehenden Brocker zu umarmen.

Der fühlt sich bestätigt, hat er doch neben Lütkebohmert mit Norbert Nigbur und Herbert Höbusch zwei weitere 20-Jährige aufgeboten. Mit Gerd Kasperski steht gar ein erst 18-jähriger Mittelstürmer auf dem Platz. Schon in der Vorsaison hatte Brocker Sieberts Gedanken intensiver Nachwuchsarbeit forciert. Erstmals ist auf Schalke von einem Jugendinternat die Rede.

Als im Anschluss daran in der Glückauf-Kampfbahn ein 4:1-Sieg gegen den Erzrivalen aus Dortmund gelingt, scheinen Schalke und Brocker die Kurve zu kriegen. Der Schein trügt. Die Jugend inklusive Lütkebohmert hält – noch – nicht, was sie verspricht. In den folgenden neun Begegnungen hagelt es sechs Schlappen. Im November sind es gleich drei hintereinander: bei 1860, zuhause gegen den HSV und in Aachen.

Am Sonntag nach der Niederlage am Tivoli ist Schluss mit lustig. Am 17. November 1968, fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Entmachtung von Karl-Heinz Marotzke, steht der Verein auch mit seinem Nachfolger wieder da, wo er nie mehr stehen wollte – auf einem Abstiegsplatz. Der Vorstandsbeschluss ist schnell gefasst. Die Trennung von Brocker erfolgt einvernehmlich.

Eine zweiwöchige Länderspielpause verschafft Siebert Handlungsspielraum bei der Suche nach einem Mann, der endlich das Ruder herumreißen soll. In der Zwischenzeit schlüpft Siebert selbst in den Trainingsanzug, leitet die Trainingseinheiten mit Hilfe eines weiteren Kumpels aus der Meistermannschaft von 1958, Berni Klodt. Den hat Siebert zuvor zum Leiter der Jugendabteilung gemacht.

Rudi Gutendorf soll Brocker folgen. Das zumindest ist der Wunsch von Siebert und Schatzmeister Aldenhoven. Doch der Wandervogel der Trainergilde, zuletzt in den USA bei den St. Louis Stars beschäftigt, ist nicht unumstritten. In einer Kampfabstimmung von Vorstand und Verwaltungsrat fällt die Entscheidung pro Gutendorf. Der Neue, der eigentlich ab Mai 1969 bereits als Nationaltrainer Mexikos eingeplant ist, unterschreibt bis zum Saisonende – für stattliche 6.000 Mark Grundgehalt. Ein Topverdienst für einen Bundesligatrainer. Aber „Riegel-Rudi“, wie er aufgrund seiner in Duisburg praktizierten Defensivtaktik genannt wird, ist sein Geld wert. Gleich im ersten Testspiel gegen den österreichischen Erstligisten Schwarz-Weiß Bregenz setzt die Mannschaft vieles um, was der Trainer verlangt. Beim 7:1 ragt besonders Aki Lütkebohmert heraus, auch wegen seiner drei Tore.

Vier Tage später jedoch, bei Gutendorfs Punktspielpremiere, ist der Junge aus Heiden ein Totalausfall. Wieder hängt er als Linksaußen völlig in der Luft, wirkt bei seinen wenigen Aktionen saft- und kraftlos. Die Mannschaft verliert bei Hertha BSC 0:1. Die erste Aufbruchstimmung ist dahin.

Doch Gutendorf lässt sich nicht beirren. Er hat in Berlin gute Ansätze gesehen. Und auch bei Aki weiß er schnell, wo er den Hebel ansetzen muss. Ein paar Tage später besucht der Trainer den jüngst zum Wehrdienst Berufenen an dessen Standort in Borken. Gutendorf schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Auch Norbert Nigbur leistet in der Kaserne im Münsterland seinen Grundwehrdienst, wie Aki als Funker. Doch während der Torwart von Beginn an wegen Knieproblemen geschont, Wochen später sogar ausgemustert wird, trägt Aki – im wahrsten Sinne des Wortes – schwer an seinem Schicksal. Die stundenlangen Nachtmärsche mit reichlich Gepäck absolviert er klaglos. Er hält die Bundeswehr für eine sinnvolle Einrichtung. Da gilt es, sich ein- und unterzuordnen. Eine Extrawurst will er nicht gebraten bekommen. Und da die Zeiten der Sportförderkompanien noch nicht angebrochen sind, kriegt Aki das volle Programm. Was ihm bei seinen Kameraden, darunter viele Schalke-Fans, zu immenser Beliebtheit verhilft. Auf dem Platz, dem Fußballplatz, aber hat es den Anschein, als schleppe er das unsichtbare Gepäck auch in kurzen Hosen mit sich herum.

Dennoch, der Besuch des Trainers baut ihn auf. Gutendorf versichert ihm, dass er weiter auf ihn zähle, auf Dauer fest mit ihm plane. Und in der Tat, trotz der Doppelbelastung spielt er in seiner ersten Bundesligasaison 26-mal, davon 19-mal von Beginn an. Eingewechselt wird er lediglich in den letzten Spielen der Saison, als die Kräfte vollends schwinden. Nicht nur bei Lütkebohmert arbeitet Gutendorf mit unkonventionellen Mitteln. Der Mann ist hart, aber gerecht, kommunikativ und doch stets unberechenbar.

Heinz van Haaren, den Gutendorf bereits aus gemeinsamen Zeiten in Marl-Hüls und Duisburg kennt, lässt er, je nach Gegner, Libero, linken Verteidiger oder im Mittelfeld spielen. Aki Lütkebohmert pendelt zwischen Mittelfeld und Linksaußen. Stan Libuda macht er zum Kapitän, gegen seinen Willen. Libuda betrachtet er als sein größtes Sorgenkind – nicht ohne Grund. Der labile Rechtsaußen leidet unter der Vorstellung, seine attraktive Frau Gisela gehe fremd. Ob Wahnvorstellung oder berechtigter Verdacht, wird nie vollends geklärt. Fest steht, dass Gegenspieler den genialen Dribbler mit verbalen Grätschen leichter stoppen können als mit harter Manndeckung. Duisburgs Linksverteidiger Michael Bella erweist sich mit dieser fiesen Masche wiederholt als besonders erfolgreich. Libuda bleibt auch für Gutendorf unberechenbar. Einmal Alleinunterhalter, beim nächsten Mal Stehgeiger. Libuda ist für den erfahrenen Coach eine große Herausforderung. Der misst sich und seine Arbeit daran, den Rechtsaußen wieder in die Spur zu bringen. Es ist sein höchstpersönlicher Anspruch, den Publikumsliebling wieder zum Nationalspieler zu machen.

Auch die Medienarbeit pflegt der Weltenbummler wie kein Zweiter. Gutendorf geht auf die Pressevertreter zu, ruft sie, wenn nötig, an und hat für ihre Fragen stets ein offenes Ohr. Aus seiner Zeit in den USA hat er die Öffentlichkeitsarbeit schätzen gelernt. Als er seinen Kader morgens um sechs in Trainingskleidung vorm Zechentor antreten lässt, hat er gleich zweierlei im Sinn. Den Kumpels zeigen, dass auch ihre Idole hart und früh malochen, und die Mannschaft wachrütteln. Einige waren zuvor häufiger zu spät zum Training erschienen. Nach der Aktion tritt Besserung ein.

Die Gegenspieler beschreibt er in flammenden Reden als „Unsympathen“. Nach der Auftaktniederlage bei Hertha warnt er vor dem richtungsweisenden Spiel gegen Frankfurt: „Die wollen euch die Punkte stehlen, eure Prämien kassieren. Die wollen, dass ihr absteigt. Die wollen euch eure Existenz rauben!“ Als beide Teams eine halbe Stunde vorm Anpfiff erstmals den Platz betreten, wundern sich die Frankfurter, dass die Schalker ihren Blicken verstohlen ausweichen. Jedwede Form der Begrüßung, Händeschütteln und Ähnliches, ist selbst unter alten Bekannten strengstens untersagt. Obwohl mancher Spieler die Maßnahme gewöhnungsbedürftig findet, wirkt sie irgendwie. Schalke gewinnt 2:0. Es ist der Beginn einer wundersamen Auferstehung. Die Niederlage zum Auftakt in Berlin bleibt die einzige – bis zum letzten Spieltag, einem 0:1 in Frankfurt. Schalke ist mit 27:7 Punkten die beste Rückrundenmannschaft, belegt am Ende Platz sieben. Die beste Platzierung in der Bundesligageschichte.

Und noch gibt es die einmalige Gelegenheit, die tolle Saison zu krönen. Am 14. Juni 1969 steht Königsblau erstmals seit 14 Jahren wieder im Pokalfinale. Der Weg dahin begann am 4. Januar mit einem 3:2 nach Verlängerung bei Regionalligist Rot-Weiß Oberhausen. Es folgte ein Heimsieg gegen einen weiteren Regionalligisten, 3:1 gegen den SV Alsenborn. Im Viertelfinale wurde Aachen 2:0 bezwungen. Im Halbfinale kam es nach einem 1:1 in Kaiserslautern zu einem Wiederholungsspiel in der Glückauf-Kampfbahn. Dank eines überragenden Heinz van Haaren, der neben Pohlschmidt auch noch zwei Treffer erzielte, siegte Schalke 3:1.

Dumm nur, dass der Finalgegner Bayern München heißt. Die Bayern schicken sich an, nach Schalke 1937 als zweiter deutscher Verein das Double zu holen. Dumm auch, dass sich Schalkes wichtigster Mann früh verletzt. Heinz van Haaren, nach Problemen am Ischiasnerv fit gespritzt, erleidet im Zweikampf mit Gustl Starek einen Pferdekuss. Weil er fortan nicht mehr richtig auftreten kann, bittet er Rudi Gutendorf um seine Auswechslung. Der aber schreit kopfschüttelnd vom Spielfeldrand: „Mach weiter!“ In der Pause bekommt der Spielmacher die nächste Spritze. Gutendorf fordert ihn ein weiteres Mal auf, durchzuhalten. Bayern führt 2:1 durch zwei Müller-Tore, nachdem Pohlschmidt zwischenzeitlich ausgeglichen hat. In der zweiten Hälfte schleppt sich van Haaren, für jeden der 64.000 im Frankfurter Waldstadion deutlich erkennbar, nur noch schwerfällig über den Platz. Eine Viertelstunde vor Schluss hat auch Gutendorf ein Einsehen, erlöst van Haaren und bringt Waldemar Slomiany.

Am Ergebnis ändert das nichts mehr. Den Pokal bekommt Bayern-Kapitän Werner Olk in die Hände gedrückt. Rudi Gutendorf und Heinz van Haaren gehen sich am Abend bei der Mannschaftsfeier im Hotel aus dem Weg. Erst am nächsten Tag, auf der Rückfahrt mit dem Zug, treffen sie sich wieder. Auf dem schmalen Gang müssen sie sich aneinander vorbeischieben. Der Trainer würdigt seinen Spielmacher dabei keines Blickes. Noch Jahre später wird er ihm vorhalten, dass sie das Spiel gewonnen hätten, wenn van Haaren drin geblieben wäre.

Um 13.17 Uhr rollt der Eilzug aus Frankfurt auf dem Gelsenkirchener Hauptbahnhof ein. Die Bergwerkskapelle Consolidation intoniert das Vereinslied „Blau und Weiß“. Spieler der Jugendmannschaften bilden ein Spalier am Bahnsteig. Auf dem Bahnhofsvorplatz drängt sich die blauweiße Masse. Beim offiziellen Teil im Hans-Sachs-Haus erinnert OB Scharley unter lauten Bravorufen an die Worte von DFB-Präsident Dr. Gösmann. Der hatte nach dem Finale gesagt, auch Schalke wäre ein würdiger Pokalsieger gewesen. Gutendorf und 17 Spieler erhalten die silberne Ehrennadel der Stadt.

Unter ihnen ist auch Aki Lütkebohmert. In Frankfurt hat er nur auf der Bank gesessen. Dennoch ist er am Ende des Tages nicht unglücklich. Die Feier ist auch für ihn der krönende Abschluss einer bemerkenswerten ersten Saison. Dabei ist er so richtig auf den Geschmack gekommen. Abends in Heiden zeigt er seinen Eltern stolz die Anstecknadel: „Beim nächsten Mal möchte ich die goldene haben!“

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