Читать книгу Helden für einen Sommer - Jürgen Thiem - Страница 14
ОглавлениеDrohendes Ungemach
Irgendetwas ist anders an diesem Abend. Es ist Ostermontag und doch ein Montag wie jeder andere. Gott sei Dank. Liebgewonnene Gewohnheiten lässt man sich schließlich nicht so einfach nehmen. Der Saunaabend in Borken mit Don und Heini ist Aki heilig. Wie das Pilzesammeln, das Kartenspielen und der Talisman. Don, das ist sein Freund Alfred Ebber, mit dem er schon in der Jugend bei Viktoria Heiden zusammen gekickt hat. Heini ist einfach Heini, sein jüngster Bruder. O. k., offiziell heißt der natürlich Heinrich. Aber so nennt ihn keiner. Und dann sind da noch Futzi, Manfred Krause, mit dem er zwischenzeitlich in Marl-Hüls zusammengespielt hat, und Luki, Ludger Jägers. Futzi und Luki gehören zur Clique, der Saunagang ist ihre Sache aber nicht. Stundenlang sitzen und schwitzen muss nicht sein.
Aki braucht das. Inmitten von Fußballern aus allen Ligen und Klassen, aus Gemen, Borken oder Klein-Reken. Sie alle wissen, wer Aki ist, wissen es zu schätzen, dass er nicht den Star raushängen lässt. Doch fragt ihn mal einer zur vergebenen Chance im letzten Spiel, fällt die Antwort zumeist kurz aus. Er mag es nicht, über sich und seinen besonderen Status zu reden. Er will aber auch nicht unhöflich sein oder gar arrogant wirken. Also stellt er lieber die Gegenfrage: warum es in der 1. Kreisklasse gerade nicht so läuft, was mit dem Trainer ist und so weiter. Aki kennt sich aus in der regionalen Fußballszene. Sein Interesse ist nicht gespielt. Er gibt ihnen das Gefühl, einer von ihnen zu sein. Aki braucht diese festen Gewohnheiten, seine Riten.
„Du kannst in der Woche machen, was du willst. Du musst nur am Samstag um halb vier topfit sein“, ist eine seiner frühen Lebensweisheiten. Und so ist das Profileben für ihn ein ständiges Geben und Nehmen. Eine immerwährende Abfolge von Arbeit und Belohnung. Er braucht dieses Gefühl, sich völlig verausgabt zu haben, um anschließend in Ruhe mit Freunden das eine oder andere Bier trinken zu können. Das eine bedingt das andere. Das eine wäre ohne das andere nichts, und umgekehrt.
Auch an diesem Tag ist er vorher laufen gewesen. Mit Anka, seiner Boxerhündin, die ihm Klaus Fichtel geschenkt hat. Aufgrund des spielfreien Wochenendes war Cendics Training dosiert, zu dosiert, wie er findet. Jetzt also könnte es ihm eigentlich gut gehen, nach Laufen und Sauna, beim Skatspielen im Ruheraum. Doch irgendetwas ist anders an diesem Abend. Auch später, als sie sich im „Spangemacher“ über die geliebten Reitersteaks und die serbische Bohnensuppe hermachen, rückt Aki nicht mit der Sprache raus. Erst seinem Schwager in spe, Jürgen Beßeling, verrät er am nächsten Abend, was ihn so nachdenklich stimmt: „Nächsten Samstag, gegen Bielefeld, da soll was laufen …“
Es ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält und das die Zeitungen im Vorfeld des Spiels bereitwillig aufgreifen. Die WA Z berichtet am 16. April 1971 von „Spekulationen um eine westfälische Nachbarschaftshilfe“. Günter Siebert weist derartige Anspielungen weit von sich. Schließlich wollten sich die Spieler doch für schwache Leistungen in den vergangenen Heimspielen rehabilitieren. Außerdem gehe es um den Einzug in den neu geschaffenen UEFA-Cup-Wettbewerb und für die vom DFB Nominierten auch um eine Empfehlung für die anstehenden Länderspiele.
„Das ist doch alles dummes Zeug“, meint Siebert. „Die Profis kämpfen doch um ihr Geld. Unsere Mannschaft wird voll aufspielen. Verschenkt wird bei uns nichts. Natürlich sehen wir lieber Bielefeld und Oberhausen in der Bundesliga als Vereine, die uns keine Zuschauer bringen.“ Ungewollt oder eher unbedacht öffnet der Präsident mit seinem Nachsatz wieder die Tür, die er zuvor so lautstark zugeschlagen hatte. Die Tür zum Raum für Spekulationen und Interpretationen.
Dabei verheimlicht Siebert der Öffentlichkeit bewusst den wohl wichtigsten Anhaltspunkt für die bösen Gerüchte. Am Karfreitag haben er und Schatzmeister Aldenhoven Besuch bekommen auf der Geschäftsstelle. Besuch aus Bielefeld. Keine ungebetenen Gäste. Arminias Fußballobmann Willi Pieper, im Hauptberuf Möbelfabrikant, und Trainer Egon Piechaczek haben sich angekündigt. Man kennt sich, nicht erst seit dem ersten Aufeinandertreffen beider Teams im vergangenen Oktober. Piechaczek, früherer Vertragsspieler bei diversen polnischen Vereinen, kickt von Zeit zu Zeit in Schalkes Altherrenmannschaft mit, gemeinsam mit Günter Siebert. Und dann gibt es da ja auch durchaus noch einen offiziellen Grund für die Visite. Arminia zeigt Interesse an Schalkes Nachwuchskeeper Burdenski. Nach einer halben Stunde ist man sich einig über den Transfer. Burdenski soll zur neuen Saison nach Bielefeld wechseln. Über Geld wird also auch geredet an diesem Tag. Willi Pieper lädt noch mal nach. Man könne sogar 80.000 Mark für Burdenski zahlen, wenn Arminia in der Bundesliga bleibt. Am Samstag müsse doch in dieser Richtung etwas zu machen sein?
Günter Siebert wird später zu Protokoll geben, er habe das für einen Scherz gehalten, woraufhin Pieper ihn gebeten habe, diesen Teil des Gesprächs zu vergessen. Pieper wird später behaupten, Siebert habe in dieser Angelegenheit an die Mannschaft verwiesen. Wie dem auch sei, man hat ja schließlich noch mal fragen dürfen. Nein, dieser Willi Pieper ist nicht der Erfinder des Bösen. Genau genommen sind es die Spieler der Arminia. Wenige Tage vor Piepers Besuch in Gelsenkirchen bedrängen sie ihn: „Willi, du musst was machen!“ Die Konkurrenz im Abstiegskampf punktet. Keiner will einfach so sehenden Auges in die Regionalliga absteigen. Also macht der Willi was.
Und er ist keineswegs der Erste, der was macht bzw. was zu machen versucht. Manfred Reichert, früherer Torwart der Sportfreunde Gladbeck in der 2. Oberliga West, wird schon Anfang der sechziger Jahre zum Objekt der Manipulationsbegierde. Allein, Reichert verweigert sich. „Nicht mit mir“, lautet sein ehrenwertes Motto. Statt die vom Gegner angebotenen 600 Mark zu kassieren, wird er zum Spielverderber, pariert alles, unter anderem auch einen Strafstoß. Zum Lohn gibt’s später 400 Mark von dritter Seite, eine Art Erfolgsprämie.
Ausdrückliche Gesetze, nach denen so etwas verboten ist, kennt der Fußball noch nicht. Vielmehr gehört es zu den ungeschriebenen Gesetzen, dass sich über vieles reden lässt. In den Kreisklassen wandert nach dem letzten Spieltag schon mal ein Fass Bier von A nach B. Im anfänglich noch semiprofessionell betriebenen Geschäft von Bundesliga und Regionalligen fließt Geld. Der DFB ahnt es wohl, toleriert es aber – noch – stillschweigend. Noch gibt es keine Kläger, dementsprechend braucht es auch noch keine Richter.
Am 4. Mai 1969 tritt Arminia Bielefeld am vorletzten Spieltag der Regionalliga West bei Rot-Weiß Oberhausen an. Als der Mannschaftsbus am Niederrhein-Stadion vorfährt, wundert sich Bielefelds Schlussmann Gerd Siese, dass draußen hinter der Tribüne schon alles so schön geschmückt ist. Oberhausen braucht einen Sieg, um den Aufstieg in die Bundesliga perfekt zu machen. Aber hier sieht es so aus, als sei der Sieg schon beschlossene Sache. Ein Eindruck, der sich bei Siese gleich zu Beginn des Spiels weiter verstärkt.
Verteidiger Georg Stürz fischt in der dritten Minute völlig unmotiviert eine harmlos scheinende Flanke mit der Hand aus der Luft. Gegen den anschließenden Strafstoß ist Siese machtlos. Gegen den zweiten RWO-Treffer nach einer halben Stunde auch. Ansonsten aber hält er, was zu halten ist, und manches darüber hinaus. Dass allerdings einige seiner Vorderleute sein Engagement überhaupt nicht teilen, ist keine Fehlwahrnehmung. Am Montag nach dem Spiel legt einer von ihnen 5.000 Mark in die Mannschaftskasse. Die Verwunderung bei Siese hält sich in Grenzen.
Im Westen nichts Neues heißt es auch in der darauffolgenden Bundesligasaison. Es herrscht eine schwammige Kultur des Hinter-den-Kulissen-Regelns. Und wieder ist Oberhausen beteiligt. Und zum ersten Mal auch Schalke. Es ist der 18. April 1970, fast auf den Tag genau ein Jahr vor dem Schalker Schicksalsspiel gegen Arminia Bielefeld. Aufsteiger Oberhausen kämpft am drittletzten Spieltag naturgemäß noch gegen den Abstieg. Ein Punkt auf Schalke würde allerdings die sichere Rettung bedeuten. Wie der Zufall bzw. die Gewohnheit es will, haben sich beide Teams vor dem Spiel in der Sportschule Wedau einquartiert. Man kennt sich, man spricht miteinander. Und wenn’s sein muss, hilft man sich auch schon mal gegenseitig – im Fußballwesten.
An diesem Tag aber ist die Hilfe allzu offensichtlich. Schalke, drei Tage zuvor von Manchester City gedemütigt und im vorausgegangenen Bundesligaspiel in Hannover erstmals der Manipulation bezichtigt, will nicht gewinnen. Ein Gesamteindruck, den allein zwei Spieler mit aller Macht zu zerstören versuchen. Norbert Nigbur hält Weltklasse, verhindert mit unzähligen spektakulären Paraden eine durchaus mögliche Heimklatsche. Noch in der ersten Hälfte fragt ihn ein Mitspieler verwundert: „Warum hältst du die alle?!“ Nigbur noch verwunderter: „Wieso?“ „Ja, willst du nächste Saison lieber zu München 60 fahren?“
Zur Pause steht es überraschenderweise noch 0:0. Dann verschlimmert sich die Lage für die Gäste, womit der zweite siegeshungrige Schalker ins Spiel kommt. Und wie er ins Spiel kommt! Klaus Scheer bringt Schalke in Führung und wundert sich über die geringe Resonanz in den eigenen Reihen. Stattdessen begegnen ihm Blicke Oberhausener Spieler, aus denen er nur eines liest: Verständnislosigkeit.
Nigbur bleibt der zweite Spaßverderber. Oberhausens Brozulat, Dausmann und Fritsche scheitern immer wieder am Schalker Tormann. Bis Karbowiak völlig unbedrängt doch noch den Ausgleich machen darf. Doch was ist das? Oberhausener und einige Schalker haben die Rechnung ohne Klaus Scheer gemacht. Vier Minuten nach dem Ausgleich zieht der auf und davon und dann zu allem Überfluss auch noch ab. 2:1 für Schalke. Scheer jubelt. Und sonst keiner. Als er in die eigene Hälfte zurücktrabt, wird er von einigen Mitspielern regelrecht beschimpft. Oberhausener Spieler dagegen flehen lauthals: „Gebt dem bloß keinen Ball mehr!“
Auf der Tribüne haben die 8.000 Leidgeplagten längst mitbekommen, was hier läuft. „Schiebung, Schiebung“, schallt es durch die Glückauf-Kampfbahn. Bei Schalke währt der Kummer über den eigenen Treffer gerade mal drei Minuten, dann ist der Gleichstand wieder hergestellt. Ein Oberhausener Eckball segelt Richtung kurzer Pfosten. Ein Schalker haut über den Ball, Kobluhn ist zur Stelle. 2:2. Nur Nigbur ist außer sich, schreit den Missetäter an: „Mensch, so ’ne Scheiße!“ Der schreit zurück: „Halt den Schnabel!“ Nigbur bleibt hartnäckig, verlangt von seinem sonst so zuverlässigen Abwehrmann Aufklärung. Doch dem steht nicht der Sinn nach Gesprächstherapie: „Was soll los sein? Ich hab über den Ball getreten …“
Die Zeitungen nehmen kein Blatt vor den Mund. Unverhohlen wird von wahrscheinlicher Schiebung geschrieben. Beweisen kann es keiner. Der DFB macht erst gar nicht den Versuch. Das soll sich ein Jahr später ändern.