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Die Diagnose

Da ist er wieder, dieser stechende Schmerz. Aki rappelt sich auf. Der Versuch eines Lächelns. Bloß keine Müdigkeit zeigen. Auch jetzt, mit 44, hat er noch einen Ruf zu verteidigen. Er, den sie Zeit seines Fußballerlebens „Pferdelunge“ genannt haben. Noch immer rennt er allen davon. Hier auf dem Trainingsplatz am Lohrheidestadion, in der Altherrenmannschaft des Wattenscheider Textil-Moguls Klaus Steilmann.

Doch jetzt ist etwas anders als sonst. Das spürt er. Klar, es ist ein harter Zweikampf um den Ball gewesen. Er war wieder mal einen Schritt schneller, der Gegenspieler hat ihn zu Fall gebracht. Alles kein Problem. Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert. Und die Schmerzen in der Hüfte, nichts Neues. Die hat er ja schon über ein Jahr. Ein Hämatom, keine Frage. So etwas kommt selbst bei besten Fußballrentnern vor. Nicht der Rede wert. Und erst recht keinen Arztbesuch. Da hat er schon ganz andere Probleme gelöst. Oder besser, verdrängt.

Diesmal aber fällt es ihm schwer, das Verdrängen. Mit zusammengepressten Lippen quält er sich über die letzten Minuten. Vorzeitig vom Platz gehen, das war noch nie sein Ding. Unter der Dusche vermissen die Mitspieler seine lockeren Sprüche. Erst in der Vereinsgaststätte, beim zweiten Bier, findet er seine Sprache wieder. Die Schmerzen aber bleiben. In der Leiste, in der Hüfte, im Rücken, im Gesäß.

Seine Schwester Luzie, gelernte Krankenschwester, bedrängt ihn, endlich zum Arzt zu gehen. Aki winkt ab: „Das wird schon wieder!“ Drei Monate später, im Urlaub auf Ameland, zwingen ihn die Schmerzen buchstäblich in die Knie. Sein Kreislauf spielt nicht mehr mit. Auch eine Folge der starken Schmerztabletten, die er sich inzwischen wie Halsbonbons einwirft. Es geht nicht mehr anders. Aki muss den Platz, in dem Fall sein geliebtes Eiland, vorzeitig verlassen.

Daheim in Borken veranlasst sein Hausarzt eine Blutuntersuchung. Das Ergebnis ist alarmierend. Noch am selben Tag wird er ins örtliche Marienhospital eingewiesen. Sein Zustand verschlechtert sich stündlich. Eine schwere Lungenentzündung gesellt sich hinzu. In Borken fühlen sich die Ärzte überfordert. Mit Blaulicht wird Aki nach Essen gefahren, in die Uniklinik. Seine Frau Christa hält ihm die Hand, als er, schweißnass im Bett liegend, ins Röntgenzentrum geschoben wird.

Zwei Monate lang hängt er am Tropf, kann keine feste Nahrung zu sich nehmen. Vom einstigen Helden der Nordkurve, dem durchtrainierten Laufwunder und Frauenschwarm, bleibt nur ein schwindender Rest. Dreimal rufen die Ärzte Christa Lütkebohmert in Borken an. Dreimal versuchen sie ihr schonend beizubringen, dass das Ende naht. Sie will es nicht wahrhaben. Nächtelang wacht sie an seinem Bett im Zimmer 205 auf der Station M4. Auf jedes noch so kleine Hoffnungszeichen wartend. Sie redet leise und behutsam auf ihn ein, fordert ihn immer wieder auf, durchzuhalten.

Als sich keine Besserung einstellt, sitzt sie apathisch neben ihm, schaut an ihm vorbei, über ihn hinweg. Sie will bei ihm sein und kann sein Leiden doch nicht mehr mit ansehen. Er habe bisher nur dank seines starken Herzens überlebt, versichern ihr die Fachleute in weißen Kitteln.

Es ist Weihnachten 1992. Und noch keine Zeit zum Sterben. Noch einmal trägt Aki den Sieg davon, noch einmal entscheidet er den Zweikampf für sich. Wenn es auch ein ungleicher ist und der Gegner sich nur vorübergehend geschlagen gibt.

Im Februar 1993 ist Aki stark genug für die Chemotherapie. Auch die setzt ihm mächtig zu. Doch er hat wieder ein Ziel vor Augen, so wie einst bei seinen unzähligen Läufen zuhause in Borken, den Lünsberg rauf und runter, nach dem Training, wenn die anderen längst schon auf der weichen Couch lagen.

Aki will noch einmal nach Hause. Und wer weiß, wenn er dann schon mal raus ist, vielleicht kriegt er die Geschichte ja doch noch in den Griff. So leicht jedenfalls wird er sich auch diesmal nicht besiegen lassen. Es ist ein irrationaler Kampf. Ein Kampf wider besseres Wissen. Ein Kampf, den er nicht gewinnen kann. Er weiß es. Er hat Bücher gewälzt, er hat mit Ärzten gesprochen. Das Urteil war immer das gleiche: ein Todesurteil.

Als es ihm eine Woche nach seiner Einlieferung in Essen erstmals verkündet wird, reagiert er wie immer, wenn es eine schlechte Nachricht zu verarbeiten gilt. Äußerlich gefasst. Mit schwacher, aber ruhiger Stimme schildert er seiner Frau, deren Schwester Marlene und ihrem Mann Jürgen den Befund: Knochenkrebs, Teufelszeug. Als Marlene und Jürgen das Zimmer verlassen haben, zieht er Christa zu sich auf die Bettkante. Sie zittert, schüttelt unentwegt den Kopf. Ihre schönen Augen ertrinken in einem salzigen Meer. Sie hört kaum, was er sagt, vor sich hin stammelt. Es ist mehr ein Selbstgespräch. Allein die Worte sind immer die gleichen: „Das ist die Strafe Gottes für den Mist, den ich gemacht habe!“

Die tragische Geschichte der Mannschaft, die auszog, die Fußballwelt zu erobern, am Ende aber nahezu ungekrönt in ihre Einzelteile zerfällt, beginnt früher. Viel früher. Um genau zu sein, 25 Jahre früher.

Helden für einen Sommer

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