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ОглавлениеSie unterhielten sich über die Route nach Veracruz, und es stellte sich heraus, dass Hernan das Städtchen Cholula, wo sie übermorgen sein würden, nicht mochte, weil er offenbar irgendwelche schlechten Erinnerungen an die Stadt hatte. Bernal wirkte umgänglicher und fröhlicher als sein Kompagnon, redete und trank mehr, aber der Chef der beiden schien Hernan zu sein. Er war hochgewachsen, hager, sein Gesicht hatte einen olivfarbenen, ein wenig fahlen Teint. Wenn er sprach, klangen die Worte kryptisch, er lachte nie, beobachtete seine Umgebung scharf unter herabhängenden Lidern aus Augen, die denen eines lebenslang verkaterten Menschen glichen. Doch war es wohl nicht der Alkohol, der diesen unangenehmen, träge lauernden Blick hervorbrachte, sondern etwas Tieferes, das auf große Stärke, hohe Intelligenz, rücksichtsloses Durchsetzungsvermögen und unstillbare Gier schließen ließ. Bernal, ebenfalls ziemlich groß, hatte ein offenes Gesicht, das allerdings, wenn er es in tiefe Falten legte, Anzeichen von grober Gerissenheit verriet, als wechselten Gutmütigkeit und Hinterlist einander pausenlos ab. Nachdem sie neue Getränke bestellt hatten, begann Bernal Abenteuer und Schwänke zu erzählen, oft mit einer anzüglichen Note, immer mit einer ironischen Pointe. Er war der Fahrer. Der Schulbusfahrer, sagte er, Sie werden morgen sehen, warum.
- Und er führt Tagebuch, warf Hernan ein, der bei Bernals Geschichten keine Miene verzogen hatte. Hat er schon früher bei unseren Reisen durch dieses gottverdammte Land gemacht. Er schreibt alles auf, jeden Tag, den wir trotz seiner Kurventechnik überleben.
Es sollte der einzige Anflug von Humor sein, den er je bei Hernan erleben würde. Die beiden Spanier nötigten ihn zu einem Mezcal, und plötzlich begann sich Hernans Zunge zu lösen. Er fiel in einen Monolog, dessen Ausgangspunkt ebenso unklar zu sein schien wie sein Bezug zur bevorstehenden Tour. Dies ist eigentlich ein großes, reiches und schönes Land, sagte er, aber es ist auch hart und karg; es hatte nie genug, um die Krankheit unserer Herzen zu heilen. Und die Menschen hier sind grausam, sie glauben an Götzen und begehen in ihrem Wahn blutige Verbrechen. Wir – mit einer Handbewegung schloss er den anderen, Bernal, mit ein – sind Spanier und werden stets Spanier bleiben, wo immer wir leben. Wir haben Tradition, Kultur und Glauben, aber hier sind wir Fremde geblieben, obwohl wir auf den Trümmern ihrer alten gottlosen Welt eine neue aufgebaut haben. Man kann unter den Menschen in diesem Land Alliierte und Freunde gewinnen – und Freundinnen, unterbrach Bernal grinsend - , aber die meisten sind misstrauisch und hinterlistig. Sie sind tapfer, doch wenn man ihnen den Rücken zuwendet, töten sie ohne Skrupel. Das sind keine edlen Wilden, sie legen Hinterhalte und begehen Verrat, wann immer es ihnen vorteilhaft erscheint. Und ihre Weiber sind Megären oder Huren, allesamt, bis auf die eine... Als Hernan tief Luft holte, versuchte er, die düstere Suada mit der Frage, warum die beiden dann in einem so unwirtlichen Land lebten, aufzuhellen, doch der rätselhafte Spanier nahm keinerlei Notiz von seinem Einwurf. Wenn sie einen Herren über sich sehen, einen Gott, einen Kaziken, einen Caudillo, werden sie zu knechtischen Kreaturen. Im Krieg aber sind sie fanatische Kämpfer. Wir werden uns dennoch den Weg zur Küste bahnen.
Er war verwirrt. Aus dem Mund eines Mannes, mit dem er die nächsten Tage verbringen musste, der ihn bei der Bändigung eines Haufens deutscher Hooligans unterstützen sollte, klangen solche Sätze beunruhigend. Er konnte nur hoffen, dass Hernan lediglich betrunken war und sich hier nicht der Beginn einer weltfremden Hybris oder handfesten Psychose andeutete. Er suchte den Blick von Bernal, doch der hatte den Kopf gesenkt und starrte mit zusammengepressten Lippen in sein leeres Glas. Er entschloss sich, Hernans sonores Gefasel dem Alkohol anzulasten, was ihm aber auch nur kurzzeitig Erleichterung verschaffte. Als Ausländer zusammen mit anderen Fremden, die im Suff aggressiv werden mochten – und Hernan hatte nicht gerade sehr friedfertig geklungen - , in einer Cantina in Streitereien mit Mexikanern zu geraten, glich einem Himmelfahrtskommando. Als er sich umsah, stellte er allerdings erleichtert fest, dass die Trinker an der Theke nichts von dem Monolog, der zwar eindringlich, aber leise vorgetragen worden war, registriert hatten und sich stattdessen mit zunehmender Intensität über die Betrügereien bei der letzten Präsidentenwahl stritten. Bernal schien seine Gedanken erraten zu haben. Als Hernan die nur durch einen Plastikvorhang vom Gastraum abgetrennte Pissrinne aufsuchte, sagte er: Keine Sorge, er wird keine Probleme machen. Er träumt nur manchmal von längst vergangenen Zeiten, und die waren glänzend, meistens wenigstens.
Als sie kurze Zeit später zu Dritt aus der Cantina stolperten und sich auf den Weg zu ihrem Hotel machten, hörte er Hernan einzelne Worte und unzusammenhängende Sätze vor sich hin murmeln, in einem Ton, in dem hilfloser Zorn und konfuse Drohungen mitschwangen. Nach Veracruz werdet ihr kommen, das schon, glaubte er zu verstehen, aber dort ist nichts mehr. Dort werden keine Schiffe auf euch warten. Er sah Bernal fragend an, aber der ging stoisch die Straße entlang, als habe er nichts gehört.