Читать книгу Die Schlächterin - Vergeltung - J.S. Ranket - Страница 5

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„Also ich hätte echt nicht gedacht, dass die Leipziger die Bundesliga derart aufmischen“, stellte Erik Wagner fest und grinste schelmisch in die Runde.

„Na ja“, gab sein Freund Daniel Lüders zu bedenken, „das ist ja im Prinzip genauso ein Kunstklub wie Hoffenheim.“ „Nix Gewachsenes und nur mit einem Haufen Geld aufgepumpt.“

„Aber trotzdem haben die Bayern Schiss“, mischte sich jetzt auch Paul Jansen, der Dritte im Bunde, ein. „Die Roten Bullen sind nur sieben Punkte hinter ihnen und können das locker aufholen.“

„Stimmt, eine kleine Klatsche wäre wirklich nicht schlecht“, bestätigte Wagner und hob sein Glas. „Na dann Prost!“

Die drei hatten es sich in ihrer Stammkneipe am Schulterblatt, mitten in Hamburgs trendigem Schanzenviertel, gemütlich gemacht und beobachteten gespannt, wie die aktuellen Spielergebnisse die Tabelle veränderten.

„Ha …!“, stieß Jansen ein bisschen schadenfroh hervor und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. „Wer sagt’s denn. Jetzt sind sie nur noch fünf Punkte im Rückstand.“

Da ihr eigener Verein, der HSV, im hinteren Mittelfeld herumdümpelte, waren natürlich die Sympathien der drei Männer bei der Mannschaft, die dem Rekordmeister am ehesten gefährlich werden konnte.

„Das wird auf jeden Fall noch spannend“, mutmaßte Lüders, bevor er den Rest seines Bieres hinunterkippte. „Noch drei Astra“, murmelte er lautlos in Richtung Tresen, als Hannes, der Wirt, gerade herüberschaute. Denn wenn er den Lärm in der Gaststube übertönen wollte, dann bräuchte er glatt ein Megafon.

„Ich muss mal kurz an die frische Luft“, teilte Wagner seinen Freunden mit, noch bevor die neue Bestellung eingetroffen war. Er wedelte mit seinem vibrierenden Smartphone und kämpfte sich durch die lärmenden Gäste bis zur Tür. Erst im Freien nahm er das Gespräch an. Doch er wusste bereits seit dem kurzen Blick auf das Display, wer der Anrufer war.

Denn alles begann bereits eine halbe Ewigkeit zuvor als relativ harmloser Winterurlaub in den Österreichischen Alpen.

Wagner hatte sich zusammen mit seinen beiden Freunden in einer Pension im idyllischen Hochgurgl einquartiert, um mit ihnen ein paar entspannte Tage zu genießen. Eigentlich wollten die drei schon seit Langem auf die bedeutend cooleren Snowboards umsteigen, doch das knappe Budget der jungen Männer ließ dies einfach nicht zu. Also kamen sie auf die naheliegende Idee, abseits der markierten Pisten die besondere Herausforderung zu suchen. Und dafür gab es hier jede Menge Möglichkeiten. Das hieß, wenn man früh genug aufstand, um die ersten Spuren durch den jungfräulichen Schnee zu ziehen. Und natürlich auch schon einige Erfahrung im Freeriding gesammelt hatte.

Bereits am Abend zuvor hatten sie sich für den Wurmkogel X-Drop entschieden. Der Einstieg in den Run war mit dem Lift relativ einfach zu erreichen, so dass ihnen das nervige Stapfen durch den Tiefschnee erspart blieb. Außerdem endete er auf einer regulären Piste, die sie direkt an die Talstation des Lifts bringen würde. Anschließend könnten sie sich dann die nächste Route vornehmen. Oder erst einmal etwas Vernünftiges essen. Denn Jansen hatte seine Freunde noch vor dem Sonnenaufgang aus dem Bett gezerrt. Und da sie die ersten sein wollten, blieb gerade einmal Zeit für einen heißen Kaffee.

„Das sieht ja echt geil aus“, stellte Lüders staunend fest.

Das Schneetreiben der vergangenen Nacht hatte einem tiefblauen Winterhimmel Platz gemacht, der das atemberaubende Panorama fast unwirklich erscheinen ließ. Jetzt standen die drei unterhalb des Top Mountain Star, einem architektonisch beeindruckenden Restaurant, und grinsten in die Sonne.

„Genau“, stimmte Jansen zu. „Wir fahren am besten unterhalb des Kamms entlang bis zu dieser Kuppe.“ Er deutete mit seinem Skistock in Richtung Westen. „Dahinter kommt ein Steilhang. Von dort aus können wir ja kurz checken wie es mit den Drop Offs aussieht. Erik wollte ja unbedingt einmal springen.“

„Hmmm …“, brummte Wagner skeptisch. „Aber erst wenn ich mir das aus der Nähe angesehen habe. Sonst landen wir noch mit zermatschten Knochen auf einem Felsen.“ Er blickte fragend in die Runde. „Ihr seid doch dabei, oder?“

„Aber immer“, bestätigten Lüders und Jansen wie aus einem Mund.

Sekunden später pflügten die drei durch den lockeren Schnee.

„Das scheint ja nicht allzu schwierig zu sein“, mutmaßte Jansen, nachdem sie hinter der kleinen Kuppe angekommen waren. Dann schielte er den fast senkrechten Hang hinunter. „Da hinten in Richtung des Speicherbeckens kommt man recht einfach runter und nach da drüben wird es immer steiler.“ Er rückte sich aufgeregt seine Skibrille zurecht. „Da ist bestimmt ein Zwanzig-Meter-Sprung drin.“

„Cool!“ Lüders machte bereits erste Anstalten, sich in die Steilwand zu stürzen.

Nur Wagner konnte die Euphorie seiner Freunde nicht teilen und zog ein nachdenkliches Gesicht.

„Was ist?“, wollte Jansen fast schon ein bisschen beleidigt wissen.

„Das gefällt mir nicht“, murmelte Wagner.

„Und was?“, erkundigte sich jetzt auch Lüders verständnislos.

„Alles“, gab Wagner flüsternd zurück. „Der Schnee …, die Geräusche …, die viel zu hohe Luftfeuchtigkeit.“

„Warum flüsterst du?“, zischte Jansen jetzt ebenfalls leise.

Doch statt zu antworten, drehte sich Wagner langsam herum. Keine zehn Meter oberhalb von ihnen hatte sich ein kleiner Überhang aus frischem Schnee gebildet, auf dem weiße Flocken in der Sonne tanzten.

„Weg hier!“, brüllte Wagner.

Mit ganzer Kraft stieß er seine Stöcke in das lockere Weiß und schoss Sekunden später an der Kante des Steilhangs entlang. Er achtete nicht auf das lose Geröll, das seine Ski ruinierte, sondern nur auf das dumpfe Grollen, das in seinem Rücken immer lauter wurde. Hoffentlich hatten Lüders und Jansen nicht allzu lang gezögert. Denn selbst für eine kurze Erklärung war einfach keine Zeit mehr geblieben.

Instinktiv drückte er seine Ski auf die Kante, so dass er nach links wegdriftete. Das kostete ihn zwar wertvolle Geschwindigkeit, vergrößerte aber hoffentlich den Abstand zu den heranjagenden Schneemassen.

Doch plötzlich gab der Boden unter ihm nach.

Wagner ruderte verzweifelt mit den Armen in der Luft, dann verschluckte ihn die wirbelnde Gischt. Er fühlte sich wie in einer riesigen Waschmaschine gefangen, die ihn unaufhörlich mit weißem Pulver bombardierte. Er war nur eine Frage weniger Augenblicke, bis er unter Tonnen vom Schnee begraben sein würde.

Aber mit einem Mal traf ein greller Lichtstrahl sein Gesicht.

Wagner schoss aus der weißen Wolke, als hätte ihn ein riesiger Eisbär ausgespuckt. Er torkelte noch ein paar Meter weiter und kippte schließlich zur Seite. Dann wurde es schlagartig mucksmäuschenstill. Nur noch ein paar Flocken wirbelten über ihm vor dem blauen Himmel.

„Ach du heilige Scheiße!“

Erschrocken fuhr Wagner hoch. Doch seine panische Sorge dauerte nur eine Sekunde. Keinen Steinwurf weit entfernt sah er vier Skier, die im lockeren Schnee steckten, während sich seine Freunde entschlossen zu ihm vorkämpften.

„Meine Fresse, was war das denn?“, keuchte Lüders atemlos, als er bei Wagner ankam.

„Du hast echt was gut bei uns, Alter“, stellte Jansen fest, bevor beide ihn auf die Beine zogen und die weißen Krümel von den Klamotten klopften. „Wenn du nicht so schnell reagiert hättest, dann wären wir richtig im Arsch gewesen. Mich würde wirklich interessieren, wie du das ahnen konntest?“

„Genau“, wollte jetzt auch Lüders wissen. „Schließlich bist du ja ein Nordlicht und lebst nicht in den Alpen.“

„Uhhh …“ Wagner machte ein paar kreisende Handbewegungen und rollte theatralisch mit den Augen, als wollte er die Berggeister beschwören. Aber in Wahrheit versuchte er lediglich, mit einem schrägen Scherz seinen immer noch rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen.

„Kaum dem Tod von der Schippe gesprungen und schon wieder herumblödeln“, gluckste Jansen.

„Sorry, Männer“, gab Wagner zurück. Er öffnete seine Jacke, denn mit einem Mal war ihm sauwarm. „Das war überhaupt nix Geheimnisvolles“, klärte er seine Freunde auf, „nur ein bisschen Physik.“

Jansen und Lüders schauten sich verständnislos an.

„Na seht mal“, fuhr Wagner fort, „der Neuschnee der Nacht war noch locker und hat sich am Morgen mit Feuchtigkeit vollgesogen.“ „Dadurch wird er relativ schwer und haftet nicht so gut auf dem Untergrund.“ Er atmete tief ein bevor er fortfuhr. „Wenn die Neigung des Hangs dann noch etwas ungünstig ist, oder drei Pappnasen darauf herumturnen, rutscht das Ganze schließlich irgendwann ab.“

„Respekt, Respekt“, stieß Lüders hervor und klopfte seinem Freund anerkennend auf die Schulter.

„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, damit Geld zu verdienen?“, brachte Jansen Wagner auf das Naheliegende. „Ich meine, es müsste doch jede Menge Leute geben, die deine Fähigkeiten zu schätzen wissen.“

Doch als sie wieder zurück in Hamburg waren, musste er feststellen, dass das leider nicht so einfach war, wie er anfangs gedacht hatte. Denn bei dem einzigen Arbeitgeber, der das wirklich tat, musste er eine Uniform tragen und sich für zwölf Jahre verpflichten. Aber das Gehalt bei der Bundeswehr war mehr als in Ordnung und mit den Zulagen für die Auslandseinsätze kam recht schnell ein hübsches Sümmchen zusammen.

Jahre später starrte Wagner missmutig auf die schneebedeckten Bergkämme des Hindukusch. Und auf die eintönige Ödnis, in der sie schon den ganzen Tag herumgurkten. Was je einen Menschen dazu veranlasst haben könnte, sich in dem kargen Landstrich niederzulassen, war ihm jedenfalls schleierhaft.

In ein paar Wochen war seine Dienstzeit offiziell vorbei und er hatte immer noch keinen blassen Schimmer, was er danach anstellen sollte. Zwar bot das Militär verschiedene Programme an, um ihren Angehörigen die Rückkehr ins zivile Leben zu erleichtern. Doch irgendwie konnte er sich nicht so recht entscheiden. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass ihm das Ganze irgendwie gefiel.

Denn Wagner gehörte zu einem der so genannten PRTs, einem regionalen Wiederaufbauteam, und war für die Risikobewertung ihres Einsatzgebietes zuständig. Diese Einheiten unterstützten den Aufbau Afghanistans und halfen bei der Verbesserung der lokalen Infrastruktur. Außerdem sorgten sie für ein sicheres Umfeld und arbeiteten eng mit den einheimischen Sicherheitskräften, aber auch mit der Zivilbevölkerung zusammen.

Natürlich waren die einfachen Menschen den Deutschen für ihre Hilfe mehr als dankbar und belohnten die Soldaten mit einem freundlichen Lächeln oder manchmal auch mit einer Einladung auf eine Tasse Tee. Und das war in dieser krisengeschüttelten Region schon fast ein kleines Wunder.

Wenn nur nicht ständig diese dämlichen Taliban dazwischenfunken würden.

Sie dachten sich im religiösen Wahn immer neue Perversitäten aus, um ihre eigenen Landsleute, und vor allem die ausländischen Truppen, zu terrorisieren. Da kam es Wagner und seiner kleinen Truppe auch gerade recht, dass in der flachen Ebene vor ihnen ein amerikanischer Konvoi auftauchte, an den sie sich bestimmt anhängen konnten. Denn bis Khanabad waren sie mit Sicherheit noch ein paar Stunden unterwegs.

Entschlossen drückte Schröder, der in ihrer Einheit nur Atze genannt wurde, das Gaspedal ihres Dingo durch. Das auf Basis eines Unimog gebaute Patrouillenfahrzeug war zwar gepanzert, aber trotzdem eine relativ leichte Beute. Da fühlten sie sich im Schutz der Amerikaner schon bedeutend sicherer.

Bis eine gewaltige Explosion den letzten Wagen des Konvois zerriss und sie innerhalb von Sekundenbruchteilen mit einer Wolke aus Splittern und Staub überschüttete.

Reflexartig trat Schröder die Bremse durch das Bodenblech. Völlig überrascht wurde Wagner in den Fußraum geschleudert und Omar, der Dolmetscher, knallte gegen den Vordersitz.

„Verdammte Kacke“, brüllte Schröder, nachdem er ebenfalls abgetaucht war.

Dann hielten alle drei die Luft an. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis erneut panzerbrechende Geschosse ein anderes Fahrzeug zerfetzten. Und wie immer, wenn er in eine ähnlich gefährliche Situation geraten war, raste Wagners bisheriges Leben in atemberaubender Geschwindigkeit an ihm vorbei. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht, bald von hier wegzukommen. Auch wenn ihm die großen Augen der kleinen Afghanen echt fehlen würden.

Doch statt des nächsten ohrenbetäubenden Knalls passierte gar nichts. Im Gegenteil, Es wurde plötzlich still. So still wie in einem Grab.

Behutsam atmete Wagner aus. So, als ob ein zu lauter Luftzug das feindliche Feuer auf sie lenken könnte. Dann stemmte er sich nach oben und spähte vorsichtig durch die Frontscheibe.

Die Räder des demolierten amerikanischen Trucks, der langsam wieder aus der Staubwolke auftauchte, sahen aus, als seien sie einfach abgesprengt worden und die Ladefläche war seltsam verformt. Offensichtlich wurde das Fahrzeug doch nicht von einem Geschoss getroffen, sondern durch einen teuflischen Sprengsatz zerrissen.

Völlig entsetzt konnte Wagner doch tatsächlich zwischen den Trümmern ein paar menschliche Körper erkennen. Einige streckten flehentlich die Hände nach ihren Kameraden aus, die jetzt aus den vorderen Fahrzeugen zum Ende des Konvois stürmten. Auch Schröder hatte bereits seine Tür geöffnet, um ihren Verbündeten zu Hilfe zu eilen.

„Stopp!“, presste Wagner unmissverständlich zwischen seinen Zähnen hervor.

Und Schröder blieb wie angewurzelt auf dem Trittbrett stehen. Denn diesen Ton kannte er nur allzu gut. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er auf seinen Hauptfeldwebel, der gerade ein starkes Militärfernglas aus der Mittelkonsole gezogen hatte und damit aufmerksam die karge Steppe absuchte, in der sie feststeckten.

„Da hinten …“, murmelte Wagner. Er deutete mit dem Kopf auf eine flache Düne in ungefähr einem Kilometer Entfernung, auf der ein gutes Duzend Ziegen mit ihren bärtigen Mäulern die spärlich wachsenden Gräser aus dem harten Boden zogen. „Ich könnte schwören, dass dort kurz vor dem Knall noch ein Hirte herumstand“, fügte er nachdenklich hinzu.

„Was dir so alles auffällt“, bemerkte Schröder fast ehrfürchtig. Dann rutschte er zurück auf den Fahrersitz und zog die schwere Tür zu.

„Taliban“, stellte Omar folgerichtig fest. Der drahtige Paschtune rieb sich seine schmerzende Stirn und starrte über Wagners Schulter hinweg ebenfalls auf die feindlichen Ziegen.

Bis die drei durch ein lautes Hupen aufschreckt wurden.

Schröder fuhr herum. Wenige Meter hinter ihnen stand ein amerikanischer Humvee und versuchte sich an ihrem Wagen vorbeizudrängeln. Noch während der Fahrer hektisch an seinem Lenkrad herumkurbelte, flog die Beifahrertür auf und ein stämmiger GI hastete an ihrem Dingo vorbei, um seine Landsleute zu unterstützen.

Jetzt hatte es Wagner plötzlich sehr eilig. Mit einem Satz war er draußen und sprintete los.

„Stopp, das ist ein Hinterhalt!“, versuchte er den Amerikaner vor der tödlichen Falle zu warnen. Doch der war offensichtlich mit seinen Gedanken schon bei den Verwundeten.

Außerdem war er schnell. Unheimlich schnell!

Zwar holte Wagner zügig auf, aber es waren nur noch wenige Meter bis zum Splitterradius einer vermeintlichen Bombe. Da konnte er eigentlich nur noch die Notbremse ziehen.

Entschlossen kickte er dem Amerikaner in die Fersen. Und prompt verhakte der sich in seinen eigenen Beinen und stürzte auf den staubigen Boden. Noch bevor er sich hochrappeln konnte, rammte Wagner seinem Opfer die Schulter in den Rücken und beide rollten wie außer Kontrolle geratene Rugby-Spieler in eine kleine Senke.

Gerade als sich der Amerikaner mit einem Faustschlag für die unsportliche Aktion des Deutschen bedanken wollte, flogen den beiden fast die Ohren vom Kopf und eine unsichtbare Faust presste ihnen alle Luft aus den Lungen.

Dann raste die Druckwelle über sie hinweg.

Das Erste, das Wagner wieder bewusst wahrnehmen konnte, war das dumpfe Hämmern, das seine Augen aus den Höhlen presste. Es fühlte sich an, als hätte die NASA in seinem Schädel ein neues Triebwerk getestet und sich dabei sehr viel Zeit gelassen.

Nur passte das saubere Bett, auf dem er lag, nicht so recht ins Bild. Genau wie dieser dämliche Blödmann von einem Ami, der grinsend mit einem Sixpack Budweiser vor ihm stand, und wegen dem er erst in diese beschissene Situation geraten war.

Aber irgendwie schien von den kalten Bierdosen eine seltsam heilende Wirkung auszugehen.

„Sie haben wohl Ihr Offizierspatent in Disneyland gewonnen?“, nuschelte Wagner aufgebracht durch seine geschwollenen Lippen, während er sich hochstemmte. „Dass das eine fucking Falle war, hätte doch jeder Idiot erkennen müssen.“

Der amerikanische Colonel grinste immer noch. Es schien ihn nicht im Geringsten zu stören, dass er gerade von einem deutschen Hauptfeldwebel zusammengestaucht wurde. Dann zog er ein Budweiser aus der Packung und warf es mit einer lässigen Geste in Wagners Richtung.

Und der fing es gekonnt auf.

„So viel Bier, wie Sie mir schulden, gibt es gar nicht“, stellte Wagner nach einem langen Zug fest.

Das Budweiser kühlte sehr angenehm seine raue Kehle und verdrängte das dumpfe Dröhnen zwischen seinen Ohren besser, als ein halbes Kilo Aspirin. Wie der Colonel das Sixpack an der Oberfeldärztin des Lazaretts vorbeischmuggeln konnte, war ihm ein Rätsel.

„Trotzdem danke.“ Jetzt grinste auch Wagner.

„Was haben Sie eigentlich nach Ihrer Entlassung vor?“, erkundigte sich der Ami, ohne auf Wagners Anschiss einzugehen. „Wie ich gehört habe, endet Ihre Dienstzeit in ein paar Wochen.“

„Stuntman“, prustete Wagner. Dann verschluckte er sich an seinem Bier. „Ich habe schon einige lukrative Angebote“, fuhr er fort, nachdem er seinen Hustenanfall überwunden hatte.

„Interessant“, stellte der Amerikaner fest. „Aber vielleicht, sollten Sie sich zuvor meines anhören.“ Er strich sich nachdenklich über das Kinn. „Wenn ich nicht völlig falsch liege, dann wird bei den richtig gefährlichen Sachen heutzutage auf Teufel komm raus getrickst und die so genannten Stuntmen sitzen eigentlich nur noch vor dem Computer.“

Wagner verkniff sich ein Lachen „Sagt wer?“

„Colonel Joe Hopkins.“ Der Amerikaner streckte dem Hauptfeldwebel seine kräftige Hand entgegen, dann räusperte er sich. „Für meinen Lebensretter selbstverständlich Joe“, fügte er hinzu. „Ich stehe für immer in deiner Schuld.“

„Ich bin Erik.“ Dann schüttelten sich die beiden die Hände. „Und …, gern geschehen. Das war doch selbstverständlich.“ Wagner zog ein verkniffenes Gesicht. „Wie viele Opfer gab es denn?“, erkundigte er sich vorsichtig.

„Fünf Schwerverletzte“, antwortete Hopkins sichtlich zerknirscht. Dann sog er hörbar die Luft ein. „Und drei haben es nicht geschafft.“

„Oh Kacke“, stellte Wagner niedergeschlagen fest.

„Das kannst du wohl laut sagen“, stimmte Hopkins zu. Er griff sich jetzt ebenfalls ein Budweiser, schnippte gekonnt den Verschluss auf und prostete dem Hauptfeldwebel zu. „Auf die Kameraden!“

„Auf die Kameraden!“, bestätigte Wagner.

„In deiner Truppe munkelt man, dass du für gefährliche Situationen ein besonderes Näschen hast und man in deiner Nähe so sicher ist wie in Abrahams Schoß“, wechselte Hopkins abrupt das Thema.

„So, sagt man das?“, gab Wagner gespielt überheblich zurück.

„Hast du schon einmal etwas von Brogsteen Security gehört?“, wollte Hopkins anschließend wissen.

„Klar!“, antwortete Wagner überrascht.

Fast jeder Soldat kannte die weltweit agierende Sicherheitsfirma, die sich auf den Schutz großer Konzerne spezialisiert hatte. Denn genau wie die Wirtschaft immer weiter globalisierte, machten natürlich auch die Kriminalität und der Terrorismus nicht vor Ländergrenzen halt. Sehr schnell erschlossen sich die verschiedensten Gruppierungen neue Einnahmequellen, indem sie von den Unternehmen, die in Krisengebieten tätig waren, hohe Schutzgelder erpressten oder deren Mitarbeiter entführten.

Natürlich waren die Firmen über die wachsende Bedrohung ihrer Interessen nicht gerade begeistert und beschlossen, auf die Dienste der hochgerüsteten Sicherheitsspezialisten zurückzugreifen. Sei es nun durch einen kleinen Privatkrieg oder auch durch die nicht minder effektiven Gefährdungsanalysen, die die Risiken bereits im Vorfeld erkannten.

„Nach meiner Entlassung übernehme ich bei Brogsteen die gesamte Einsatzkoordination“, klärte Hopkins Wagner auf.

„Aha!“ Wagner zog interessiert die Augenbrauen nach oben.

„Entgegen der landläufigen Auffassung, besteht eine solche Firma nicht aus schießwütigen Söldnern, sondern aus gut ausgebildeten Soldaten, IT-Experten und Analysten“, fuhr Hopkins fort. „Dummerweise gibt es immer einen gewissen Mangel an richtig schlauen Köpfen, weil sich die Geheimdienste die meisten davon wegschnappen“, schob er verärgert nach. „Da darf man nicht lange überlegen, wenn einem einer von denen buchstäblich auf den Kopf fällt.“

„Versuchst du gerade, mich zu rekrutieren?“, gab Wagner geschmeichelt zurück.

Brogsteen Security genoss in der Branche einen ausgezeichneten Ruf und bezahlte fürstlich – wenn man sich als würdig erwies, in ihre Reihen aufgenommen zu werden. Und da war natürlich dieses Angebot nahezu unfassbar.

„Genau!“, bestätigte Hopkins grinsend. „Als zukünftiger Vize-Geschäftsführer habe ich ein gewisses Mitspracherecht. Und wenn ich nicht völlig falsch liege, dann werden sich viele Konzerne nach verlässlichen Risikoanalysen die Finger lecken.“

Wagner nickte bedächtig.

Es war kein Geheimnis, dass die großen Ölfirmen bereits seit mehreren Jahren versuchten in den Krisengebieten des Nahen Ostens ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Oder Elektronikriesen für ihre Smartphones auch auf die sogenannten Konfliktmineralien aus dem Kongo angewiesen waren.

Und so wurde aus dem ehemaligen Hauptfeldwebel, ein hochbezahlter Sicherheitsspezialist, der in den Vorstandsetagen von Exxon bis Siemens ein und aus ging.

Die Schlächterin - Vergeltung

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