Читать книгу Skalp-Killer - J.S. Ranket - Страница 3
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ОглавлениеDas hätte sich Kara Matthes eigentlich denken können! So einfach in das Büro des Dezernatsleiters spazieren und sich um die ausgeschriebene Stelle bewerben, musste ja in die Hose gehen. Auch wenn sie eine der Jahrgangsbesten war. Aber wahrscheinlich war ihr, wie so häufig, ihre große Klappe auf die Füße gefallen.
Und dabei hatte alles so gut angefangen. Der Chef blätterte wohlwollend in ihren Unterlagen und stellte ein paar Fragen, die sie, nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, recht professionell beantwortete. Blöderweise kam dann die Hauptkommissarin, in deren Team besagte Stelle zu besetzen war, dazu. Die dämliche Zicke konnte sie von Anfang an nicht leiden und mäkelte so ziemlich an allem herum. Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass sie in ihrem Sandkasten mitspielte und womöglich den anderen Kollegen den Kopf verdrehte. Aber schließlich konnte Kara nichts dafür, dass sie hübsch war. Niemals würde sie ihre sportliche Figur in irgendwelchen Schlabberklamotten verstecken oder ihre schwarze Mähne unter eine Mütze stopfen.
„Wir melden uns bei Ihnen“, säuselte die arrogante Kuh übertrieben freundlich nach einer guten halben Stunde. Doch genau genommen hieß das wohl: „Lecken Sie uns am Arsch!“
Aber so war Kara zumindest vor schwachsinnigen Fragen flüchtiger Bekannter und neugieriger Nachbarn sicher. Ihre richtigen Freunde hatten jedenfalls sehr schnell kapiert, dass es keine ständigen SOKOs oder Mordkommissionen gab. Auch wenn das im Fernsehen laufend so suggeriert wurde. SOKO dies und SOKO das hörte sich auf jeden Fall spektakulärer an als Abteilung 1 des Landeskriminalamtes Berlin. Sonderkommissionen werden in der Regel nur für die Aufklärung einer bedeutenden Straftat oder eines Vermisstenfalles gebildet.
Wie zum Beispiel beim Verschwinden des gesunden Menschenverstandes.
Da die globale Erwärmung schon längst von der globalen Verblödung überholt wurde, sollte man einmal ernsthaft über die Einrichtung einer SOKO nachdenken, die in diese Richtung ermittelte. Denn hinter dem abendlichen Verdummungsprogramm des Fernsehens, schien offensichtlich das organisierte Verbrechen zu stecken.
Aber vielleicht war ein guter Film ja auch die beste Ablenkung für sie.
Kara würde sich zu Hause einfach ein nicht allzu blutiges, aber dafür kniffeliges Meisterwerk aus dem Netz ziehen und sich dann bei Chips und Dosenbier von den unvorhersehbaren Wendungen überraschen lassen. Sie stand sowieso eher auf die Aha-Effekte als auf abgetrennte Körperteile. Für einen entspannten Krimiabend fehlten ihr jetzt nur noch die fettigen Kohlehydrate und Alkohol.
Aber zum Glück hatte der kleine Supermarkt in ihrem trendigen Szeneviertel bis spät in die Nacht geöffnet. Der indische Besitzer hieß zwar Sanjay, doch der Laden glich in verblüffender Weise dem Kwik-E-Mart aus den Simpsons. Nur ohne Duff-Bier, aber dafür mit vernünftigen Preisen.
Von dem nervigen Gedudel aus den Lautsprechern bekam Kara nur wenig mit. Sie hatte ihre Sennheiser über die Ohren gestülpt und ließ sich von dem Soundtrack zu Berlin Calling, der von dem Musikgenie Paul Kalkbrenner geschrieben wurde, einlullen. Denn Rammstein wäre nach dem Desaster im Polizeipräsidium eher kontraproduktiv gewesen.
Und so bemerkte sie die Veränderung, die um sie herum geschah, überhaupt nicht.
Ein kleines Mädchen, das sie vom Sehen her kannte und eigentlich um diese Zeit schon längst im Bett liegen müsste, klammerte sich plötzlich hilfesuchend an eine Tüte Gummibärchen, während Sanjay hinter der Kasse zeitlupenlangsam die Hände hob. Erst als sie in den Lauf einer Pistole blickte, wurde ihr bewusst, was hier gerade vor sich ging.
Der finster aussehende Typ hatte sich ein Tuch über den Mund gezogen, das mit einem knochigen Unterkiefer bedruckt war und so seinen Kopf in einen Totenschädel verwandelte. Mit der Waffe bedeutete er ihr, dass sie ihre Kopfhörer abnehmen sollte.
„Da rüber!“, zischte er bedrohlich leise, nachdem sie ihre Sennheiser heruntergezogen hatte.
Kara wich langsam ein paar Schritte zurück und schob sich schützend vor die Kleine. Das, was sie bis jetzt nur aus Trainingsszenarien kannte, war plötzlich beängstigende Realität geworden. Sie hatte sich schon öfter gefragt, wann sie denn ihre Feuertaufe bestehen müsste. Und vor allem, ob sich das irgendwie ankündigen würde. Denn in der Regel passierte ja so etwas im Dienst und nicht beim Kauf von Dosenbier. Aber so beschissen wie dieser Tag gelaufen war, musste er ja im Chaos enden. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass Sanjay keinen Mist baute und so viel Kohle unter dem Tresen hatte, dass der Blödmann mit der Knarre zufrieden war.
Leider hatte das bisschen Elektro-Pop bei Weitem nicht ausgereicht, um ihren Adrenalinspiegel ausreichend zu senken. Trotzdem standen der Eigenschutz und natürlich der Schutz Unbeteiligter an erster Stelle. Außerdem war die Neunmillimeter, mit der Gangster auf sie zielte, echt.
„Die … die … die Kasse … das Geld!“, stieß er gehetzt hervor, als er seine Waffe aufgeregt in Sanjays Richtung schwenkte.
Offenbar stand er noch am Anfang seiner Verbrecherkarriere und vollständige Sätze gehörten noch nicht zu seinem Repertoire. Aber gerade das machte ihn brandgefährlich. Während richtige Profis mit ihren Opfern häufig freundlich plauderten, verloren Anfänger recht schnell die Nerven und ballerten wild um sich, wenn etwas nicht genau nach Plan lief.
Dummerweise fand gerade ein Teil von Karas Gehirn die Situation derart skurril, dass sich ihre Mundwinkel unwillkürlich nach oben zogen. Sie hatte zwar nicht erwartet, dass sich ein Supermarkträuber mit einer rhetorisch ausgefeilten Rede aufhielt, doch ein paar Verben sollten schon dabei sein. Verzweifelt versuchte sie, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, doch ein kleines Glucksen konnte sie nicht mehr vermeiden.
Der Typ fuhr herum und hielt ihr seine Waffe so dicht vor das Gesicht, dass sie die Züge im Lauf sehen konnte. Dann drehte er sie direkt vor ihren Augen langsam auf die Seite. Das, was im Film immer recht cool aussah, war in der Realität ausgesprochener Schwachsinn. Denn so traf man auf eine größere Entfernung so ziemlich alles, aber nicht das, worauf man zielte. Aber auch wenn das auf diese kurze Distanz keine Rolle spielte, kribbelte es Kara irgendwie in den Fingern. Sollte der Kerl heute Erfolg haben, dann wurde er bestimmt mutiger.
Bis es irgendwann doch Tote oder Verletzte gab.
„Wir melden uns bei Ihnen.“ Dieser Satz kreiste Kara immer noch im Kopf herum. Vielleicht sah man sich ja schneller wieder, als sie alle zusammen gedacht hatten.
„Was ist so lustig, du dämliche Schlampe?“, keuchte der Kerl wütend.
„Meine Dienstwaffe hat eine integrierte Abzugssicherung, weil sie im Einsatz immer durchgeladen ist“, klärte sie ihn auf. Dann schielte sie demonstrativ auf seine Neunmillimeter. „Auch wenn du schon eine Patrone im Lauf hast, musst du deine noch manuell entsichern…“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. „… was du aber offensichtlich nicht getan hast.“
„Halts Maul“, stieß der Räuber aggressiv hervor, „verarschen kann ich mich selbst!“ Trotzdem konnte man eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme hören.
„Kara ist wirklich bei der Kripo“, bestätigte Sanjay mit erhobenen Händen vom Tresen aus.
Sie nutzte den kurzen Augenblick, in dem er zu dem Inder blickte, um aus der Schusslinie abzutauchen und seine Hand nach oben zu drücken. Einen Wimpernschlag später landete ihr Fuß in seinen Eiern.
Der Typ machte ein Geräusch wie ein kaputter Blasebalg. Dann drehte er sich um seine eigene Achse und taumelte mit lautem Gebrüll gegen ein Süßigkeitenregal, bevor er in einer Chipswolke zu Boden ging.
Blitzschnell kickte Kara seine Waffe zur Seite und drehte seinen Arm auf den Rücken.
„Du bist verhaftet, Arschloch!“, zischte sie triumphierend in sein Ohr.