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„Meine Güte“, stellte Kara überwältigt fest, als sie an dem kleinen Aussichtspunkt hielten, „so gigantisch hatte ich das gar nicht in Erinnerung.“

Nach ihrem sehr innovativen Start in eine Beziehung, wollten die beiden ihren Urlaub im Spätsommer natürlich gemeinsam verbringen. Für Kara war es nicht weiter schwierig, Lukas zu einer kleinen Tour durch den amerikanischen Westen zu überreden. Stundenlang hatte sie ihm von den beeindruckenden Nationalparks vorgeschwärmt, die sie unmittelbar nach dem Schulabschluss mit ein paar Freunden besucht hatte. Nur leider hatte sich die Clique damals ein wenig zu viel vorgenommen und alles im Eilzugtempo abgearbeitet. Aber weniger war ja bekanntlich mehr und so wollten sich die beiden diesmal in den Tagen zwischen Ankunft und Rückflug einfach treiben lassen.

Sie hatten den Sequoia- und den Yosemite National Park bereits hinter sich und waren praktisch schon auf dem Rückweg. Nur den Lake Tahoe wollte Kara auf keinen Fall verpassen.

Der riesige Bergsee lag wie ein saphirblaues Juwel zwischen den Gipfeln der Sierra Nevada und schien wahrscheinlich ausgiebig mit Photoshop bearbeitet worden zu sein. Denn anders konnte man sich die unwirklich klaren Farben nicht erklären. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fehlten jetzt eigentlich nur noch ein paar waschechte Cherokee, die mit traditioneller Kriegsbemalung durch die Postkartenidylle ritten.

Kara hatte sich eine Coke aus der Kühlbox geangelt, die sie im Kofferraum ihres Chevrolet Suburban verstaut hatten, und war auf die Motorhaube gerutscht. Aus irgendeinem Grund hatte die Autovermietung ihre Reservierung hochgestuft und ihnen den monströsen Geländewagen zum gleichen Preis angeboten. Aber vielleicht wollten sie mit dem Sechszylindermotor einfach nur den Spritverkauf ankurbeln. In Deutschland würde man jedenfalls mit einem solchen Gefährt bettelarm werden. Sofern einem militante Umweltschützer nicht vorher die Scheiben einschlugen. Dass durch die Rohstoffgewinnung für die Elektromobilität ganze Landstriche auf der Südhalbkugel verwüstet wurden, war offensichtlich noch nicht zu ihnen durchgedrungen.

Der einzige Nachteil an dem Riesenvehikel war, dass man mit dem Ding praktisch noch analog unterwegs war und sich seinen Weg mit der Karte suchen musste. Aber Lukas stand ohnehin mehr auf diese Art der Navigation, weil man so nicht ständig auf ein Display starrte, sondern auch einmal etwas ganz Schräges versuchte. Nämlich auf Straßenschilder oder die Umgebung achten. So bekam man auch ohne Navi mit, dass man gerade über die Golden Gate Bridge fuhr.

Doch als Ausgleich dafür fühlten sie sich in dem Chevy wie auf der heimischen Couch und ihre Getränke konnten in einer isolierten Halterung wahlweise gekühlt oder warm gehalten werden.

Lukas schob sich neben seine Freundin, die sich gerade ihre schwarze Mähne filmreif aus dem Gesicht strich, und zog ihr die kalte Dose aus der Hand. Dann trank er einen großen Schluck.

„Also einen besseren Zeitpunkt als den Spätsommer gibt es für so eine Tour überhaupt nicht“, stellte er fest, während er mit einem schelmischen Grinsen über ihre nackten Beine fuhr. Wenn man von Mutter Natur so gesegnet wurde, dann war es ja völlig logisch, dass man superknappe Shorts und Sneakers liebte. „Drüben in Nevada ist es nicht mehr so brütend heiß und hier in den Bergen muss man sich nur am Abend etwas überziehen.“

„Apropos Abend“, ergänzte Kara mit einem erleichterten Lächeln. „Es ist sehr schön, dass wir jetzt auch mal ganz normal kuscheln können und nicht bei jeder Gelegenheit übereinander herfallen.“

Lukas verdrehte peinlich berührt die Augen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hatte er angenommen, dass Kara sich einen Partner wünschte, der sie ständig nach allen Regeln der Kunst verwöhnte. Natürlich hatten sie in den ersten Nächten wie die Verrückten gevögelt, aber wenn das immer so laufen sollte, dann kam man schnell an seine Grenzen. Schließlich war er ja nicht mehr der Jüngste. Aber zum Glück hatte sie rechtzeitig die Notbremse gezogen. Denn beiden gefielen auch einfach nur Abende mit guten Gesprächen oder einem spannenden Film.

Bei ersterem erfuhr Lukas von Karas einsamen Zeiten. Ihr damaliger Partner hatte es schlichtweg nicht mehr ausgehalten, allein mit heruntergebrannten Kerzen am Esstisch zu sitzen, während sie auf Verbrecherjagd in der nächtlichen Hauptstadt war. Oder wie er kopfschüttelnd an ihrem Krankenbett stand, nachdem sie bei einem routinemäßigen Einsatz böse zusammengeschlagen worden war.

Im Gegensatz dazu erzählte er ihr, wie sich seine Begeisterung für die Technik und die Fliegerei im Laufe der Jahre in tiefe Frustration verwandelte. Die sich dann natürlich auch auf seine Beziehung niederschlug. Die Bundeswehr wurde zunehmend kaputtgespart, während die Anforderungen immer weiter stiegen.

Die irrige Annahme, dass ein Auslandseinsatz zu einem Motivationsschub führen würde, hätte für ihn beinahe tödlich geendet. Kara lauschte jedenfalls mit angehaltenem Atem, wie sie mit knapper Mühe und Not in einem Krisengebiet notlanden und anschließend um ihr Leben rennen mussten.

Das einzig Gute an der Sache war, dass beide noch keine Kinder hatten. Denn die waren in solchen Dingen meist die Leidtragenden.

„Sieh mal …“ Jetzt strich Kara ihrerseits Lukas sanft über den Arm. „… wir sind ja keine dauergeilen Teenager, die sich beweisen müssen.“

„Stimmt“, bestätigte er grinsend. „Du trägst eine Knarre und fängst haufenweise schwere Jungs …“

„… ja genau“, ergänzte Kara, „und du fliegst mit einer Million Euro unterm Hintern herum und schlägst ahnungslose Polizistinnen bewusstlos.“ Dann lehnte sie sich verträumt an ihn. „Also was denkst du, Osten oder Westen?“

„Hmmm …“ Lukas blickte unschlüssig erst in die eine und dann in die andere Richtung. „Keine Ahnung, du warst doch schon hier.“

„Aber das ist Jahre her“, gab sie zu bedenken. „Wir haben damals in South Lake Tahoe gewohnt und das war ein bisschen crazy, weil die Staatsgrenze mitten durch den Ort verläuft.“ Kara grinste. „Also auf der Westseite, in Kalifornien, da gab es ganz normale Kneipen und auf der anderen Straßenseite, in Nevada, da standen die Casinos und du konntest zocken bis zum Umfallen.“

„Verrückt!“, musste Lukas zugeben. „Aber wollen wir das?“

Beide schüttelten gleichzeitig den Kopf.

„Na dann also Westen!“, bestätigte Lukas und schubste seine kichernde Freundin von der Motorhaube.

Kurz nachdem sie Brockway erreichten, stellten sie fest, dass sie die richtige Wahl getroffen hatten. Der kleine Ort schmiegte sich zwischen Kiefernwäldchen in eine traumhafte Bucht. Es wäre doch gelacht, wenn sie hier nicht etwas Passendes finden würden. Denn über die besten Sachen stolperte man sowieso meist zufällig. Oder überfuhr sie fast. So wie den kleinen Nachwuchskicker, der seinem Fußball hinterherrannte.

Kara trat auf die Bremse und Lukas, der gerade eine Chipstüte von der Rücksitzbank holen wollte, rutschte in den Fußraum.

„Hast du sie noch alle?!“, stieß er überrumpelt hervor. „Sag doch einfach, wenn du nicht willst, dass ich fett werde.“

Erst als er sich nach oben stemmte und in die erschrockenen Augen des Jungen blickte, wurde ihm klar, was gerade passiert war. Doch da war Kara bereits auf der Straße.

„Hast du dich verletzt?“, wollte sie von dem Kleinen wissen, während sie ihn aufgeregt umrundete.

Statt einer Antwort stand plötzlich eine drahtige weißhaarige Lady neben ihm und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Wie oft soll dir noch sagen, dass du hinter dem Haus spielen sollst?“, brummte sie vorwurfsvoll. Dabei sah sie so aus, als würde sie jeden Tag mit einem Gewehr über der Schulter durch die Wälder streifen. Sicher hätte sie ihrem Enkel statt des Klapses lieber einen Warnschuss verpasst. Das hieß, wenn sie eine Waffe dabeigehabt hätte. „Danke für Ihre schnelle Reaktion“, fuhr sie an Kara gewandt fort. Dann schob sie den Kleinen in Richtung ihres beeindruckenden Chalets davon.

„Das war doch selbstverständlich“, wiegelte Kara ab.

„Sie sind Deutsche, stimmt’s?“, mutmaßte sie.

„Genau“, bestätigte Lukas, der sich in der Zwischenzeit zu ihnen gesellt hatte.

„Meine Eltern stammen aus Hannover und da erkenne ich das natürlich sofort“, klärte sie die beiden auf. Dann streckte sie ihnen die Hand entgegen. „Ich bin Maggie. Na ja, eigentlich Margaret, aber so nennt mich hier keiner.“

„Ich bin Kara und das ist Lukas“, stellten Kara sie beide vor, während sie sich die Hände schüttelten.

„Darf ich euch eine kleine Erfrischung anbieten?“ Maggie deutete einladend auf ihr Haus.

„Sehr gerne“, stimmte Kara zu. Offensichtlich schien man hier sehr schnell zum Du überzugehen.

Lukas übernahm höflicherweise das Einparken, weil die beiden Frauen bereits schnatternd zu dem riesigen Holzhaus gingen. Es war in dem hier typischen Stil einer Berghütte gebaut, glich aber von den Dimensionen her eher einem kleinen Schloss. Mit einer Terrasse aus massiven Baumstämmen und einer Glasfront, von der aus man selbstverständlich den See bewundern konnte.

„Sie haben nicht zufällig so etwas wie das hier zu vermieten“, fiel Lukas mit der Tür ins Haus, als er die beiden Frauen eingeholt hatte. Die respektable Lady sofort zu duzen, war gar nicht so einfach. „Also ich meine, ein paar Nummern kleiner würden auch reichen.“

„Lukas!“, zischte Kara tadelnd.

„Ist schon gut Kindchen“, lachte Maggie. „Ich wollte euch sowieso gerade fragen, ob ihr auf der Durchreise seid oder euch hier schon irgendwo einquartiert habt.“ Dann führte sie die beiden auf die Terrasse, wo ein paar rustikale Sessel mit fetten Polstern zum Ausruhen einluden. „Ich nehme an, Bier ist okay?“, wollte sie wissen. „Oder seid ihr eher so die Weißweintypen?“

„Bier ist völlig okay“, bestätigte Kara. „Wir werden ja hoffentlich in keine Alkoholkontrolle kommen.“

„Wenn man im Verkehr keinen Mist baut, dann sind null Komma acht erlaubt“, klärte sie Maggie auf. „Aber bis da hinunter wird euch bestimmt keiner anhalten.“

Die beiden folgten Maggies Blick durch die Bäume. Ein paar Meter vom Ufer entfernt stand ein kleines Blockhaus, das wie eine Miniaturausgabe des riesigen Chalets wirkte.

„Schaut es euch nachher ruhig einmal an“, kommentierte sie die überraschten Gesichter der beiden, bevor sie im Haus verschwand. „Wenn es euch gefällt, dann könnt ihr gerne für ein paar Tage dort einziehen.“

„Das gibt’s ja gar nicht“, stieß Kara immer noch ungläubig hervor und hob die Hand zum High five.

„Genau“, bestätigte Lukas, während er einschlug. „Das ist echt verrückt.“

„Na los!“, forderte Maggie, als sie mit drei kalten Flaschen Miller zurückkam. „Erzählt doch mal, wo ihr herkommt und was ihr so macht. Dass ihr noch nicht sehr lange zusammen seid, sehe ich jedenfalls auf den ersten Blick.“

Die beiden grinsten wie zwei verliebte Teenager, dann prosteten sie sich zu.

„Stimmt“, begann Kara, „wir sind noch nicht lange zusammen und das ist unser erster gemeinsamer Urlaub.“ „Nachdem mich der junge Mann da bei einem Einsatz k.o. geschlagen hat, war er mir etwas schuldig.“

„Dafür hast du aber auch einen Kuchen bekommen“, protestierte Lukas lautstark, bevor er Maggie über ihr erstes Zusammentreffen aufklärte.

„Na das sind ja die allerbesten Vorrausetzungen für eine glückliche Beziehung“, stellte ihre Gastgeberin fest. „Ihr werdet euch so wenig sehen, dass ihr überhaupt keine Zeit zum Streiten habt.“ Dann machte sie eine kurze Pause und lächelte verschmitzt. „Und wenn ihr endlich mal an einem Wochenende zusammen seid … na ja, ihr wisst schon was ich meine.“

Statt einer Antwort grinsten die beiden schon wieder.

„Nun schaut euch mal das Häuschen an“, forderte Maggie. „Ich muss meinen Enkel nämlich dann noch zu seiner Mutter bringen. Das Bier könnt ihr ruhig mitnehmen.“

Wie auf ein geheimes Kommando rannte plötzlich eine Horde kreischender Kinder über das Grundstück und verschwand anschließend in einem angrenzenden Wäldchen.

„Das ist auf jeden Fall besser, als die ganze Zeit auf das Smartphone zu starren“, lachte Maggie, bevor sie die Tür des Gästehauses aufschloss.

Es roch angenehm nach frisch geschlagenem Holz und einem Blütenpotpourri, den sie in kleinen Säckchen überall verteilt hatte. Durch die bodentiefen Fenster glitzerte das Wasser des Sees, während man in der offenen Küche sein Abendessen genießen konnte. Da wirkte sogar die beeindruckende Schrotflinte über der Tür sehr dekorativ.

„Die ist nicht geladen“, kam Maggie kritischen Fragen zuvor. „Die Munition für die schwere Artillerie habe ich oben im Waffenschrank“, fügte sie augenzwinkernd hinzu.

„Kein Problem“, bestätigte Kara, dann ließ sie sich mit ausgebreiteten Armen auf das bequeme Sofa plumpsen. „Hier ist es ja absolut fantastisch!“

„Dann wäre das jetzt wohl geklärt“, grinste Lukas in Maggies Richtung. „Fragt sich nur, ob wir uns das auch leisten können?“

„Ich vermiete es euch für einen symbolischen Preis von zehn Dollar pro Tag“, beruhigte ihn Maggie. „Und die Kosten für Wasser und Strom werden euer Budget schon nicht gleich sprengen. Genauso wenig wie die Endreinigung. Das schaffe ich in meinem Alter nicht mehr und deshalb muss das meine Putzfrau erledigen.“

„Das ist aber außerordentlich großzügig“, musste Kara überrascht zugeben. „Und dabei kennst du uns ja nicht einmal.“

„Ich verlasse mich da auf mein Bauchgefühl“, gab Maggie zurück. „Das hat mich bis jetzt noch nie im Stich gelassen.“ Dann machte sie eine kurze Pause. „Allerdings ist logischerweise der Kühlschrank leer, aber oben an der Hauptstraße gibt es einen Supermarkt und ein paar Restaurants. Wenn euch langweilig ist, dann könnt ihr euch in Kings Beach ein Boot ausleihen oder in die Berge fahren. Wir haben da echt gute Skigebiete. Natürlich ist da um diese Jahreszeit nichts los, doch die Aussicht ist fantastisch. Oder falls ihr einmal absolute Stille genießen wollt, dann fahrt rüber nach Nevada an den Pyramid Lake.“ Maggie trank einen Schluck. „Und wenn ich sage, ‚Absolute Stille‘, dann meine ich das auch so. Der See liegt mitten in der Wüste und ist von zwei Bergketten umgeben. Um die Mittagszeit hört man da nicht einmal Insekten, sodass man glaubt, man sei auf dem Mars oder so.“

„Das klingt alles verdammt gut“, musste Lukas eingestehen, während Kara zustimmend nickte.

„So, jetzt lasse ich euch mal allein und sehe zu, dass ich Joshua einfange und ihn zu seinen Eltern bringe“, verabschiedete sich Maggie. „Die wohnen unten in Emerald Bay und vielleicht schlafe ich auch gleich bei den Kindern. Wenn es dunkel ist, fahre ich nämlich nicht gerne.“

Nachdem ihre Gastgeberin verschwunden war, sprang Kara auf Lukas’ Rücken und krallte sich fest wie ein kleines Äffchen.

„Das ist ja absolut geil hier!“, stellte sie kichernd fest. Dann biss sie ihm zärtlich ins Ohr. „Am besten wir vergessen das mit dem Kuscheln für heute Abend und vögeln richtig.“

„Genau!“, bestätigte er, während er sich zu dem großen Wohnraum umdrehte und demonstrativ zu Boden blickte. „Ich ich kann es kaum erwarten, wie du dich nackt auf einem Bärenfell räkelst.“

„Dass ich es auf einem toten Tier treibe, kannst du vergessen, mein Freund!“

Sie sprang von Lukas’ Rücken und ging vor dem Fell, das dort lag, auf die Knie. Dann inspizierte sie fachmännisch dessen Rand.

„Aber bei dem hier will ich mal nicht so sein“, beruhigte sie ihn. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Grizzly mit einer Pflegeanleitung im Pelz herumläuft.“

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