Читать книгу Skalp-Killer - J.S. Ranket - Страница 4
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ОглавлениеEin paar Jahre und zwei gescheiterte Beziehungen später hatte Kara den Job der Zicke. Ohne auf einen wartenden Partner, oder vielleicht sogar Kinder, Rücksicht nehmen zu müssen, konnte sie jetzt nach Herzenslust Leute herumkommandieren. Was sie aber natürlich nicht tat. Sie ergriff lieber jede passende Gelegenheit, um den Büromief hinter sich zu lassen und mit ihren Kollegen vor Ort zu ermitteln. Da kam ihr das klitzekleine Personaldefizit, das eine Schwangere und eine kaputte Bandscheibe in ihre Abteilung gerissen hatte, gerade recht.
„Hast du mal eine Minute, Chefin?“, wollte Jan Sünderhauf wissen.
Der stämmige Oberkommissar hatte seinen Kopf durch die Tür ihres Büros gesteckt und wedelte vielsagend mit einer Akte herum.
„Aber immer“, antwortete Kara.
„Wetzels Name ist schon wieder im Zusammenhang mit illegalem Waffenbesitz aufgetaucht“, berichtete er, nachdem er sich geräuschvoll in einem Sessel vor ihrem Schreibtisch niedergelassen hatte.
„Interessant!“
Der kauzige Alte erkannte die Existenz der Bundesrepublik nicht an und hatte kurzerhand seine riesige Apfelplantage zum exterritorialen Gebiet erklärt.
„Wir sollten ihm mal einen kleinen Besuch abstatten …“, fuhr Sünderhauf fort.
„… und ein bisschen auf den Busch klopfen“, vervollständigte sie den Satz ihres Kollegen.
„Genau“, bestätigte er erfreut.
„Na dann los!“ Kara kramte ihre Dienstwaffe aus der Schublade und schlüpfte in ihre Jacke. „Dieser ganze Schriftkram macht mich noch völlig irre.“
„Augen auf bei der Beförderung!“, gluckste Sünderhauf.
Mit dem freundschaftlichen Klaps seiner Chefin hatte er jedoch nicht gerechnet.
Nach einer knappen halben Stunde erreichten sie Wetzels Hof. Er lag inmitten von gefühlt einer Million Apfelbäumen und hätte gut als Werbung für den deutschen Obstanbau herhalten können. Es war sicher nur noch eine Frage von ein paar Tagen, bis sich dutzende Erntehelfer auf die süßen Früchte stürzen würden. Allerdings war jetzt keine Menschenseele zu sehen.
Sünderhauf quetschte ihren Passat zwischen zwei kleine Traktoren, dann stiegen sie aus. Am Himmel hatten sich hohe Wolkenberge aufgetürmt, doch es war noch angenehm warm. Außerdem hing der Duft der Bäume so schwer wie Blei in der Luft. Nur mit Mühe widerstand Kara der Versuchung, einfach einen Apfel zu pflücken und herzhaft hineinzubeißen. Aber wahrscheinlich hätte ihr das nur eine Anzeige von dem kauzigen Alten eingebracht.
Nachdem auf ihr Klingeln niemand reagiert hatte, umrundeten die beiden das Wohnhaus. Auf der Rückseite, dort wo sich ein flaches Wirtschaftsgebäude befand, führte ein befestigter Weg in direkt in die Plantage.
Aber auch die niedrige Halle war völlig ausgestorben. Da blieb eigentlich nur noch die Garage übrig.
Gerade als die zwei Kommissare darauf zusteuerten, wurde das Tor von innen aufgeschoben. Die Gestalt im Halbdunkel wirkte wie ein Guerilla-Kämpfer aus einem schrägen Abenteuerfilm. Mit Springerstiefeln, Kampfanzug und einem Barrett auf dem Kopf.
„Herr Wetzel, wir sind von der Polizei“, begann Sünderhauf freundlich.
„Ich weiß, wer Sie sind“, blaffte der Alte, „und ich muss Ihnen mitteilen, dass Sie sich unrechtmäßig hier aufhalten.“
Es hätte nicht viel gefehlt und Kara hätte laut losgelacht. Der zugegebenermaßen recht stattliche Opa konnte doch nicht ernsthaft annehmen, dass sich zwei Kriminalbeamte von seiner Fantasieuniform beeindrucken ließen. Trotzdem musste sie professionell bleiben.
„Herr Wetzel, wir möchten wirklich nur mit Ihnen reden“, fuhr Kara in dem beschwichtigenden Tonfall ihres Kollegen fort.
Statt einer Antwort verschwand er in der Garage und kurz darauf wurden die beiden von einigen Schüssen gezwungen, in Deckung zu gehen.
Kara, die so etwas irgendwie geahnt hatte, hechtete zur Seite und rollte sich hinter einen Erntewagen. Reflexartig riss sie im Sprung ihre Waffe aus dem Holster und schoss zurück. Als der Lärm verhallt war, hörte sie, wie in der Garage ein Motor startete und Sekundenbruchteile später jagte mit quietschenden Reifen ein bulliger Land Rover Defender heraus. Er legte vor der Garage eine beeindruckende Wendung hin, bevor er in der Plantage verschwand.
„Verdammte Kacke!“ Kara war aufgesprungen und trat mit dem Fuß wütend gegen ein Rad des Erntewagens. „Ist der irre oder was? Man kann doch nicht zu jedem Idioten das SEK mitnehmen.“
Dann blickte sie zu Sünderhauf.
Ihr Kollege hatte zwischen den Bäumen Schutz gesucht und starrte mit offenem Mund der Staubwolke hinterher. Dann kippte er langsam zur Seite.
„Oh Scheiße!“
Kara sprintete los. Dass eine simple Befragung in einem solchen Desaster enden würde, konnte nun wirklich keiner ahnen. Noch im Laufen riss sie ihr Smartphone aus der Tasche und drückte die Schnellwahltaste der Einsatzleitstelle. Gerade als sie neben Sünderhauf in die Knie ging, stand die Verbindung.
„Kollege angeschossen!“, brüllte sie aufgeregt in das Telefon. „Der Täter heißt Harald Wetzel und flüchtet in einem dunkelgrünen Land Rover von seiner Apfelplantage.“
„Wie schwer ist der Kollege verletzt?“, wollte die Stimme am anderen Ende wissen.
„Keine Ahnung“, kreischte Kara aufgeregt, während sie kräftig Sünderhaufs Wange tätschelte. „Schwer eben!“
Seine Haut war kalkweiß, die Augenlider flatterten und an der rechten Schulter färbte sich sein Hemd langsam scharlachrot. Kara riss es mit einem kräftigen Ruck herunter. In der Höhe des Schlüsselbeins klaffte eine kleine Wunde, aus der ein beständiger Blutstrom quoll, der mit Luftblasen durchsetzt war. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus bohrte Kara ihren linken Zeigfinger in das blubbernde Loch.
Es fühlte sich ein wenig so an, als würde er in warmen Himbeerpudding stecken, und an seiner Spitze konnte sie doch tatsächliche ein Pulsieren spüren. Sie wusste nicht, ob das gut oder schlecht war, aber die Blutung wurde deutlich schwächer und versiegte nach ein paar Augenblicken fast völlig.
„Ich glaube, dass seine Lunge verletzt ist“, stieß Kara immer noch aufgeregt hervor.
„Hilfe ist unterwegs und die Fahndung ist raus, Frau Matthes“, bestätigte die Leitstelle. Natürlich wussten die, wer da anrief, und konnten selbstverständlich auch ihr Handy orten.
„Danke“, hauchte Kara kraftlos.
Wenn sie jetzt keinen Krampf im Finger bekam, dann standen Sünderhaufs Chancen wahrscheinlich recht gut. So weit sie das beurteilen konnte, verschlechterte sich sein Zustand jedenfalls nicht weiter.
„Mach ja keinen Scheiß, Alter!“, versuchte sie es mit einer Portion Galgenhumor. „Wenn du das hier verbockst, dann kriegst du einen Monat Innendienst aufgebrummt.“
Gerade als Kara das Wort „aufgebrummt“ ausgesprochen hatte, hörte sie in der Ferne ein dumpfes Röhren, das schnell näher kam. Doch eigentlich konnte das noch nicht die versprochene Hilfe sein, denn der Helikopter müsste ja praktisch in der Nähe auf den Einsatz gewartet haben Aber als kurz darauf ein rot-weißes Etwas über sie hinwegdonnerte, machte ihr Herz einen gewaltigen Sprung. Sie hörte, wie der Hubschrauber sich langsam entfernte, mehrmals hin und her flog und dann wieder ein Stück näher kam. Gleichzeitig meldete sich ihr Smartphone.
Das hieß, sie sah auf dem Display den eingehenden Anruf, denn das Klatschen der Rotorblätter löschte jedes andere Geräusch aus. Hektisch fummelte sie ihre Ohrhörer aus der Tasche und stöpselte sie ein.
„Wo genau sind Sie denn?“, wollte die Leitstelle wissen. „Der Hubschrauber sagt, dass er Sie nicht finden kann.“
„Da stehen ein paar Trecker auf dem Hof“, versuchte Kara ihren Standort zu erklären, „und ungefähr fünfzig Meter Richtung Norden …“
„Ich schalte Sie mal auf den Rettungsdienstkanal“, schlug die Leitstelle vor, „da können Sie mit denen direkt reden.“
„Gute Idee“, brüllte Kara in ihr Telefon.
„Hier ist Christoph 82“, tönte es kurz darauf in ihren Ohren. „Wo genau befinden Sie sich?“
„Auf dem Hof stehen ein paar Trecker“, begann Kara erneut. „Wir sind nördlich davon zwischen den Bäumen.“
„Ich kann hier nicht landen“, zerschlug die Stimme in ihren Ohren die Hoffnung auf schnelle Hilfe. „Es wird also ein paar Minuten dauern, bis wir bei Ihnen sind.“
„Seid ihr bescheuert!“, kreischte Kara. „Mein Kollege kratzt hier gleich ab und ihr sucht gemütlich einen Parkplatz.“
Natürlich wusste sie, dass die Besatzung keine Bruchlandung riskieren durfte, aber wütend war sie trotzdem.
„Wie schwer ist denn der Patient verletzt?“, meldete sich plötzlich eine andere Stimme. Offensichtlich war das der Notarzt.
„Er hat eine Schusswunde in der Brust, die fürchterlich geblutet und geblubbert hat“, schilderte Kara Sünderhaufs Zustand. „Ich habe erst einmal meinen Finger reingesteckt und sie so zum Stillstand gebracht. Aber jetzt sollten Sie sich verdammt nochmal beeilen, denn da drin pulsiert es ganz komisch.“
„Habe ich das richtig verstanden, dass Sie eine penetrierende Schussverletzung mit Ihrem Finger tamponieren?“, wollte der Notarzt sichtlich verwirrt wissen.
„Keine Ahnung, was ich da gerade mache“, brüllte Kara in ihr Handy. „Auf jeden Fall sollten Sie, statt zu quatschen, Ihre Kiste irgendwo runterbringen!“
„Okay.“ Das war jetzt wahrscheinlich wieder der Pilot. „Ich versuche mal was, aber das wird echt heftig. Sie sollten deshalb ein bisschen in Deckung gehen und sich vorsichtshalber von ihrer Frisur verabschieden.“
„Arschloch!“
Kaum hatte sich Kara schützend vor ihren Kollegen gehockt, da wurde sie von einer unsichtbaren Faust zu Boden gedrückt. Die Luft um sie herum vibrierte, während die reifen Früchte von den Bäumen gerissen wurden und auf sie eintrommelten wie hunderte Tennisbälle. Trotzdem wollte sie wissen, wo der Hubschrauber denn jetzt tatsächlich landete und drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite.
Es war genau der letzte Apfel, der ihr linkes Auge traf und sie so fast k.o. schlug.
Vor ihr tanzten bunte Kreise und in ihrem Kopf startete gerade ein Düsenjet. Zum Glück schälten sich aus dem milchigen Nebel, der sie plötzlich umgab, zwei Gestalten, die geradewegs auf sie zustürmten. Sie wurde sanft zur Seite gedrückt, dann spürte sie, wie sich etwas Metallenes neben ihrem Finger in Sünderhaufs Brust schob. Und als sie kurz darauf das „Fertig“ hörte, hätte sie vor Freude heulen können.
Dummerweise kippte sie stattdessen neben ihrem Kollegen ins Gras.