Читать книгу Die Schlächterin - J.S. Ranket - Страница 11
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ОглавлениеDie kleine Seitenstraße zwischen Tijuana Centro und Altamira war viel zu eng für Ramons bulligen Chevy. Notgedrungen parkte er ihn deshalb an der Hauptstraße und ging den Rest des Weges zu Fuß. An die kleinen Pisser, die normalerweise jedes Fahrzeug in wenigen Minuten plünderten, musste er jedoch keine Gedanken verschwenden. Selbst wenn er einen Hundertdollarschein auf dem Armaturenbrett zurückließ, würde dieser sich bis zu seiner Rückkehr mit Sicherheit keinen Millimeter bewegen. Das war ebenfalls ein großer Vorteil seines Jobs, zumal er auch keinen Parkschein benötigte.
Er bahnte sich seinen Weg auf dem schmalen Bürgersteig und musste dabei immer wieder über Farbkübel und Maurerwerkzeug steigen. Denn hier herrschte ein ständiges Blühen und Vergehen. Kaum wurde ein Laden geschlossen, kam schon ein neuer fantasievoller Unternehmer, der bereit war, das Wagnis der Selbstständigkeit zu einzugehen.
Nur Lorenzo Vargas’ kleine Werkstatt schien dieser Entwicklung zu trotzen. Es war eines der wenigen Geschäfte, die kaputte Sachen noch wirklich reparierten. Meist wurde ja eh nur ausgetauscht oder weggeworfen, weil die Reparaturkosten oft den Preis für ein neues Gerät überstiegen. Doch bei Vargas war das anders, vielleicht weil die Besitzer zu sehr an ihren Stücken hingen oder sie extrem wertvoll waren.
Als Ramon die kleine Werkstatt betrat, wurde er von einer Kakophonie der verschiedensten Stundenschläge empfangen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er auf eines der großen Ziffernblätter. Es war Punkt fünf, also Ende der Siesta. Logisch, dass da dutzende Zeitmesser sich lautstark Gehör verschafften.
Ramon ließ den Lärm stoisch über sich ergehen, denn Vargas jetzt anzusprechen versprach ohnehin keinen Erfolg. Er saß über eine Werkbank gebeugt, als wäre er mit der samtbezogenen Arbeitsfläche verwachsen. Zuerst dachte Ramon erschrocken, Vargas sei gestorben, denn das nötige Alter hatte er ja. Doch dann bemerkte er die winzigen schraubenden Bewegungen seiner Finger und atmete auf. Hochkonzentriert blickte Vargas durch eine Arbeitslupe und versuchte irgendein mikroskopisch kleines Teil in eine goldene Taschenuhr einzusetzen. Dass seine gichtgebeugten Hände noch zu einer solchen Leistung fähig waren, erstaunte Ramon immer wieder.
„Hola Ramon, bitte setz dich“, hauchte Vargas leise flüsternd. „Nur bleib bloß von dem Tisch weg. Wenn mir dieses Kleinod auseinanderfällt, dann muss ich dich leider erschießen!“ Dabei verzog er in seinem wettergegerbten Gesicht die Mundwinkel zu einem verschmitzten Grinsen.
Auch Ramon musste lächeln und tastete trotzdem reflexartig nach seiner Glock im Schulterhalfter, während er steif auf dem angebotenen Stuhl Platz nahm. Respektvoll wartete er ab, bis Vargas seine Arbeit beendet hatte und die goldene Uhr in die Höhe hielt. Durch den geöffneten Gehäuseboden sah er, wie die unzähligen winzigen Zahnrädchen von der schnell schwingenden Unruh angetrieben wurden. Erst jetzt bemerkte Ramon, dass er unwillkürlich die Luft anhielt. Als ob sein Atemstoß die Arbeit des alten Mannes zunichte machen könnte. Erleichtert atmete er jetzt aus.
„Was verschafft mir denn diese Ehre?“, wollte Vargas interessiert wissen. Aber nur, um gleich darauf eine erneute Frage anzuhängen. „Kaffee?“
„Ja gerne, Lorenzo“, antwortete Ramon, während Vargas aufstand und nach hinten ging, um seine historische Kaffeemaschine in Gang zu setzen.
Es dauerte auch nicht lang und aromatischer Duft erfüllte die kleine Werkstatt. Noch ein kurzes Blubbern und Zischen, dann stand der frisch gebrühte Kaffee vor Ramon. Vargas hob mit einem fragenden Blick seine dampfende Tasse an die Lippen.
„Ich suche nach einer Uhr“, begann Ramon.
„Ach, und ich dachte du wolltest einen Fernseher kaufen“, antwortete Vargas belustigt.
Auch Ramon musste lächeln. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und öffnete die Datei mit dem Bild, das er bereits bearbeitet hatte.
„Was ist damit?“, wollte Vargas wissen, nachdem er das gestochen scharfe Foto eingehend betrachtet hatte.
„Kannst du mir irgendetwas über diese Uhr sagen?“, bat Ramon den Alten. „Also den Hersteller und wo man so ein Teil kaufen kann?“
Vargas runzelte die Stirn und dachte nach.
„Vom Design her würde ich sagen, sie kommt aus Deutschland“, mutmaßte er nach einer halben Ewigkeit. „Und auch nur für den deutschen beziehungsweise den europäischen Markt bestimmt“, fuhr er fort. „Oder für echte Puristen in aller Welt.“ Vargas machte eine kurze Pause. „Das gute Stück ist nicht golden und es fehlt auch sämtlicher Schnickschnack, also ist es definitiv nichts für den Nahen Osten, China oder die Gringos. Diese Aufschneider benutzen sie doch nur, um zu protzen. Aber richtige Uhren haben eine Seele, verstehst du?“ Vargas tippte mit seinem Finger vorsichtig auf die goldene Taschenuhr, die er gerade repariert hatte. „Nicht so wie diese Supermarktdinger, die zu Tausenden irgendwo in Asien zusammengebastelt werden.“
Ramon schob verschämt seinen Ärmel nach vorn, um die Breitling an seinem Handgelenk zu verdecken. Sicher würde Vargas auch an seinem teuren Zeitmessgerät etwas auszusetzen haben.
„In so einem kleinen Ort in Deutschland, bei Dresden, da werden Uhren hergestellt, die haben einen ewigen Kalender, zeigen dir die Mondphasen und ganz nebenbei auch noch die Zeit an“, klärte Vargas Ramon auf. „Das Ganze funktioniert natürlich rein mechanisch“, fügte er mit glänzenden Augen hinzu.
Ramon runzelte die Stirn.
„Das ist so“, fuhr Vargas fort, „als würdest du ein Spaceshuttle mit einem Metallbaukasten konstruieren und das Ding würde dann sogar noch fliegen.“ „Also das Schmuckstück auf dem Bild kommt mit Sicherheit von dort. Eine Kleinserie würde ich sagen und wenn davon mehr als ein paar hundert Stück hergestellt wurden, würde mich das sehr wundern.“
„Könnte es denn nicht eine Kopie sein?“, meinte Ramon skeptisch. „Hier kann man doch auch an jeder Ecke eine garantiert echte Rolex kaufen.“
„Aber doch nur, weil jeder Gringo eine Rolex kennt und demzufolge eine haben will. Nein, diese hier ist nur etwas für echte Kenner, verlass dich darauf!“
Ramon trank seinen Kaffe aus, erhob sich und umarmte Vargas zum Abschied. „Hasta luego und vielen Dank, Lorenzo.“
„Du weißt sicher, dass ich nicht gutheißen kann, was du so treibst, Ramon.“
Ramon starrte betreten auf seine Schuhe und spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss.
„Deine Tante freut sich bestimmt, wenn du einmal wieder zum Essen kommst“, brachte er ihn noch mehr in Verlegenheit. Dann legte er dem Killer väterlich die Hand auf die Schulter. „Vaya con dios – geh mit Gott, Ramon.“
„Sag mal, wie gut sprichst du eigentlich Deutsch?“, lautete Ramons Frage, als er nach zwei Stunden Amanda anrief.
„Ganz passabel“, antwortete sie ein wenig verwirrt. „Wir haben während des Psychologiestudiums Sigmund Freud gelesen. Und zwar in der Originalfassung.“
„Dann solltest du dir ein Ticket besorgen“, schlug Ramon vor. Anschließend berichtete er ihr ausführlich von seinem Besuch bei Vargas.
Amanda stand wie vom Donner gerührt auf der Terrasse ihres Penthauses und blickte auf die Segelyachten, die zum Sunset-Törn die abendliche Mission Bay verließen. Dann mixte sie sich einen großzügigen Gin Tonic und dachte nach.
Diese Uhr stammte also offensichtlich aus der Kleinserie eines deutschen Herstellers. Mit Sicherheit würde sie die Kundenliste weiterbringen, doch dazu musste sie nach Europa. Denn Amanda konnte sich nicht ansatzweise vorstellen, dass sie diese Informationen auf legalem Weg erhalten würde. Und dass die beiden süßen Studentinnen ebenfalls aus Deutschland kamen, spielte bei ihrer Entscheidung eine nicht unwesentliche Rolle.
Auch wenn das durchaus ein Zufall sein konnte.
Andererseits glaubte sie nicht so recht an Zufälle, zumindest an solche nicht. Okay, man konnte zufällig den Ehemann mit dem Schwanz in der Muschi seiner Sekretärin erwischen, aber so etwas war schon sehr schräg. Deshalb startete sie mit einem angenehmen Kribbeln im Bauch ihr Notebook und rief die Website von United Airlines auf.