Читать книгу Die Schlächterin - J.S. Ranket - Страница 9

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Auf dem Busbahnhof von Tijuana herrschte das übliche Chaos. An den Stadtbuslinien war das Gedränge am größten, während es an den Haltestellen der Fernbusse doch etwas gesitteter zuging. Abgesehen von der älteren Señora, die dem Fahrer wort- und gestenreich davon überzeugen wollte, dass ihre Hühner unbedingt einen Platz auf dem Dach bekommen müssen. Das Federvieh steckte unbeeindruckt von dem Wortwechsel immer wieder neugierig nickend die Köpfe durch den großmaschigen Käfig, als wollten sie die Bemühungen ihrer Besitzerin tatkräftig unterstützen.

Die junge Frau im Schatten des Daches hatte ihr Basecap tief in das Gesicht gezogen und beobachtete den Bussteig. Sorgsam achtete sie darauf, nicht von den Überwachungskameras erfasst zu werden. Von dem ehemals blonden Haar war nichts mehr zu sehen, denn es war unter der riesigen Kappe versteckt. Mit ihren südländischen Gesichtszügen und der schlanken Gestalt ging sie mühelos als Latina durch. Wenn da nicht dieser leichte Akzent in ihrem sonst perfekten Spanisch wäre.

Kurz vor der Abfahrt des Fernbusses nach Cabo San Lucas löste sie sich langsam aus dem Schatten, überquerte die lichtüberflutete Plaza und stieg in den Bus. Dass sie in der Zeit, in der sie in ihrer Tasche nach dem Ticket kramte, unauffällig die Umgebung absuchte, bemerkte niemand. Zufrieden mit dem Ergebnis, überreichte sie ihre Fahrkarte schließlich dem Fahrer.

Wie zu erwarten, war der Bus fast voll besetzt. Sie hatte nur noch die Wahl zwischen dem Platz neben einer alten Frau, von der sie wahrscheinlich innerhalb der nächsten Stunden alles erfahren würde. Angefangen von sämtlichen Kinderkrankheiten der Enkel, bis hin zu den komplizierten verwandtschaftlichen Verhältnissen ihrer Familie. Und dem Platz neben einem jungen Mann, der sie anstarrte wie eine Madonnenerscheinung.

Als er ihren suchenden Blick bemerkte, verwandelte sich sein Gesichtsausdruck in ein freundliches Lächeln. Und während sie auf seine Sitzreihe zusteuerte, schienen seine Ohren von den Mundwinkeln Besuch zu bekommen. Gerade als sie ihn fragen wollte, ob der Platz neben ihm noch frei sei, sprang er auf und bot ihr wie selbstverständlich den am Fenster an. Auch half er ihr sofort, die große Reisetasche zu verstauen, die sie in die Gepäckablage wuchten wollte. Sie fand, dass die Ärmel seines Shirts etwas zu eng für seine kräftigen Oberarme waren. Er dagegen erhaschte einen kurzen Blick auf ihren Nacken. Dort lugte der Teil eines Tattoos hervor, das aussah wie eine riesige Sonne.

„Hola, ich bin Javier“, stellte sich der junge Mann vor, nachdem sie sich auf den angebotenen Fensterplatz gesetzt hatte.

„Mucho gusto, ich bin Zoe“, antwortete sie, dann schüttelten sich die beiden kurz die Hand.

„Fährst du auch bis Cabo San Lucas?“, wollte er interessiert wissen und in seinen Augen leuchtete ein Hoffnungsschimmer. Die fast vierundzwanzigstündige Fahrt bis in den Süden der Baja konnte recht langweilig werden, doch mit so einer charmanten Begleitung würde die Zeit wie im Flug vergehen.

„Na fast“, antwortete Zoe desinteressiert.

Zum einen, weil sie wirklich erschöpft war und auf ein langes Gespräch keine Lust hatte. Und zum anderen, weil sie Javier, dessen offenes Lächeln einfach entwaffnend wirkte, auch keine Lügengeschichten auftischen wollte.

Doch davon ließ er sich nicht bremsen. Zoe erfuhr, dass er als Koch in dem quirligen Urlaubsort im Süden der kalifornischen Halbinsel arbeitete. Sein Gehalt wurde in der Haushaltskasse seiner Familie dringend benötigt und es gab viele gute Seiten an seinem Job. Vor allem weil das Geld stimmte und es immer einen Bonus gab. Wenn sie ein Show-Cooking veranstalteten, dann bekam er regelmäßig Telefonnummern der wirklich nicht schlecht aussehenden Urlauberinnen zugesteckt. Meist waren es Cheerleader-Typen, aber ein paar alternde Fregatten wollten offenbar auch mit einem jungen Steuermann auslaufen.

Zoe lachte prustend los, als Javier ihr die klischeehaften Annäherungsversuche in blumigen Worten schilderte und so verging die Zeit wie im Flug. Unauffällig schaffte sie es, so wenig wie möglich von sich selbst preiszugeben. Nur einmal stockte ihr der Atem.

„Du hast hier etwas in deinem Haar“, stellte Javier fest, während er ihr ein kleines Stück Latex, das mit Schminke überzogenen war, von der Stirn zog.

„Wir hatten ein Theaterprojekt“, antwortete Zoe ohne mit der Wimper zu zucken. „Das war wohl noch ein Teil der Maske.“

Doch tief im Inneren hasste sie sich dafür, Javier mit solche Halbwahrheiten abspeisen zu müssen. Aber im Prinzip stimmte es ja. Sie engagierte sich in mehreren Kinderhilfsprojekten und hatte mit ihren Schützlingen auch tatsächlich mehrere Theateraufführungen inszeniert. Zum Glück war es bereits spät in der Nacht und sie konnte die allgemeine Müdigkeit als Vorwand nutzen, um sich nicht in eine unangenehme Situation zu manövrieren.

Das sanfte Geruckel des Busses versetzte Zoe in einen angenehmen Dämmerzustand und vor ihrem geistigen Auge erschien ihre kleine Hazienda. Sie sah das Hauptgebäude im Pueblo Stil, vor dem der heiße Wüstenwind kleine Kringel in den Sand zeichnete. Im weitläufigen Hof scharrten die Hühner und von der Terrasse aus konnte man sich am tiefblauen Golf of California, dessen Teil hier Sea of Cortez hieß, kaum satt sehen.

Oft saß sie hier in einem bequemen Lehnstuhl und beobachtete bei einem eiskalten Tecate Roja, wie die weißen Segeljachten vor der Insel Espiritu Santo kreuzten. Chapa und Manshas, ihre beiden Mischlingshunde, würden sich vor Freude kaum beruhigen, wenn sie das Tor öffnete, während Pepe, der Kater, auf seinem schattigen Ruheplatz unter der alten Agave nur gelangweilt den Kopf hob. Durch seine häufigen Ausflüge in die Küche ging er jetzt problemlos als Garfields mexikanischer Bruder durch.

Sie dachte nicht daran, dass die Zitronenbäumchen im Garten eine Antenne verdeckten, der auch ein Experte nicht ansah, dass sie nicht nur für den Empfang von Fernsehprogrammen vorgesehen war. Auch dachte sie nicht daran, dass im Keller des Hauses ein mit flüssigem Stickstoff gekühlter Hochleistungsrechner seine riesigen Festplatten mit sensiblen Informationen vollsog. Und sie dachte ebenfalls nicht daran, dass auf dem gesamten Anwesen automatische Waffen griffbereit versteckt waren.

Die Schlächterin

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