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KAPITEL I

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Vor ein paar Jahren, als ich noch auf der Schwelle der Krankheit stand, die sich später meiner bemächtigte, mietete ich ein kleines, möbliertes Haus in Pineland. Ich selbst besichtigte das Haus gar nicht erst vorher, sondern unterzeichnete den Vertrag auf Veranlassung eines örtlichen Maklers, der sich als genauso einfallslos erwies wie die meisten seiner Kollegen.

Eine über drei Monate dauernde Nervenentzündung, die sich nur mit Hilfe einer Unmenge Medikamente halbwegs ertragen ließ, hatten mich meiner Umgebung gegenüber vergleichsweise gleichgültig gemacht. Ich musste umziehen, weil ich nicht nur mit meinen Freunden haderte, die über mein krankes Aussehen tuschelten, sondern auch mit meinen Bekannten, die keinerlei Veränderung an mir bemerkten. Eine meiner Schwestern, die ich genauso liebte wie sie mich, verärgerte mich durch ständige Besuche und schlecht versteckte Besorgnis. Eine andere war etwas weniger lästig, spielte aber mein Leiden dauernd herunter und sprach so leichtfertig über Nervenentzündungen, als seien sie vergleichbar mit Zahnschmerzen oder einem Hühnerauge. Ich fand keinen echten Schlaf mehr, und wenn ich nicht gerade an der Grenze zum Wahnsinn wandelte, betrachtete ich mich selbst als extrem belanglos. Vernünftiges Verhalten war nicht mehr möglich, und ich wusste, dass es besser für mich wäre, allein zu sein.

Ich möchte mich weder an diese miesen Tage noch an die viel schlimmere Zeit vor meiner Abreise erinnern, als ich der Gnade geldgieriger Ärzte und gleichgültiger Krankenschwestern ausgeliefert war, ständig abhängig von schlecht ausgeführten Dienstleistungen und überbezahlter Achtlosigkeit – und das alles während einer so genannten Erholungskur. Dennoch möchte ich ein höchst merkwürdiges Ereignis, oder, besser gesagt, eine Reihe von Ereignissen schildern, die meinen Aufenthalt in Pineland unvergesslich machten und dafür sorgten, dass ich nach meinem Aufenthalt dort von einer Geschichte besessen war, die in der ersten Nacht nach meiner Ankunft ihren Anfang nahm und ihr Ende in den langen, von Fieber erfüllten Nächten danach fand. Ich weiß selbst kaum, wie viel an dieser Geschichte wahr und wie viel Fiktion ist, wofür die Briefe verantwortlich sind und wofür das Morphium.

Das Haus bei Pineland hieß Carbies, und es wurde von Anfang an von Margaret Capel und Gabriel Stanton heimgesucht. Schon ziemlich früh während meines Aufenthalts muss ich darüber nachgedacht haben, über sie zu schreiben, da ich wusste, dass es keinen besseren Weg gab, mich von ihren Phantomen zu befreien, als zu versuchen, sie mit Feder und Tinte stofflich zu machen. Ihre Briefe und einige Fetzen eines unvollendeten Tagebuchs halfen mir dabei, ebenso ein Notizbuch mit vielen leeren Seiten, die Geschwätzigkeit des Dorfapothekers und der von der Sonne ausgeblichene Gottesacker bei der alten Kirche.

Aber beginnen wir am Anfang.

Es war eine lange Fahrt vom Bahnhof Pineland nach Carbies. Ich hatte mein Dienstmädchen vorausgeschickt, fand aber keine Spur von ihr, als mein klappriger Einspänner am Gartentor einer Vorstadtvilla hielt – einem Haus, das "hoch oben" stand und mit "wildem Wein, der über seine weiß getünchten Wände emporkletterte" bewachsen war. Soweit die mir versprochenen Fakten. Ansonsten hatte es nicht mehr Ähnlichkeit mit dem exquisiten und abgelegenen Schmuckkästchen, das ich im Kopf und der Makler in seinen Briefen beschrieben hatte, als eine von Matisses Landschaften mit einem Gemälde von Ruysdael.

Ich war damals zu müde, um wirklich enttäuscht zu sein. Auf meine Anweisung waren zwei weitere weibliche Bedienstete eingestellt worden, und diejenige, die mir die Tür öffnete, erwies sich als ein fröhlich aussehendes, junges Ding vom Typ "Grinsebacke." Sie nahm mir das Handgepäck ab und ging voraus in den Salon, wo riesige Fenster und ein helles Feuer mich für einen Augenblick die schäbige Einrichtung, den abgenutzten Teppich und die schimmlige Tapete vergessen ließen. Auf einem aus Furnierholz gearbeiteten Tablett wurde mir eine demolierte Kanne mit Tee gebracht. Die Literaturbeilage der Times und eine amerikanische Zeitschrift waren alles, womit ich mich beschäftigen konnte. Und beide erwiesen sich als unzureichend. Als ich mich umzusehen begann, wurde mir merkwürdigerweise fast sofort bewusst, dass mein neuer Wohnsitz von einer Schwester oder einem Bruder der schreibenden Zunft bewohnt gewesen sein musste. Und das war keine übersinnliche Wahrnehmung. Der riesige Schreibtisch stand seitlich im Bogenfenster, da nur "wir" wissen, wie man ihn richtig platziert. Der dazu gehörende Stuhl sah luxuriös genug aus, um ihn sofort ausprobieren zu wollen, und in einer der Ecken stand ein Fußschemel und ein großer Papierkorb – alles unvereinbar mit den billigen und schäbigen Wohnzimmermöbeln. Hätte ich nur mein Manuskriptpapier, Tinte in dem großen Glasgefäß vor mir, und einer meine beiden Griffel zur Hand gehabt, hätte ich dann und dort all meine Ruhegelübde widerrufen und um die Eingebung für einen Neuanfang gebetet.

"Arbeite, solange du Licht hast" war monatelang mein Credo gewesen, das mich ständig vorwärts getrieben hatte. In diesem Augenblick dämmerte es mir, dass die vor mir liegende Zeit relativ kurz sein könnte. Ich ließ das Feuer und meinen unvollendeten Tee stehen, und instinktiv formten meine Lippen die Worte: "Hier könnte ich schreiben". So oder so ähnlich beurteilte ich jeden Ort – ob ich dort schreiben konnte oder nicht. Als ich in diesem bequemen Sessel saß, fühlte ich sofort, dass mir meine schäbige neue Umgebung gefiel, dass ich dorthin passte und irgendwie zu Hause war.

Ich kam direkt aus einem schmalen Londoner Haus, in dem ich aus meinem Schlafzimmer eine Stallung und vom Wohnzimmer aus andere schmale Häuser auf der gegenüberliegenden Seite einer Straße erblickte. Hier sah ich Anfang März aus dem breiten, niedrigen Fenster auf einen gelben Ginster, der einen ungepflegten Garten zuwucherte. Jenseits des Gartens erkannte ich mehr flammenden Ginster auf hügeligem Land, dahinter Hügel, und dazwischen, unverkennbar, die düstere Finsternis des Meeres. Hier oben war die Luft sehr still, aber eine Brise vom fernen Meer trieb den Geruch des Ginster in meine Nase. Zuerst wünschte ich mir nur Griffel und Papier, dann trieb es mich über diese Wünsche hinaus und ich begann zu träumen, ich wusste nicht, wovon – aber ich fühlte mich glücklicher und zufriedener, als ich es seit langer Zeit gewesen war. Die Luft war heilsam, ebenso die Einsamkeit und die Stille. Aber dann wurde beides unterbrochen, und meine Zufriedenheit fand ein jähes Ende.

"Dr. Kennedy!"

Ich erhob mich nicht, denn in diesen Tagen, als die Neuritis besonders schlimm war, geriet das Aufstehen zu einer wahren Kraftprobe. Ich starrte den Eindringling an, und er starrte zurück. Aber ich erriet binnen einer Minute, worauf seine unwillkommene Anwesenheit zurückzuführen war. Meine ängstliche, geliebte und zappelige Schwester hatte den Namen des bekanntesten Äskulap in der Gegend herausgefunden und ihn von meiner Ankunft unterrichtet, ihm wahrscheinlich sogar einen irreführenden und völlig falschen Bericht über meinen Gesundheitszustand gegeben und ihn sicherlich gebeten, baldigst vorbeizukommen. Wie ich später herausfand, hatte ich mit einer Ausnahme in allen meinen Vermutungen recht: der vor mir stehende Mann war nicht der bekannteste Äskulap der Nachbarschaft, sondern dessen jugendlicher Partner. Dr. Lansdowne war im Urlaub, und Dr. Kennedy hatte den Brief meiner Schwester gelesen und war fest entschlossen, ihre Anweisungen auszuführen. Wie ich schon sagte, starrten wir uns in der zunehmenden Dämmerung an.

"Sie sind gerade erst gekommen?", wollte er wissen.

"Ich bin schon eine Stunde hier", erwiderte ich, " –– eine ruhige Stunde."

"Ich habe den Brief Ihrer Schwester bekommen", sagte er entschuldigend, wenn auch ein wenig unbeholfen, als er den Raum betrat.

"Sie hat Ihnen also geschrieben?"

"Oh ja! Ich muss den Brief hier irgendwo haben." Er suchte in seiner Tasche, fand ihn aber nicht.

"Wollen Sie sich nicht setzen? "

In der Nähe des Schreibtisches gab es keinen weiteren Stuhl außer dem, auf dem ich saß. Ein weiterer Grund, warum ich begriff, dass mein Vormieter ein Schriftsteller gewesen sein musste! Während Dr. Kennedy sich einen Stuhl holte, machte ich eine oberflächliche Bestandsaufnahme von seiner Person. Ein großer, gar nicht schlecht aussehender Mann in den späten dreißiger oder frühen vierziger Jahren; er trug den schäbigsten Tweedanzug, den ich je gesehen hatte, und dazu unpassende, aber gut verarbeitete Stiefel. Dann fläzte er sich schweigend auf den mitgebrachten Stuhl, während ich auf seine Eröffnung wartete. Ich hatte es einfach satt, die ganzen Ärzte und ihre Methoden. In der Stadt hatte ich bereits jeden x-beliebigen Anbieter von Geheimmittelchen kennengelernt, aber keiner konnte meine Leiden verringern, dafür aber mein sauer verdientes Geld. Eines Tages werde ich vielleicht eine Studie über sie schreiben, um zumindest so etwas von dem, was ich ausgegeben habe, zurückzubekommen. Aber Dr. Kennedy war anders als die Londoner Pfuscherkolonne mit ihren schwarzen Mänteln, was seine Eröffnung sofort unter Beweis stellte.

"Wie lange fühlen Sie sich schon unwohl?" Das war, was ich erwartet hatte, der übliche Schachzug. Dr. Kennedy saß ein paar Minuten da, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Dann fragte er mich schlagartig:

"Kannten Sie Mrs. Capel?"

"Wen?"

"Margaret Capel. Sie wissen doch, dass sie hier wohnte, nicht wahr? Dass es hier war, wo alles passiert ist?"

"Was passiert ist?"

"Dann wissen Sie es doch nicht?" Er wurde zappelig, stand von seinem Stuhl auf und ging zum anderen Fenster hinüber. "Ich hoffte, dass Sie sie kannten, dass sie eine Freundin von Ihnen war. Das hoffte ich, seit ich den Brief Ihrer Schwester bekam. Carbies! Es fühlte sich so seltsam an, wieder hierher zu kommen. Ich kann gar nicht glauben, dass es schon zehn Jahre her ist – es ist alles noch so lebendig!" Er ging zurück zu seinem Stuhl und setzte sich wieder hin. "Eigentlich sollte ich gar nicht über sie sprechen, aber das Zimmer, ja, das ganze Haus sind voller Erinnerungen. Früher saß sie stundenlang dort, wo Sie jetzt sitzen, und träumte vor sich hin. Manchmal wollte sie überhaupt nicht mit mir sprechen. Dann ging ich, da ich merkte, dass ich für sie ein Eindringling war."

Die zynischen Worte auf meinen Lippen blieben unausgesprochen. Er war groß, und wenn ihm seine Kleider gepasst hätten, hätte er vielleicht ein besseres Bild abgegeben. Ich hasse Mäntel aus Tweed! Das Adjektiv "ordinär" schoss mir durch den Kopf. Aber ich hatte bemerkt, dass ein kluger Kopf unter der dichten Mähne aus schwarzem Haar steckte, und wunderte mich ein bisschen über seine Taktlosigkeit und kleinstädtische Geschwätzigkeit. Dennoch fand ich ihn nicht ganz uninteressant.

"Stört es Sie, wenn ich über sie spreche? Glühend! Ich glaube, dieses Wort beschreibt sie am besten. Sie brannte von innen heraus, war aufgezogen wie an Drähten, die allesamt brannten. Sie saß immer genau da, wo Sie jetzt sitzen, oder oben am Klavier. Sie war eine wunderbare Pianistin. Sind Sie schon oben gewesen, in dem Raum, den sie zu ihrem Musikzimmer gemacht hat?"

"Wie ich bereits erwähnte, bin ich erst seit einer Stunde hier. Dies ist der einzige Raum, den ich bisher gesehen habe."

In meinem Tonfall muss etwas gelegen haben, das er als Mangel an Herzlichkeit oder Interesse interpretierte.

"Sie wollten nicht, dass ich heute Abend komme, nicht wahr? "Er suchte in seiner Brieftasche nach Ellas Brief, fand ihn und begann, leise zu lesen. Wie gut ich wusste, was Ella geschrieben hatte.

"Sie hat 'Carbies' ausgewählt, Sie müssen unbedingt gleich dort hingehen . . . lassen Sie mich wissen, was Sie denken . . . lassen Sie sich nicht von ihrer guten Laune täuschen . . ." Er las es leise und eigentlich nur für sich. Irgendwie schien er mein Mitgefühl zu erwarten. "Ich kam früher sehr oft hierher, manchmal zwei oder drei Mal am Tag."

"War sie krank?" Die Frage kam unwillkürlich. Margaret Capel ging mich nichts an.

"Teilweise. Eigentlich meistens."

"Konnten Sie ihr helfen?"

Anscheinend hatte er kein großes Gespür oder Feingefühl für berufliche Würde. In seinen Augen brannte plötzlich ein seltsames Licht, hell und gleichzeitig unbeständig, offenbar hervorgerufen durch meine Frage. Es war das erste Mal, dass er mich als existierendes lebendes Wesen wahrzunehmen schien. Er blickte mich direkt an, statt nur verträumt umherzuschauen.

"Ich weiß nicht. Ich habe mein Bestes gegeben. Wenn sie Schmerzen hatte, konnte ich sie lindern –manchmal. Die Medikamente, die ich ihr verschrieb, waren nicht immer nach ihrem Geschmack. Und Sie? Sie leiden an einer Nervenentzündung, sagt Ihre Schwester. Das kann alles Mögliche bedeuten. Wo tut es am meisten weh?"

"In meinen Beinen."

Ich wollte nicht, dass er sich um mich kümmert; eigentlich war ich hergekommen, um endlich Ruhe zu haben vor den Ärzten. Außerdem waren mir ältere Männer in seinem Beruf lieber. Aber sein exzentrisches Benehmen, sein mangelndes Interesse an mir und seine Hingabe an seine frühere Patientin, seine schlecht geschnittene Kleidung und der große Unterschied zu seinen Berufskollegen, waren eine willkommene Abwechslung, und plötzlich erwischte ich mich dabei, seine Fragen zu beantworten.

"Haben Sie Kasemol ausprobiert? Dies ist ein japanisches Heilmittel, das sehr wirksam ist – oder irgendeine andere Farbe? "

"Ich bin kein Künstler."

Er lächelte. Er hatte gute Zähne, und sein Lächeln war angenehm.

"Haben Sie eine Krankenschwester oder ein Dienstmädchen?"

"Ein Dienstmädchen. Ich bin nicht krank genug für Krankenschwestern."

"Gut. Wussten Sie, dass dies einst ein Sanatorium war? Nachdem sie das herausgefunden hatte, konnte sie es hier nicht mehr ertragen ..."

Er sprach schon wieder über die ehemalige Bewohnerin des Hauses. Mein Leiden hatte ihn nicht lange beschäftigt.

"Sie sagte, sie roch Äther und hörte nachts ein Stöhnen. Ich schätze, sie finden es merkwürdig, dass ich so viel von ihr rede? Aber Carbies ohne Margaret Capel …es macht Ihnen doch etwas aus?"

"Nein, es stört mich wirklich nicht. Ich könnte mir denken, dass ich eines Tages froh sein werde, alles über sie und ihre Geschichte erfahren zu haben. Ich sehe, Sie wollen unbedingt ihre Geschichte erzählen. Natürlich erinnere ich mich jetzt an sie. Sie hat ein oder zwei Theaterstücke geschrieben, und einige Romane, die früher sehr beliebt waren. Aber ich bin heute Abend zu müde dafür."

"Eine so kurze Reise sollte Sie eigentlich nicht ermüden." Er beobachtete mich jetzt genauer. "Sie sehen sehr strapaziert aus, zu ausgemergelt. Wir müssen alles diesbezüglich herausfinden. Natürlich nicht heute Abend. Sie sollten meinen Besuch keinesfalls als beruflich betrachten, aber ich konnte nicht widerstehen zu kommen. Sie würden es verstehen, wenn Sie sie gekannt hätten. Und dann zu sehen, wie Sie an ihrem Tisch sitzen, und in der gleichen Haltung..." Er brach abrupt ab. Also war die Achtung, die ich mir als persönlicher Natur eingebildet hatte, doch nur seinen Erinnerungen geschuldet. "Sie schreiben nicht zufällig auch, oder etwa doch? Das wäre ein außergewöhnlicher Zufall."

Genauso gut hätte er Beethoven fragen können, ob er Symphonien schreibt. Dummkopf! Ich war bekannter, als Margaret Capel es je gewesen war. Nicht stolz auf meine gesellschaftliche Stellung, weil ich immer meine Grenzen kannte, aber dennoch irritiert durch seine Unkenntnis – und jetzt wünschte ich mir, ihn loszuwerden.

"Oh, ja! Ich schreibe manchmal ein wenig. Entschuldigen Sie, dass ich in dieser Haltung hier am Tisch sitze. Aber ich spiele kein Klavier." Er schien ein wenig überrascht oder verletzt über meinen Tonfall, was durchaus beabsichtigt war, und erhob sich zum Gehen. Ich tat es ihm gleich und streckte meine Hand aus. Schließlich habe ich nicht unter meinem eigenen Namen geschrieben, wie hätte er es also wissen können, wenn Ella es ihm nicht gesagt hatte? Als er mir die Hand schüttelte, machte er keinen Hehl daraus, dass er meinen Puls fühlte – ein Trick seines Berufsstandes, der mir besonders missfällt. Also lächelte ich ihn an. "Ich bin leicht reizbar."

"Reizbarkeit ist charakteristisch für Ihr Leiden. Und ich habe Sie schrecklich gelangweilt, fürchte ich. Aber es war so aufregend, wieder hierher zu kommen. Darf ich morgen früh kommen und Sie untersuchen? Mein Partner, Dr. Lansdowne, für den der Brief Ihrer Schwester eigentlich bestimmt war, ist nicht da. Oder spielt das eine Rolle?"

"Ich glaube nicht."

"Er ist ein sehr fähiger Mann", sagte er ernst.

"Sind Sie das nicht auch? "Zu diesem Zeitpunkt schmerzten meine Beine bereits heftig und ich wollte ihn unbedingt loswerden.

"Dann bis morgen früh."

Es schien kurz, als wollte er noch etwas hinzufügen, aber er überlegte es sich offenbar anders. Er hatte eine gewisse Persönlichkeit, aber eine, von der ich nicht sicher war, ob sie mir gefiel. Dr. Kennedy benötigte unvorstellbar viel Zeit, um seinen Kraftwagen vorzubereiten und zu starten, und nachdem er endlich abgefahren war, lag mir das Dröhnen des Motors noch lange in den Ohren. Obendrein betätigte er zum Abschied noch seine Dampfpfeife, die meinen Schmerz unerträglich machte.

Ich aß im Bett und gönnte mir unter dem Vorwand meiner Erschöpfung von der Reise eine Extraportion meines Schlaftrunkes. Das Rezept war mir von einem dieser angesehenen Londoner Ärzte verordnet worden, von denen ich hoffte, eines Tages eine Federzeichnung anfertigen zu können. Es war ein heimtückisches Medikament mit nicht vorhersagbarer Wirkung. In dieser Nacht, so erinnere ich mich, war der Schmerz bald unter Kontrolle und diese merkwürdigen Träume in halbwachem Zustand begannen früh. Es war gut, keine Schmerzen mehr zu haben, selbst, wenn man sich darüber im Klaren war, dass es sich nur um eine vorübergehende Linderung handelte. Bald hatte ich meine alte Liebenswürdigkeit wiedergewonnen, woraufhin mich prompt mein Gewissen zu plagen begann, weil ich meiner Schwester gegenüber so undankbar gewesen und vor ihr weggelaufen war. Nebenbei bemerkt, war ich auch unhöflich zu ihrem Doktor gewesen – diesem äußerst seltsamen Doktor. In meiner Benommenheit lächelte ich unwillkürlich, als ich an ihn und seine geliebte Margaret Capel dachte, einen seltsamen Verehrer eines vergessenen Schreins in kariertem Mantel und ausgebeulten Hosen. Aber die Stiefel hätten von Lobb stammen können. Seine Hände waren weich und von feiner Beschaffenheit. Offensichtlich war diese Margaret Capel die Romanze seines Lebens gewesen.

Dieser Ort war also ein Sanatorium gewesen, und als Margaret dies erfahren hatte, hörte sie ein Stöhnen und es roch nach Äther. Genauso waren auch ihre Bücher: phantasievoll und frivol. Ihre Geschichten waren nie einfach und geradlinig. Es ist Jahre her, dass ich ihren Namen gehört hatte, und das wenige, was ich über sie wusste, war schon lange vergessen – außer, dass ich mich einmal über den Wirbel, den die Kritiker um sie machten, geärgert hatte. Ich glaubte, sie sei tot, war mir aber nicht sicher. Dann dachte ich an den Tod und war froh, dass er mir keine Schrecken bereitete. Niemand, der ständig Schmerzen hatte, konnte weiterleben, ohne den Tod als Erlösung zu sehen.

Dann durchfuhr mich erneut ein brennender Schmerz, und obwohl ich Medikamente genommen hatte, fand ich ihn unerträglich. Bevor es zu spät war und ich noch schläfriger wurde, setzte ich mich auf, um eine weitere Dosis einzunehmen. Das Medikament einzugießen und das Glas abzusetzen, ohne es zu verschütten, war schwierig – der Tisch schien uneben zu sein. Kurz darauf geriet mein Gehirn mehr und mehr durcheinander und mein Körper fühlte sich behaglich an.

In diesem Moment sah ich zum ersten Mal Margaret Capel, nicht wissend, wer sie war, aber froh über ihr Erscheinen, denn sie brachte den Schlaf herbei. Immer, bevor die Medizin ihre volle Wirkung entfaltete, sah ich kaleidoskopische Veränderungen, substanzlose Formen, Dinge und Menschen, die nicht da waren. Manchmal ganz wunderbare Dinge. Dies hier war nur eine junge Frau in einem grauen Seidenkleid, altmodisch geschnitten, mit Puffärmeln und weiten Röcken. Ihre Masse an aschblondem Haar wurde durch ein blaues Haarnetz gebändigt. Zuerst wirkte ihr Gesicht nebulös, später schien es etwas mehr Farbe zu haben, und ich erkannte dünne und bebende rosa Lippen. Sie sah traurig aus, und als sich unsere Blicke trafen, schien sie ein wenig darüber erschrocken zu sein, mich in ihrem Bett zu sehen. Das letzte, was ich von ihr sah, war der Anflug eines Lächelns, fast schon wunderbar und verführerisch. Ich wusste sofort, dass sie Margaret Capel war. Aber sie wurde schnell durch zwei billige, chinesische Vasen mit schwarzgoldenem Muster ersetzt. Ich war wohl etwas zu großzügig mit der letzten Dosis meines Schlaftrunks umgegangen, und das Ergebnis war der tiefe Schlaf an der Grenze zur Bewusstlosigkeit, der mir am wenigsten gefiel – ein ausdrucksloses Vergehen der Zeit.

Am nächsten Morgen war ich, wie immer nach einer solchen medikamentösen Orgie, schwermütig, depressiv, immer noch schläfrig – keine Spur von Glück oder Zufriedenheit. Ich fragte mich, wie es ein Dienstmädchen bei mir aushielt, denn in letzter Zeit war ich immer entweder gereizt oder sehr still. Aber nicht gemein. Gemeinheit hatte nie zu meinen Fehlern gehört, und vielleicht war das die Erklärung dafür. Suzanne fragte, wie ich geschlafen hatte, und hoffte, dass es mir besser ginge; allerdings schien mir ihre Frage obligatorisch zu sein, denn sie wartete meine Antwort erst gar nicht ab. Sie war eine große, dicke, schwerfällige Französin, völlig ohne sympathische Eigenschaften. Ich sagte ihr, sie solle weder die Jalousien hochziehen noch Kaffee bringen, bis ich nach ihr klingelte.

"Es geht mir recht gut, aber ich möchte dennoch nicht gestört werden. Die Bediensteten sollen den Haushalt erledigen. Wenn Dr. Kennedy vorbeikommt, sagen sie ihm, ich sei zu krank für einen Besuch... "

Ich wünschte mir oft, Diener wären dumm. Suzanne war sehr lethargisch und überhaupt nicht streitsüchtig. Ich hörte hinterher, dass sie dem Doktor meine Nachricht wörtlich übermittelte: "Madame geht es nicht gut genug, um Sie zu sehen." Immerhin milderte sie ihren Fauxpas durch die Andeutung, dass es mir morgen vielleicht besser ginge und er doch wiederkommen könne. Sein lärmendes Fahrzeug und sein unnötiges Pfeifen verdarben mir den Morgen und ich ärgerte mich erneut über Ella, weil sie ihn auf mich angesetzt hatte.

Nach dem Mittagessen fühlte ich mich besser und stand endlich auf. Dann begann ich halbherzig eine Erkundung des Hauses und fand meinen Eindruck vom vergangenen Abend bestätigt. Das Anwesen war einsam gelegen, aber nicht wirklich abgeschieden. Überall um das Haus herum befand sich Garten – neu angelegt, unfertig, mit noch nicht ausgewachsenen Bäumen und Küchenkräutern bepflanzt. Überall wuchs harter und stacheliger Ginster. Auf der Vorderseite befanden sich viele Schlafzimmer; einige, wie mein eigenes, hatten ausladende Balkone, auf denen man ein Bett mit Rädern aufstellen konnte. Der Ort war wahrscheinlich früher einmal als Luftkurort genutzt worden. Dann muss Margaret Capel ihn übernommen und dieses und jenes verändert haben. Leider schien es ihr nicht gelungen zu sein, aus dem, was als Sanatorium vorgesehen war, ein Zuhause zu machen. Durch das Entfernen einer Trennwand waren zwei dieser Schlafzimmer zu einem einzigen gemacht worden. So war ein sehr großer Raum entstanden, in dem Eichenparkett verlegt worden war, und den ein in einer Ecke auf einem Podest stehender Steinway-Flügel dominierte. Dort stand auch ein großes Notenpult. Ich öffnete es, fand aber kein Indiz dafür, welche Musik hier gespielt worden war. Dennoch war es sehr voll und bedauerlicherweise auch sehr unordentlich. Das übrige Mobiliar bestand aus kleinen, mit Gobelin bespannten Sesseln und Stühlen, einem runden Tisch, einem großen Sofa, das man unter eines der Fenster gestellt hatte, und einigen von Anfängern gemalten Aquarellen.

Das Esszimmer im Erdgeschoss sah unbenutzt aus und die Bibliothek roch muffig. Sie war mit offenen Schränken und Bücherregalen vollgestopft, deren obere Böden mit deprimierend aussehenden Wälzern bestückt waren, während auf den unteren Groschenromane mit gelbem Buchrücken, altmodische, dreibändige Klassiker, Zeitschriften, die zehn Jahre zurückreichten, und ein Mischmasch aus Werken von Hawley Smart, Mrs. Lovett Cameron und Charles Lever standen, allesamt mit zerrissenen Buchrücken und fehlenden Seiten. Nichts in einem dieser Räume erinnerte an Margaret Capel. Ich war froh, wieder in den Salon zurückzukehren, der sich auf demselben Stockwerk befand, aber gut proportioniert und freundlich ausgestattet war. Heute, da die Sonne vom Himmel strahlte und meine Müdigkeit zumindest teilweise verschwunden war, wirkte seine Schäbigkeit sogar gemütlich und anziehend. Der darin befindliche Schreibtisch machte seinen Reiz aus. Suzanne hatte meine Schreibsachen ausgepackt, die in einem Haufen auf der grünen Unterlage lagen und auf eine ordnende Hand warteten. Ich sah mit Befriedigung, dass es viele Schubladen gab und der Tisch sowohl geräumig als auch praktisch war. Das Sonnenlicht hatte die Aussicht aus dem Fenster verändert. Der gelbe Ginster war immer noch das auffälligste Merkmal, aber dahinter konnte man heute das Meer besser sehen, das noch etwas verschwommen und dunstig in der Ferne lag, aber unverkennbar mit dem Horizont verschmolz. Der Himmel hatte ein sommerliches Blau, obwohl es kaum Frühling war. Ich spürte, wie mein Lebensmut wieder erwachte. Erneut sagte ich mir, dass ich hier schreiben könnte, und entledigte mich so stillschweigend der Absicht, mich auszuruhen. "Arbeite, solange du Licht hast." Ich hatte nicht viel Licht, aber jemand anderen, für den ich arbeiten konnte, und vielleicht nicht mehr viel Zeit.

Im Türrahmen erschien die "Grinsebacke", natürlich mit einem Lächeln im Gesicht und sauberer Mütze, und sagte:

"Bitte, gnädige Frau, die Köchin möchte wissen, ob sie mit Ihnen sprechen kann; und, wenn es keine Umstände macht, es sind keine …. "

Dann sprudelte eine lange Liste mit Haushaltsutensilien aus ihr heraus, die mich mit zunehmender Dauer immer mehr nervte. Wenigstens war der Stuhl bequem und half mir, die Aufzählung zu überstehen. Der Schreibtisch wirkte verlockend, und ich wollte allein sein. Schließlich kam die Köchin, noch bevor Mary geendet hatte, und aus dem Monolog wurde ein Duett.

"Es gibt insgesamt nicht mehr als ein halbes Dutzend Gläser, und ich weiß nicht , was ich mit der Teekanne machen soll. Es gibt nur ein Tablett –– "

"Und was die Kochutensilien angeht, so viele habe ich noch nie gesehen. Und alle so schmutzig! Die Küchenkommode ist seit dem Hochwasser nie gereinigt worden, würde ich meinen. Vollgestopft mit schmutzigen Tüchern und zerbrochenem Geschirr. Was den Küchentisch betrifft, da haben wir Messer ohne Griffe und Gabeln ohne Zinken; nichts, was nicht irgendwie verbeult ist; der große Fischkessel hat ein Loch so groß wie Ihre Hand, und die anderen sind unbrauchbar. Das Nudelbrett ist auch kaputt –– "

Ich wollte mir die Ohren zuhalten und ihnen sagen, sie sollen abhauen. Ich hatte um kompetente Bedienstete gebeten und angenommen, dass kompetente Bedienstete alles, was für ihre Arbeit notwendig war, kauften oder liehen. So waren diese Dinge zu Hause gehandhabt worden. Aber dort war meine Köchin acht Jahre und mein Hausmädchen elf Jahre bei mir gewesen. Sie kannten meine Gewohnheiten, und sie wussten, dass sie mich nie mit Dingen, die den Haushalt angingen, langweilen durften – nur die Rechnungen, die waren meine Sache. Und die bezahlte meine Sekretärin.

"Es war eine dieser Schriftstellerinnen, die vor Ihnen hier wohnte, und die nicht mehr Ahnung von Ordnung hatte als die Küchenkatze", sagte die Köchin entrüstet und warf einen misstrauischen Blick auf den Schreibtisch. Ich war hierhergekommen, um mich auszuruhen und meinen Lebenswandel umzustellen; um ein einfaches Leben zu führen, mit zwei Dienern statt fünf und allem in einem gewissen Gleichgewicht. Jetzt ertappte ich mich dabei, wie ich rücksichtslos Befehle erteilte.

"Kaufen Sie alles, was Sie wollen; es gibt sicher ein Geschäft im Dorf. Wenn nicht, machen Sie eine Liste, und eine von Ihnen kann alles, was wir benötigen, in den Stores oder bei Harrods kaufen. Wenn es hier schmutzig ist, holen Sie sich eine Putzfrau. Irgendjemand wird schon eine kennen, vielleicht der Makler oder der Doktor." Mit diesen Worten erinnerte ich die Köchin daran, dass sie gleichzeitig auch Haushälterin war, ließ sie aber die Suppe nicht selbst auslöffeln.

"Man kann auf einer einsamen Insel nicht Köchin und Haushälterin sein. Und ja, ich nenne dies hier eine einsame Insel. Wenn ich Sie wäre, würde ich mir den Makler schnappen, der uns angestellt hat. Er sagte, das Haus sei gut ausgestattet. Zum Teufel mit seinem gut ausgestatteten Haus! Der sollte Ihnen eigentlich das Benötigte kaufen, aber wenn Sie die Ausgaben nicht scheuen –– "

Natürlich scheute ich die Ausgaben – nie mehr als genau jetzt, als ich vielleicht eine lange Zeit der Untätigkeit vor mir hatte. Aber andere Dinge scheute ich noch mehr. Ausführliche Erklärungen zum Haushalt zum Beispiel, und laienhafte Meinungen. Ich machte einen Kompromiss und billigte die Beschwerde beim Makler, indem ich anordnete, dass nur das absolut Unvermeidliche gekauft werden sollte. Dann erklärte ich meinen Damen, dass ich krank sei und mich nicht mit solchen Dingen abgeben sollte. Schnell wischte ich noch ein paar "Aber" beiseite und schickte die beiden schließlich weg. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich nach Ella sehnte, die mir diesen und jeden anderen Ärger erspart hätte. Dann verwarf ich meinen Wunsch, sie hierherzuholen, und entschloss mich dazu, mich über die Abgeschiedenheit zu freuen, meine Freiheit zu genießen. Ohne mir irgendwelche Kommentare anhören zu müssen, konnte ich so krank aussehen, wie ich wollte. Ich konnte irgendwohin sitzen, ohne mich vorher zurechtzumachen, und niemand würde mich fragen, ob ich mich schlecht fühlte, ob der Schmerz stärker werden würde, oder ob jemand etwas für mich tun könnte. Und dann, so erinnere ich mich, stiegen mir Dummkopf die Tränen in die Augen, weil ich einsam und mir sicher war, dass ich sogar Ellas Geduld erschöpft hatte. Ich fragte mich, wie jemand eine lange Krankheit verkraften konnte – am wenigsten jemand wie ich, der Arbeit und vor allem Unabhängigkeit und Freiheit liebte. Ich wusste schon damals, dass die Zeit kommen würde, in der ich weder arbeiten konnte noch unabhängig sein würde; dieser Schatten lag schon an jenem ersten Nachmittag in Carbies auf mir. Als die Tränen versiegt waren und ich wieder schreiben konnte, schickte ich Ella eine Postkarte, mit der ich ihr sagte, dass es mir recht gut ginge und sie sich nicht um mich sorgen möge.

"Mir gefällt das Haus, ich bin sicher, dass ich hier schreiben kann. Lassen Sie es sich nicht einfallen, hierherzukommen, und halten Sie mir den Rest der Familie vom Leib, wenn Sie können –– "

Den Rest des abends verbrachte ich damit, mich doch nach ihr zu sehnen; insgeheim hoffte ich, sie würde mich nicht beim Wort nehmen, und dass sie vielleicht doch kommen würde, obwohl ich es ihr quasi verboten hatte – dass sie mich kennen sollte.

An diesem Abend nahm ich weniger von dem Schlaftrunk ein, sah aber Margaret Capel dennoch lebendiger und klarer. Dieses Mal blieb sie auch sehr lange bei mir, trug einen blauen Peigneur, das Haar offen, und sah sehr jung und mädchenhaft aus. Als sie ging, sah ich Zwerge und Feen, und danach rauschte und flutete das Meer um mich herum, als wäre ich auf einer Jacht gewesen. Als die Jacht in einer großen Welle unterging, holte mich die Besinnungslosigkeit ein – oder, sagen wir, eine Art Dämmerschlaf.

Aber ich wollte Ihnen eigentlich nicht die Geschichte meiner Krankheit erzählen. Ich würde es schon gerne, aber ich fürchte, es wäre weder für die breite Öffentlichkeit noch für die jungen Leute, die sicher unter meinen Lesern zu finden sind, von Interesse. Dennoch gab es Zeiten, in denen ich glaubte, sowohl damals als auch danach, dass es eine gewisse Öffentlichkeit geben musste, die hören wollte, was man tut und denkt, und wie man leidet, wenn einen diese Krankheit unversehens in Beschlag nimmt; alle Lebensinteressen verändern sich und beschränken sich irgendwann auf Fiebermessen und "Zeit für die Medizin", auf Widerstand gegen die Ratschläge der Krankenschwester, oder widerstandslose Duldung der eigenen Schwäche, auf Hass und Verachtung gegenüber Ärzten und eine stumme, blinde Wut gegen das Schicksal, auf den Schmerz und die Schlafmittel, die dieser zwangsläufig erforderlich macht.

Obwohl ich mich stundenlang im Freien aufhielt und meine Griffel in ihrem Kästchen ruhen ließ, kurierte mich Pineland nicht. Unter fortwährenden Schmerzen wurde ich mürrisch und nachtragend, immer übellauniger und wünschte mir mehr Einsamkeit. Dr. Kennedy kam häufig vorbei. Manchmal ließ ich ihn zu mir und manchmal nicht, je nachdem, wie es mir gerade passte. Er kam nie, ohne von der ehemaligen Bewohnerin des Hauses zu sprechen, von Margaret Capel. Er schien sich sehr wenig für mich persönlich oder meinen Zustand zu interessieren. Und ich war zu stolz (oder zu dumm), um ihm diesen bewusst zu machen. Ich fragte ihn einmal ziemlich rüde, ob er in Margaret Capel verliebt gewesen sei. Er antwortete ganz einfach, als ob er ein Kind gewesen wäre:

"Er hatte keine Chance. Ich wusste von Anfang an, dass es keine Chance für ihn gab."

"Es gab da noch jemanden? "

"Er kam immer mal wieder. Ich traf ihn nur selten. Und dann waren da noch diese Umstände. Sie befand sich irgendwo zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Scheidungsurteil, sozusagen mitten im Mahlwerk der Justiz –– "

"Oh, ja, jetzt erinnere ich mich. Sie war geschieden."

"Nein, war sie nicht. Sie war im Begriff, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen", antwortete er ziemlich scharf und ein wenig bedrückt. Gerichtshöfe nennt man sie, aber Unrechtshöfe wäre ein passenderer Name. Sie stellten ihr Fragen über Fragen, spannten sie auf die Folter; keine Inquisition hätte schlimmer sein können. Und danach war sie gebrochen –– "

"Aber da gab es noch jemanden, das haben Sie gerade selbst gesagt, es gab da noch jemanden. Wahrscheinlich waren diese bohrenden Fragen, diese Folterqualen, dessen Verdienst. Ich persönlich bin Monogamist", erwiderte ich. Nicht, dass ich wirklich engstirnig oder eine Pharisäerin gewesen wäre, ich war einfach nur auf Streit aus und in den Fängen meiner eigenen Qualen. "Wahrscheinlich geschah ihr alles, was sie erlitt, recht", fügte ich gleichgültig hinzu.

"Es geschah alles danach. Ich dachte, Sie wüssten das", sagte er zusammenhanglos.

"Ich weiß nichts, außer, dass Sie ständig von Margaret Capel sprechen – und dass ich dieses Themas etwas überdrüssig bin", antwortete ich schelmisch. "Wer war der Mann?"

"Der Mann!"

"Ja, der Mann, der sie hin und wieder besuchte!"

"Gabriel Stanton."

"Gabriel Stanton!" Plötzlich saß ich aufrecht in meinem Stuhl und war zutiefst erschrocken. "Gabriel Stanton", wiederholte ich, und dann, etwas dümmlich: "Sind Sie sicher?"

"Sehr sicher. Aber ich werde nicht mehr darüber sprechen, da es Sie ja langweilt. Dieses Haus ist mir zu merkwürdig, und Sie wirkten so verständnisvoll, so interessiert an der Geschichte. Außerdem darf ich Sie nicht einmal untersuchen."

"Sie haben sich auch nicht wirklich angestrengt, oder?"

"Sie speisen mich doch jedes Mal ab, wenn ich wissen möchte, wie es Ihnen geht, oder andere Fragen stelle."

"Zu was soll das gut sein? Ich war schon bei zwölf Ärzten in London."

"London hat kein Monopol auf talentierte Ärzte." Er nahm seinen Hut und dann meine Hand.

"Beleidigt?", fragte ich ihn.

"Nein. Aber mein Partner kommt morgen heim, und ich werde sie an ihn überstellen. Es ist eigentlich sein Fall."

"Ich weigere mich, irgendjemandes Fall zu sein. Ich habe von den besten Fachleuten gehört, dass niemand wirklich etwas über Nervenentzündung weiß und dass sie praktisch unheilbar ist. Man muss leiden und noch mehr leiden. Selbst Almroth Wright hat noch kein Gegenmittel gefunden. Mein Schlaftrunk verschafft mir etwas Erleichterung, und das ist alles, was ich an Behandlung will – Erleichterung!"

"Er tut ihnen nicht gut. Und wie kommen Sie darauf, dass Sie eine Nervenentzündung haben?"

"An was hat denn Ihre Margaret gelitten?", antwortete ich spöttisch. "Haben Sie das je herausgefunden?"

"Nein –– ja. Natürlich habe ich das."

"Haben Sie sie jemals untersucht?" Ich war neugierig, das zu erfahren – plötzlich und ohne echten Anlass richtig neugierig.

"Warum fragen Sie?" Sein Gesicht hatte sich verändert, und mir war klar, dass die Frage gemein oder gar unverschämt gewesen war. Abrupt ließ er meine Hand los, die er die ganze Zeit gehalten hatte. "Ich habe alles getan, was ein Arzt tun konnte." Er war offensichtlich erschüttert und ich schämte mich deswegen.

"Gehen Sie noch nicht. Setzen Sie sich und trinken Sie eine Tasse Tee mit mir. Ich bin jetzt seit drei Wochen hier und habe jede Mahlzeit allein eingenommen. Ihre Margaret" – ich lächelte ihn an und wusste gleichzeitig, dass er nicht verstehen würde warum – "kommt manchmal nachts zu mir, wenn ich meinen Schlaftrunk genommen habe, aber den ganzen Tag über bin ich allein.

"Das haben Sie selbst zu verantworten, und niemand anders. Sie sind keine Frau, der man eine Absage erteilt, wenn sie Gesellschaft wünscht." Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und schien froh, bleiben zu dürfen. Dann sprachen wir bei Tee und Kuchen über meine Krankheit, und wenn ich es zugelassen hätte, hätte er sich zweifellos eingehender damit befasst. Stattdessen warnte er mich eindringlich vor meinem Schlaftrunk und schlug mir vor, stattdessen Codein als Alternative zu versuchen- ein Vorschlag, den ich unglücklicherweise völlig ignorierte.

"Erzählen Sie mir von Ihrem Partner", sagte ich und nippte an meinen Tee.

"Oh! Sie werden ihn mögen – alle Damen mögen ihn. Er ist sehr adrett und ziemlich gut aussehend; elegant, wie aus dem Ei gepellt, sie wissen schon. Nicht sehr groß, wird langsam grau –– "

"Mochte sie ihn?", beharrte ich.

"Sie wollte ihn nicht in ihrer Nähe haben. Nach seinem ersten Besuch wollte sie ihn partout nicht mehr sehen. Er sprach ständig mit mir über sie und konnte nie verstehen, warum sie ihn so behandelte; schließlich war er das auch nicht gewohnt, denn er ist hier überall sehr beliebt."

"Was hat sie über ihn gesagt?"

"Dass er wie ein Honigkuchenpferd grinste, in Klischees redete, sich die Hände rieb und froh schien, wenn sie litt. Er muntert Kranke gerne auf, und die meisten Leute mögen das."

"Ich verstehe. Dann will ich ihn auch nicht haben. Hören Sie, was ich sage! Schicken Sie ihn nicht zu mir, denn ich will ihn nicht sehen. Lieber ertrage ich Sie!." Ich hatte schon erwähnt, dass mir jegliche Anstandsformen mittlerweile egal waren?. Er gab sich wirklich alle Mühe, mich zu überzeugen, verwies immer wieder auf Dr. Lansdownes Abschlüsse und Qualifikationen, seine lange Erfahrung. Schließlich wurde ich wütend.

"Eigentlich habe ich weder auf Sie noch auf Dr. Lansdowne Lust. Ich schätze, es gibt noch andere Ärzte in der Umgebung."

Er gab mir eine Liste von Ärzten, die in und rund um Pineland praktizierten; er machte das gar nicht schlecht, lobte alle, und ließ mich doch nicht im Unklaren über sie. Schließlich sagte ich ihm, dass ich mir meinen ärztlichen Begleiter selbst aussuchen würde, wenn ich einen bräuchte.

"Bin ich dann entlassen?", fragte er.

"Wurden Sie jemals vorgeladen?", antwortete ich im gleichen Tonfall.

"Jetzt mal im Ernst – ich würde Ihnen gerne helfen, wenn Sie mich nur lassen würden."

"Um weiterhin das Haus betreten zu können, in dem die wunderbare Margaret gelebt hat?"

"Nein! Nun – vielleicht doch – zum Teil. Aber Sie selbst sind ebenfalls eine sehr attraktive Frau."

"Machen Sie sich nicht lächerlich."

"Doch, das stimmt. Und ich schätze, das wissen Sie auch."

"Ich bin über vierzig und krank. Vielleicht ist es das, was Sie attraktiv finden – dass ich krank bin?"

"Nein, das glaube ich nicht. Generell verabscheue ich hysterische Frauen."

"Hysterisch?"

"Mit irgendeiner Nervenkrankheit."

"Glauben Sie wirklich, dass ich an irgendeiner Nervenkrankheit leide? Von den Dämpfen?", fragte ich verächtlich und dachte zum fünfhundertsten Mal, was für ein Idiot der Mann war.

"Beschäftigen Sie sich mit irgendetwas?"

"Ich bin eine der fleißigsten Frauen auf Gottes Erde."

"Ich habe Sie noch nie etwas tun sehen – außer an ihrem Schreibtisch zu sitzen, mit zwei knochentrockenen Griffeln und etwas leerem Papier. Und Sie wollen nicht, dass man Sie über Ihre Krankheit befragt oder Sie untersucht."

"Ich hasse wissenschaftliches Herumdoktern. Und schließlich haben Sie mir nicht gerade Vertrauen eingeflößt, da Sie ja nur von einem einzigen Gedanken besessen sind."

"Daran kann ich nichts ändern. Sie haben mich von Anfang an an Margaret erinnert."

"Oh! Diese verfluchte Margaret Capel, und Ihre Vernarrtheit in sie! Es tut mir leid, aber so fühle ich momentan. Ich kann ihr einfach nicht entkommen, das ganze Haus riecht nach ihr. Und doch hat sie nichts geschrieben, was noch Bestand hat. Kurz nachdem ich angekommen war, habe ich jemanden zur London Library geschickt, um mir all ihre Bücher zu besorgen und habe sie durchgesehen – nur Epigramm und Paradoxe, ein armseliger Bernard Shaw in Unterröcken."

"Ich habe nie ein Wort von dem gelesen, was sie geschrieben hat", antwortete er gleichgültig. "Es war die Frau selbst, die –– "

"Dessen bin ich mir sicher. Nun denn, auf Wiedersehen! Ich möchte mich heute Abend nicht länger unterhalten, ich bin müde. Schicken Sie Dr. Lansdowne nicht vorbei. Wenn ich jemanden benötige, lasse ich es Sie wissen."

Als das Haus still und alle Lichter bis auf das rötliche Glühen des Feuers erloschen waren, besuchte mich Margaret in jener Nacht erneut. Sie saß in dem Sessel auf dem Kaminvorleger, und zum ersten Mal hörte ich sie sprechen. Sie war sehr jung, sah aber dennoch schwach aus, und ich sagte ihr, dass es mir leid täte, dass ich so aufbrausend gewesen war und sie "verflucht" hatte.

"Aber Sie sind hier überall, wissen Sie. Und ich kann nicht schreiben, wenn ich nicht allein bin. Ich bin die einzige Person hier und dennoch nie allein; Sie verfolgen mich und haben Besitz von mit ergriffen. Können Sie nicht weggehen? Also, nicht jetzt. Ich bin froh, dass Sie jetzt hier sind und reden. Erzählen Sie mir von Dr. Kennedy. Haben Sie überhaupt etwas für ihn empfunden? Wussten Sie, dass er in Sie verliebt war?"

"Peter Kennedy! Nein, ich habe nie über ihn nachgedacht, nicht mal am Ende. Obwohl er damals sehr fürsorglich war, oder grausam, je nachdem. Er tat, worum ich ihn bat. Sie wissen, warum ich Sie heimsuche, nicht wahr? Bei mir war es früher genauso, wenn mich ein Thema beschäftigte. Sie sollen meine Geschichte schreiben – und Sie werden sie auf eine bestimmte Art und Weise besser schreiben, als ich es selbst hätte machen können, auf eine andere Weise aber auch wieder schlechter. Ich habe Ihnen das ganze Material hinterlassen."

"Nicht ein Wort."

"Oh, Sie haben es nur noch nicht gefunden. Ich habe es selbst zusammengestellt, an dem Tag, an dem Gabriel meine Briefe zurückgeschickt hat. Sie werden mein Tagebuch und ein paar Aufzeichnungen finden –– "

"Wo?"

"In einer Schublade im Schreibtisch. Aber es ist nur die Hälfte von allem – Sie müssen es ergänzen."

"Ich sehe Sie recht gut, wenn ich die Augen geschlossen halte. Wenn ich sie öffne, bewegt sich der Raum und Sie sind nicht mehr da. Warum sollte ich Ihre Lebensgeschichte schreiben? Ich bin keine Historikerin, nur eine einfache Romanschriftstellerin."

"Ich weiß, aber Sie sind hier vor Ort, haben bald all das nötige Material und können die besondere Atmosphäre dieses Ortes spüren. Und Sie kennen Gabriel; wir haben manchmal über Sie gesprochen."

"Er gehört nicht zu meinen Bewunderern."

"Nein. Er ist ein großartiger Stylist, und Sie haben überhaupt kein Gespür dafür."

"Und Sie für gar nichts", erwiderte ich ziemlich unhöflich.

"Ein hartes Urteil, charakteristisch für Sie. Sie sind ein unverblümter Realist, möchte ich meinen, hart und ein wenig unweiblich. Sie nennen die Dinge bei ihrem hässlichsten Namen, und auch mit der Feder in der Hand schreiben Sie manchmal wirklich abscheuliche Dinge. Aber Sie können mich der Welt wieder in Erinnerung rufen. Ich möchte nicht vergessen werden. Lieber möchte ich falsch dargestellt als vergessen werden. Es gibt so wenige Genies! Keats und ich – Nicht einschlafen!"

Aber ich konnte es nicht verhindern. Immer wieder fiel mir etwas ein, das ich sie fragen wollte, aber wenn ich meine trüben Augen öffnete, war sie nicht mehr da. Der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, war leer, und das Feuer war zu dunkler Asche heruntergebrannt. Ich döste und träumte. In meinen Träumen hatte ich plötzlich Stil, einen wortgewaltigen, exquisiten Stil, und schrieb so eindringlich und überzeugend über Margaret Capel und Gabriel Stanton, dass die ganze Welt um sie weinte und meine Verkäufe in die Hunderttausende gingen.

"Wir haben immer Großes von dieser Autorin erwartet, aber sie hat unsere höchsten Erwartungen übertroffen –– " Alle Rezensionen lauteten so oder so ähnlich. Für den Rest dieser Nacht war kein anderer englischer Schriftsteller berühmter als ich. Verleger und Literaturagenten belagerten meine Tür und ich musste die wunderbarsten Angebote ablehnen. Wenn ich nicht so durstig und mein Mund so trocken gewesen wäre, hätte niemand glücklicher sein können, aber die Trockenheit und der Durst ließen mich ständig aufwachen, und ich verfluchte Suzanne, weil sie mir die Wasserflasche außer Reichweite gestellt und vergessen hatte, mich mit sauren Bonbons zu versorgen. Ich erinnere mich, dass ich mich bei Margaret darüber beschwert habe.

Zwielicht

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