Читать книгу Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen - Страница 14

11.
Kapitel

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Am nächsten Morgen sah sich Marie im Spiegel an. Sie war ein wenig braun geworden, aber ihre Haut fühlte sich trocken an. »Tu dir etwas Gutes«, hatte Corinna ihr geraten, das war ganz wichtig.

Plötzlich tauchte das Bild von Ariadne vor ihrem inneren Auge auf. Sie hatte so schöne, zarte Haut. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war sie neidisch auf Ariadne, weil sie so toll aussah, und vor allem, weil sie so frei lebte. Sie ließ sich durch ihre Beziehung nicht einengen, wie sie selbst früher durch ihren Ex-Freund Sebastian. Ariadne lebte allein in Nikosia, traf sich mit Dionissis oder anderen Freunden, und Alexandros schien das noch nicht einmal zu stören.

Marie ärgerte sich über sich selbst, dass sie sich in ihrer letzten Beziehung die Freiheit hatte nehmen lassen. Aber sie hatte ja etwas dagegen getan! Sie hatte sich getrennt und war nach Zypern gegangen. Und jetzt würde sie noch mehr für sich tun!

Stavros war zum Forsthaus gekommen, um sein Motorrad abzuholen, doch der Ausflug nach Amathous hatte sie so beflügelt, dass sie fragte, ob sie es noch einmal leihen könnte. Sie erklärte ihm, dass sie wegen der Rosenkosmetik nach Agros fahren wollte, und Stavros war einverstanden.

Als Alexandros die Vorbereitungen bemerkte, blieb er in einiger Entfernung stehen und runzelte die Stirn.

»Ich finde das unökologisch. Gestern unterwegs, heute ein Ausflug: Das ist Spritverschwendung. Außerdem kennst du die Straßen hier im Gebirge nicht. Du musst enge Kurven fahren, und es gibt viele Unfälle.«

Stavros unterbrach ihn, klopfte Marie auf die Schulter und sagte in Alexandros’ Richtung:

»Du immer mit deinen Unfällen. Nur weil du mal einen hattest, muss das doch anderen nicht so gehen. Lass Marie! Agros ist ein lohnenswertes Ziel.« Dann wandte er sich ihr zu. »Stell die Maschine oben auf dem Parkplatz ab, Marie, und geh zu Fuß ins Dorf hinunter, dann fährst du weniger Kurven. Probier nicht zu viel Rosenlikör bei Tsolákis! Viel Spaß!«

Sie startete, die hügelige Strecke kam ihr bekannt vor. Fast wie zuhause im Sauerland, dachte sie, nur etwas mehr Steine auf der Fahrbahn. Sie fuhr an uralten, hohen Pappeln vorbei, an Bächen, die sich tief in Täler eingeschnitten hatten. Es gab kaum Verkehr auf der Straße, sie legte sich intensiv in die Kurven, sodass sie ihr Ziel Agros bald erreichte.

Das ganze Dorf war von Rosenfeldern umgeben. Seltsam, obwohl die Blüte längst vorbei war, hing über dem Dorf noch immer der Duft von Rosen.

Sie näherte sich der Destillerie Tsolákis und besichtigte das kleine Geschäft. Neben Rosenlikör und -wein wurde Parfum und Kosmetik angeboten. Sie sah sich Fotos von der Rosenblüte im Frühjahr an und sog den Duft des Ladens in sich auf.

Dann probierte sie die Cremes und verteilte duftende, kühle Lotion auf der Haut. Kam es ihr nur so vor oder fühlte sich ihre Haut gleich viel zarter an? Mit Tages- und Nachtcreme, Reinigungsmilch, Körperlotion und einem Fläschchen Rosenöl verließ sie die Manufaktur.

Auf der Rückfahrt entdeckte sie neue große Straßenschilder, die auf Sehenswürdigkeiten hinwiesen. Sie fuhr langsamer und entzifferte das Wort »Chrommine«.

Als sie das Forsthaus erreichte, saß Stavros auf der Terrasse. Sie fragte ihn sofort:

»Haben diese Chromminenschilder etwas mit den Straßenbauplänen und den angesägten Bäumen zu tun?«

»Es kann sein, dass es da einen Zusammenhang gibt, aber ich habe keine Ahnung, wer dahintersteckt. Ich fahre auf dem Rückweg an den Schildern vorbei und schaue sie mir an.« Er übernahm den Helm und stieg auf die Kawasaki.

Marie bedankte sich, zog den Motorradanzug aus, den Ludmilla ihr geliehen hatte, und legte ihn auf einem Terrassenstuhl ab.

Der Gedanke, dass eine längst stillgelegte Chrommine in Kürze wiedereröffnet werden soll, bedrückte sie. Doch sie fand einfach nicht den Punkt, an dem sie ansetzen könnte, um dagegen vorzugehen. Vielleicht würde ihr etwas einfallen, wenn sie sich mit etwas anderem beschäftigte.

Sie holte die Kamera und begann, das Forsthaus und die Umgebung zu fotografieren.

»Musst du wirklich jeden Kieselstein aufnehmen?« Alexandros kam näher.

Anstatt sich provozieren zu lassen, erklärte sie:

»Es erinnert mich an ein Forsthaus bei uns Zuhause: Groß, weiß, grüne Fensterläden, eine Glocke am Eingangstor, Brunnen im Hof und Kies. Wenn du mal nach Deutschland kommst, zeige ich es dir.«

»Ich interessiere mich eher für Italien, Spanien und Frankreich.«

»Klar, die Länder gefallen mir auch«, sagte sie und dachte: Kann er nicht einmal etwas Nettes antworten? Er hätte auch einfach »Ja« sagen können.

Nachdem sie fertig war, nahm sie ihre Sachen und verteilte ein paar Tropfen Rosenöl in ihrem Zimmer und im Flur. Als sie später in die Küche ging, saß Alexandros im Wohnzimmer, seine Arbeitsschuhe lagen auf dem Teppich.

»Wie riecht das denn?«, fragte er plötzlich.

»Ich habe etwas Rosenöl aus Agros im Haus verteilt«, entgegnete Marie.

»Aber doch nicht flaschenweise!« Er rümpfte die Nase.

Mit den Worten: »Es waren nur ein paar Tropfen«, zog sie sich in die Küche zurück. »Wirkt harmonisierend und beruhigend« las sie auf dem Etikett und schüttelte den Kopf.

Alexandros kam hinter ihr her.

»Wir fahren nächstes Wochenende nach Pafos. Ariadne und Dionissis haben alles organisiert. Oder willst du lieber hier in deinem Schneckenhaus bleiben?«

Nachdem er die Küche verlassen hatte, überlegte Marie. Die Aktion kam ihr merkwürdig vor. Die beiden Studenten hatten doch betont, dass sie für ihre Prüfung lernen müssten. Wer könnte ein Interesse an einem gemeinsamen Wochenende haben? Höchstens Dionissis, der es vorgeschlagen hatte. Aber wie hatte er die beiden anderen überzeugt?

Sie kam zurück ins Wohnzimmer, doch Alexandros war nicht mehr zu sehen. Sie klopfte an seine Zimmertür.

Als er den Kopf herausstreckte, sagte sie:

»Klar komme ich mit. Dann sehe ich was von Zypern. Ich find es total nett, dass die anderen das organisiert haben.«

***

Am nächsten Wochenende fuhren Marie und Alexandros in seinem grauen Toyota über die Landstraße nach Pafos, während Ariadne und Dionissis von Nikosia über die Autobahn kamen.

Marie wollte ihre Sonnenbrille und das Handy in die offenen Fächer in der Mittelkonsole legen, doch die waren voller Staub, kleiner Steine, Münzen und Schrauben, sodass sie ihre Utensilien lieber im Rucksack verstaute.

Alexandros redete mit ihr auf der Hinfahrt wenig, er ließ stattdessen laut das Radio laufen, das von unverständlichen Satzfetzen aus dem Walkie-Talkie unterbrochen wurde.

Als sie den Parkplatz erreichten, waren Dionissis und Ariadne nicht zu sehen.

»Sie müssten längst da sein, sie sind doch vor uns losgefahren«, murmelte Alexandros. Er ging so zielstrebig zum Eingang des archäologischen Parks, dass Marie kaum hinterherkam.

Als sie das Gelände betraten, lief Alexandros zügig zur ersten römischen Villa. Marie versuchte, mit Alexandros Schritt zu halten und sich gleichzeitig auf dem Areal umzusehen. Doch die Sonne strahlte die Mauerreste und Schotterwege so stark an, dass sie geblendet wurde. Marie sehnte sich nach hohen schattenspendenden Bäumen, die es aber nur vereinzelt gab.

Im Haus des Dionysos standen Ariadne und Dionissis dicht beieinander und schauten von einer hölzernen Galerie auf ein Mosaik herab.

»Konntet ihr nicht warten?« Besitzergreifend legte Alexandros seinen Arm um Ariadnes Taille und küsste sie minutenlang.

Marie fand es übertrieben, dass er sich so auf sie stürzte, doch Ariadne schien das nicht zu stören. Sie löste sich von ihm und begrüßte Marie mit einem Küsschen auf beide Wangen.

»Das Kleid steht Marie gut, oder?«, sagte Ariadne in Dionissis’ Richtung.

Der schaute auf ihr dunkelblaues Leinenkleid, nickte lächelnd, küsste sie ebenfalls rechts und links und verwickelte sie in eine Konversation über das Mosaik, das die vier Jahreszeiten darstellte.

Danach zeigte er ihr eine Szene, in der Daphne vor Apoll floh und sich in einen Lorbeerbaum verwandelte.

Marie betrachtete Daphnes Beine, aus denen schon Blätter wuchsen. Dionissis zog sie an der Hand zur Darstellung von Ikarios und den ersten Weintrinkern.

Während er zu ausführlichen Erklärungen ausholte, wurde es unter dem Dach immer heißer.

»Lasst uns die Mosaiken unter freiem Himmel ansehen«, schlug Alexandros vor.

Eine riesige Villa erstreckte sich vor ihnen: das Haus des Theseus. Bewundernd meinte Marie:

»Unglaublich, dass so viele Mosaiken erhalten sind!« Sie hätte am liebsten stundenlang jedes Mosaik betrachtet.

Aber Alexandros hatte einen Arm um Ariadnes Hüften gelegt und steuerte in Richtung Ausgang. Von seinem Hinken war nichts mehr zu sehen, er schlenderte ganz befreit neben seiner Verlobten.

»Alles Weitere erklären wir dir auf dem Weg zum Hafen. In den 1960er Jahren ist ein Bauer bei der Feldarbeit auf diese Überreste gestoßen. Man hat damals die Villen der reichen Römer entdeckt, und es gibt noch mehr zu erkunden; am Nordosttor sind die Archäologen dabei, eines der größten Theater des östlichen Mittelmeerraums freizulegen. Es hatte mehr als achttausend Plätze.«

Sie zogen zum Hafen, wo die Restaurantbesitzer versuchten, sie in ihre Tavernen und Bars zu locken.

Alexandros steuerte in die Boite 67, wo viele Zyprioten saßen. Nebenan in Steve‘s Bar hatte sich eine Gruppe von Briten mit Shorts und nacktem Oberkörper an einen Tisch gesetzt, sie redeten laut und tranken Bier.

Während sich Marie einen Platz aussuchte, stand Dionissis unsicher daneben. Ariadne platzierte ihn direkt neben Marie und schaute ihn aufmunternd an.

Sie stießen mit zypriotischem Wein an und genossen die Stimmung bei Sonnenuntergang. Alexandros erzählte Witze auf Griechisch und gab ein lautes, tiefes Lachen von sich.

Sein Lachen war so ansteckend, dass sie mitlachen musste, obwohl sie nichts verstand. Sie saß links von ihm und stellte fest, dass er Grübchen hatte. Die hatte sie bislang nicht bemerkt. Er sah nett aus, wenn er mit Ariadne sprach, dachte Marie, während sie ihren Blick auf das hellblau schimmernde Meer lenkte.

Dionissis schmiedete bereits Pläne für die nächsten Wochenenden:

»Diese Bewegung an der frischen Luft, ein paar neue Eindrücke, das tut so gut und man kann die Woche über konzentrierter lernen, findest du nicht, Ariadne?«

Sie zögerte, während er fortfuhr:

»Wie wäre es, wenn wir uns nächstes Wochenende auf dem Weinfest in Limassol treffen?«

Marie stimmte sofort zu, weil die beiden so nett waren. Alexandros wog ab. In Ariadnes Richtung sagte er:

»Da sind zu viele Leute, und ich habe keine Lust, meine alten Bekannten zu treffen. Andererseits ...« Er hielt inne und fuhr dann fort: »Der Vorteil wäre, dass ich dich sehe, und die Stimmung ist eigentlich ganz nett.«

Sehnsucht nach Zypern

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