Читать книгу Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen - Страница 6
3.
Kapitel
ОглавлениеAm nächsten Morgen steckte sie ihre dichten blonden Haare mit Haarspangen hoch, trug Sonnencreme auf und zog die Arbeitskleidung der zypriotischen Forstabteilung an: das weite hellgrüne Hemd sowie die lange dunkelgrüne Hose, die Alexandros ihr auf das Sofa gelegt hatte.
Gut, dass das Hemd kurze Ärmel hatte, langärmlige Hemden endeten bei ihr meist mehrere Zentimeter vor dem Handgelenk, was ihre Arme noch länger erscheinen ließ. Die weite Hose musste sie mit Gürtel tragen – und sie würde ihrem Kollegen klarmachen, dass das Pflanzen nicht ihre Aufgabe war, sondern die Planung.
»Konzeption eines Zedernwanderwegs von den Weindörfern zu den Scheunendachkirchen, stand in der Aufgabenbeschreibung«, brach es aus ihr heraus, als sie wieder vor Alexandros stand, der auf dem Boden kniete und eine Zeder einsetzte. »Für die Ausführung gibt es doch sicherlich Angestellte.«
»Wir sind die Angestellten«, wiederholte Alexandros, etwas geduldiger legte er nach: »Für das Projekt gibt es zu wenig Geld, wir haben nicht genügend Zedern, geschweige denn Personal.«
»Und wie sollen wir das in vier Monaten schaffen?«
»Indem du mit anpackst, solange wir keinen männlichen Mitarbeiter bekommen. So, mit der Hacke ein zwanzig Zentimeter tiefes Loch ausheben, je nach Größe des Wurzelballens auch tiefer.« Er zeigte ihr, wie man das Loch grub und die Pflanze einsetzte.
Was bei ihm leicht aussah, gelang Marie nicht.
»Der Boden ist ja steinhart!«
»Kein Wunder bei der Trockenheit. Außerdem ist der Boden felsig, sehr kalkhaltig und für viele Pflanzen ungeeignet.«
Sie versuchte energisch, die harte Erde mit der Hacke zu durchdringen, doch als sie nach zehn Minuten kein ausreichend tiefes Loch zustande gebracht hatte, hörte sie auf.
Es war ihr extrem unangenehm, wenn sie etwas physisch nicht so gut konnte wie ihre männlichen Kollegen. Das hatte sie schon in der Ausbildung geärgert, weil es alle Vorurteile bestätigte: dass Frauen nicht stark genug wären, einfach körperlich nicht in der Lage, diesen Beruf auszuüben.
Was hatte damals geholfen? Das, wovon sie mehr hatte, als alle Männer ringsum: Verstand. Den würde sie jetzt einsetzen. Es war kein Chef da, der ihr klar sagen konnte, ob das Pflanzen wirklich ihre Aufgabe war, nur Alexandros, der darauf bestand.
Sie wollte auf ihn nicht den Eindruck machen, dass sie die Arbeit verweigerte.
»Wie wäre es, wenn du die Löcher gräbst und ich die Zedern einpflanze? Ich bin nicht an eure Böden gewöhnt.«
Da Alexandros wahrnahm, dass es keine bessere Lösung gab, ließ er sich darauf ein.
Nachdem er das erste Loch gegraben hatte, griff Marie mit beiden Händen eine Zedernpflanze aus der Schubkarre, die hellbraune Erde des Wurzelballens krümelte ihr durch die Hände. Stolz reckte sich die kleine Zeder in die Höhe.
Sie setzte die Pflanze in den harten, steinigen Boden. Vorsichtig, fast zärtlich wischte sie den Staub von den feinen kurzen Nadeln, die sternförmig angeordnet waren. Mit dieser Mission konnte sie sich identifizieren, der Zypern-Zeder, die noch vor wenigen Jahrzehnten vor dem Aussterben stand, einen neuen Lebensraum zu geben. – »Platsch«, ein Schwall Wasser ergoss sich über Maries Hose, Schuhe und die kleine Zeder.
»Nach dem Einsetzen wässern!« Alexandros schüttete schmunzelnd die letzten Tropfen Wasser aus dem Eimer.
»Beim nächsten Mal gießt du nur die Pflanze und nicht mich!« Marie richtete sich auf und wischte mit einem Taschentuch das Wasser von ihrer Hose.
Nach einer Weile schlug Alexandros einen verständnisvolleren Ton an:
»Wenn du Wege planen und anlegen möchtest, wirst du die Arbeit nicht interessant genug finden. Vielleicht kannst du in ein anderes Projekt wechseln.«
Trotz seines verbindlichen Tonfalls hatte Marie das Gefühl, dass er sie loswerden wollte. Von wegen, dachte sie, ich habe mich so dafür eingesetzt hier zu sein, ich gebe noch lange nicht auf.
Als sie die nächste Zeder in den weißen felsigen Boden setzte, fragte sie Alexandros:
»Ich kenne mich zwar nicht mit euren Böden aus, aber meinst du wirklich, dass die Zedern hier anwachsen? Und das Troodos-Gebirge ist so weit entfernt. Wie sollen wir das mit dem Zedernweg erreichen?«
Alexandros stützte den rechten Ellbogen auf seinen Spaten.
»Für Zedern ist der PH-Wert des Bodens nicht ideal und die Erde zu kalkhaltig, sie würden besser auf den eisenhaltigen Böden weiter oben im Troodos-Gebirge wachsen. Wir versuchen es trotzdem, wenn es funktioniert, können wir die ganze Insel aufforsten.«
Sein Gesicht wurde von der Sonne angestrahlt, hellbraune Reflexe leuchteten in seinen dunklen Augen. Er hatte die Augenfarbe von Mousse au Chocolat, aber wahrscheinlich dachte sie nur daran, weil sie hungrig war.
Nach zwei Stunden entschied er:
»Genug für heute.«
Sie gingen die wenigen hundert Meter zurück zum Haus und schauten vorher auf die zwölf Pflänzchen, die sie in dieser Zeit geschafft hatten. Die Arbeitsteilung war keine schlechte Idee gewesen.
Marie setzte sich auf einen der weißen Terrassenstühle, die hinter dem Haus standen.
Vögel zwitscherten, Jasminbüsche und einzelne Schwarzkiefern umgaben das Grundstück.
Sie bewunderte einen Mammutbaum und blickte durch die Baumkrone in der Hoffnung, einen Adler über sich kreisen zu sehen. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
Wie komme ich von hier aus in den nächsten Ort, um Einkäufe zu erledigen? Alexandros später fragen. Erst einmal ausruhen ...
Sie genoss die Sonnenstrahlen auf ihrem Körper und den Geruch der Pinien. Auch die Rosenstöcke, die die Wiese umrahmten, rochen gut, doch sie nahm außer dem Pinien- und Rosenduft noch etwas anderes wahr, sie spürte, dass Wasser in der Nähe war.
Neben dem Haus ihrer Großeltern lag ein Teich, in dem sie und ihr Bruder im Sommer geschwommen waren. Es wäre wunderbar, wenn es hier auch einen See gäbe, in dem sie sich nach der Arbeit erfrischen könnte.
Sie ging Schritt für Schritt in Richtung der Pfirsichfelder, am Ende des Gartens lief sie einen kurzen Abhang hinunter, und da war er: kein See, aber dafür ein Bach, der über Steine und Wurzeln sprudelte. Am Ufer wuchs ein Erdbeerbaum und da, nah am Wasser eine Goldeiche.
Marie zog ihre Schuhe aus und ging mit den Füßen ins Wasser. Es war erfrischend und so kalt, dass sie für einen Moment ihre Füße nicht mehr spürte. Sie rutschte auf einem moosigen Stein aus und tat sich die Zehen weh. Sie brauchte Flusssandalen, genau, Kunststoffsandalen, dann könnte sie im Flussbett gehen.
Schließlich setzte sie sich ans Ufer auf weiches Moos und atmete die klare Luft ein, die nach Pinien und gleichzeitig nach Fluss und Algen roch. Das Plätschern des Baches entspannte sie. Wenn man eine Weile dasaß und das Licht sich auf den Blättern der Goldeiche spiegelte, dann funkelten sie tatsächlich golden und der Bach silbern.
Das würde ihr Lieblingsplatz sein.
Hier könnte sie lesen oder sich nach der Arbeit ausruhen. Wenn sie bleiben konnte ...
Sie legte ihre Hand auf die warmen Steine, sie wollte genau hier bleiben und hatte nicht die geringste Absicht, irgendwo anders eine Wohnung zu suchen. Denn der Geruch nach Flusssteinen und Algen rief die Erinnerung an den Arnsberger Wald in ihrer Heimat hervor.
Sie liebte es, mit ihrem Jagdhund Timmy dort spazieren zu gehen, meist mit den Wanderschuhen direkt durch das Flussbett der flachen Bäche, wo sie die Pflanzen am Ufer wie einen Urwald wahrnahm, wie eine Überraschung und ein Abenteuer, als wäre sie der erste Mensch und würde alles neu entdecken.
Den Geruch nach Wasser, Steinen und Moos hatte sie auch in der Nase, wenn sie um die Stauseen ihrer Heimat Fahrrad fuhr oder sich mit ihren Freunden im Ruderclub traf und den Hennesee im Boot überquerte.
Als sie wieder zum Haus zurückkam, fragte Alexandros, der gerade Tomaten aus dem Gemüsegarten pflückte:
»Willst du nicht duschen?«
»Das mache ich, wenn ich einen Duschvorhang besorgt habe.«
Alexandros schüttelte wortlos den Kopf, verschwand in der Küche und kam kurz darauf mit einem Tablett wieder zurück.
»Zum Mittagessen haben wir Horiatiki Salata, dazu gibt es Ofenkartoffeln mit Talattouri.«
Marie fragte sich, was »Horiatiki« hieß, das Wort war ihr im Griechischbuch nicht begegnet.
Als sie Tomaten, Gurken, Schafskäse und Oliven auf dem Teller hatte, schloss sie, dass es sich um einen Bauernsalat handeln musste. Er schmeckte wunderbar frisch, genauso wie Talattouri, was ein zypriotischer Begriff für »Tzatziki« zu sein schien.
Er beobachtete sie eine Weile stirnrunzelnd und fragte dann:
»Also: Was hast du bisher im Studium gemacht?«
Marie überlegte gut, bevor sie sprach. Sie wollte ihm klar machen, dass er es mit jemandem zu tun hatte, der auf Augenhöhe mit ihm war.
»Ich habe schon mehrere Praktika absolviert, das letzte im Hochsauerlandkreis. Wir haben Wanderkarten erstellt und die Wege möbliert, das heißt Schilder, Bänke, und Abfallbehälter aufgestellt.«
Marie holte Luft, bevor sie fortfuhr:
»Dann haben wir einen Aussichtsturm errichtet und einen Sinnespfad angelegt. Unsere Erfahrungen kann ich gern an euch weitergeben.« Selbstbewusst schaute sie ihn an.
»Ich bezweifle, dass sich die Situation in Deutschland mit der auf Zypern vergleichen lässt. Wir sind bisher gut allein zurechtgekommen. Und übrigens: Bänke gibt es auch auf unseren Wanderwegen, vielleicht schaust du sie dir mal an, bevor du uns gutgemeinte Ratschläge gibst.« Er stand auf, holte ein Büchlein in Din A5-Format aus dem Haus und schob es ihr zu: »Fünfzig Wanderwege auf Zypern«.
Das war ein deutsches Buch, das sie wohl bei ihrer Recherche übersehen hatte. Mist!
»Alles Weitere kannst du mit unserem Chef besprechen.«
Mit diesen Worten stand er vom Tisch auf und verschwand im Haus.
***
Als sie ihr Geschirr in die Küche brachte und in die Spüle stellte, saß Alexandros am Küchentisch und trank einen Kaffee. Sie fragte:
»Arbeiten wir eigentlich morgen auch?«
Zuerst nickte er gedankenverloren, doch dann fiel ihm etwas ein.
»Morgen ist Samstag, da bin ich nicht da, ich fahre für das Wochenende nach Nikosia. Zu Essen findest du genug im Kühlschrank.«
Marie schaltete erst nach einer Weile:
»Nikosia soll eine interessante Stadt sein.«
Alexandros reagierte nicht.
»Ich würde sie mir gern ansehen.«
Ihr Gegenüber schwieg.
»Würdest du mich mitnehmen? Ich werde mir dort eine Pension suchen.«
»Ich starte Punkt neun Uhr«, erwiderte Alexandros schlicht.
Abends rief sie ihre Freundin Corinna an. Dummerweise gab es nur das uralte Telefon im Büro, denn das Mobilnetz funktionierte im Haus nicht. Sie konnte das Gerät nicht mit in ihr Zimmer nehmen, da die Schnur zu kurz war.
Alexandros saß am Schreibtisch und arbeitete, sodass er das gesamte Gespräch mithörte. Gut, dass er kein Deutsch verstand.
Corinna erzählte von ihrem Arbeitstag und fragte schließlich:
»Und wie ist es, erzähl doch mal!«
»Ganz schön.« Sie schaute verstohlen zu Alexandros, der etwas aus einem Buch in seinen Computer tippte und immer wieder den Blick zum Telefon hob.
»Beschreib doch mal die Landschaft, die Menschen. Die Griechen sollen doch so leidenschaftlich sein.«
»Die Landschaft ist genau so, wie ich sie liebe. Ich wache morgens bei blauem Himmel auf und sehe die rotbraunen Berge, davor das Grün der Pfirsichbäume, deren Blätter sich langsam gelb färben.«
»Und wie sind die Städte?«
»Das kommt noch. Ich fühle mich ehrlich gesagt ein bisschen alleine.«
»Ich vermisse dich auch, Marie. Abends ins Brazil gehen macht gar keinen Spaß ohne dich. Warum hast du dich nicht für dieses Projekt in Belgien entschieden? Zypern ist so weit weg!« Sie seufzte. »Komm einfach zurück, wenn es dir nicht gut geht. Sei bloß nicht stur. Zuhause ging es dir doch gut. Du musst niemandem etwas beweisen!«
Alexandros war aufgestanden, füllte mit seinem Körper den gesamten Türrahmen aus und fixierte das Telefon.
»Doch«, sagte Marie laut und deutlich. Sie hatte das Gefühl, dass sie dann am lebendigsten wurde, wenn sie anderen etwas beweisen konnte, besonders Männern. »Ich melde mich noch einmal, wenn ich alleine bin und in Ruhe mit dir sprechen kann.«