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4.
Kapitel
ОглавлениеBeim Frühstück saß sie in einem ärmellosen grünen Leinenkleid auf der Terrasse und freute sich auf ihren ersten Ausflug in die Inselhauptstadt.
Als Alexandros in lässigen Shorts und ebenso legerem Kurzarmhemd aus dem Haus kam, nahm sie die Narbe wahr, die sich längs über sein rechtes Knie zog.
Währenddessen wanderten seine Augen einmal von oben nach unten an ihrem Outfit entlang. Weil sie sich hingesetzt hatte, war das Kleid leicht nach oben gerutscht, sodass es ihre Knie freiließ.
Sie zog das Kleid nach unten und dachte auf einmal an Daniel, den Womanizer aus der Disco, in die sie früher manchmal mit ihren Freundinnen gegangen war. Alexandros hatte den gleichen Blick, was Frauen anging, als hätte er schon viele so angesehen.
Normalerweise reagierte sie allergisch auf solche Blicke, doch sie sagte nichts, weil Alexandros ihre Mitfahrgelegenheit war. Er schien unschlüssig, was er von ihrem Erscheinungsbild halten sollte, schließlich meinte er:
»Das geht so nicht, kannst du dich umziehen?«
»Warum?«
»Erkläre ich dir später. Zieh dich an wie zur Arbeit.«
Marie überlegte, ob sie auf Alexandros‘ Anliegen eingehen sollte. Warum sollte sie sich verkleiden? Sie war so froh gewesen, ihre Sommerkleider zu tragen. Der einzige Grund könnte sein, dass sie in dieser Einöde auf ihn angewiesen war. Widerwillig zog sie sich um.
Als sie mit ihrer dunkelgrünen Arbeitshose und einem schwarzen Top nach draußen kam, fragte Alexandros ungeduldig:
»Hast du kein Oberteil, das unscheinbarer ist?«
»Nein, habe ich nicht. Das hellgrüne Hemd muss ich erst noch waschen! Außerdem ist es total warm und der Jeep hat keine Klimaanlage. Warum soll ich überhaupt etwas Unscheinbares anziehen?«
»Dann gebe ich dir ein weißes T-Shirt von mir.«
Ihre Frage ignorierte er einfach.
Sie folgte ihm widerwillig in sein Zimmer, dabei hatte sie das Gefühl in eine Wolke von Aftershave zu treten. Sie lief nach Luft schnappend zum geöffneten Fenster, das den gleichen freien Blick über das ganze Tal eröffnete wie ihres.
Die Weinberge im Hintergrund waren sogar noch besser zu erkennen, auch das Gras zwischen den Pfirsichbäumen und die Hügel, die am Horizont bläulich schimmerten.
Als sie das Fenster schloss und sich im Zimmer umsah, stellte sie fest, dass alles aufgeräumt war. Die Bücher befanden sich geordnet im Regal, und die Schuhe standen genau nebeneinander. Wie beim Militär, dachte Marie.
Ihr Blick fiel auf ein Foto, das an einen Bilderrahmen neben dem Fenster geklemmt war. Zwei Jugendliche standen mit ihren Eltern vor einem Backsteingebäude, der junge Mann mochte sechzehn Jahre alt sein, das Mädchen zwei bis drei Jahre jünger. Seine Haare waren akkurat geschnitten, er trug einen Collegeblazer und ein Lächeln auf den Lippen. Die englische Fahne im Hintergrund deutete auf ein britisches College hin. War das Alexandros?
Es hingen noch andere Fotos dort: Wunderschöne Naturaufnahmen, eine zeigte Alexandros vor einem Wasserfall im Schnee, auf einem anderen Foto streckten Hunderte von filigranen hellgrünen Zedern ihre Äste in den Himmel.
Marie stand gebannt vor dem Foto und ließ die magische Atmosphäre des Zedernwaldes auf sich wirken.
Alexandros‘ Stimme durchbrach die Stille. »Deshalb arbeite ich hier. Damit es bei uns irgendwann auch so aussieht wie im Zederntal.«
Marie erwachte aus ihrer Trance.
»Probier das an, es dürfte weit genug ausfallen«, er reichte ihr das oberste T-Shirt von dem Stapel aus seinem Schrank.
Sie ging in ihr Zimmer und roch an dem Oberteil. Es duftete nach Sonne. Während sie sich umzog, erinnerte sie sich, dass er seine T-Shirts auf eine Wäscheleine neben der Terrasse aufgehängt hatte. Es war merkwürdig, eines seiner Kleidungsstücke anzuhaben. Sie mochte keine weißen T-Shirts, sie fand, sie standen ihr nicht und machten sie blass.
Na schön, dann wenigstens richtig, damit wir endlich losfahren können, dachte sie und band sich ihr Haar zu einem strengen Pferdeschwanz nach hinten. Sie zog einen Wanderrucksack über und die staubigen Sandalen vom Vortag wieder an.
Als sie die Treppe herunterkam, schaute er sie erst prüfend, dann zufrieden an.
***
Sie fuhren durch das Solea-Tal, vorbei an kleinen Dörfern mit alten Häusern aus Natursteinen und ockerfarbenen Kirchen unter strahlend blauem Himmel. Vor einem liebevoll restaurierten Haus saßen Dorfbewohner auf Holzstühlen. Genau so stellte sie sich den Süden vor.
»Können wir bitte anhalten? Ich möchte Fotos von der Umgebung machen.«
Alexandros, der gerade das Auto vor einer roten Ampel zum Stehen gebracht hatte, antwortete:
»Das geht nicht, wir haben noch eine weite Strecke vor uns.«
»Ich würde wirklich gerne etwas von Zypern sehen, verstehst du?«
Alexandros seufzte und antwortete nach kurzem Zögern:
»Na gut, aber nur ganz kurz!«
Sie stieg aus, bevor die Ampel auf Grün schaltete.
Er fuhr an.
»Halt!« Sie winkte ihm hinterher und rief: »Meine Kamera ist im Kofferraum.«
Während er nach einer Parkmöglichkeit Ausschau hielt, zeigte sie auf ein Geschäft an der Straße. Ein weißhaariger Mann saß unter der gewölbten Decke des uralten Hauses und lächelte ihr entgegen. Zwei Glühbirnen hingen über der Theke.
»Éna neró, parakaló.«
Er zeigte stumm auf ein Regal, in dem sie neben Shampooflaschen Wasser entdeckte.
Sie stellte eine kleine Flasche auf den Tresen und fragte:
»Pósso kóstisi?«
»Enenínda«, nuschelte der Verkäufer.
»How much?«
Der Mann schwieg. Sie hatte kein Kleingeld dabei und legte einen Zwanzig-Euro-Schein auf den Tisch.
Ihr Gegenüber wiederholte:
»Enenínda.«
»One moment«, sagte Marie und verließ den Laden.
Zehn Meter weiter stand Alexandros vor einer Einfahrt. Marie bat ihn, kurz mitzukommen.
Alexandros betrat den Laden und sprach mit dem Verkäufer.
»Er möchte neunzig Cent als Kleingeld«
»Habe ich nicht, tut mir leid.« Sie hielt ihm ihren Schein entgegen.
Alexandros kramte gereizt in seinem Portmonee und legte schließlich eine Münze auf den Tisch, sie nahm stumm das Wasser und verließ den Laden.
Sie wollte sich durch seine schlechte Laune nicht den Tag verderben lassen, deshalb holte sie unbeirrt ihre Kamera aus dem Kofferraum.
Marie fotografierte einen rosafarbenen Oleanderbusch vor einem hellgelben Haus, eine Holzbrücke über einem türkisfarbenen Gebirgsbach, hellgrüne Obstbäume vor dem dunkelgrünen Troodos-Gebirge, drei grauhaarige, schwarzgekleidete Frauen, die vor einem Haus saßen.
Die Jüngste von ihnen lächelte ihr zu und holte zwei weitere Holzstühle aus dem Haus. Dann winkte sie Marie und Alexandros, der gerade eine Nachricht in sein Smartphone tippte.
Marie setzte sich und rief ihren Begleiter, doch der zeigte auf seine Uhr. Als die Damen zwei Kaffeetassen herausbrachten, kam er näher, setzte sich und trank zügig seinen Kaffee.
Die Frauen redeten auf ihn ein und deuteten schließlich auf Marie. Er übersetzte:
»Die meisten jungen Leute verlassen die Dörfer und gehen in die Stadt. Die Dorfbewohner schätzen es, wenn junge Paare sich für das Dorfleben interessieren. Sie brauchen Nachwuchs.«
Die drei Damen lächelten ihr zu. Marie lächelte zurück.
Alexandros zeigte auf seine Uhr und murmelte irgendetwas von »Lefkosia«.
Die Frauen protestierten, doch er stand auf, und Marie folgte ihm schweren Herzens.
Das mochte sie, dass die Menschen in den Dörfern sich die Zeit nahmen, draußen Kaffee zu trinken, miteinander zu reden und so offen zu Fremden waren.
***
Bald erreichten sie die Autobahn, die zur Hauptstadt führte.
Marie fuhr den Rest der Strecke mit geöffneter Fensterscheibe, um den Geruch seines Aftershaves abzumildern. Sie versuchte den Duft einzuordnen, holzig, ledrig ...
Generell fand sie, dass Männer nicht so viel Parfum auf–sprühen sollten, dass andere keine Luft mehr bekamen. Am besten gefiel ihr, wenn ein Mann nach Wald roch, aber das behielt sie für sich.
Auf dem Parkplatz am Fuße der alten Stadtmauer von Nikosia hielt Alexandros an und erklärte:
»Ich fahre Sonntagabend um sechs wieder hier ab.«
Marie nickte. Sie freute sich darauf, die Hauptstadt zu sehen, doch bevor sie losgehen konnte, kam eine junge Frau auf das Auto zu.