Читать книгу Schwarz wie dein Herz - Julie Craner - Страница 11

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Mit klopfendem Herzen wühlte sie nach dem dunkelroten Cocktailkleid, das sie auf Veras Hochzeit getragen hatte. Der kühle Seidenstoff schmiegte sich sanft an ihren Körper. Es störte sie, dass sie nur ein ärmelloses Kleid besaß, aber eine Stunde Vorbereitung ließ ihr nicht viele Optionen.

Im Badezimmer steckte sie ihre blonden, langen Haare nach oben und legte ein leichtes Make-up auf. Ein dünner Eyeliner-Strich, etwas Mascara und ein wenig Lipgloss würden reichen. Skeptisch blickte sie in den Spiegel und riss erschrocken die Haarnadeln wieder heraus. Sie hatte ihren Hals praktisch zu einem kleinen Snack angeboten. Selbst wenn Eric sagte, sie stände unter seinem Schutz, wollte sie lieber nichts riskieren. Sie war immer noch nicht sicher, wie weit sie seinen Worten trauen konnte.

In ihrer Schmuckschatulle fand sie ein Samthalsband mit einem kleinen Rubinanhänger, das sie sich umlegte. Zumindest war ihr Hals so ein wenig bedeckter. Den Anhänger ihrer Großmutter steckte sie in die kleine Abendtasche. Da er unter den vielen Vampiren dauerhaft glühen würde, wäre es besser ihn bedeckt zu halten. Nach kurzem Zögern legte sie den schwarzen Dolch dazu. Sie wusste nicht, worauf sie sich einlassen würde. Ganz ohne Waffe wollte sie nicht sein, auch wenn der kleine Dolch wenig gegen einen ganzen Raum voll Vampire ausrichten würde. Sie hoffte, dass Eric wirklich so ein Ehrenmann war, wie er vorgab.

Aus ihrem kleinen Medizinschrank holte sie sich einen frischen Verband. Ihrer war inzwischen dreckig und an den Rändern entdeckte sie Blutflecken. Sie wickelte sich die Binde ab, die Eric ihr vor zwei Tagen angelegt hatte, und begutachtete ihre Verletzung. Die Wunde sah sauber aus, halbmondförmig mit besonders tiefen Stellen auf Höhe der Eckzähne. Schaudernd dachte sie an den Überfall zurück und schüttelte den Kopf. Nicht daran denken, doch sie konnte die drei dunklen Schatten nicht abstreifen.

In diesem Moment klopfte es an ihrer Tür und sie sprang erschrocken auf. Vorsichtig schaute sie in den Spion. Eric stand in einem eleganten schwarzen Anzug vor der Tür. Langsam öffnete sie.

„Die Stunde ist um. Können wir los?“ Anerkennend fuhr er mit seinen Augen über ihren Körper. „Gar nicht schlecht!“

Sie drehte ihm den Rücken zu und hoffte, er könnte nicht sehen wie sie bei seinem Kompliment rot wurde. „Komm rein, ich brauche nur schnell einen neuen Verband.“

„Gib her, das mach ich.“ Er folgte ihr ins Wohnzimmer. „Hübsch hast du es hier, richtig gemütlich.“

Skeptisch schaute sie ihn an, aber er lächelte ehrlich. Während sie sich auf ihr dunkelblaues Sofa setzte und ihre Zehen in die hellgraue Auslegware kuschelte, versuchte sie das Zimmer mit seinen Augen zu sehen. Verglichen mit seiner Wohnung war hier alles voll gestellt. An den Wänden waren Regale angebracht, um ihren vielen Büchern Platz zu bieten. Zwei blaue Kuschelsessel flankierten das Sofa mit Blick auf den Fernseher und ihre DVD-Sammlung. In der Ecke neben der Balkontür standen ein paar Klappstühle, davor hatte sie bunte Sitzkissen gestapelt. Zu Filmnächten mit ihren Freunden sollte es schließlich jeder gemütlich haben. Hier fühlte sie sich geborgen, auch wenn sie alleine wohnte.

„Du hast Recht. Verglichen mit deiner Behausung ist mein Chaos wirklich urgemütlich!“

Er schnaubte. „Na hör mal. Bei mir ist es nur ordentlich.“ Kopfschüttelnd setzte er sich neben sie. „So, und jetzt gib mir deine Hand. Sonst kommen wir heute nie mehr los.“ Konzentriert schaute er auf den Biss. „Es verheilt gut. Vielleicht bleibt nicht einmal eine Narbe zurück.“

Skeptisch blickte sie ihn an. „Du bist doch nicht wirklich Arzt, oder?“

Mit hochgezogenen Augenbrauen lächelte er sie überlegen an. „Ich hatte in meinem Leben genug Zeit, um Medizin zu studieren. Aber ich habe nie wirklich praktiziert, bis auf ein paar Ausnahmen.“ Geschickt legte er ihr den Verband um und ließ sie los. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dem Geruch von menschlichem Blut lange widerstanden hätte, hätte ich wirklich als Arzt gearbeitet.“ Entrückt schaute er in die Ferne. „Ich bin ein Vampir, doch ich ernähre mich seit Jahrzehnten fast nur von Blutkonserven. Es reicht, um zu überleben. Aber es schmeckt nicht so süß wie frisches Blut.“

Vorsichtig nahm er ihre unverwundete linke Hand und drehte ihre Handfläche nach oben. „Sieh nur wie schön sich die Adern unterhalb deines Daumens abzeichnen.“ Er beugte sich nach vorne und sog den Geruch ihrer Haut ein. „Der Duft deines Blutes ist wirklich verlockend!“ Er grinste.

Aurora konnte zusehen wie sich seine Eckzähne verlängerten und rote Flammen in seinen schwarzen Augen zu tanzen begannen. Als er sich tiefer über ihre Hand beugte, wollte sie sie zurück ziehen. Doch Eric hielt sie in einem stahlhartem Griff. Ihr Herz raste als seine kalten Lippen ihre Haut berührten.

Dann sah er sie mit süßem Lächeln an. „Keine Angst, ich bin ein zivilisierter Vampir. Ich beiße nur zu, wenn ich darum gebeten werde!“ Kurz küsste er ihre Hand und ließ sie dann los.

In diesem Moment bildete sich ein klares Bild in ihrem Kopf. Sie lag in Erics Armen und hatte den Kopf zur Seite geneigt. Seine Lippen lagen auf ihrem Hals. Fast konnte sie seine Zähne in ihrem Fleisch fühlen und das Prickeln ihres Körpers, während er ihr Blut trank. Doch statt sich gegen ihn zu wehren, presste sie sich enger an seinen kalten Körper.

Blinzelnd schaute sie auf ihre unverletzte Hand. Was war los mit ihr? Errötend lehnte sie sich aus dem Licht.

„Ich kann hören, wie dein Blut schneller durch deine Adern fließt.“ Mit gerunzelter Stirn beugte er sich nach vorne, seine Augen blitzten gefährlich auf. „Woran hast du gedacht?“

Sie räusperte sich peinlich berührt. Unmöglich ihm die Wahrheit preiszugeben. „Du schleppst mich gleich zu einer Party voller Vampire! Daran habe ich gedacht.“

Skeptisch blickte er sie an. Ich glaube dir kein Wort, schienen seine Augen zu sagen. Doch sie hielt unschuldig seinem Blick stand. Schließlich schüttelte er schmunzelnd den Kopf und erhob sich. „Wir sollten uns auf den Weg machen. Mein König mag es nicht, wenn wir zu spät kommen.“

Erschrocken sprang sie auf. „Du willst mich zum König der Vampire bringen?“ Er würde sie verraten und dann würde sie auf ewig in der Gewalt der Vampire sein.

„Keine Angst! Du stehst unter meinem Schutz. Dir wird nichts geschehen! Ich verspreche es.“

„Wie kannst du das? Wenn dein Boss meinen Kopf will, kannst du als sein Untertan nichts dagegen tun!“ Panik stieg in ihr auf. Sie wollte nicht von einem Haufen Vampire ausgesaugt werden.

„Jetzt beruhige dich doch. Selbst wenn er das wollte, könnte er sich nicht über mich hinwegsetzen. Ich bin ein mächtiger Vampir und nicht einmal der König würde sich offen gegen mich stellen!“ Eric sprach so selbstsicher, dass Aurora ihn neugierig anstarrte. „Also hör auf, dir so viel Angst einzureden, und komm jetzt!“

Sie folgte ihm zu seinem Auto. Zögernd stieg sie ein. Selbst wenn er so mächtig war, konnte es immer noch sein, dass er sich überschätzte.

„Jetzt mach dir keine Sorgen mehr. Ich werde dich schützen und wenn ich dich unter einen Bannspruch stellen muss!“ Mit aufgerissenen Augen schaute sie ihn an. Auch wenn es beruhigend klingen sollte, beruhigte sie seine Andeutung über die Existenz von Magie kein bisschen.

„Was meinst du mit Bannspruch?“ Diesen Begriff hatte sie schon einmal gehört.

„Ganz einfach, ein Zauberspruch, um ungebetene Leute von dir fern zu halten.“ Er drehte sich zur Seite und hob grinsend seinen rechten Mundwinkel. „Ältere meiner Art haben genug Magie in sich, um diese auch einzusetzen. Allerdings brauche ich dafür viel Energie, deswegen setze ich diese Gabe nur selten ein. Schließlich bin ich kein Hexer oder ein Zauberer.“ Zwinkernd lachte er auf, während Aurora nicht wusste, ob das nur ein Witz war oder er das ernst meinte. Allerdings war sie von der neuen Information schon so überwältigt, dass sie sich nicht traute, weiter zu fragen.

Seufzend schüttelte er den Kopf. „Außerdem werden meine Freunde auch da sein und dich ebenfalls beschützen, wenn ich es tue.“

„Aber ich bin eine Vampirjägerin. Glaubst du nicht das reicht, um mich anzugreifen?“

„Wir sind zivilisiert, wie ich bereits sagte, und auch Vampire haben Gesetze. Als Gast im Haus des Königs wird dir nichts geschehen. Also mach dir keine Gedanken!“ Er wandte sich nach vorne und startete den Motor. „Außerdem riecht dein Blut viel zu verlockend, wenn du Angst hast.“

Keuchend griff sie nach dem Sicherheitsgurt und ließ sich in den Sitz sinken. „Was hast du gesagt?“

„Durch deine Angst wird Adrenalin freigesetzt. Es versüßt dein Blut und lässt es noch verführerischer duften.“

Seufzend rieb sie sich die Stirn. „Na super!“ Wie sollte sie die Panik in ihr so einfach unterdrücken? Verzweifelt versuchte sie sich auf ihre Atmung zu konzentrieren. Tief einatmen, bis zehn zählen und wieder ausatmen.

„Es war übrigens sehr mutig, wie du deinen Bruder verteidigt hast.“

Aurora öffnete die Augen und betrachtete Eric von der Seite. Seine wirren Locken hatte er mit einem Samtband im Nacken zurückgebunden. Mit diesem geheimnisvollen Lächeln um seine Mundwinkel sah er aus wie ein Adliger aus einer anderen Zeit, trotz des modernen Anzugs und des weißen Hemdes, an dem der oberste Knopf geöffnet war.

„Doch es war auch ganz schön dumm von dir, die drei ohne Hilfe zu konfrontieren. Du hattest Glück, dass es sich um jüngere Vampire handelte, sonst wärst du aus dieser Situation nicht so einfach raus gekommen.“

Sie schnaubte. „Ich musste meinen Bruder retten, egal ob es mutig oder dumm war. Außerdem hatte ich den schwarzen Dolch.“

Er seufzte. „Der schwarze Dolch kann dich nicht wirklich schützen. Dass du den Vampir getötet hast, lag nur an seiner Unerfahrenheit. Das konnte ich in den Erinnerungen deines Bruders sehen. Die drei, die dich überfallen haben, hättest du damit nicht getroffen.“

Neugierig lehnte sie sich nach vorne. „Du meinst, es waren nicht dieselben, die Markus überfallen haben?“

„Es gibt mehr Vampire in der Stadt als du ahnst. Doch heute Abend wirst du es selbst sehen. Die mächtigsten und ältesten Vampire werden unter Vlads Dach versammelt sein! Auch die drei Romanows!“

Mit klopfendem Herzen krallte sie sich an dem Sitz fest. Sollte sie wirklich zu dieser Party gehen? Die Haare stellten sich in ihrem Nacken auf bei dem Gedanken an einen Raum voller Vampire.

„Du hast versprochen, mich zu begleiten“, ermahnte er sie.

„Liest du meine Gedanken?“

Er drehte sich zu ihr, während er weiter geradeaus fuhr. „Das brauche ich nicht, dein Gesicht spricht Bände!“

Mit weit aufgerissenen Augen blinzelte sie nach vorne. „Bis eben hast du auf die Straße geschaut und nicht zu mir. Also kannst du mein Gesicht gar nicht gesehen haben.“ Immer noch blickte er in ihre Richtung und nahm ihr den Atem. „Bitte Eric, würdest du zurück auf die Straße schauen?“

„Ich kann mehrere Sachen gleichzeitig tun!“, grinste er frech.

„Lass es lieber! Ich würde gern in einem Stück ankommen!“

„Vertraust du mir etwa nicht?“ Er lehnte sich weiter zu ihr herüber, ohne auf den Verkehr zu achten.

„Du bist ein Vampir! Was denkst du denn?“ Um ihm zu entkommen, wich sie zur Seite aus und stieß sich den Kopf an der Scheibe. „Natürlich nicht!“

„Das ist auch besser so.“ Er setzte sich wieder gerade auf seinen Sitz und schaute nach vorn.

Grummelnd rieb sie sich den Hinterkopf und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Also? Hast du nun meine Gedanken gelesen?“

Um seine Mundwinkel konnte sie ein Zucken sehen. „Möglicherweise. Aber gibt es nicht etwas, das dich mehr interessiert?“ Er hob seine Augenbrauen und blickte sie kurz aus den Augenwinkeln an.

Verdammt, er konnte wirklich ihre Gedanken lesen! Seufzend kuschelte sie sich in den Sitz. „Also, wer sind die Romanows?“

„Als Vampire gehören sie eher zu den Neulingen. Sie sind erst hundert Jahre alt, aber die Familie entstammt einem alten russischen Adelsgeschlecht.“

„Moment, wir reden doch hier nicht von den Romanows, oder? Der Zarenfamilie, die Anfang des letzten Jahrhunderts umgebracht wurde?“ Sie sah ein wissendes Lächeln auf seinem Gesicht. Konnte sie wirklich von den Angehörigen der letzten Zarenfamilie angegriffen worden sein?

„Ja! Wie ich sehe, kennst du dich in Geschichte ein wenig aus. Genau genommen wurden sie nicht alle umgebracht. Anastasia und Alexander konnten entkommen. Der andere ist Dimitri, ein entfernter Verwandter.“

„Die Großfürstin Anastasia hat mich angegriffen?“ Immerhin war es eine berühmte Persönlichkeit gewesen, die ihr etwas antun wollte.

„In unserer Welt gibt es weit bekanntere Leute, aber die drei verfügen über einen gewissen Status. Es war übrigens Alexander, dem du die Wunde am Handgelenk verdankst.“

Der russische Thronfolger hatte sie gebissen. Nachdenklich schaute sie auf ihren weißen Verband. Dann stimmte die Legende wirklich, dass zwei Kinder überlebt hatten. Sie hatte die Geschichte von dem kleinen Mädchen, das sein Gedächtnis verloren hatte und plötzlich feststellte, dass es die Großfürstin Anastasia war, immer gemocht. Aber dass diese Legende so eine Wendung nehmen würde, hätte sie nie gedacht. Verwirrt schaute sie auf. „Hast du eine Ahnung, wie sie zu dem wurden, was sie jetzt sind?“

„Alexander war seit seiner Kindheit sehr krank und schließlich trat ein geheimnisvoller Mönch in sein Leben.“

„Rasputin!“

„Genau! Was keiner wusste: Rasputin war einer von uns und da es keinen anderen Ausweg für den Prinzen gegeben hätte, hat er ihm schließlich unser ewiges Leben geschenkt. Anastasia hat das Geheimnis von Alexander herausbekommen und Rasputin so lange angefleht, bis sie ebenfalls zum Vampir wurde. Irgendwann in dieser Zeit hat Rasputin auch ihren Großcousin Dimitri verwandelt. Dann kam die Revolution und die Zarenfamilie wurde getötet. Doch Anastasia und Alexander konnten in der Nacht trotz schwerer Verletzungen aus dem versteckten Familiengrab entkommen. Sie sind nachts durch die Wälder geflohen und schafften es schließlich bis nach Frankreich zu ihrem Cousin. Seitdem reisen sie fast immer zusammen. Ihren Hauptsitz haben sie in Russland, aber sie gehören zum Hofstaat des Königs und folgen ihm gerne überallhin.“ Eric schnaubte. „Sie fühlen sich immer noch an das höfische Leben gebunden, auch nach all den Jahren. Manche von uns können die Vergangenheit nicht ruhen lassen!“

Neugierig schaute sie ihn an. „Und was ist mit dir? Wann wurdest du verwandelt?“ Eric fuhr eine einsame Allee entlang und bog auf einen kleinen Waldweg ab. Dabei tat er so, als hätte er ihre Frage nicht gehört. Eine Minute lang wartete Aurora auf seine Antwort, während sie aus dem Fenster blickte.

Der Wald um sie herum war sehr dicht und wirkte unheimlich. Ohne die Autolichter hätte man keine Hand vor Augen gesehen. Was, wenn Eric sie angelogen hatte und ihr hier irgendwo im dichtesten Wald das Blut aussaugen wollte? Sie hatte sich so angeregt mit ihm unterhalten, dass sie dabei ganz vergessen hatte, was für ein Wesen da neben ihr saß. Hier war niemand, der ihr helfen konnte und es würde wahrscheinlich Jahre dauern, bis man ihre Leiche fand.

Statt zu Hause ewig an ihrem Outfit zu arbeiten, hätte sie einfach Vera anrufen und ihr erzählen sollen, dass sie mit ihrem Nachbarn zu einer Party ging. Dann hätte zumindest jemand Bescheid gewusst, dass sie mit Eric unterwegs war.

„Wir sind gleich da, du kannst dich wieder beruhigen.“ Er sah kurz zur Seite. „Ich habe dir gesagt, dass ich dir nichts tue. Also hör auf, dir so einen Unsinn auszudenken“, ermahnte er sie.

Unsicher schlang sie die Arme um ihren Oberkörper und versuchte langsam zu atmen. Dafür, dass sie neben einem bluttrinkenden Gedankenleser saß, war sie erstaunlich ruhig. Eigentlich hätte sie blind vor Panik schon mehrmals aus dem Auto springen müssen, doch irgendwie glaubte sie ihm, dass er ihr nichts antun würde.

Der Wald lichtete sich langsam und gab den Blick auf eine hohe Mauer frei. Vor einem großen gusseisernen Tor blieben sie stehen. „Das ist Vlads Grundstück. Bleib einfach ruhig sitzen.“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen nickte sie ihm zu, als sie auch schon Lichtkegel von Taschenlampen auf sich zukommen sah. Sie verschränkte die Hände in ihrem Schoß und senkte den Blick. Einfach tief durchatmen. Fast hatte sie sich wieder beruhigt, als es an der Fahrerseite ans Fenster klopfte. Erschrocken zuckte Aurora zusammen und schaute herüber, wo das Licht einer Taschenlampe sie blendete. Neben ihr räusperte sich Eric und ließ die Scheibe herunterfahren.

„Guten Abend! Oh, Eure Hoheit, ich habe Sie gar nicht erkannt. Verzeihen Sie bitte. Sie dürfen natürlich passieren!“ Der Sicherheitsmann schreckte zurück, verbeugte sich vor dem Auto und gab ein Zeichen zum Tor. Eric nickte dem kleinen, muskulösen Mann zu, bevor er sein Fenster wieder schloss und weiterfuhr.

"Warum hat er dich Hoheit genannt?" Sie drehte sich im Sitz, um ihn direkt anschauen zu können. Ihre Umgebung nahm sie mit keinem Blick wahr. „Eric, gibt es da etwas, was du mir sagen solltest?“ Stur starrte er geradeaus und presste die Lippen zusammen.

„Eric, wer bist du?“ Ihr Herz hämmerte bis zum Hals. Irgendetwas Wichtiges verschwieg er ihr und bevor er sie in ein Haus voller Monster brachte, wollte sie verdammt noch mal wissen, mit wem sie es zu tun hatte.

Abrupt stoppte er das Auto neben dem Parkplatz, so dass Aurora in die Gurte geworfen wurde. „Willst du das wirklich wissen?“

Seine dunkle Stimme ließ einen kalten Schauer über ihren Rücken laufen. Doch vor seiner Herausforderung würde sie nicht wegrennen. Sie nickte.

Er schaute sie scharf an, bevor er zischend den Atem zwischen seinen angespannten Lippen hervorpresste. Es hörte sich wie ein Fluch an. Unwillig verzog er seinen rechten Mundwinkel, wobei ein langer Eckzahn sichtbar wurde. Aurora schreckte zurück. Dieses Blitzen von Zähnen im Halbdunkel hatte sie zu oft in ihren Träumen gesehen, um ihren Herzschlag nicht zu erhöhen. Wie konnte sie ihn nur so herausfordern? Er war gefährlich und sie ließ sich auf so ein Spiel mit ihm ein.

Stöhnend warf er den Kopf in den Nacken. „Jetzt hör auf, Angst vor mir zu haben. Ich werde dir nichts tun, egal wie sehr du mich nervst.“ Sie versuchte sich zu entspannen und nickte ihm aufmunternd zu. Sprechen konnte sie noch nicht, ihre Stimme würde ihre Unsicherheit verraten.

„Ich wurde vor sehr langer Zeit geboren. Meine Familie gehört zu einer der mächtigsten und ältesten in unserer Welt. Im Gegensatz zu vielen meiner Art wurde ich nicht verwandelt. Ich wurde als Vampir geboren!“ Zischend holte Aurora Atem und schaute ihn mit großen Augen an. „Ja, Vampire sind in der Lage, sich wie Menschen zu vermehren, aber es kommt eher selten vor. Die Kriege der Menschen bringen auch uns in Gefahr. Zusätzlich gibt es feindliche Vampir-Clans und Jäger wie dich. Das macht es uns fast unmöglich Kinder großzuziehen. Viel zu oft werden gerade die Schwächsten unter uns zu Opfern.“

Aurora schüttelte den Kopf. „Ich könnte nie ein unschuldiges Kind umbringen.“ Sie hatte gelesen, dass Vampire zur Nahrungsaufnahme nicht viel Blut benötigten. Vampirkinder würden wohl sogar noch weniger als Erwachsene benötigen.

Er schnaubte hart. „Möglich, aber andere haben bei der Jagd auf uns keine Skrupel.“

Sie neigte den Kopf zu Seite. „Ich bin nicht wie andere, aber ich kann auch nicht zulassen, dass Menschen einfach getötet werden. Auch wenn ich eigentlich nicht kämpfen will.“

„Aber dein Blut hat dich dazu bestimmt. Es ist dein Schicksal.“

Abwehrend schüttelte sie den Kopf. „Es gibt nichts Vorbestimmtes. Jeder kann sein Schicksal selbst lenken.“ Sie hasste es, wenn man ihr keine Wahl lassen wollte.

„Warum lehnst du dich noch dagegen auf? Du hast es doch längst angenommen. Du trägst das Amulett deiner Großmutter und den schwarzen Dolch bei dir.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Die zwei Sachen waren gut versteckt in ihrer Tasche. Woher wusste Eric das nun schon wieder? Hatte er es in ihren Gedanken gelesen? „Ich habe nicht darum gebeten eine Jägerin zu werden, aber schließlich muss ich mich verteidigen können.“

Er schenkte ihr ein ironisches Lächeln. „Verteidigen heißt nicht töten. Dein Bruder hat in seinem Dämmerzustand mitbekommen, wie du einen seiner Angreifer umgebracht hast.“

„Aber er hätte Markus fast getötet!“

„Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Tief in deinem Herzen bist du eine Kriegerin, daran kannst du nichts ändern.“

Kurz dachte sie über die Worte nach. Zweifelnd runzelte sie die Stirn. Sie war Apothekerin, sie half Menschen gesund zu werden und wollte niemanden zerstören. Was sie getan hatte, war situationsbedingt geschehen. Sie hatte Markus nur beschützen wollen. Doch das hieß nicht, dass ihr das Spaß gemacht hatte.

„Und was, wenn die Situation Teil deines Schicksals ist?“, raunte er ihr zu.

„Dann kann ich mich entscheiden zwischen Weglaufen oder Kämpfen.“

„Aber du würdest einem Kampf nicht ausweichen.“ Grinsend zog er eine Augenbraue hoch.

Sie seufzte geschlagen und schüttelte den Kopf. „Wenn wir jetzt weiter darüber diskutieren, sitzen wir bis zum Sonnenaufgang noch hier und das wäre wohl nicht so gut für dich.“

„Da hast du Recht. Ich bin etwas lichtempfindlich und kann mir leicht einen Sonnenbrand holen. Bei regnerischem Wetter kann ich aber ohne Probleme auch am Tag rausgehen.“

Sie nickte. Damit war eine weitere Vampirtheorie über den Haufen geworfen. Im Tagebuch ihrer Großmutter hatte das anders gestanden. „Warum hat dich der Mann mit Hoheit angesprochen?“

„Wahrscheinlich würde mein Familienname schon ausreichen.“ Er ließ sich in den Sitz sinken. „Meine Familie kommt gleich nach der königlichen, von der nur noch der König selbst übrig geblieben ist. Außerdem war meine Schwester mit ihm verheiratet. Das bedeutet, sollte ihm etwas passieren, wäre ich einer der nächsten Thronanwärter. Unser König hat fast die alleinige Macht. Deshalb gibt es immer wieder Anschläge auf ihn. In so einem Fall würde der von ihm gewählte Vampirrat seinen Nachfolger wählen.“

Mit gerunzelter Stirn versuchte sie die Teile zusammen zu setzen. „Du sagtest, deine Schwester war mit ihm verheiratet. Was ist passiert?“ Sie konnte einen gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht sehen, bevor er sich abwandte.

„Diana starb im Kindbett. Weder sie noch ihr Sohn konnten gerettet werden!“

Aurora krampfte sich beim Klang seiner traurigen Stimme das Herz zusammen. Vorsichtig legte sie ihre Hand über seine. „Das tut mir leid.“

„Vielen Dank für deine Anteilnahme.“ Er lächelte ihr zu und hob ihre Hand an seinen Mund. Als seine kühlen Lippen sanft über ihren Handrücken fuhren, sandte die Berührung eine Welle von Wärme durch ihren Körper. „Wir sollten jetzt reingehen. Es ist unhöflich, einen König warten zu lassen!“

Schwarz wie dein Herz

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