Читать книгу Schwarz wie dein Herz - Julie Craner - Страница 7

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Völlig gerädert kam sie zu sich. Ihre beängstigenden Träume hatten sie auch in dieser Nacht nicht in Ruhe gelassen. Grummelnd schlug sie mit der rechten Hand auf den Wecker und zuckte vor Schmerzen zusammen. Sie hielt sich ihren Arm mit dem Verband vor die blinzelnden Augen.

Es war also kein weiterer Traum gewesen. Ihr puckerndes Handgelenk bewies es. Schnell stand sie auf und wankte zu ihrer Tasche, die sie gestern Abend da gelassen hatte, wo sie ihr von der Schulter gerutscht war. Eric hatte sie ihr beim Verlassen seiner Wohnung zusammen mit ihrer Jacke in die Hand gedrückt. Im Flur ließ sie sich auf die Knie sinken und wühlte darin, bis sie die Visitenkarte des Mönches endlich fand.

So verrückt war er dann wohl doch nicht gewesen!

Nachdenklich betrachtete sie die Adresse. Das Franziskaner-Kloster lag im Zentrum der Stadt, gar nicht so weit weg von ihrer Arbeit.

Als um sechzehn Uhr ihr Feierabend läutete, eilte sie aus der Apotheke. Ihren Kollegen hatte sie erklärt, dass sie sich das Handgelenk sehr unglücklich an Papier aufgeschnitten hatte und deshalb den Verband trug. Offenbar war sie sehr überzeugend gewesen, denn keiner hatte ihre kleine Lüge durchschaut. Dafür hatte sie sich aber auch den halben Tag zum Herstellen von Cremes und Lösungen, die die Hautärzte speziell für ihre Patienten aufgeschrieben hatten, im Labor verschanzt. Somit konnten Aurora weiteren Fragen ihrer Kolleginnen aus dem Weg gehen.

Nach einer kurzen Bahnfahrt folgte sie der Wegbeschreibung, die ihr das Handy anzeigte. Sie landete vor einem langen, roten Backsteingebäude, dessen winzige Fenster über ihrem Kopf begannen. Eine graue, gusseiserne Tür schien der einzige Eingang zu sein. Zur Sicherheit schaute sie auf die Visitenkarte und auf die kleine Nummer neben der Tür. Hier war sie definitiv richtig, auch wenn es nicht sehr einladend aussah.

Zögernd drückte sie die Klingel. Einen Moment später öffnete sich eine kleine Klappe und durch ein Gitter schaute sie ein schwarzbärtiger Mann an.

„Sie wünschen?“ Die Stimme klang abweisend, doch sie ließ sich nicht davon einschüchtern.

„Ich würde gern mit Bruder Michael sprechen! Mein Name ist Aurora Zantoni!“

„Ah, verstehe!“ Die Klappe schloss sich scheppernd. Nach einigem Klirren auf der anderen Seite öffnete sich das Tor. „Treten Sie ein.“ Der Mönch klang schon freundlicher. Aurora folgte dem Mann in der schwarzen Kutte und betrachtete ihn verstohlen. Unter der Kapuze zeigten sich neugierige, wissende Augen und ein freundliches Lächeln.

„Bitte warten Sie hier.“ Er deutete auf einen Raum. „Bruder Michael wird gleich bei Ihnen sein.“ Sie ging in das kalkweiße Wartezimmer und setzte sich auf eine der dunkelbraunen Holzbänke. Durch zwei kleine Fensteröffnungen unter der Decke schien ein wenig Licht in den schmucklosen Raum.

Seufzend blickte sie zu den Sonnenflecken auf dem Boden. Was sollte sie machen, wenn ihr der Mönch nicht helfen konnte?

Schritte näherten sich und Aurora blickte auf. Der alte Mönch vom Café kam ohne Scheu auf sie zu und reichte ihr die Hand.

„Fräulein Zantoni! Es freut mich, Sie wieder zu sehen.“

Sie erhob sich schnell. „Guten Tag, Bruder Michael.“ Sie zögerte weiterzureden. Hinter ihm stand der Türwächter. Konnte sie wirklich offen sprechen?

„Wie wäre es mit einem Spaziergang?“ Aufmunternd lächelte ihr der Alte zu. „Wir haben hier einen kleinen Arzneigarten, für Sie als Apothekerin ist der doch sicher interessant.“

Sie nickte dankbar und folgte ihm durch einen dunklen Gang hinaus in den quadratischen Hof. Über einen modernen Weg aus Milchglasplatten gingen sie an den Beeten vorbei zu einer der vier Steinbänke, die im Zentrum des Gartens zu einem Quadrat aufgestellt worden waren. Tief atmete sie durch, nachdem sie sich neben ihn gesetzt hatte und schaute den Mönch an. Sein Lächeln vertiefte die Falten in dem alten Gesicht und forderte sie zum Reden auf.

„Es ist alles wahr, was Sie gestern gesagt haben, nicht?“, musterte sie ihn. „Da draußen gibt es wirklich V…äh, Sie wissen schon.“

„Was ist passiert?“, wollte er wissen.

Sie schloss kurz die Augen und atmete langsam ein und aus. „Gestern wurde ich von dreien von ihnen überfallen. Einer hat mich in den Arm gebissen.“ Zittrig hielt sie ihr verbundenes Handgelenk in die Höhe. „Wäre nicht zufällig mein Nachbar vorbei gekommen, würde ich jetzt nicht neben Ihnen sitzen.“ Seufzend blickte sie ihm in die Augen. „Und die Vampire machten den Eindruck, als würden sie mich kennen.“

Langsam nickte Bruder Michael. „Das ist ernst.“ Er erhob sich nachdenklich. „Wir müssen gleich anfangen!“

Erstaunt sah sie zu ihm auf. „Womit?“

„Mit Ihrem Training natürlich!“, sagte er bestimmt und deutete ihr, ihm zu folgen.

Verwirrt ging Aurora ihm auf dem Glasweg in einen anderen Teil des Komplexes nach. Sie hielten vor einem Fahrstuhl.

„Ich wusste gar nicht, dass es so etwas im Kloster gibt“, rutschte es ihr unpassenderweise heraus.

„Nun, nur weil das Gebäude schon etwas älter ist, heißt das nicht, dass wir uns dem Fortschritt verschließen!“ Die metallenen Türen öffneten sich und sie traten in die kleine Kabine. „Einige unserer Brüder sind schon sehr alt, für sie ist es eine enorme Hilfe“, belehrte er sie und drückte den untersten Knopf. „Es wird Sie vielleicht in Erstaunen versetzen, aber wir haben in unserer Bibliothek sogar einen Computer mit Internetzugang“, zwinkerte er. Mit hochroten Wangen nickte sie dem Mönch zu.

„Stimmt es, dass man zu einem Vampir wird, wenn man von ihnen gebissen wurde?“, fragte sie unsicher. Zwar fühlte sie sich nicht anders als sonst, aber vielleicht dauerte es nur einige Zeit, bis sie endgültig verwandelt war.

Der Mönch schüttelte den Kopf und lächelte sie aufmunternd an. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Sie müssen das Blut eines Vampirs trinken, nachdem Sie fast blutleer sind. Mit einem simplen Biss werden Sie sich nicht gleich verwandeln.“

Der Fahrstuhl ruckte und die Tür öffnete sich in einen dunklen Backsteingang. Vorsichtig atmete Aurora ein. Die Luft roch modrig und abgestanden, ein gutes Lüftungssystem schien es nicht zu geben. Ganz offensichtlich waren sie hier im Keller. Nur alle fünf Meter erhellte eine Lampe den düsteren Flur. An den Wänden hingen ein paar Bilder mit kämpfenden Engeln und Dämonen, dann und wann sah man eine verschlossene Holztür. Sonst war alles kahl. Fröstelnd wickelte sich Aurora enger in ihre Jacke.

Sie folgte dem Mönch durch den unheimlichen Gang. Als dieser endete, blieb Bruder Michael vor einem Wandteppich mit der Abbildung des „Letzten Abendmahles“ stehen. Stirnrunzelnd blickte Aurora ihn an. Hatte er sie nur hier herunter gebracht, damit sie sich ein Bild ansah?

Kurz lächelte er ihr verschwörerisch zu, bevor er den Stoff vorsichtig beiseite schob. Dahinter befand sich eine dunkle, eisenbeschlagene Tür. Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. Bruder Michael zog unter seiner schwarzen Kutte einen Schlüsselbund hervor und öffnete. Obwohl er keinen Lichtschalter betätigt hatte, war der Raum hinter der Tür hell erleuchtet. Vorsichtig trat Aurora hinter ihm ein und schaute verwundert an die Decke. Durch ein Kreuz aus Milchglas drang Helligkeit in den Raum.

„Das Licht scheint durch den Glasplattenweg unseres Gartens. Dadurch braucht man hier unten weniger Lampen.“

Ihr Blick folgte dem Mönch, der an der Wand entlang ging, um nicht die große blaue Matte in der Mitte des Raums zu berühren. Blinzelnd sah sie sich um. An den Wänden hingen Schwerter, Wurfsterne und andere Waffen. Dies war nicht die Ausstattung, die man in einem Kloster vermuten würde, sondern eher in einer Kampfsportschule.

„Wo sind wir hier?“

„Das ist eine Trainingshalle! Wir haben sie vor vielen Jahren hier einbauen lassen.“

Mit großen Augen sah sie ihn an. „Aber wozu?“

Er winkte ihr und sie folgte ihm in einen Nachbarraum. Neugierig schaute sich Aurora in dem schmalen, langen Zimmer um, nachdem er die Beleuchtung angeschaltet hatte. Auf der einen Seite stand ein langer schwarzer Schrank mit vielen Türen, während an der weißgekalkten Wand gegenüber Fotos und Porträts hingen. Auf dem Foto neben der Tür war eine junge Frau in einem weißen, langen Kleid und mit hochgesteckten Haaren unter einem Brautschleier zu sehen. In ihrem schüchternen Lächeln erkannte Aurora sich selbst wieder. Die Ähnlichkeit war verblüffend.

„Ist das meine Großmutter?“ Sie trat einen Schritt näher, um es besser betrachten zu können.

„Ja, das ist sie. Dieses Bild stammt von der Hochzeit mit Ihrem Großvater.“

Neugierig drehte sich Aurora zu ihm um. „Ihn haben Sie auch kennengelernt?“

Bruder Michael nickte wehmütig. „Ich habe mit ihnen trainiert und sie auf ihren Reisen begleitet!“

„Mein Großvater hat auch gegen Vampire gekämpft?“

„Ja, auch seine Familie gehörte schon seit Generationen zu den Vampirjägern. So lernten sich die beiden auch kennen und lieben, im Kampf.“ Er trat zur Seite und deutete auf das Foto eines schwarzhaarigen jungen Mannes. „Das ist er. Er wurde getötet, als er sich einer Gruppe Vampire in den Weg stellte, damit seine Frau und sein kleiner Sohn fliehen konnten.“ Aurora konnte Schmerz und Bedauern in seinem Gesicht sehen. „Verstehen sie, Fräulein Zantoni? Es ist Ihre Blutpflicht! Sie und Ihr Bruder sind die Nachkommen zweier starker Familien von Jägern!“ Beschwörend sah er sie an.

Überwältigt trat Aurora einen Schritt zurück. Irgendwie erschien es ihr immer noch wie ein Traum. Vampire sollten wirklich existieren? Ihre Finger strichen über den Verband, der die Bisswunde verdeckte. Aber das wäre die Erklärung dafür, warum ihre Angreifer so schnell bei ihr sein konnten und warum sich Aurora, trotz der Gefahr, fast zu ihnen hingezogen gefühlt hatte. Würden diese Wesen auch die Menschen in ihrer Umgebung angreifen? Würden sie Markus verletzen? Seufzend kniff sie die Lippen zusammen. Noch einmal wollte sie sich nicht einfach überfallen lassen. Beim nächsten Mal wollte sie in der Lage sein, sich zu wehren. Denn wenn die drei sie so gezielt ausgesucht hatten, würden sie bestimmt wieder kommen. Also musste sie lernen zu kämpfen, um sich und ihre Lieben zu schützen.

Entschlossen zog sie ihre Schultern zurück. „Okay, aber lassen Sie Markus daraus. Er muss davon nichts wissen. Wenn es sein muss, nehme ich allein den Platz unserer Familie ein.“ Sie hatte nicht wirklich vor, zu einer Vampirjägerin zu werden, aber der Mann vor ihr musste das nicht wissen. Schließlich sollte er ihr beibringen, wie sie bei der nächsten Attacke ihre Angreifer ausschalten konnte.

Der Mönch schüttelte den Kopf. „Sie können Hilfe gut gebrauchen. Die Vampire sind schnell und stark, unterschätzen Sie sie nicht!“

Nachdenklich schaute sie auf ihren Verband. „Ich weiß, aber es muss auch so gehen. Mein Bruder soll mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Es muss doch noch andere Jäger geben. Was ist mit denen? Warum kommen Sie jetzt auf einmal zu mir?“

„Es gab weltweit viele Übergriffe in den letzten Wochen und die Jäger, die für diese Region zuständig sind, wurden entweder in schlimmere Gegenden abgezogen oder sind verschwunden.“ Tief seufzte er, schien in seinen Gedanken versunken, während sie sich fragte, wie sie als ungelernte Kämpferin plötzlich den Platz ausgebildeter Jäger ausfüllen sollte. Hatte der Mönch darüber nachgedacht?

Er nickte ihr zu. „Nun gut!“ Er drehte sich zum Schrank und öffnete eine der Türen. „Hier drin sind die Sachen Ihrer Großmutter.“ Er holte eine längliche Holzkiste heraus. „Ich denke, es wird endlich Zeit, dass sie weitergegeben werden.“

Mit gerunzelter Stirn schaute Aurora auf die Kiste, die der Mönch ihr in die ausgestreckten Arme legte. „Aber was war mit meinem Vater?“ Hatte er nicht erzählt, dass ihr verstorbener Vater auch gegen Vampire gekämpft hatte?

„Er wollte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben!“ Der Mönch führte sie zu einem kleinen Tisch mit zwei Holzstühlen. „Ihr Vater hat schon als Kind Dinge gesehen, die Sie sich niemals vorstellen könnten.“ Er nahm ihr die Kiste aus der Hand und deutete ihr sich zu setzen. „Als Ihre Großmutter starb, wollte er mit damit abschließen. Er zog in eine andere Stadt und lernte Ihre Mutter kennen. Ein paar Jahre schien alles gut zu gehen, doch dann hatten die Vampire ihn gefunden.“ Er schüttelte den Kopf und schaute sie entschuldigend an. „Ihr Vater hat gegen seine Feinde gekämpft und es mit unserer Hilfe geschafft, seine Familie vor ihnen zu verbergen. Doch kurz nachdem er begonnen hatte, gegen sie zu kämpfen, fing er an zu trinken.“ Mit zusammengekniffenen Lippen nickte Aurora ihm zu. Sie wusste sehr genau, dass ihr Vater ein Alkoholiker gewesen war. „Verstehen Sie, ich will Ihren Vater nicht in Schutz nehmen, aber es gab Gründe für seine Krankheit. Er schaffte es nicht mit dem Grauen fertigzuwerden, das er gesehen hatte, und versuchte es zu vergessen.“

Sie schnaubte. „Seine Krankheit war es, die ihn von seiner Familie trennte und schließlich hat der Alkohol ihn umgebracht!“ Aufgebracht strich sie sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht. „Oder stimmt das etwa nicht?“ Sie wollte nicht die Wut auf den Mann verlieren, der sie mit seiner Schwäche verletzt hatte. Sie konnte ihm nicht einfach vergeben, nur weil er Geheimnisse gehabt und schlimme Sachen gesehen hatte. So einfach verschwanden Gefühle nicht, auch wenn sich ein kleiner Funken Schuld in ihr Herz schleichen wollte.

„Ja, es ist wahr. Es waren keine Vampire, die ihn umbrachten, sondern seine kaputte Leber!“

Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber, dann zog Bruder Michael die Kiste zu sich und öffnete das kleine Schloss an der Seite. „Doch jetzt geht es um das Erbe Ihrer Großmutter!“ Er holte einen langen in Leder gewickelten Gegenstand heraus. Vorsichtig streifte er das Leder ab und überreichte ihr einen langen Dolch mit einer schwarzen Klinge. Aufmerksam betrachtete Aurora die Waffe, die unnatürlich im Licht schimmerte.

„Dieser Dolch befindet sich seit Jahrhunderten im Besitz Ihrer Familie. Es heißt, Gott selbst habe ihn aus Höllengestein geschmiedet und ihn Ihrer Familie geschenkt, um sie auf der Jagd zu schützen. Einige unserer Wissenschaftler glauben jedoch, es handelt sich um Reste eines Meteoriten.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer, er ist effektiver als ein Holzpflock. Sie können einen Vampir damit schwer verletzen und sogar töten.“

Mit geweiteten Augen sah sie auf das blitzende Metall in ihrer Hand. „Aha, danke!“ Was für ein Kloster war das, dass Vampirjäger ausbildete und sogar Wissenschaftler hatte? Vorsichtig legte sie den Dolch vor sich ab.

Er holte eine kleine Schmuckschatulle aus der Kiste hervor und drückte sie ihr in die Hand. „Dies war das Hochzeitsgeschenk Ihres Großvaters an seine junge Frau.“

Neugierig öffnete Aurora die Schatulle und sah eine goldene Halskette mit einem Granatanhänger. Vorsichtig nahm sie den Schmuck heraus. Die Kette selbst war sehr einfach, das Besondere war der daumengroße Stein, der eine geheimnisvolle Flamme in seinem Inneren gefangen zu halten schien.

„Diese Kette wurde zum Talisman Ihrer Großmutter, denn sie verrät Vampire.“ Fragend schaute Aurora auf. „Wenn Sie in der Nähe eines Vampirs sind, beginnt der Stein zu leuchten und wird heiß. Ich habe es selbst miterlebt, es ist also nicht nur eine Legende.“ Bruder Michaels Blick war in die Ferne gerichtet. „Ich weiß nicht, was Ihr Großvater dafür alles getan hat. Eines Tages stand er verletzt vor meiner Tür und zeigte mir voller Stolz den Anhänger. Auf meine Frage, wie er daran gekommen war, hat er nie geantwortet.“

Vorsichtig strich sie über den kühlen Stein. "Den hätte ich gestern gut gebrauchen können!" Sie legte die Kette in die Schatulle zurück und schob sie dem Mönch zu.

Kopfschüttelnd drückte er ihr das Kästchen in die Hand. „Das sind jetzt Ihre Sachen. Wir haben sie nur für Ihre Familie aufbewahrt.“ Er holte ein kleines in Leder eingebundenes Buch aus der Kiste. „Das hier ist das Tagebuch Ihrer Großmutter. Es enthält viele Informationen über Vampire und erzählt von ihren Kämpfen. Ich denke, es kann Ihnen nützlich sein.“

Behutsam schlug Aurora das Buch auf und sah auf die kleine Schrift. Es war nicht so leicht zu entziffern, zur Zeit ihrer Großmutter wurden die Worte noch etwas anders geschrieben.

„Vielleicht sollten wir jetzt mit Ihrer ersten Trainingsstunde beginnen!“

„Was? Trainingsstunde?“ Sie schaute verwirrt von dem kleinen Buch hoch, das ihr wie ein großer Schatz erschien.

„Nun, es macht mir etwas Sorge, dass die Vampire Sie so schnell gefunden haben. Das Blut von Jägern scheint Vampire irgendwie anzuziehen, deshalb haben wir um Ihre Wohnung Siegel angebracht, um sie fern zu halten. Übrigens auch bei Ihrem Bruder und anderen Jägerfamilien. Irgendetwas muss den Abwehrzauber beschädigt haben. Ich werde Ihnen ein paar kleine Tricks beibringen, um die Vampire abzulenken und zu verletzen, damit Sie ohne weiteres entkommen können.“ Aurora sah auf ihr Sweatshirt und ihre Jeans. Konnte sie darin überhaupt üben? „Wie gesagt, nur ein paar Tricks. Fürs nächste Mal können Sie sich gerne Sportsachen mitbringen oder wir stellen Ihnen etwas zur Verfügung.“ Sie nickte und hoffte, dass sie mit dem älteren Mann mithalten konnte. Sie hatte als Kind gerne getanzt und machte manchmal im Fitnessstudio bei einem der Aerobic-Kurse mit. Aber von irgendwelchen Kampftechniken oder Verteidigungsgriffen hatte sie keine Ahnung.

Aurora folgte dem Mönch zurück in die große Trainingshalle und ließ sich von ihm in den nächsten Stunden zeigen, wie sie einen Vampir abwehren konnte. Der alte Mann war wendig und flink, was Aurora überraschte, sah er doch mit seiner Leibesfülle eher aus, als würde er ein gemütliches Leben führen. Sie lernte schnell die Selbstverteidigungsgriffe umzusetzen und einige Schnitte mit dem Dolch zu setzen, so dass Bruder Michael sie nach einiger Zeit erstaunt ansah.

„Es scheint wirklich in Ihren Genen zu liegen. Ihre Großmutter war genauso geschickt wie Sie.“ Aurora lächelte freudig über dieses Kompliment, wurde jedoch im nächsten Augenblick von dem Mönch auf die Matte gelegt. „Lassen Sie sich niemals ablenken. Das ist die wichtigste Regel!“ Sie war fasziniert davon, dass dieser alte Mann mit ihr mithalten konnte, ohne dabei stark aus der Puste zu geraten. Wahrscheinlich sollte sie sich mehr als einmal im Monat im Fitnessstudio blicken lassen, um an ihrer Ausdauer zu arbeiten.

Bruder Michael schaute nach oben. „Die Sonne geht bald unter. Es wird Zeit für mein Abendgebet. Für heute ist es genug!“ Er lächelte sie an und wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn. „Sie können jederzeit wieder zum Üben vorbei kommen. Ich kenne noch eine Menge Tricks, die ich Ihnen beibringen möchte.“

Aurora schnappte nach Luft. „Das wäre wunderbar, ich habe noch eine Menge zu lernen. Aber bitte nennen Sie mich Aurora. Sie können mich gerne duzen, schließlich werden wir uns öfter sehen.“

Er klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Wenn du das Tagebuch deiner Großmutter gelesen hast, bist du schon um einiges schlauer. Hol dir deine Sachen, ich muss kurz telefonieren.“ Irgendwo aus einer versteckten Tasche seiner Kutte holte er ein Handy hervor. Erstaunt starrte sie darauf. „Du kannst mir gerne deine Telefonnummer geben, damit ich dich erreichen kann.“ Blinzelnd diktierte sie ihm die Zahlen. Während er mit seinem Telefonat begann, ging Aurora in den kleinen Raum nebenan und packte das Buch und den Dolch in ihre Tasche. Die Halskette legte sie sich gleich um. Einen Glücksbringer konnte sie gut gebrauchen. Als sie wieder zurück in die Trainingshalle kam, war der Mönch bereits fertig. „Ich habe jemandem Bescheid gegeben, die Vampirbannsiegel um ihre Wohnung und um die Wohnung ihres Bruders zu erneuern und zu verstärken. Du solltest wieder in Sicherheit sein, wenn du nach Hause kommst.“

„Ich danke Ihnen, Bruder Michael. Und ich komme bestimmt bald wieder.“

„Das würde mich freuen.“ Er brachte sie bis zum Ausgang und lächelte ihr offen zu. „Aurora, du kannst jederzeit wiederkommen, egal wann. Das ist mein Ernst.“

„Danke schön.“

Als sie auf ihre Haustür zuging, kam gerade ihr Nachbar in Begleitung einer hübschen Frau heraus. Beide waren festlich gekleidet, er in einem schwarzen Anzug und sie in einem dunkelblauen Kleid, die schwarzen Haare kunstvoll aufgesteckt.

Aurora versuchte ihn unauffällig zu mustern, als sie von einem heißen Punkt zwischen ihren Schlüsselbeinen abgelenkt wurde. Irritiert schaute sie auf den Stein, der blutrot leuchtete. Hier mussten Vampire in der Nähe sein, doch außer den beiden konnte sie keine andere Person entdecken.

„Oh, Eric, du hast mir gar nicht erzählt, dass sie in der Nähe wohnt.“ Erschrocken blickte Aurora zu der Frau mit der glockenhellen Stimme, die einen Schritt auf sie zu machte. Während die Frau von ihr lachend zu Eric schaute, rann Eis durch Auroras Adern und ließ sie erstarren.

„Sei still, Francesca!“ Ihr Nachbar legte eine Hand auf die nackte Schulter der Frau, als wollte er sie daran hindern, Aurora noch näher zu kommen.

„Du… du bist einer von ihnen!“ Erschüttert sah sie in seine schwarzen Augen. „Deshalb haben sie dich gestern nicht angegriffen.“

Besorgt schüttelte er den Kopf. „Das ist der Grund, warum sie dich gehen ließen!“

Sie spürte heiße Wut in sich hochsteigen. Er hatte sie in seine Wohnung gebracht, ihre Wunde versorgt und ihr angeboten, bei ihm zu übernachten. War das eine Falle gewesen? Hatte er vorgehabt, ihr auch das Blut auszusaugen? Wie hatte er sie so betrügen können? „Du Bastard, du elender Lügner!“

„Na hör mal, ich hab dir das Leben gerettet. Da dürfte doch wenigstens ein bisschen Dankbarkeit drin sein!“, funkelte er sie an.

„Das kannst du dir in die Haare schmieren.“ Er machte einen Schritt auf sie zu. Sie starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „Wag' es ja nicht noch näher zu kommen.“ Ihre Reaktion ihm gegenüber war völlig unlogisch, aber sie konnte ihre Gefühle nicht hinunterschlucken. Eigentlich sollte sie jetzt Angst vor ihm haben, aber sie war einfach stinksauer. Ihr ganzer Körper zitterte vor unterdrückter Wut. „Ich will dich nie wiedersehen!“ In großem Bogen stürmte sie an den beiden vorbei und rannte in ihre Wohnung.

Erst hinter ihrer geschlossenen Wohnungstür hielt sie inne. Musste sich ihr begehrenswerter Nachbar als Blutsauger herausstellen? Dabei war er gestern so nett gewesen. Er hatte sich um ihre Wunde gekümmert, war nicht über sie hergefallen, obwohl sie geblutet hatte.

Verwirrt ließ sie sich am kühlen Holz der Tür zu Boden gleiten und kauerte sich hin. Entmutigt ließ sie ihren Kopf auf die Knie sinken. Ohne das Medaillon ihrer Großmutter hätte sie immer noch nicht gewusst, dass Eric ein Vampir war. Ihre innere Alarmanlage hatte sich bei ihm total abgestellt.

Aber warum hatte er sie gestern nicht getötet? Abwesend starrte sie auf die kleinen, gelben Rauten ihres Teppichs. Was hatte er vorgehabt? Sie in Sicherheit wiegen, um sie dann auszusaugen? In seiner Wohnung hätte es genug Gelegenheiten dazu gegeben. Er war stärker als sie, hätte sie jederzeit überwältigen können. Warum hatte er das nicht getan?

Im Wohnzimmer klingelt ihr Telefon, aber bevor sie sich erhoben hatte, war es wieder still. Sie zog sich Jacke und Schuhe aus. Am besten würde sie jetzt ein heißes Bad nehmen, irgendetwas essen und danach gleich ins Bett gehen. Dann konnte sie diesen Tag endlich hinter sich lassen.

Ihr Handy fing in ihrer Tasche laut an zu läuten. Auf dem Display stand „Markus“.

„Hallo Bruderherz. Was gibt es?“

„Hey, geht es dir gut? Hab schon lange nichts mehr von dir gehört.“ Ihr Bruder schien einen Radar für ihre Gefühle zu haben, denn sie hatten erst vor ein paar Tagen miteinander telefoniert.

„Alles gut!“

„Wir wollten heute ins Kino und ich habe beschlossen, dass du mitkommst.“

Sie schnaubte in den Hörer. Wieso fühlte sich ihr kleiner Bruder immer berufen, sie unter Leute zu zerren. Manchmal war es doch schön, einfach zu Hause zu gammeln. „Und wer ist wir?“

„Vera, Peter und ich!“

„Redest du von meiner Vera? Unserer frischgebackenen Mutti?“ Sie hörte ein Seufzen von der anderen Seite.

„Ja, unsere glücklichen jungen Eltern haben es doch tatsächlich über sich gebracht und werden Peters Eltern babysitten lassen, damit sie mit uns mal wieder weggehen können.“ Markus ächzte theatralisch in den Hörer. „Das war ganz schön harte Arbeit für mich. Eigentlich wolltest du mich doch dabei unterstützen und jetzt musste ich sie ganz alleine überreden.“

„Es war in letzter Zeit ein wenig stressig bei mir!“

„Oho, gibt es da etwa einen neuen Mann in deinem Leben?“ Sofort sah sie Erics Gesicht vor sich. Diese dunklen Augen, die sie magisch anzuziehen schienen. Sie räusperte sich und fand den Weg in die Realität zurück. Er war ein V… Verräter. „Nein, ich hatte nur viel auf Arbeit zu tun. Gestern hatte ich abends noch eine Fortbildung, deshalb bin ich heute ganz schön müde!“

„Das ist aber noch lange kein Grund, nicht mitzukommen!“ Ihr Bruder hatte Recht. Jetzt wo er es geschafft hatte, ihre Freunde zum Ausgehen zu überreden, musste sie sich schon was Besseres einfallen lassen.

„Was wollt ihr euch denn eigentlich anschauen?“

„Den neuen Actionfilm mit den illegalen Straßenrennen!“ Das hörte sich ganz verlockend an; schicke Autos und muskulöse Machos. Eine Liebesschnulze wäre das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.

„Vielleicht lasse ich mich blicken. Um acht geht es los?“

„Genau, wie immer. Das werte ich als Ja. Ich besorge dann schon mal die Karten. Wir treffen uns vor dem Kino. Ach ja, kann sein, dass Gregor auch mitkommt!“

„Was? Markus, tu das nicht!“

„Aurora? Ich versteh dich ganz schlecht. Hier muss ein Funkloch sein.“ Sie konnte das Lachen in seiner Stimme hören und glaubte ihm kein Wort. „Wir sehen uns nachher!“ Dann hatte er aufgelegt.

Frustriert schaute sie auf ihr Handy. Wollte dieser schreckliche Tag denn nie enden? Ihr Bruder hatte es immer noch nicht aufgegeben, sie zu verkuppeln. Heute Abend würde er sicher wieder zur Bestform auflaufen, um sie an den Mann zu bekommen. Stöhnend warf sie sich kopfüber auf ihr Sofa.

Schwarz wie dein Herz

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