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Thoul

Am nächsten Morgen aufzuwachen und sich beim Frühstückbereiten Elnarats nur halb verhaltenem Grinsen auszusetzen, war nicht leicht. Doch gerade dieses endlose Schmunzeln über die gestrige Szene war es, das mich vergessen ließ, wie peinlich es mir gewesen war. Stattdessen ersetzte es dieses Gefühl erneut durch einen Anflug von Zorn. Das Schlimmste war ja nicht, dass Elnarat grinste. Das Schlimmste war, dass er es so fürchterlich selbstzufrieden tat.

‚Alles in Ordnung?’

Idiot!

Am Ende saß ich stumm am Tisch und nahm energisch mein Essen zu mir, Elnarats Blicken mit Absicht nicht begegnend. Es lief darauf hinaus, dass wir beide auf unsere Teller starrten und schwiegen. Ich war bereits beim dritten Stück stummen Brotes angelangt, als Elnarat neben mir unvermittelt innehielt und mich direkt ansah.

„Thoul?“

Nur widerwillig begegnete ich seinem Blick, doch als ich es schließlich tat, wich ich ihm nicht mehr aus. Seine braunen Augen sahen mir versöhnlich und freundlich entgegen.

„So sollte ein Tag nicht beginnen. Das mit gestern… entschuldige bitte. Ich hätte nicht lachen sollen. Frieden?“ Er schien jetzt kein Lächeln zu wagen, sah mich nur weiter an und wartete. „Bitte? Du bist schrecklich, wenn du wütend bist.“

Das war’s. Ich konnte ihm nicht mehr grollen. Widerwillig lächelnd drohte ich ihm mit meinem Messer. Er wusste mittlerweile sehr genau, wie er mit meiner schlechten Laune umzugehen hatte. Und es klappte auch noch.

Idiot!

Mein Lächeln nahm seine Entschuldigung an. „Na gut. Aber ich erwarte eine Gegenleistung.“

„Gegenleistung?“ Elnarat zog die Brauen in die Höhe. „Aha. Und du denkst, das wird dir erlaubt?“

Ich stützte mit einer Hand mein Kinn und grinste. „Ja. Grundlegende Diplomatie, Elnarat. Du musst Zugeständnisse machen, wenn du Frieden willst.“

„Ich bin kein Diplomat“, erwiderte er und imitierte meine Haltung.

„Das tut nichts zur Sache.“

Er seufzte. „In Ordnung. Für den Frieden. Was willst du?“

„Nur eine Antwort.“

„Klingt simpel genug. Und die Frage?“

Ich richtete mich in meinem Stuhl auf. „Die Narben auf deinem Rücken – stammen von keiner Schlacht.“

Plötzlich fiel Elnarats heiterer Gesichtsausdruck in sich zusammen. Seine Augen wurden dunkel, fast schwarz, und ich bereute es, das Thema angeschnitten zu haben.

„Nein. Die stammen von keiner Schlacht.“

Oh, da war sie, die grollende Tiefe, die nur dann in seiner Stimme lag, wenn er Zorn – wahren, alten, grenzenlosen Zorn – in sich hielt. Ich wartete mit kalten Schauern auf beiden Armen. Es war an ihm, weiterzureden oder zu schweigen.

„Diese Narben stammen von einer Folter.“

Er legte sein Brot beiseite und faltete die Hände, während ich ob der offensichtlichen Grausamkeit, mit der ihm diese Wunden zugefügt worden waren, schwer schluckte.

„Der Name des Mannes ist Sukos.“

Ich nickte – der Aufrührer in einer unserer Provinzen war mir hinreichend bekannt – und Elnarat fuhr langsam fort.

„Er hat mir während eines Gefechtes eine Falle gestellt und mich gefangen genommen. Die Fragen, die er mir gestellt hat, waren reiner Vorwand… Solche Lust an der Qual anderer habe ich nie wieder erlebt.“ Elnarats Augen waren glasig, als sie in längst vergangene Zeiten blickten. „Nie mehr. Hätten dein Vater und eine barmherzige Ärztin aus Sukos‘ Reihen mich nicht da raus geholt, wäre ich dort gestorben.“ Mit einem Rucken seines Kopfes verscheuchte er die Geister der Vergangenheit. „Ich schulde deinem Vater viel. Doch Sukos –“ Als Elnarat die Finger zusammenkrampfte, traten seine Sehnen und Knöchel weiß hervor. „Sukos schuldet mir neun Stunden in einem dunklen Raum. Neun Stunden voller Schmerzen…“

Nie hatte ich so viel Hass in Elnarats Augen gesehen. Er wollte nicht vergessen, im Gegenteil. Er sparte sich alles auf für den Augenblick, da Sukos ihm gegenüberstehen würde, hilflos und allein. Was immer ihm angetan worden war, war nicht in Worte zu fassen. Die Narben, die kreuz und quer über sein Fleisch verliefen, gezackte Schnitte, Striemen, Brandnarben, sie alle sprachen eine eigene entsetzliche Sprache.

„Elnarat.“ Vorsichtig schloss ich die Hände um seine verkrampften Fäuste. Er sah auf seine Finger, dann auf meine, schließlich mich an und entspannte sich langsam. Sogar ein Lächeln zeigte sich zögerlich auf seine Lippen. „Verzeih mir. Noch einmal.“

Er holte tief Luft und ich sah, wie er sich und meinem Vater beim erneuten Blick auf mich einmal mehr schwor, mir solche Qualen um jeden Preis zu ersparen. Um jeden Preis.

Rührung flutete mein Herz, doch ich schwieg, drückte nur seine warmen Hände und schwieg. Es gab nichts weiter dazu zu sagen. „Du solltest das aufessen. Es gibt bald wieder genug zu tun, wofür du die Kraft brauchen wirst.“

Ein weiteres Lächeln belohnte mich.

„Wohl wahr.“ Mit einem Kopfschütteln warf er das Thema von sich ab und machte sichtlich ohne Appetit da weiter, wo ich ihn so wenig feinfühlig unterbrochen hatte. Irgendwann würde ich vielleicht mehr erfahren, doch nicht jetzt. Jetzt beendeten wir versöhnt und in einer Art von Frieden unser Frühstück. Ich war froh darüber, aber meine Welt hatte sich um ein Stück verschoben. Es gab Abgründe in Elnarat, die zu seinem eigenen Besten von jedem anderen als ihm besser unerforscht blieben.

Die Soldatenkönigin

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