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Kapitel 7

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Auf dem Bild sind sie ein Team. J. T. Neal und Lance Armstrong: zwei lächelnde, kahlköpfige Krebspatienten. Neal mochte das Foto. Es bewies, dass jeder von ihnen sich in der ungewissen Zeit einer schweren Erkrankung auf den anderen stützen konnte. Auf jemanden, der selbst Tag für Tag mit der Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens konfrontiert war. Neal hatte seinem Schützling während der Krebsbehandlung am Southwest Regional Cancer Center in Austin im Herbst 1996 zur Seite gestanden. Er kannte die Schwestern und Ärzte noch von seinem eigenen Aufenthalt dort, er wusste, wie die Krebsstation organisiert war, und sorgte dafür, dass Armstrong ein Einzelzimmer bekam. Die Zurückgezogenheit, die das Einzelzimmer bot, war optimal für Lisa Shiels, Armstrongs Freundin, die im letzten College-Jahr war und ihr Studium ernst nahm. Hier konnte sie lernen und gleichzeitig Lance die Unterstützung geben, die er brauchte.

Nur wenige Personen aus dem Freundes- und Familienkreis, die zu Besuch kamen, dachten bereits an die Zeit nach der stationären Behandlung. Bill Stapleton schon. Um Armstrong eine Perspektive zu eröffnen, schlug er ihm vor, unter seinem Namen eine Krebsstiftung ins Leben zu rufen, damit er während der Zeit seiner Genesung in den Medien präsent blieb.1 Armstrong und einige seiner Radsportkumpels – Bart Knaggs, John Korioth und Gary Seghi, ein in Austin ansässiger Chiropraktiker – hielten das für eine glänzende Idee, die sie eines Abends während des Essens ausführlich besprachen. Die Stiftung war ein guter PR-Schachzug, aber sie konnte auch das Thema Hodenkrebs stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken, was nach Armstrongs Einschätzung andere vor einem Schicksal wie seinem bewahren konnte. Hätte er etwas über diese Krankheit gewusst, wäre sie früher diagnostiziert worden. Sein Hoden wäre dann nicht auf die Größe einer Zitrone angeschwollen, bevor er etwas unternahm, und der Krebs hätte sich wahrscheinlich nicht in Bauchraum und Gehirn ausgebreitet.

Stapleton reichte 1997 beim Secretary of State des Staates Texas die Unterlagen ein, mit denen die Lance-Armstrong-Stiftung gegründet wurde. Korioth, Betreiber einer Bar in Austin und einer von Armstrongs engsten Freunden, übernahm die Geschäftsführung. Knaggs motivierte einige seiner reichen Freunde, unter anderem auch Jeff Garvey, einen Risikokapital-Investor in Austin, der stark beim US-Radsportverband engagiert war, sich für den Vorstand zur Verfügung zu stellen.2 Armstrong wollte, dass ihm alle seine Freunde bei dieser neuen, über den Radsport hinausführenden Unternehmung halfen. Auf der Suche nach Geschäftsräumen kam die Rede auf eine von J. T. Neals renovierten Wohnungen. Eine dem Marktwert entsprechende Miete hätte bei etwa 650 Dollar pro Monat gelegen, aber er bot nur 200 Dollar – Neal war gekränkt.3 Er wollte keine weiteren Verträge zu Sonderkonditionen mit Armstrong abschließen. Armstrong war reich. Außerdem wollte Neal Geld sparen, um die Zukunft seiner Familie zu sichern. Bei der Chemotherapie in Austin hatte er dem Tod ins Auge gesehen, er hatte Leute kennengelernt, die es nicht schafften. Sein eigener Tod rückte näher, er kam vielleicht nicht in der nächsten Woche, vielleicht auch nicht im nächsten Monat, aber bald. Also lehnte Neal das 200-Dollar-Angebot ab, und Armstrong war wütend. Er behauptete, Neal sabotiere den Aufbau der Stiftung. Neal hatte mit einer solchen Reaktion gerechnet, denn er hatte beobachtet, wie alle Männer in Armstrongs Umgebung zu Jasagern geworden waren: Stapleton, Carmichael, Korioth, Ochowicz. Er hatte auch beobachtet, wie sie alle von der Beziehung zu Armstrong finanziell und/oder beruflich profitiert hatten. »Es kamen all diese Leute zu ihm, die sich für Geld interessierten, die Eindruck machen wollten und die er seinerseits beeindrucken wollte. Er bekam einen Haufen Angebote und machte viele Geschäfte mit ihnen. Meine Welt war das nicht.«

Die erste Benefizveranstaltung der Lance-Armstrong-Stiftung war ein Rennen in Austin, das »Race for the Roses« (später »Ride for the Roses«) heißen sollte. Der Name sollte vermitteln, dass Armstrong auf die harte Art gelernt hatte, dass man im Leben auch einmal anhalten und an Blumen am Wegesrand riechen sollte. Korioth stieß mit seiner Kaltakquise, mit der er sich um Sponsoren bemühte, auf eine überraschende Ignoranz. Er hatte selten einmal jemanden am Apparat, der schon von Lance Armstrong gehört hatte. Aber Michael Ward, Leadgitarrist der Rockband The Wallflowers und selbst ein eifriger Radfahrer, meldete sich bei Korioth mit der Mitteilung, die Band und er wollten die Benefizveranstaltung gern durch einen Liveauftritt unterstützen. Korioth stimmte sofort zu. Für die noch junge Stiftung war das ein gewaltiger Coup.

Armstrong hatte noch keinen Sieg bei der Tour de France vorzuweisen, und den Krebs hatte er auch noch nicht überwunden. Die Ein-Jahres-Frist ohne erneutes Auftreten der Krankheit war noch nicht verstrichen. Aber Armstrong dachte nicht so weit in die Zukunft. Dafür war keine Zeit. Er setzte die Krebstherapie fort, arbeitete am Erfolg des »Race for the Roses«, und eine neue Frau trat in sein Leben. Er lernte Kristin Richard bei einer Pressekonferenz zur Ankündigung seiner Benefizveranstaltung kennen. Ihre Aufgabe als Kundenbetreuerin einer PR-Firma war es, für das Rennen zu werben. Armstrong gefiel ihr Aussehen, aber ganz besonders gefiel ihm, dass sie so hart für ihn arbeitete. Sie war seine offizielle Cheerleaderin, die dafür bezahlt wurde, dass sie die Menschen dazu brachte, ihre Aufmerksamkeit ihm, seiner Stiftung und seiner großen Radsportveranstaltung zu widmen. Er erzählte Neal, er habe da dieses »heiße neue Mädchen« aus einer soliden, wohlhabenden Familie kennengelernt. Ihr Vater war Geschäftsmann in einer leitenden Position. Die Familie besaß ein Haus in der Nähe von New York City. Für Armstrong waren die Familienverhältnisse der Richards fast zu perfekt, um wahr zu sein. Zu Neal sagte er, die Normalität dieser Familie gefalle ihm genauso sehr wie Kristin selbst. Shiels war Geschichte. Neals älteste Tochter C. C. begegnete ihr einige Monate nach der Trennung zufällig und sagte, es tue ihr leid, dass die Beziehung gescheitert sei.4 Shiels brach in Tränen aus. Sie hatte für Armstrong fast ihr gesamtes Abschlussjahr am College geopfert und lebte jetzt mit dem Gefühl, dass er sie fallengelassen hatte, nachdem sie ihm nicht mehr nützlich war. Neals Frau Frances sagte, dies sei Armstrongs üblicher Umgang mit anderen Menschen. »Er behandelt Menschen wie Bananen, nimmt sich, was er braucht, und wirft die Schale einfach auf die Straße.«

Das »Race for the Roses« war ein Erfolg, der Korioths Erwartungen bei Weitem übertraf. Armstrongs bisherige sportliche Erfolge – ein Weltmeistertitel und ein paar Etappensiege bei der Tour de France – mochten dem gewöhnlichen Sportfan in den Vereinigten Staaten nicht viel sagen, aber unter Radsportanhängern hatte er bereits Prominentenstatus. Fast 30 000 Fahrer kamen, unter anderem auch die Eisschnelllauf-Legende Eric Heiden, der fünffache Olympiasieger von Lake Placid 1980, der aufs Rad umgestiegen war, und Dan Jansen, ein Eisschnellläufer, der bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer 1994 die Goldmedaille über die 1000-Meter-Distanz gewonnen hatte. Korioth kam zu der Erkenntnis, dass er mit dieser großen Beteiligung hätte rechnen müssen. Er beobachtete, wie nah Armstrongs Fans sich ihm fühlten. Sie verstanden die Qualen, die mit einer steilen Kletterstrecke verbunden waren, und die Monotonie einer langen, endlosen Straßenfahrt. »Es ist eine sehr persönliche Verbindung«, sagt Korioth. »Sie haben das Gefühl, sie könnten zu einer gemeinsamen Fahrt mit ihm aufbrechen. Und das könnten sie vielleicht auch.«

Armstrongs Krebserkrankung vertiefte diese emotionale Verbundenheit und verknüpfte den Kreis der Radsportfans mit dem von Menschen, die eine Krebserkrankung überlebt hatten. Sie brachte Menschen zusammen, die sich von ihm Inspiration erhofften, als Sportler und als Symbol für Widerstandsfähigkeit. Und so begann Armstrongs Aufstieg in den Pantheon der amerikanischen Sporthelden. Er hatte sich vom Sterbebett erhoben und war zu einem weltlichen Heiligen geworden. Die Nation war emsig darum bemüht, ihn zu vereinnahmen. Er war jemand, dem das Land zujubeln, auf den es stolz sein konnte, ein Mann, der ganze Arbeit leistete. Nicht nur konnten amerikanische Krebspatienten ihre Krankheit besiegen, mit der Zeit erkannten sie auch, dass sie die verdammten Franzosen auf ihrem ureigenen sportlichen Terrain schlagen würden, bei der Tour de France. Armstrong sollte zum Krebs-Besieger werden, zum Frankreich-Besieger, zu einem, der es allen zeigte – die Amerikaner begeistern sich nur zu gern für einen sympathischen, harten Burschen. Armstrong bediente in einem gewissen Sinn ein uraltes menschliches Bedürfnis nach Vorbildern, die zur Heiligsprechung taugen. Er war ein Underdog, der zum Superhelden wurde, zuerst auf der Krebsstation, später dann auf einem Fahrrad. Diejenigen, die an ihn glaubten, sahen nur die guten Seiten, oder sie redeten sich ein, dass es keine anderen Seiten gab.

Kurz nachdem Armstrong seine Krebsdiagnose erhalten hatte, suchte Kevin Kuehler, ein Mann, der Mountainbike-Rennen fuhr, einen Arzt auf, weil er Symptome spürte, die denen von Armstrong ähnelten.5 Der Arzt sagte, es handle sich nicht um Krebs, aber vier Monate später holte Kuehler eine zweite Meinung ein. Und diesmal hieß es: Ja, es ist Krebs. Noch am gleichen Tag, auf dem Nachhauseweg, sprach Kuehler bei einer Radio-Anrufsendung mit Armstrong. Der nervöse Kuehler erzählte Armstrong, was er erlebt hatte, doch der schnitt ihm das Wort ab: »Wollten Sie meinen Rat hören, oder haben Sie nur angerufen, um zu reden?«6 Armstrong riet Kuehler, den vom Krebs befallenen Hoden entfernen zu lassen, und sagte, der Eingriff würde sein Leben retten. Zwei Jahre später suchte Kuehler abermals den Kontakt zu Armstrong, nachdem der Krebs in seiner Lunge aufgetreten war. Armstrong arrangierte ein Gespräch zwischen ihm und Dr. Larry Einhorn von der Medizinischen Fakultät der University of Indiana, seinem wichtigsten Onkologen. Innerhalb von 45 Minuten telefonierte Einhorn mit Kuehler und besprach mit ihm eine Behandlungsoption, an die der Patient bisher nicht gedacht hatte. Die neue Behandlung schlug an, Kuehler überlebte und legte vor der ganzen Nation Zeugnis ab: »Was er tut, ist meiner Ansicht nach phänomenal. Er könnte nach seiner Genesung sein Leben einfach wie gewohnt fortsetzen, aber er hat sich für den schwierigeren Weg entschieden und will anderen Menschen helfen. Die meisten Leute sprechen nicht gerne über das, was sich in ihrer Hose abspielt. Aber bei dieser Krebsart ist die Ermutigung umso größer, je mehr man darüber erfährt. Darin besteht Lance’ Auftrag.«7 Zu seinen Anhängern sollten schließlich auch Menschen wie ein Mann namens Jim aus Nashville, Tennessee, gehören, bei dessen Frau Leukämie festgestellt worden war. In seinem Blog schrieb Jim einen Satz, den viele Armstrong-Anhänger für die Wahrheit hielten: »Es ist offensichtlich: Gott wirkt durch Lance Armstrong.«8

Während die Kevin Kuehlers dieser Welt Armstrong verehrten, wartete J. T. Neal am Flughafen von Austin auf seinen Schützling und rief ihn wiederholt auf dem Handy an, ohne eine Antwort zu erhalten. Das war im Frühling 1997, und Armstrong war auf dem Weg zur vollständigen Genesung von seiner Hodenkrebs-Erkrankung. Seine Fans, viele von ihnen selbst Krebspatienten, wollten ihn sehen, mit ihm sprechen oder ihn einfach nur berühren, wenn er vorbeiging. Sie schickten tonnenweise Briefe an seinen Sponsor Nike, schrieben darin, Armstrong sei ihr Held, und bettelten um ein Autogramm. Seine Freunde bezeichneten ihn inzwischen als »Krebs-Jesus«. Armstrong hasste das. »Ich mag diesen Wahnsinn nicht«, sagte er. »Ich mag keine Menschenmengen. Ich mag nicht irgendwelche Leute um mich haben. Ganz allgemein gesagt: Ich mag keine Fremden.«9 Neal vermutete, dass er sich abschottete. Die Menschen mochten ihn dennoch. In ihm sahen sie das, was sie in sich selbst zu finden hofften: Großzügigkeit, Freundlichkeit und vor allem Tapferkeit, die man brauchte, um den Krebs zu besiegen und zu seiner Arbeit – und ins Leben – zurückzukehren.

Neal war auf dem Weg nach Arkansas zu seiner zweiten Knochenmarktransplantation. Er wusste, dass er darauf mit Übelkeit und Erbrechen reagieren und Soor (Kandidose) bekommen würde, eine Pilzinfektion der Mundschleimhaut, die häufig bei Kleinkindern auftritt. Das würde seinen Körper weiter schwächen. Die Transplantation konnte ihn sogar das Leben kosten. Er brauchte Hilfe, jemanden, der ihm zu essen gab und ihn während der einwöchigen Behandlungsprozedur zum Krankenhaus und anschließend wieder nach Hause fuhr. Seiner Familie wollte er den Schmerz ersparen, ihn in diesem Zustand zu sehen, deshalb bat er Armstrong, ihn zu begleiten. Armstrong sagte zu. Er würde die ganzen sieben Tage lang an Neals Seite bleiben. Bis er es dann doch nicht tat.

Das Telefon des am Flughafen wartenden Neal klingelte schließlich. »Wo bist du«?, fragte Neal.10 »Äh, ich kann nicht kommen, tut mir leid«, sagte Armstrong.11 Er hatte Backstage-Ausweise für einen Wallflowers-Auftritt (verdammt, sie hatten beim »Race for the Roses« gespielt und ihn auch sonst unterstützt) und wollte nicht darauf verzichten.12 Neal fühlte sich verraten. Er selbst war immer zur Stelle gewesen, wenn Armstrong ihn gebraucht hatte. Sie hatten die Krebstherapie gemeinsam durchgemacht. Er hatte ihn in seine Familie aufgenommen und über das ganze Dopingzeug, das er für seine Radsportkarriere zu sich nahm, den Mund gehalten. Über EPO und die Spritzen, in denen alles Mögliche war. Vor den Olympischen Spielen 1996 hatte Armstrong ihn angerufen – nicht Stapleton, nicht die Wallflowers –, als es darum ging, wie man das EPO aus dem Kühlschrank eines Hotelzimmers in Mailand herausbekam, wo Armstrong es vergessen hatte.13 Er hatte Armstrongs tiefste Ängste und Geheimnisse zu hören bekommen, auch diejenigen, die seinen leiblichen und seinen Adoptivvater betrafen. Er war sein Geschäftsführer und sein Rechtsanwalt gewesen, ohne jemals etwas dafür zu verlangen. Später sollte Neal sagen: »Eine solche Behandlung hatte ich nicht verdient. Niemand verdient so etwas.« Einige von Neals Freunden hatten ihre Krebsärzte angerufen und ihn bei der Suche nach alternativen Behandlungsprogrammen unterstützt. »Aber nicht Lance«, sagte Neal. »Er tat das nicht.« Je öfter Neal darüber nachdachte, wie Armstrong ihn am Flughafen versetzt hatte, desto mehr schmerzte es ihn. Er nahm die Rolex ab, die Armstrong ihm geschenkt hatte, und legte sie nie wieder an.

Eines Tages im Spätsommer 1997 setzte sich Armstrong mit Carmichael zusammen, der für diese Besprechung zu ihm nach Austin geflogen kam. Carmichael wollte, dass Armstrong wieder Rennen fuhr, und brachte Stapleton dazu, ihn in diesem Anliegen zu unterstützen. Beide Männer verbanden mit einem Comeback auch finanzielle Interessen. Carmichael, den Ferrari 1995 als Armstrongs Haupttrainer abgelöst hatte, sagte, es wäre ein Jammer, wenn Armstrong den Leistungssport schon in so jungen Jahren aufgeben würde.14 Stapleton sagte zu Armstrong, ein Comeback könnte ihm einen Haufen Geld einbringen. Die Sponsoren würden bei ihm Schlange stehen, und zwar nicht irgendwelche Sponsoren, sondern Unternehmen, die auf der Fortune-500-Liste standen. Armstrong könne ohne Weiteres die in dieser Sportart bisher üblichen Einkunftsgrenzen sprengen. Armstrong wusste, dass er für ein Comeback wieder dopen musste, sagte mir aber, das habe ihn nicht abgeschreckt, weil er sich in Ferraris Obhut sicher fühlte und aus Erfahrung wusste, dass er für diesen Zweck nur einen Bruchteil des EPOs nehmen musste, das ihm – Ironie des Schicksals – im Rahmen seiner Chemotherapie verabreicht worden war. Er bezweifelte, dass sein Dopingmissbrauch den Krebs ausgelöst hatte.15 Also stimmte er der Rückkehr in den Radrennsport zu.

Das Problem war: Er hatte kein Team mehr. Das französische Cofidis-Team hatte seinen mit 2,5 Millionen Dollar dotierten Zweijahresvertrag gekündigt. Stattdessen bot man ihm 180 000 Dollar plus Leistungsprämien, die ihm für den Fall einer unerwarteten Rückkehr in die Spitzenklasse zusätzliche Einnahmen bringen würden. Der Teamleitung fehlte die Zuversicht, dass Armstrong auf dem gleichen Niveau fahren würde wie vor der Krankheit. Armstrong empfand das Angebot als beleidigend, sein Zorn war geweckt. Diese »Eurobastarde« hatten ihn über den Tisch gezogen. Er schwor sich, es ihnen heimzuzahlen.

Armstrong hatte eine Option für einen besseren Vertrag: das Team des United States Postal Service. Die in den Vereinigten Staaten beheimatete Mannschaft war im Besitz von Thomas Weisel, einem Investmentbanker aus San Francisco, den mehrere Postal-Service-Fahrer als »Jock Sniffer« bezeichneten – der abwertende Ausdruck steht für jemanden, der gerne mit Spitzensportlern auf Du und Du ist. Weisel war selbst ein guter Sportler. In jungen Jahren hatte er es zum Landesmeister im Eisschnelllauf gebracht, als Seniorensportler gewann er zwei Weltmeistertitel im Radfahren, und er fuhr Skirennen. Sein nächstes ehrgeiziges Ziel im Sport war, das führende Radsportteam des Landes aufzubauen. Armstrong war schon als Amateur für Weisel gefahren, 1990 und 1991 im Subaru-Montgomery-Team, das von Weisel finanziert worden war. Und Weisel hatte damals sein enormes Talent erkannt. In Erinnerung an diese Zeit akzeptierte Weisel Stapletons Vorschlag eines Grundgehalts von 215 000 Dollar für Armstrong, das durch Leistungsprämien noch erheblich aufgestockt werden konnte.16

Das war im Oktober 1997, etwa ein Jahr nach Armstrongs Krebsdiagnose. Der Krebs sollte sich für Armstrong als finanzieller Segen erweisen – und auch für Stapleton, der es nicht als peinlich empfand, einen vom Krebs geheilten Armstrong als Traum eines jeden Vermarkters zu bezeichnen. Eine Autobiografie war bereits in Arbeit. Menschen, die dem Radsport bis dahin keinerlei Beachtung geschenkt hatten, wollten jetzt seinen Superhelden kennenlernen. »Lance ist mehr als nur ein Radfahrer – wegen der Krebserkrankung spricht die Marke Armstrong einen sehr viel größeren Personenkreis an«, sagte Stapleton dem Austin American-Statesman. »Unsere Aufgabe besteht darin, daraus etwas zu machen. Er ist dabei, über den Sport hinaus zu einem Botschafter zu werden. Das ist mehr als nur ein weiterer Athlet, der für Pepsi oder Gatorade sein Gesicht hinhält. Wenn sein Comeback erfolgreich verläuft, hoffen wir, dass wir ihn bei Kodak oder Sony unterbringen können, wo sie ihn hoffentlich zu einem Repräsentanten für das Unternehmen machen.«17

Während Stapleton und Carmichael Armstrong zum internationalen Star aufbauten, sorgte J. T. Neal für Bodenhaftung. Er war nicht geblendet von Armstrongs Rolle als Symbolfigur für einen bewussten Umgang mit Krebs, was vielleicht damit zu tun hatte, dass er selbst nicht mehr lange zu leben hatte. Er ging mit Armstrong nicht anders um als früher, so wie das ein Vater halten würde. Ein Freund der Familie hatte Armstrongs Platz als Betreuer für Neal bei seiner zweiten Knochenmarktransplantation in Arkansas eingenommen. Während dieser ganzen Woche hatte Neal unentwegt darüber nachgedacht, was er und Lance’ Mutter bei Armstrong falsch gemacht hatten. Neal hatte den grenzenlosen Egoismus, der mit Armstrongs Ehrgeiz einherging, längst erkannt, aber diesmal, als jener seinen langjährigen Mentor im Stich ließ, obwohl der ihn ganz dringend brauchte, war er zu weit gegangen. Neal hatte es kommen sehen. Den Ärzten und Krankenschwestern, die Armstrong während seiner Krebsbehandlung in Austin betreut hatten, hatte er kaum Beachtung geschenkt, und dann mit seiner Genesung Geld verdient. Armstrongs Eintreten für einen bewussten Umgang mit dem Krebs hielt Neal für heuchlerisch. »Man muss sich bloß einmal klar machen, wie er ihn bekommen hat«, sagte Neal später. »Und wie er sich jetzt zur Schau stellt, etwa in der Art: ›Seht her, ich habe Krebs, und ich bin ein guter Kerl‹ und ›Ich werde alle Mittel einsetzen, um den Zweck zu heiligen.‹«18

Neal wusste, dass Armstrong wieder dopte. Er sammelte Geld für seine Stiftung, und suchte gleichzeitig nach einer Möglichkeit, in den Vereinigten Staaten an EPO zu kommen, nachdem er das Medikament nicht mehr zur Bekämpfung seiner Krebserkrankung verschrieben bekam.19 Armstrong ging sogar so weit, nach dem EPO zu fragen, das Neal für seine Krebstherapie einnahm. Nachdem Neal sich wiederholt geweigert hatte, seine Ration des Medikaments mit Armstrong zu teilen, erklärte ihm dieser, er habe jetzt eine Bezugsquelle im Südwesten der Vereinigten Staaten aufgetan.

Neal war Armstrongs Machenschaften zwar leid, bat ihn aber doch, seiner Mutter Linda zu helfen. Er schlug Armstrong vor, Linda pro Jahr 10 000 Dollar zu geben, doch der weigerte sich. Also wandte sich Neal schließlich an Jeff Garvey, den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, und bat ihn, auf Armstrong einzuwirken. Als der sich abermals weigerte, bot Garvey an, die Summe aus seiner eigenen Tasche zu zahlen.20 Aber er hatte ein PR-Problem. Wie würde die Stiftung dastehen, wenn bekannt wurde, dass Armstrong seine bedürftige Mutter nicht unterstützte? Wenn ganz Amerika erfahren würde, dass Lance Armstrong kein selbstloser Held war?

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