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Buch 18

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1 (1) Pyrrhos, der König von Epeiros, wurde erneut von einer Gesandtschaft aus Tarent und zusätzlich von den Samniten und Lukanern, die ihrerseits ebenfalls Hilfe gegen die Römer benötigten, mit Bitten bestürmt. Da ließ er sich verleiten – allerdings nicht so sehr von ihrem demütigen Flehen als vielmehr von der Hoffnung, in den italischen Machtbereich einfallen zu können – und versprach, dass er mit seinem Heer kommen werde.1 (2) Sowie er sich einmal zu dieser Unternehmung entschlossen hatte, trieb ihn das Vorbild seiner Vorfahren zum raschen Handeln, damit es nicht so aussehe, als stünde er seinem Onkel Alexandros2 nach, der ebendiese Tarentiner gegen die Bruttier verteidigt hatte, oder hätte weniger Mut gehabt als Alexander der Große, der in einem Kriegszug so fern von der Heimat den Osten unterwarf. (3) So ließ Pyrrhos seinen fünfzehnjährigen Sohn Ptolemaios3 zum Schutz seines Reiches zurück und schiffte sein Heer im Hafen von Tarent aus. Seine beiden kleinen Söhne Alexandros4 und Helenos5 nahm er mit, um auf dem langen Feldzug einen Trost zu haben. (4) Als der römische Konsul Valerius Laevinus6 von der Ankunft des Pyrrhos hörte, ließ er eilends sein Heer zur Schlacht ausrücken, um gegen ihn zu kämpfen, bevor sich die Hilfstruppen seiner Bundesgenossen versammeln konnten. (5) Auch der König schob das Gefecht nicht auf, obwohl er zahlenmäßig unterlegen war. (6) Die Römer hielten den Sieg bereits in Händen, doch da sahen sie die Elefanten, und dieser noch ungewohnte Anblick ließ sie zuerst erstarren und bald darauf aus der Schlacht weichen. Und so wurden sie, als sie schon Sieger waren, plötzlich durch die unbekannten Ungetüme auf makedonischer Seite besiegt. (7) Doch für die Feinde war es kein unblutiger Sieg. Denn Pyrrhos selbst wurde schwer verwundet und ein großer Teil seiner Soldaten getötet, und so brachte ihm dieser Sieg mehr Ruhm als Freude. (8) Viele Gemeinden ließen sich durch den Ausgang des Kampfes beeinflussen und ergaben sich deshalb Pyrrhos. (9) Neben anderen verrieten auch die Lokrer7 die römische Besatzung und liefen zu Pyrrhos über. (10) Von seiner Beute schickte Pyrrhos 200 gefangene Soldaten nach Rom zurück, ohne ein Lösegeld für sie zu verlangen, damit die Römer nach seiner Tapferkeit nun auch seine Großmut kennenlernen könnten. (11) Als dann nach einigen Tagen das Heer seiner Bundesgenossen |11|hinzustieß, schlug er noch einmal eine Schlacht gegen die Römer, und dabei herrschte das gleiche Kriegsglück wie im vorangegangenen Kampf.

2 (1) Inzwischen8 war der karthagische Feldherr Mago mit 120 Schiffen ausgesandt worden, um die Römer zu unterstützen. Er kam in den Senat und behauptete, die Karthager bedauerten, dass die Römer mitten in Italien unter einem Krieg zu leiden hätten, der von einem ausländischen König geführt werde. (2) Deswegen habe man ihn, Mago, gesandt, damit die Römer, wenn sie schon von einem auswärtigen Feind angegriffen würden, auch durch auswärtige Hilfstruppen unterstützt würden. (3) Der Senat dankte den Karthagern, schickte aber die Hilfstruppen zurück. (4) Doch Mago trat – wie es punischer Wesensart entsprach – nach wenigen Tagen heimlich an Pyrrhos heran, so als ob er für die Karthager Friedensverhandlungen führen sollte. In Wahrheit wollte er jedoch Pyrrhos’ Pläne bezüglich Siziliens auskundschaften, wohin man den König einem Gerücht zufolge gerufen hatte. (5) Denn ebendas war für die Karthager der Grund gewesen, weshalb sie den Römern Hilfstruppen schickten: Sie wollten Pyrrhos im Krieg gegen die Römer in Italien festhalten, damit er nicht nach Sizilien übersetzen könne. (6) Währenddessen wurde Fabricius Luscinus9 als Gesandter vom römischen Senat losgeschickt und schloss mit Pyrrhos Frieden. (7) Zur Bestätigung dieses Friedens sandte Pyrrhos dann Kineas10 mit reichen Geschenken nach Rom, doch Kineas fand niemanden, der diesen Gaben seine Tür geöffnet hätte. (8) Für diese Zurückhaltung der Römer gab es etwa zur selben Zeit ein ähnliches Beispiel. (9) Denn vom Senat waren Gesandte nach Ägypten geschickt worden und hatten die reichen Geschenke, die König Ptolemaios11 ihnen hatte zukommen lassen, zurückgewiesen. Als man sie nach einigen Tagen zu einem Festmahl einlud und ihnen dafür goldene Kränze sandte, nahmen sie diese nur um des günstigen Vorzeichens willen an und setzten sie dann am folgenden Tag den Statuen des Königs auf das Haupt. (10) Kineas überbrachte nun die Meldung, dass Appius Claudius12 seinen Friedensschluss mit den Römern vereitelt habe. Auf die Frage des Pyrrhos, was Rom denn für eine Stadt sei, antwortete Kineas, es sei ihm als eine Stadt von Königen erschienen. (11) Danach trafen Gesandte aus Sizilien ein und übertrugen Pyrrhos die Herrschaft über die gesamte Insel, die durch ständige Kriege gegen die Karthager verwüstet wurde. (12) Pyrrhos ließ also seinen Sohn Alexandros bei den Lokrern zurück, sicherte die Gemeinden der Bundesgenossen durch eine starke Besatzung und setzte dann sein Heer nach Sizilien über.

3 (1) Da nun die Rede auf die Karthager gekommen ist, muss man einiges über ihren Ursprung sagen und zuvor etwas ausführlicher auf die Geschichte der Tyrier eingehen, die auch ein bedauernswertes Schicksal hatten. (2) Das Volk der Tyrier wurde von den Phöniziern begründet. (3) Als diese unter einem Erdbeben zu leiden hatten, verließen sie ihr Heimatland und siedelten zu |13|erst an einem syrischen See, dann direkt an der Meeresküste. (4) Hier gründeten sie eine Stadt, die sie wegen der reichen Fischvorkommen Sidon nannten; denn ‚Fisch‘ heißt auf Phönizisch ‚sidon‘. (5) Nach vielen Jahren wurden die Phönizier dann vom König der Askalonier unterworfen, landeten daraufhin mit ihren Schiffen an einer Küste und gründeten im Jahr vor dem Fall Trojas die Stadt Tyros.13 (6) Als sie dort lange durch Kriege gegen die Perser auf verschiedenste Weise zermürbt wurden, blieben sie zwar siegreich, doch ihre Kräfte waren ausgelaugt, und deshalb mussten sie von ihren eigenen Sklaven, deren Zahl überhandgenommen hatte, schmachvolle Qualen erdulden. (7) Denn die Sklaven zettelten eine Verschwörung an, töteten alle Freien wie auch ihre eigenen Herren und bemächtigten sich auf diese Weise der Stadt. Sie nahmen die Häuser ihrer Herren in Besitz, rissen die Staatsgeschäfte an sich, schlossen Ehen und zeugten Kinder, die genau das waren, was sie selbst nicht waren, nämlich Freie. (8) Unter so vielen Tausenden von Sklaven gab es nur einen einzigen, der sich in seiner Sanftmut vom Los seines greisen Herrn und des kleinen Sohnes rühren ließ und gegenüber seinen Herren keine rohe Grausamkeit, sondern die gebührende Anteilnahme und Mitmenschlichkeit an den Tag legte. (9) Deshalb brachte er sie weg, als wären sie bereits ermordet worden. Dann beratschlagten die Sklaven über die Staatsform und beschlossen, aus ihren eigenen Reihen einen König zu wählen, und zwar denjenigen, der gleichsam den Göttern am liebsten sei und zum Zeichen dafür als Erster die Sonne aufgehen sehe. Von diesem Plan berichtete nun der Sklave seinem Herrn Straton – denn das war sein Name –, der sich in einem Versteck verbarg. (10) Straton unterwies ihn, und als um Mitternacht alle Sklaven gemeinsam auf ein Feld hinausgegangen waren, blickten die Übrigen nach Osten, nur Stratons Sklave schaute als Einziger in Richtung Westen. (11) Das erschien den anderen zuerst widersinnig, im Westen nach dem Sonnenaufgang Ausschau zu halten. (12) Sobald jedoch der Tag anbrach und die aufgehende Sonne auf den Giebelspitzen der Stadt zu schimmern begann, warteten die anderen darauf, dass sie die Sonne selbst sehen könnten; Stratons Sklave aber zeigte als Erster allen Übrigen den Glanz der Sonne auf der höchsten Erhebung der Stadt. (13) Ein solcher Einfall, so meinten sie, entspringe nicht dem Denken eines Sklaven. Deshalb fragten sie, wer sich das ausgedacht habe, und er gestand ihnen alles über seinen Herrn. (14) Da sah man ein, wie weit die Fähigkeiten der Freigeborenen die der Sklaven überstiegen und dass die Sklaven nur boshafter, nicht aber klüger waren. (15) Daher gewährten die Sklaven dem alten Mann und seinem Sohn Gnade, und weil sie glaubten, dass die beiden gleichsam durch göttliches Wirken bewahrt worden seien, wählten sie Straton zu ihrem König. (16) Nach seinem Tod ging die Königsherrschaft auf seinen Sohn und dann auf seine Enkel über. (17) Das Verbrechen der Sklaven erlangte Berühmtheit und galt auf der ganzen Welt als ein Furcht einflößendes Beispiel. (18) Als nach einiger Zeit dann Alexander der Große im Osten Krieg führte, eroberte er, so als wollte er |15|den Angriff auf die Sicherheit aller Bürger ahnden, die Stadt der Sklaven und ließ in Erinnerung an ihr früheres Morden alle Überlebenden aus der Schlacht ans Kreuz schlagen.14 (19) Nur die Familie des Straton ließ er unangetastet und gab dessen Nachkommenschaft die Königsherrschaft zurück. Die Insel selbst wies er freigeborenen und schuldlosen Einwohnern zu, damit sich nach der Ausrottung des Sklavenvolkes ein neues Geschlecht von Stadtbewohnern begründen konnte.

4 (1) Auf diese Weise wurde also unter Alexanders Oberbefehl das Volk der Tyrier begründet und gewann durch Sparsamkeit und Erwerbsstreben schnell an Stärke. (2) Weil die Tyrier vor der Ermordung der Herren durch die Sklaven Vermögen im Überfluss besaßen und einen Bevölkerungsüberschuss hatten, wurde eine Jungmannschaft nach Afrika ausgesandt und gründete dort Utica15. (3) Da starb unterdessen in Tyros König Mutto und setzte seinen Sohn Pygmalion und seine Tochter Elissa16, eine wunderschöne junge Frau, zu seinen Erben ein. (4) Doch das Volk übertrug Pygmalion die Königsherrschaft, obwohl er noch ein kleiner Junge war. (5) Elissa heiratete ihren Onkel Acherbas, einen Priester des Herakles, der den höchsten Rang nach dem König innehatte. (6) Er besaß großen Reichtum, hielt ihn aber versteckt und hatte sein Gold aus Furcht vor dem König nicht seinem Haus, sondern der Erde anvertraut. (7) Davon wussten die Menschen zwar nichts, aber es verbreitete sich dennoch ein Gerücht. (8) Das lockte Pygmalion, und so missachtete er das bei den Menschen geltende Recht und tötete seinen eigenen Onkel, der zugleich sein Schwager war, ohne jede Rücksicht auf die verwandtschaftlichen Beziehungen. (9) Elissa wandte sich wegen dieses Verbrechens lange von ihrem Bruder ab, doch schließlich verbarg sie ihren Hass und zeigte mitunter ein freundlicheres Gesicht. Dabei plante sie jedoch heimlich ihre Flucht und schloss sich mit einigen der einflussreichsten Männer zusammen, die – wie sie vermutete – den gleichen Hass gegenüber dem König und den gleichen Wunsch zur Flucht hegten. (10) Dann trat sie listig an ihren Bruder heran und gab vor, sie wolle zu ihm ziehen, damit ihr in ihrem Wunsch nach Vergessen nicht länger das Haus ihres Gatten den belastenden Gedanken an ihre Trauer wieder aufsteigen lasse und ihr auch nicht weiter die schmerzliche Erinnerung vor Augen stehe. (11) Nicht ungern vernahm Pygmalion die Worte seiner Schwester, glaubte er doch, zusammen mit ihr werde auch das Gold des Acherbas zu ihm kommen. (12) Doch Elissa brachte die Diener, die ihr der König für den Umzug geschickt hatte, zusammen mit ihrem ganzen Reichtum in der Abenddämmerung auf Schiffe, stach in See und zwang die Männer, schwere Säcke voll Sand ins Meer zu werfen, wobei sie so tat, als hätte sie ihr Geld darin einfüllen lassen. (13) Dann rief sie selbst unter Tränen und mit trauriger Stimme Acherbas an und bat ihn, seinen Reichtum, den er ihr hinterlassen habe, gnädig wieder an sich zu nehmen und das als Totenopfer zu behalten, was seinen Tod verursacht habe. |17|(14) Danach wandte sie sich direkt an die Diener und sagte, sie für ihren Teil habe sich schon längst den Tod gewünscht, doch ihnen drohten bittere Qualen und grässliche Strafen, da sie den Reichtum des Acherbas, dessentwegen der König einen Verwandtenmord begangen habe, den Händen des habgierigen Tyrannen entzogen hätten. (15) So jagte sie allen Angst ein und ließ sich dann auf ihrer Flucht von ihnen begleiten. Auch Scharen von Ratsherren, die sich für diese Nacht bereitgehalten hatten, schlossen sich ihr an. Sie nahmen die Kultgegenstände des Herakles, dessen Priester Acherbas gewesen war, mit und suchten dann in der Verbannung neue Wohnsitze.

5 (1) Zuerst landeten sie auf der Insel Zypern, (2) wo sich auf göttliche Mahnung der Priester des Jupiter17 mitsamt seiner Gattin und seinen Kindern Elissa als Begleiter und Gefährte zur Verfügung stellte unter der Bedingung, dass ihm wie auch seinen Nachkommen auf ewig das Ehrenamt des Priesters zugestanden würde. (3) Seine Forderung wurde angenommen, da sie offenkundig ein gutes Vorzeichen war. (4) Bei den Zyprern war es Brauch, die Jungfrauen vor ihrer Hochzeit an festgesetzten Tagen zur Prostitution an die Meeresküste zu schicken, damit sie das Geld für ihre Mitgift verdienten und Venus Opfergaben für die Bewahrung der Keuschheit in ihrem weiteren Leben darbrachten. (5) Aus der Schar dieser Jungfrauen ließ Elissa etwa 80 entführen und auf die Schiffe bringen, damit es für die jungen Männer Ehefrauen und für die Stadt Nachkommen gab. (6) Währenddessen hatte Pygmalion von der Flucht seiner Schwester erfahren und sich darauf vorbereitet, die Flüchtige in einem ruchlosen Krieg zu verfolgen. Dann ließ er sich aber, wenngleich nur mit Mühe, durch die Bitten seiner Mutter und die Drohungen der Götter umstimmen und hielt Frieden. (7) Denn Seher verkündeten ihm in Ekstase, es werde nicht ungestraft bleiben, wenn er das Wachstum einer Stadt verhindere, die unter glücklicheren Vorzeichen stehe als der ganze Rest der Welt. So wurde den Flüchtlingen eine Atempause gewährt. (8) Elissa wurde nun in eine afrikanische Bucht verschlagen und brachte die Einwohner dieses Ortes, die sich über die Ankunft der Fremden und den gegenseitigen Tausch von Waren freuten, dazu, mit ihr einen Freundschaftsvertrag zu schließen. (9) Anschließend erwarb sie so viel Land, wie sich mit der Haut eines Ochsens bedecken ließe, damit sich – wie sie sagte – ihre Gefährten, die von der langen Seereise erschöpft seien, bis zu ihrem Aufbruch dort erholen könnten. Dann ließ sie jedoch die Haut in ganz schmale Streifen schneiden und nahm auf diese Weise viel mehr Platz in Beschlag, als sie eigentlich erbeten hatte. Daher erhielt dieser Ort später den Namen Byrsa. (10) Dann strömten Nachbarn aus der umliegenden Gegend zusammen, die in der Hoffnung, Gewinn machen zu können, den Fremden viele Waren mitbrachten. (11) Sie errichteten dort ihre Wohnsitze, und so entstand aus der Ansammlung von Menschen gleichsam eine Art von Bürgerschaft. (12) Auch Gesandte aus Utica brachten ihnen Geschenke, |19|als wären sie Blutsverwandte, und ermunterten sie, dort eine Stadt zu gründen, wo ihnen der Zufall ihre Wohnsitze zugewiesen habe. (13) Und die Afrer waren ebenfalls sehr erpicht darauf, dass die Ankömmlinge blieben (14) So wurde unter allgemeiner Zustimmung Karthago gegründet und für den Boden, auf dem die Stadt stand, eine jährliche Steuer festgesetzt. (15) Als die ersten Fundamente gelegt wurden, fand man einen Ochsenschädel. Das war ein Vorzeichen dafür, dass die Stadt zwar wohlhabend, aber von Mühen geplagt und auf ewig versklavt sein werde. Deshalb verlegte man die Stadt an eine andere Stelle. (16) Dort fand man auch einen Schädel, nun aber den eines Pferdes, und das deutete darauf hin, dass das Volk kriegerisch und mächtig sein werde. Daher erhielt die Stadt hier einen glückverheißenden Sitz. (17) Auf die Kunde von der Gründung einer neuen Stadt strömten dann die Völker zusammen, und so entstanden in kurzer Zeit ein Volk und ein großes Gemeinwesen.

6 (1) Als Karthago durch seine erfolgreichen Unternehmungen aufblühte und vermögend wurde, ließ der Maxitanerkönig Hiarbas zehn einflussreiche Punier zu sich kommen und hielt unter Androhung von Krieg um Elissas Hand an. (2) Weil sich die Gesandten fürchteten, der Königin diesen Bescheid zu überbringen, verhielten sie sich ihr gegenüber so, wie es punischer Wesensart entsprach, und meldeten ihr, dass der König nach jemandem verlange, der ihn und die Afrer eine zivilisiertere Lebensweise lehre. (3) Doch wen könne man finden, der von seinen Verwandten zu Barbaren wegziehen wolle, die wie wilde Tiere lebten? (4) Daraufhin tadelte die Königin die Gesandten, weil sie sich sträubten, zum Wohl des Vaterlandes, dem man doch sogar sein Leben schulde, wenn es die Sache erfordere, ein weniger annehmliches Leben zu führen. Da eröffneten sie ihr, was der König ihnen aufgetragen hatte, und sagten, was sie anderen vorschreibe, das müsse sie selbst tun, wenn sie für die Stadt Sorge tragen wolle. (5) Als die Königin so in die Falle getappt war, rief sie lange unter vielen Tränen und kläglichen Wehrufen den Namen ihres Gatten Acherbas und antwortete zuletzt, sie werde dorthin gehen, wohin ihr eigenes Schicksal und das der Stadt sie riefen. (6) Dafür setzte sie eine Frist von drei Monaten und ließ einen Scheiterhaufen im abgelegensten Teil der Stadt errichten. Dann schlachtete sie viele Opfertiere, als wollte sie den Totengeist ihres Gatten besänftigen und ihm vor ihrer neuen Hochzeit Totenopfer schicken, ergriff ein Schwert und bestieg den Scheiterhaufen. (7) Sie blickte auf ihr Volk nieder und sagte, sie werde nun zu ihrem Gatten gehen, wie man es ihr befohlen habe. Anschließend nahm sie sich mit dem Schwert das Leben. (8) Solange Karthago unbesiegt war, wurde Elissa als Göttin verehrt. (9) Diese Stadt wurde 72 Jahre früher gegründet als Rom. (10) Ihre kriegerischen Leistungen waren berühmt; ihre innenpolitische Stabilität dagegen wurde durch Zwistigkeiten und Vorkommnisse unterschiedlicher Art erschüttert. (11) Als die Bewohner unter anderen Übeln auch an einer Seuche litten, vollzogen sie einen blutrünstigen |21|und verbrecherischen Opferkult und suchten dadurch Heilung zu erlangen. (12) Denn sie brachten Menschen wie Opfertiere dar, legten unmündige Kinder in einem Alter, das sogar bei Feinden Mitleid erregt, auf die Altäre und erflehten so die Gunst ihrer Götter18 mit dem Blut derer, um deren Leben man die Götter meistens bittet.

7 (1) Wegen dieses so abscheulichen Verbrechens wandten sich die Götter von ihnen ab, und daher verloren die Karthager, als sie nach einem langen, erfolgreichen Kampf auf Sizilien den Krieg nach Sardinien trugen, den größten Teil ihres Heeres und wurden in einer schweren Schlacht besiegt. (2) Deshalb erteilten sie ihrem Feldherrn Malchos19, unter dessen Führung sie einen Teil Siziliens unterworfen und auch gegen die Afrer große Taten vollbracht hatten, den Befehl, mit dem übrig gebliebenen Teil des Heeres in die Verbannung zu gehen. (3) Darüber waren die Soldaten entrüstet und schickten Gesandte nach Karthago, die zuerst um die Erlaubnis zur Rückkehr und um Gnade wegen des unglücklich verlaufenden Feldzuges bitten sollten; dann aber sollten sie ankündigen, die Soldaten würden das, was sie mit Bitten nicht erreichen könnten, mit Waffengewalt durchsetzen. (4) Als nun die Bitten wie auch die Drohungen der Gesandten wirkungslos blieben, bestiegen die Soldaten nach einigen Tagen ihre Schiffe und kamen bewaffnet zur Stadt. (5) Dort riefen sie Götter und Menschen zu Zeugen, dass sie nicht kämen, um ihre Heimat zu erobern, sondern um sie wiederzugewinnen, und dass sie ihren Mitbürgern zeigen wollten, dass es ihnen im vorangegangenen Krieg nicht an Tapferkeit, sondern nur an Glück gemangelt habe. (6) Sie unterbrachen die Versorgung mit Nahrungsmitteln, belagerten die Stadt und versetzten die Karthager dadurch in äußerste Verzweiflung. (7) Unterdessen kam Karthalo, der Sohn des Malchos, des Anführers der Verbannten, am Lager seines Vaters vorbei, während er von Tyros zurückkehrte. Dorthin hatten ihn die Karthager geschickt, damit er den zehnten Teil der Beute, die sein Vater in Sizilien gemacht hatte, Herakles darbrachte.20 Als sein Vater ihn nun herbeirief, gab Karthalo zur Antwort, er werde zuerst den staatlichen Kultpflichten nachkommen und erst später seinen persönlichen familiären Verpflichtungen. (8) Darüber war sein Vater empört, wagte aber trotzdem nicht, sich gewaltsam gegen den Kult zu vergehen. (9) Nach einigen Tagen bat Karthalo dann beim Volk um sicheres Geleit, kehrte zu seinem Vater zurück und zeigte sich allen in seiner prachtvollen Purpurkleidung und mit dem priesterlichen Kopfband. Da nahm ihn sein Vater beiseite und sagte: (10) „Wagst du es etwa, du erbärmlicher Schuft, in diesem Purpur- und Goldschmuck so vielen unglücklichen Bürgern unter die Augen zu kommen und, behängt mit den Symbolen für Frieden und Glück, wie im Freudentaumel in dieses traurige, bekümmerte Lager zu kommen? Konntest du denn nirgendwo sonst, bei anderen Leuten herumprahlen? (11) Gab es keinen passenderen Ort als den, wo dein Vater erniedrigt wird und die Widrigkeiten der unseligen |23|Verbannung ertragen muss? (12) Was soll man dazu sagen, dass du, als ich dich noch vor Kurzem rufen ließ, den – ich will gar nicht einmal sagen: eigenen Vater, sondern – Feldherrn deiner Mitbürger voll Hochmut missachtet hast? (13) Und was trägst du überhaupt mit deiner Purpurkleidung und deinen Kränzen da anderes vor dir her als die Ehrenzeichen für Siege, die ich errungen habe? (14) Da du also in deinem Vater nur einen Verbannten siehst, werde auch ich mich eher als Feldherr denn als Vater betrachten und an dir ein Exempel statuieren, damit in Zukunft niemand mehr das traurige Elend seines Vaters verhöhnt.“ (15) Und so ließ er Karthalo in all seiner Pracht in Sichtweite der Stadt an ein hohes Kreuz schlagen. (16) Wenige Tage später nahm er Karthago ein und rief das Volk zu einer Versammlung. Er beklagte sich über die ungerechte Verbannung und führte zu seiner Rechtfertigung an, dass man ihn zum Krieg gezwungen habe. Dann sagte er, er werde sich mit dem Sieg zufriedengeben, wenn diejenigen bestraft seien, welche die Verbannung ihrer unglücklichen Mitbürger zu verantworten hätten; allen anderen aber werde er Gnade gewähren. (17) So ließ er zehn Ratsherren hinrichten und gab dann der Stadt ihre gesetzmäßige Verfassung zurück. (18) Doch kurz darauf legte man ihm selbst zur Last, dass er nach der Königsherrschaft getrachtet habe, und so büßte er für seine beiden schweren Verbrechen, nämlich das an seinem Sohn und das an seinem Vaterland. (19) Ihm folgte Mago21 als Feldherr nach, durch dessen Tatkraft sich der Reichtum der Karthager, ihr Herrschaftsgebiet sowie ihr Kriegsruhm und ihre Ehre mehrten.

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