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Buch 22

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1 (1) Agathokles68, der Tyrann von Sizilien, der – was seine Bedeutung anging – zum Nachfolger des Dionysios des Älteren wurde, gelangte aus unbedeutendem und niederem Stand zur Königswürde. (2) Er wurde nämlich in Sizilien als Sohn eines Töpfers geboren, und sein Lebenswandel in der Jugend war nicht ehrenhafter als seine ursprüngliche Abkunft. (3) Denn er hatte einen auffallend wohlgestalteten, schönen Körper und verdiente lange Zeit seinen Lebensunterhalt damit, dass er sich sexuell missbrauchen ließ. (4) Als er dann dem Jugendalter entwachsen war, galt sein Verlangen nicht mehr Männern, sondern Frauen. (5) Nachdem er bei beiden Geschlechtern in Verruf geraten war, änderte er seine Lebensweise und verlegte sich auf Räuberei. (6) Nach einiger Zeit kam er nach Syrakus, wurde in die Bürgerschaft aufgenommen und lebte mitten unter den anderen Stadtbewohnern. Doch lange hatte keiner Vertrauen zu ihm, (7) denn er schien weder ein Vermögen zu besitzen, das er hätte verlieren, noch einen guten Ruf, den er hätte ruinieren können. (8) Schließlich verpflichtete er sich als einfacher Soldat zum Kriegsdienst, und damit wurde sein gegenwärtiges Leben ebenso unruhig, wie es früher schimpflich gewesen war. Agathokles war zu jeder Untat mehr als bereit, (9) denn er galt als ein tatkräftiger Mann und zugleich in Versammlungen als ein äußerst gewandter Redner. (10) Daher wurde er bereits nach kurzer Zeit Zenturio und anschließend Militärtribun. (11) In seinem ersten Krieg gegen die Anwohner des Ätna lieferte er den Syrakusanern herausragende Beweise für sein Können. (12) Im folgenden Krieg gegen die Kampaner weckte er in allen so große Hoffnungen auf seine Fähigkeiten, dass sie ihn an die Stelle des verstorbenen Feldherrn Damas69 setzten. (13) Mit dessen Gattin hatte Agathokles bereits ein ehebrecherisches Verhältnis gehabt, und nach dem Tod ihres Mannes heiratete er sie. (14) Und weil es ihm nicht genügte, dass er von einem mittellosen plötzlich zu einem reichen Mann geworden war, betrieb er Seeräuberei gegen |51|seine eigene Heimat. (15) Allein das rettete ihn, dass seine Gefährten nach der Gefangennahme auch unter der Folter seine Beteiligung leugneten. (16) Zwei Mal wollte er die Herrschaft über Syrakus an sich reißen, zwei Mal wurde er in die Verbannung geschickt.

2 (1) Die Morgantiner70, bei denen er in der Verbannung lebte, wählten ihn aus Hass auf die Syrakusaner zuerst zum Prätor und bald darauf zum Feldherrn. (2) In diesem Krieg nahm er die Stadt Leontinoi71 ein und begann, seine Heimat Syrakus zu belagern. (3) Als sich die Syrakusaner flehentlich an den punischen Feldherrn Hamilkar72 wandten, ließ dieser Feindschaft und Hass beiseite und schickte der Stadt Schutztruppen zur Unterstützung. (4) So wurde Syrakus zu ein und derselben Zeit von einem Feind mit der Zuneigung, die einem Bürger ansteht, verteidigt und von einem Bürger mit dem Hass, den ein Feind pflegt, angegriffen. (5) Als Agathokles jedoch sah, dass die Stadt mit größerer Tapferkeit verteidigt als belagert wurde, bat er Hamilkar durch Unterhändler eindringlich, zwischen ihm und den Syrakusanern die Vermittlungen für einen Friedensvertrag zu übernehmen; und er versprach, dass er Hamilkar dafür außerordentliche Gefälligkeiten erweisen werde. (6) Von einer solchen Hoffnung erfüllt, schloss Hamilkar mit Agathokles ein Bündnis mit dem Inhalt, dass sie gegenseitig ihre Herrschaft stützen würden und Hamilkar zur Vermehrung seiner Macht in der Heimat ebenso viele Truppen bekommen würde, wie er Agathokles gegen die Syrakusaner überlassen hätte. (7) So gewann Agathokles nicht nur den Frieden, sondern wurde auch als Prätor in Syrakus eingesetzt. (8) Anschließend ließ er die Kultgegenstände der Ceres herbeiholen, berührte sie und schwor vor Hamilkar den Puniern Gehorsam. (9) Nachdem Agathokles dann von Hamilkar 5000 Afrer erhalten hatte, ließ er die einflussreichsten der führenden Männer töten (10) und das Volk zu einer Versammlung ins Theater rufen, so als ob er die Staatsordnung neu gestalten wollte. Den Rat hatte er ins Gymnasion73 kommen lassen unter dem Vorwand, er wolle zuerst noch einige Angelegenheiten regeln. (11) Als er so seine Vorbereitungen getroffen hatte, schickte er Soldaten hinein, hielt das Volk im Theater fest und ließ die Ratsherren niedermetzeln. (12) Er richtete ein Blutbad an und tötete dann auch aus dem Volk die Reichsten und Entschlossensten.

3 (1) Nach diesen Taten hob er Soldaten aus und stellte ein Heer auf. Damit gerüstet, griff er die benachbarten Gemeinden, die keine feindliche Handlung befürchteten, unversehens an und (2) quälte mit Hamilkars Einverständnis auch die Bundesgenossen der Punier auf schändliche Weise. Daher beschwerten sich die Bundesgenossen in Karthago nicht so sehr über Agathokles als vielmehr über Hamilkar. (3) Dem Agathokles warfen sie vor, er sei ein Gewaltherrscher und ein Tyrann, dem Hamilkar dagegen, er sei ein Verräter, da er mit dem gefährlichsten Feind ein Abkommen geschlossen und ihm auf diese Weise die |53|Güter der Bundesgenossen überlassen habe. (4) Von Anfang an sei Syrakus diesem Mann als ein Unterpfand für das Bündnis ausgeliefert gewesen, eine Stadt, die den Puniern stets feindlich gesinnt sei und mit Karthago um die Herrschaft über Sizilien rivalisiere. Nun aber seien ihm unter dem Deckmantel des Friedensvertrages darüber hinaus auch noch die Gemeinden der Bundesgenossen zugesprochen worden. (5) Deshalb würden sie den Karthagern ankündigen, dass all das Unheil in Kürze über sie selbst hereinbrechen werde und sie schon sehr bald spüren würden, welch großes Leid sie nicht Sizilien, sondern vielmehr Afrika selbst zugefügt hätten. (6) Diese Beschwerden brachten den Rat gegen Hamilkar auf, doch weil dieser das Kommando innehatte, stimmten sie nur im Geheimen über ihn ab und ließen die Abstimmungsergebnisse vor der Verlesung in einem Gefäß sammeln und versiegeln, bis der andere Hamilkar, Gisgons Sohn, von Sizilien zurückgekehrt wäre. (7) Aber dieser schlaue Einfall der Punier und die Aussetzung der Urteilsverkündung waren überflüssig, weil Hamilkar vorher starb. Und so wurde Hamilkar, den die Bürger widerrechtlich ohne Anhörung verurteilt hatten, durch das Geschenk des Schicksals freigesprochen. (8) Dieser Vorfall gab Agathokles die Gelegenheit, gegen die Punier einen Krieg anzuzetteln. (9) Seine erste Schlacht war ein Gefecht mit Hamilkar, Gisgons Sohn. Agathokles wurde von ihm besiegt und zog sich nach Syrakus zurück, um den Krieg mit einer größeren Streitmacht wieder aufzunehmen. (10) Doch im zweiten Kampf widerfuhr ihm dasselbe Schicksal wie im ersten.

4 (1) Als die siegreichen Punier nun Syrakus durch einen Belagerungsring einschlossen, sah Agathokles, dass er weder ihren Streitkräften gewachsen noch so weit ausgerüstet war, dass er die Belagerung auf sich nehmen konnte. Weil ihn darüber hinaus auch noch seine Bundesgenossen, die über seine Grausamkeit aufgebracht waren, im Stich gelassen hatten, beschloss er, den Krieg nach Afrika zu verlegen (2) – und das zeugte von ganz besonderer Waghalsigkeit: Einen Krieg gegen die Stadt der Leute zu beginnen, denen man auf dem Boden der eigenen Stadt nicht gewachsen war, in fremden Besitz einzufallen, während man den eigenen nicht schützen konnte, und als Besiegter die Sieger zu verhöhnen. (3) Dass Agathokles diesen Plan geheim halten konnte, war nicht weniger erstaunlich als die Tatsache, dass er überhaupt erst einen solchen Einfall gehabt hatte. Dem Volk gegenüber verkündete Agathokles lediglich, dass er einen Weg zum Sieg gefunden habe; sie sollten nur stark genug sein, die Belagerung noch kurze Zeit zu ertragen. Wer jedoch mit der momentanen unglücklichen Lage unzufrieden sei, dem gebe er die Erlaubnis und Möglichkeit, sich zu entfernen. (4) 1600 Menschen gingen weg; die anderen versorgte er mit Getreide und Sold, wie es für die Belagerung erforderlich war. Nur 50 Talente nahm er zum sofortigen Gebrauch mit, alles Übrige wollte er sich lieber vom Feind als von seinen Bundesgenossen verschaffen. (5) Dann schenkte er allen |55|Sklaven im wehrfähigen Alter die Freiheit, ließ sie den Fahneneid schwören und mit der Mehrheit seiner Soldaten an Bord der Schiffe gehen, denn er war der Meinung, dass eine rechtliche Gleichstellung der beiden Stände sie zum gegenseitigen Wettstreit um Tapferkeit anspornen würde. Alle anderen ließ er zum Schutz der Heimat zurück.

5 (1) Im siebten Jahr seiner Herrschaft nahm er also in Begleitung seiner beiden erwachsenen Söhne Archagathos74 und Herakleides75 Kurs auf Afrika, (2) ohne dass auch nur ein einziger der Soldaten wusste, wohin er segelte. Alle glaubten nämlich, man fahre entweder nach Italien zum Plündern oder nach Sardinien. Erst als Agathokles das Heer an der afrikanischen Küste ausgeschifft hatte, eröffnete er allen seinen Plan. (3) Er zeigte ihnen auf, in welcher Lage sich Syrakus befand, für das es nun keine andere Hilfe mehr gebe als ebendie, den Feinden genau das zuzufügen, was die Syrakusaner selbst erleiden müssten. (4) Schließlich führe man Kriege in der Heimat auf andere Weise als in der Fremde: In der Heimat habe man nur die Hilfsmittel, die das Vaterland aus eigenen Kräften zur Verfügung stellen könne; in der Fremde dagegen könne der Feind sogar durch seine eigenen Kräfte besiegt werden, wenn seine Bundesgenossen von ihm abfielen und sich aus Unmut über seine lang andauernde Herrschaft nach Hilfe von außen umsähen. (5) Außerdem seien die Städte und Festungen in Afrika nicht von Mauern umgeben und auch nicht auf Bergen errichtet, sondern lägen ohne jede Befestigung in ebenem Gelände ungeschützt; und deshalb ließen sich alle ganz leicht zu einem Kriegsbündnis veranlassen, weil sie ihre Zerstörung befürchteten. (6) Daher werde für die Karthager unmittelbar in Afrika ein größerer Krieg entbrennen als in Sizilien; von überall her würden Hilfstruppen gegen diese eine Stadt, deren Ruhm größer sei als ihre tatsächliche Macht, zusammenströmen, und die Streitkräfte, die er selbst nicht mitgebracht habe, werde er sich von dort nehmen. (7) Auch die plötzliche Furcht der Punier werde für den Sieg von nicht geringer Bedeutung sein, da eine solche Kühnheit ihrer Feinde sie bestürzen und ängstigen werde. (8) Hinzu kämen noch der Brand von Höfen, die Plünderung von widerspenstigen Festungen und Städten und dann die Belagerung von Karthago selbst. (9) All das werde die Karthager spüren lassen, dass nicht nur sie selbst gegen andere, sondern auch andere gegen sie Krieg führen könnten. (10) Auf diese Weise sei es möglich, nicht nur die Punier zu besiegen, sondern auch Sizilien zu befreien. Denn die Feinde würden sich nicht mit der Belagerung von Sizilien aufhalten, wenn ihr eigener Besitz in Bedrängnis gerate. (11) Folglich ließe sich nirgendwo anders ein leichterer Krieg oder eine reichere Beute finden. Denn nach der Einnahme Karthagos würden ganz Afrika und Sizilien die Belohnung für die Sieger sein. (12) Der Ruhm, den ein so ehrenvoller Feldzug mit sich bringe, werde sicherlich für alle Ewigkeit so groß sein, dass er zu keiner Zeit dem namenlosen Vergessen anheimfallen könne. Und man werde sagen, sie seien die |57|einzigen Menschen, welche die Kriege, die sie in der Heimat nicht bestehen konnten, zu den Feinden getragen, aus freiem Entschluss die Sieger verfolgt und die Belagerer ihrer eigenen Stadt belagert hätten. (13) Also müssten alle tapfer und frohgemut den Krieg beginnen, denn kein anderer könne ihnen entweder im Falle eines Sieges einen größeren Lohn bringen oder im Falle einer Niederlage ein herrlicheres Denkmal setzen.

6 (1) Von diesen anfeuernden Worten ließen sich seine Soldaten zwar ermutigen, doch das Vorzeichen, dass auf ihrer Fahrt eine Sonnenfinsternis76 eingetreten war, versetzte sie in abergläubische Furcht. (2) Der König erklärte dieses Phänomen nicht weniger ausführlich als den Krieg. Er behauptete, wenn die Sonnenfinsternis vor ihrer Abfahrt stattgefunden habe, dann würde er wohl glauben, dass sie ein ungünstiges Vorzeichen für die Abfahrenden sei; da sie sich nun aber erst nach ihrer Abfahrt ereignet habe, gelte das Vorzeichen denen, zu denen sie segelten. (3) Außerdem bringe die Verfinsterung natürlicher Gestirne stets einen Wechsel der gegenwärtigen Verhältnisse mit sich, und er sei sich sicher, dass damit für die blühende Macht der Karthager einerseits wie auch für ihre eigenen Mühen und Schwierigkeiten andererseits eine Veränderung angezeigt werde. (4) So beschwichtigte er seine Soldaten und ließ unter der Zustimmung des gesamten Heeres die Schiffe allesamt in Brand stecken, damit alle wussten, dass ihnen damit das Mittel zur Flucht genommen war und sie demnach entweder siegen oder sterben müssten. (5) Als sie dann alles vernichteten, was auf ihrem Weg lag, und Festungen und Höfe in Brand setzten, trat ihnen Hanno mit 30.000 Landbewohnern entgegen. (6) Man schlug eine Schlacht, und dabei fielen 2000 Sizilier und 3000 Punier mitsamt ihrem Feldherrn. (7) Dieser Sieg hob den Mut der Sizilier und brach den der Punier. (8) Nach seinem Sieg über die Feinde eroberte Agathokles Städte und Festungen, schleppte gewaltige Beute fort und metzelte viele Tausend Feinde nieder. (9) Anschließend schlug er fünf Meilen vor Karthago sein Lager auf, damit man den Verlust des wertvollsten Besitzes, die Verwüstung der Felder und den Brand der Höfe direkt von den Mauern der Stadt aus sehen konnte. (10) Unterdessen verbreitete sich in ganz Afrika die ungeheuerliche Kunde von der Vernichtung des punischen Heeres und der Besetzung der Städte. (11) Da wurden alle von Staunen und Verwunderung ergriffen, woher denn gegen ein so großes Reich so plötzlich ein Krieg entstehen könne, zumal von einem Feind, der bereits besiegt worden war. Und allmählich schlug dann die Verwunderung in Verachtung für die Punier um. (12) Und nicht viel später trugen nicht nur die Afrer, sondern auch die angesehensten Städte der neuen Situation Rechnung, liefen zu Agathokles über und versorgten den Sieger mit Getreide und Sold.

|59|7 (1) Zu diesem Unglück der Punier kam, gleichsam als Höhepunkt ihrer Not, noch hinzu, dass auch in Sizilien das Heer mitsamt seinem Feldherrn vernichtet wurde. (2) Denn es traf die Meldung ein, dass die Punier nach dem Aufbruch des Agathokles aus Sizilien bei der Belagerung von Syrakus nachlässiger geworden und deshalb von Antandros77, dem Bruder des Königs Agathokles, vernichtend geschlagen worden seien. (3) Als nun die Karthager in der Heimat wie auch in der Fremde das gleiche Schicksal erlitten hatten, fielen nicht mehr nur die tributpflichtigen Städte von ihnen ab, sondern auch die verbündeten Könige. Denn ihr Maßstab für das, wozu man in Freundschaftsbündnissen berechtigt ist, war nicht die Treue, sondern nur der Erfolg. (4) Unter diesen Königen war auch Ophellas, der König von Kyrene, der in seiner skrupellosen Erwartung schon die Herrschaft über ganz Afrika in Händen zu halten glaubte. Deshalb hatte er durch Gesandte ein Bündnis mit Agathokes geschlossen und mit ihm vereinbart, dass nach dem Sieg über die Karthager dem Agathokles die Herrschaft über Sizilien, ihm selbst dagegen die über Afrika zufallen solle. (5) So kam er in eigener Person mit einem riesigen Heer, um am Krieg teilzunehmen. Agathokles unterhielt sich liebenswürdig mit ihm und schmeichelte ihm unterwürfig; sie speisten öfter zusammen und Ophellas adoptierte den Sohn des Agathokles. Als Ophellas nun unvorsichtig geworden war, tötete Agathokles ihn, (6) übernahm sein Heer und besiegte die Karthager, die mit allen Kräften den Krieg wieder aufnahmen, abermals in einer schweren und für beide Heere sehr blutigen Schlacht. (7) Dieser Entscheidungskampf versetzte die Punier in solche Verzweiflung, dass der punische Feldherr Bomilkar78 mitsamt seinem Heer zu Agathokles übergelaufen wäre, wenn nicht in dessen Heer eine Meuterei ausgebrochen wäre. (8) Wegen dieses Vergehens wurde Bomilkar von den Puniern mitten auf dem Marktplatz ans Kreuz geschlagen, damit derselbe Ort, an dem er zuvor mit Ehrungen ausgezeichnet worden war, nunmehr seine Bestrafung bezeugte. (9) Doch Bomilkar ertrug die Grausamkeit seiner Mitbürger mit solcher Tapferkeit, dass er sogar noch von dem hohen Kreuz herab wie von einem erhöhten Amtssessel aus eine Rede über die Verbrechen der Punier hielt. (10) Dabei warf er ihnen vor, dass Hanno der falschen Anschuldigung, er trachte nach der Königsherrschaft, zum Opfer gefallen sei, außerdem die Verbannung des unschuldigen Gisgon und die geheime Abstimmung gegen seinen Onkel Hamilkar, weil dieser den Agathokles lieber zu ihrem Bundesgenossen als zu ihrem Feind habe machen wollen. (11) Das schrie er vor einer großen Volksmenge laut hinaus und hauchte dann sein Leben aus.

8 (1) Als Agathokles unterdessen sein Vorhaben in Afrika zu Ende gebracht hatte, übergab er seinem Sohn Archagathos das Heer und kehrte eilends nach Sizilien zurück, denn er war der Meinung, in Afrika sei nichts gewonnen, wenn Syrakus weiterhin belagert werde. (2) Nach dem Tod von Gisgons Sohn Hamilkar hatten die Punier nämlich ein neues Heer dorthin geschickt. (3) Unmittelbar |61|bei der Ankunft des Agathokles ergaben sich ihm im Wettstreit sofort alle sizilischen Städte, denn sie hatten von den Taten gehört, die er in Afrika vollbracht hatte. Und so vertrieb er die Punier aus Sizilien und bemächtigte sich der Herrschaft über die ganze Insel. (4) Als er dann nach Afrika zurückkehrte, empfingen ihn seine Soldaten mit einer Meuterei, da sein Sohn die Auszahlung des Solds bis zur Ankunft des Vaters aufgeschoben hatte. (5) Deshalb berief Agathokles die Soldaten zu einer Heeresversammlung und besänftigte sie mit gewinnenden Worten: Ihren Sold müssten sie nicht von ihm fordern, sondern beim Feind suchen; der Sieg werde Gemeingut sein, und so werde es auch die Beute sein. (6) Sie sollten sich nur noch ein wenig anstrengen, bis der restliche Krieg beendet sei, denn sie wüssten doch, dass die Einnahme von Karthago die Erwartungen aller erfüllen werde. (7) So beendete er die Meuterei der Soldaten und führte nach wenigen Tagen das Heer zum Lager der Feinde. Dort schlug er jedoch unüberlegt eine Schlacht und verlor dadurch den Großteil seines Heeres. (8) Er flüchtete in sein Lager, sah aber, dass sich der Unmut der Soldaten über den leichtsinnig ausgetragenen Kampf gegen ihn kehrte, und fürchtete überdies ihren früheren Groll wegen des nicht ausgezahlten Solds. Deshalb floh er um Mitternacht alleine, nur in Begleitung seines Sohnes Archagathos, aus dem Lager. (9) Sobald die Soldaten davon erfuhren, waren sie so ängstlich, als hätte der Feind sie gefangen genommen. Sie riefen laut, dass ihr eigener König sie zwei Mal mitten unter den Feinden zurückgelassen und ihre Sicherheit hintangesetzt habe, während er doch nicht einmal ihre Bestattung hätte vernachlässigen dürfen. (10) Als sie ihren König verfolgen wollten, wurden sie von den Numidern abgefangen und kehrten in ihr Lager zurück. Zuvor hatten sie jedoch noch Archagathos, der sich in der Nacht verirrt hatte und so von seinem Vater getrennt worden war, ergreifen können und ins Lager zurückgebracht. (11) Agathokles aber fuhr auf den Schiffen, mit denen er von Sizilien zurückgekehrt war, in Begleitung ihrer Wachmannschaften nach Syrakus. (12) Das war ein einzigartiges Beispiel von Ehrlosigkeit: Ein König, der sein Heer verließ, und ein Vater, der seine Söhne verriet. (13) Inzwischen schlossen in Afrika die Soldaten nach der Flucht des Königs einen Vertrag mit den Feinden, töteten die Kinder des Agathokles und ergaben sich den Karthagern. (14) Als Archagathos von Arkesilaos, einem vormaligen Vertrauten seines Vaters, getötet wurde, fragte er ihn, was Agathokles seiner Meinung nach wohl den Kindern desjenigen antun werde, der ihn selbst kinderlos gemacht habe. Da gab Arkesilaos zur Antwort, ihm genüge das Wissen, dass seine Kinder die des Agathokles überlebten. (15) Danach sandten die Punier ihre Feldherren nach Sizilien, um den restlichen Krieg zu beenden, und mit ihnen schloss Agathokles zu gerechten Bedingungen Frieden.

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