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VII Duschgeschichten

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Freitag war Badetag im Waisenhaus Herbertstal. Vor der Kleiderausgabe im langen Gang zwischen Tagesräumen und Refektorium, drängten sich die Jungen um Schwester Sibylle, ein grosses Gerangel, in vielen Stimmlagen hallte es durch den Flur: "Schwester, Schwester, hier, bitte, bitte, für mich!".

Die Verteilung der Wäsche und der Oberbekleidung folgte dem Prinzip der Fütterung von Vogeljungen. Wer am lautesten schrie, bekam das beste Stück. Die uralten, abgetragenen Teile abzubekommen, war für die Kinder eine besondere Niederlage, strahlte die Kleidung, die die Kinder trugen, ohnehin schon ein Stück Erbärmlichkeit aus. Trug das Kind aber die verschlissenen, gestopften Hosen und die ausgeleierten, verwaschenen Hemden, fiel es schon gleich als das verschämte und verletzbare Wesen auf, das es war.

Im Sommer verteilte Schwester Sibylle kurze, speckige Lederhosen und karierte Hemden, im Winter braune Wollhosen und lange Unterwäsche. Die Wintermäntel stanken nach Mottenpulver und die Anoraks rochen penetrant nach einem Gemisch aus Schweiss und Polyester.

Keines der Kinder besass eigene Kleidung. Nach der Wäsche wurden sämtliche Kleidungsstücke, auch die Unterwäsche, in den Schrank gepackt und am Badetag wieder ausgegeben.

Auf allen Stationen versammelten sich nun am Freitagnachmittag die Kinder in grösseren und kleineren Grüppchen in den Badezimmern. Einmal im Monat durfte jedes Kind ein frisches Bad

nehmen und an den übrigen Freitagen wurde geduscht. Schwester Sibylle wachte mit äusserster Anspannung über der Zeremonie, missbilligte Verzögerungen und trieb ihre Jungen an, einen nach dem anderen, sich zu entkleiden und sich in die Reihe derer einzugliedern, die nackt und frierend darauf warteten, den nächsten freien Duschplatz zu ergattern. Tante Christa wachte am anderen Ende der Duschen über den reibungslosen Ablauf des Abtrocknens und des Ankleidens.

Schwester Sibylle beobachtete mit hochgekrempelten Ärmeln die Heranwachsenden, die versuchten, ihre Scham zu bedecken oder sich verschämt von ihr wegdrehten. Schon seit längerem empfand sie dabei eine Erregung, die aus ihrem Unterleib aufstieg und sich mit der Hitze mischte, die sich in ihrem Körper ausbreitete. Das Badezimmer war nach kurzer Zeit mit einem feinen Dunst überzogen und die Blicke der Schwester drangen unverhohlen durch die dampfende Nebelschicht.

Die kleineren Jungen nahm sie sich vor. Grob zerrte sie die Kinder unter die Dusche, seifte sie mit schnellen Bewegungen ein und schrubbte sie so heftig mit der Bürste, dass sie aufschrien.

An manchen Stellen jedoch strich sie fast zärtlich über die nackten, jungen Körper. Behutsam schob sie die Vorhaut der Kinderpenisse zurück und reinigte die kleine Eichel mit der äussersten Hingabe an den Augenblick.

Die meisten Kinder im Waisenhaus Herbertstal genossen das freitägliche Reinigungsritual, das wohltuende Prasseln des warmen Wassers auf ihre staubigen Körper, manche jedoch betraten den Baderaum mit unsicheren Beinen und beeilten sich, folgsam, das Ritual hinter sich zu bringen, um vor den unangenehmen Erinnerungen zu flüchten, die sie unter der Dusche befiel. Denn manchmal diente das Duschen einem weiteren, ganz speziellen Zweck, es diente der Züchtigung.

Bevor abends in den Schlafsälen die Lichter ausgingen, kontrollierte Schwester Sibylle die Unterwäsche der Kinder nach Schleifspuren. Heute war der Tag hektisch gewesen, die Kinder waren aufgedreht und widersetzten sich ihrer Autorität, eine kleine Gruppe der Teenager hatte sich am Nachmittag sogar ohne Erlaubnis für ein paar Stunden ausserhalb des Heimes herumgetrieben und sich nach ihrer Rückkehr frech vor der Schwester aufgebaut und sie lautstark beschimpft: "Wir lassen und die Prügel nicht mehr gefallen! Das ist kein Waisenhaus, das ist ein Gefängnis! In Zukunft werden wir uns wehren!"

Aufgebracht und wild gestikulierend hatten sie die Schwester bedroht: "Wir fordern Freiheit und Gerechtigkeit! Keine Unterdrückung mehr. Wir wollen unsere Schulfreunde auch nachmittags treffen können!"

Einen kurzen Augenblick hatte Sibylle das Gleichgewicht verloren. Auf keinen Fall konnte sie zulassen, dass sich die ganze Gruppe gegen sie verschwor und sie Gefahr lief, die Autorität zu verlieren. Sie war die einzige Schwester, die ihre Kinder im Griff hatte, dafür war sie bekannt. Keine Probleme mit ihrer Gruppe, die sie nicht selbst lösen konnte, kein Tadel von oben, keine Einmischung durch die Oberin. Sie war immer alleine zurecht gekommen und das sollte auch so bleiben. Von Tante Christa konnte sie kaum Hilfe erwarten, sie war Sibylles verlängerter Arm, führte ihre Befehle aus und hatte kein Interesse, die Jungen nach ihren Ideen zu gestalten.

Aber es würde ihr etwas einfallen, sie würde die Aufmüpfigen zügeln und dafür sorgen, dass Otmar Heuss, der Anführer der Gruppe, noch in dieser Woche in das Heim für schwererziehbare Jungen in Merdingen am Kaiserstuhl verlegt werden würde. Das würde die anderen besänftigen und die Wogen wieder glätten.

So war sie fast beschwingt, als sie den vorderen Schlafsaal betrat.

Wie jeden Abend hatten die Jungen ihre Hemden, Hosen und die Unterwäsche auf den Stühlen am Fussende ihrer Betten abgelegt, fein säuberlich, akkurat übereinandergestapelt. Schwester Sibylle zupfte stichprobenartig die Unterwäsche auseinander, untersuchte die Unterhosen und war sie fündig geworden, warf sie die Wäsche vor dem für alle identifizierten Verursacher der Peinlichkeit angeekelt auf den Boden.

Diesmal erwischte es Klaus Heinze, einen dreizehnjährigen robusten Kerl mit dunklem Haar und vom Stimmbruch gezeichneter Stimme. Sie packte ihn bei den Ohren und zerrte den krächzenden Jungen über die Bettkante hinaus aus seinem Bett auf den kalten Fussboden. Mit der rechten Hand griff sie Klaus über die Schulter und fixierte seinen Kopf in ihrer Ellbeuge, nahm mit der anderen Hand seine Unterwäsche auf und rieb ihm die beschmutzte Wäsche ins Gesicht.

Dann führte sie den gedemütigten Jungen zur Tür hinaus, hinter der Max bereits wartete.

Max durfte sich an diesem Abend nicht wie üblich mit den anderen Kindern gemeinsam waschen und entkleiden, sondern war von Schwester Sibylle aufgefordert worden, vor der Tür seines Schlafsaales auf sie zu warten. Trotzig stand er da, als sie mit Klaus aus der Tür trat, seit einer halben Stunde suchte er eine Erklärung für diese sonderbare Veränderung im abendlichen Ritual.

Die Schwester schob nun Klaus auf der rechten und Max auf der linken Seite vor sich her und dirigierte die beiden ein Stück den langen Flur entlang und rechts hinein in eines der Badezimmer, wo sie Max aufforderte, sich zu entkleiden und sich auf die schmale Bank zu setzen, die sich gegenüber einer Reihe von frei zugänglichen Toilettenkabinen befand.

Klaus schob sie weiter in Richtung der Duschen, deren Halterungen direkt aus den blassgelb gefliesten Wänden ragten.

Eine flache Rinne war entlang des Badezimmers in die Bodenfliesen eingearbeitet, so konnte sich das Wasser sammeln und durch mehrere quadratische Abflussgitter abfliessen.

"Ausziehen!" befahl Schwester Sibylle und Klaus gehorchte augenblicklich.

"Du wirst jetzt lernen, Dich ordentlich zu waschen!"

Sie schob den widerstandslosen Jungen unter eine der Duschen und liess das kalte Wasser laufen. Ein Schrei erfüllte den Raum und erschreckte Max fürchterlich. Er konnte nicht genau erkennen, was hinter den Toilettenkabinen vor sich ging. Klaus' kieksende Stimme hallte die kahlen Wände des Badezimmers hinauf. "Kaaalt!" schrie er immer wieder während die Schwester ihn anfauchte: "Wirst Du wohl leise sein!"

Sie schlug Klaus mit einer ausholenden Geste auf den Hinterkopf. "Einseifen!"

Minute um Minute verging, Klaus Geschrei war einem geräuschvollen Bibbern gewichen, während sich Max fröstelnd die Finger in die Handballen grub und sich wünschte, jemand würde ihm beistehen. Batman vielleicht, von dem Klaus ein paar Comics unter seiner Matratze versteckt hielt und die er nur gegen die Übernahme seiner Hausaufgaben verlieh. Oder einer der Heiligen, zu denen sie ihre täglichen Gebete schickten.

Doch auch Klaus hatte keine Fürsprecher. Max verachtete den Jungen, der ihm schon mehrmals Prügel angedroht hatte, das Recht des Stärkeren auf seiner Seite. Nur wenige Jungen widersetzten sich seiner Kräfte. Kaltes Wasser, was kann einem das schon anhaben?

Endlich beendete Schwester Sibylle die Tortur, drehte den Wasserhahn zu und schubste den triefenden Klaus hinüber zur Bank, auf der seine Kleider lagen. Mit blauen Lippen griff er hastig nach dem Handtuch, das sie ihm reichte und bedeckte seine Geschlechtsteile.

"Das nächste Mal reinigst Du Dich ordentlich, sonst bleibt es nicht bei der kalten Dusche!"

Sie wendete sich Max zu und nachdem Klaus sich angekleidet und das Badezimmer verlassen hatte, erkannte er schon an dem tobenden Blick der Schwester, was auf ihn zukommen würde. Das Prasseln des kalten Wassers schluckte die wütenden Schläge, die unkontrolliert auf Max heruntersausten, die ihm das Blut aus der Nase trieben und ihm die Beine unter dem Körper wegzogen.

Während sie ihn dann schwer atmend auf den Boden gleiten liess, sagte sie leise: "Du wirst keinem mehr von deinem Federmäppchen erzählen, es existiert nicht mehr!"

Fünf Sommer

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