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2.5Orientierung mittels traumatherapeutischer Verfahren – eine Standortbestimmung 2.5.1Der Werkzeugkasten ist geöffnet! Fallbeispiel 6

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Ich erinnere mich an eine Patientin, deren Therapieverlauf besonders durch zusätzliche alternative Behandlungen geprägt war, sodass es mir schwerfiel, noch die Orientierung zu behalten. An vielen Wochenenden besuchte sie parallel zu unserer Therapie die verschiedensten Angebote, die dem physiotherapeutischen, alternativmedizinischen, heilpraktischen, esoterischen, philosophischen, religiösen oder spirituellen Bereich zuzuordnen waren. Sie schien nichts auszulassen. Während ich mich bemühte, eine – wie ich dachte – auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende traumatherapeutische Behandlung zu realisieren, brachte sie die Erfahrungen aus davon weit entfernten Methoden und Vorgehensweisen ein. Ich lernte viel in dieser Therapie, ich lernte über Schwitzhütten, Erdverbundenheit, Energieströme, Steine, Astrologie, Urkräfte, Ahnen, Karma, Losgelöstsein, allumfassende Verbundenheit und vieles mehr. Zum Teil konnten wir die Erfahrungen der Patientin direkt als Ressourcen in die Behandlung einbinden. Zum Teil musste ich sie wieder stabilisieren, da sie durch eines der Wochenenden stark irritiert war und mit einem deutlichen Symptomanstieg reagiert hatte. Ich wollte die Erfahrungen der Patientin aus diesen vielen Methoden in unsere Behandlung einbinden, anstatt sie auszuschließen. Es war sehr interessant, verschiedene Aspekte dieser alternativen Methoden direkt für unseren Behandlungsplan zu nutzen. Was genau zu dem positiven Therapieverlauf und am Ende der Therapie zu einer Heilung ihrer Traumafolgestörung geführt hatte, war mir jedoch völlig unklar.

Ich begegnete über meine Berufsjahre hinweg noch weiteren alternativen Heilmethoden, die von Patienten zur Behandlung von Traumafolgestörungen herangezogen werden. Homöopathische Behandlungen kamen ebenso dazu wie die zusätzliche Verwendung psychoaktiver Substanzen. Manchmal fragte ich mich, ob Psychotherapie überhaupt die Methode der Wahl ist. Bessel van der Kolk berichtet aus der Zeit nach den Angriffen auf das World Trade Center ein interessantes Phänomen (van der Kolk 2017, S. 275). Ein Expertenforum, bestehend aus Vertretern verschiedener wissenschaftlich angesehener Institutionen, sollte Empfehlungen für eine bestmögliche Behandlung der beim Angriff traumatisierten Überlebenden aussprechen. Die Entscheidung fiel eher berufspolitisch aus und nannte ausschließlich zwei Verfahren: eine psychoanalytisch orientierte und eine kognitiv-behaviorale Behandlung. Erstere, da New York die psychoanalytische Hochburg in den USA ist, und letztere, da die kognitive Verhaltenstherapie wissenschaftlich fundiert ist. Überraschend war jedoch, an wen sich letztlich die Überlebenden gewendet haben, um ihre Traumafolgestörungen zu überwinden. Dazu wurde ein Jahr später eine Befragung durchgeführt. Die 225 befragten Personen antworteten auf die Frage, was ihnen am meisten geholfen habe, (in der Reihenfolge der Häufigkeit) Akupunktur, Massage, Yoga und EMDR.

Eine Orientierung in der unüberschaubaren Landschaft der Behandlungsmethoden von Traumafolgestörungen ist ein sehr ambitioniertes Unterfangen. Die gute Nachricht besteht darin, dass es in den letzten Jahrzehnten zu einem enormen Wissenszuwachs gekommen ist und dass Methoden zur Behandlung dieser Störung als sehr gut untersucht angesehen werden können. Als ebenfalls sehr erfreulich einzuschätzen ist die zunehmende Einbeziehung alternativer und bisher wenig beforschter Methoden. Diese wichtigen Erkenntnisse können wir in der praktischen Tätigkeit nutzen und sie unseren Patientinnen zugutekommen lassen. Doch hier beginnen auch schon die Schwierigkeiten. Welche Methoden werden von wem mit welchen Patienten unter welchen Umständen und in welchem Kontext untersucht? Wer ist in der Lage, derartige Untersuchungen zu veranlassen, zu finanzieren und durchzuführen? Welche Impulse werden von wem aufgegriffen und finden in welcher Form Eingang in die »Forschungswelt«?

Die schlechte Nachricht ist, dass wir immer noch keine gemeinsame Sprache gefunden haben in unseren Bemühungen um eine wirksame, schonende und nachhaltige Behandlung von Traumafolgestörungen. Allein Abschnitt 2.5 wird viele Reaktionen auslösen. Die Vertreterinnen der einen Perspektive werden sich bestätigt fühlen und zustimmen, während Vertreter einer anderen Methode möglicherweise verärgert sind oder sich abwenden. Erwähne ich das eine Konzept, fragen Sie sich eventuell, warum ich das andere nicht nenne. Beziehe ich mich auf ein weiteres, fragen Sie sich, ob ich vielleicht das nächste nicht verstanden habe oder gar nicht kenne. Neben den Bemühungen um unsere Patientinnen existiert auch ein Bedürfnis, recht zu haben, es richtig verstanden zu haben. Der Diskurs ist der Motor für die Entwicklung, aber er hat Nebenwirkungen, die uns das Leben schwer machen. Letztlich gibt es auch ein Bedürfnis nach Anerkennung, sowohl der persönlich entwickelten Methode als auch der eigenen Person. Klaus Grawe würde dies dem psychischen Grundbedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz zuordnen (Grawe 2004, S. 186).

Eine weitere schlechte Nachricht ist der Stress, den viele Therapeutinnen und Therapeuten in ihrer praktischen Arbeit bezüglich der Auswahl der Indikationen und der Entwicklung eines Behandlungsplanes erleben. Der Indikationsstress nimmt einen großen Raum in den Supervisionen ein, die ich seit vielen Jahren durchführe. Einerseits haben wir die komfortable Situation, über viele wirksame Methoden in der Behandlung von Traumafolgestörungen zu verfügen. Andererseits finden wir konkurrierende Ansätze und Vorgehensweisen, die die Arbeit erschweren können. Möglicherweise fällt es nicht leicht, sich auf ein Vorgehen einzulassen bzw. Kombinationen zu entwickeln oder Interventionen zu integrieren. Das Angebot scheint groß und kaum überschaubar. Der Begriff Parallelwelten ist hier nicht übertrieben.

Ego-State-Therapie bei Traumafolgestörungen

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