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Einleitung

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Die Globalisierung ist auf dem Markt der Ideen in der Gegenwart nahezu konkurrenzlos. Wie kein anderes Phänomen prägt sie unser Denken und stiftet eine die gesamte Menschheit verbindende Vision der Gleichzeitigkeit, der Verbundenheit und sogar der Gemeinsamkeit. Jenseits des Horizonts der Globalisierung warten nur noch die Sterne, über die wir noch keine sozialwissenschaftlichen Aussagen tätigen können. Diesseits der Globalisierung hingegen gibt es keine echten Fortschrittsvisionen, denn alle anderen sozialen Formationen – von der Familie über das Dorf bis zum Nationalstaat – gibt es ja bereits. Die Lokalisierung ist zwar irgendwie der Gegenpol zur Globalisierung, besitzt aber keinerlei echte Bedeutung als Fortschrittsidee für die Menschheit. Die Globalisierung entfaltet damit eine einzigartige geistige Anziehungskraft, obwohl sie noch unvollendet und in die Zukunft gedacht erscheint, was auch erklärt, warum sie zugleich ein politischer Kampfbegriff geworden ist. Zwischen Globalisierungsbefürwortern und -gegnern tun sich politische Gräben auf. Nach der Euphorie um Globalisierung kam die Ernüchterung und mit ihr wuchs die Gegnerschaft. Vision, Schimäre, Chamäleon – all das ist die Globalisierung.

Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten

Der Begriff Globalisierung ist aus solchen Gründen in den letzten Jahrzehnten auch eines der bedeutsamsten Erklärungsmodelle der Wissenschaft mit erheblicher gesellschaftlicher Relevanz geworden. Er verweist auf nichts Geringeres als auf eine prinzipielle Neuordnung politischer, ökonomischer und sozialer Beziehungen mit Blick auf die Beseitigung oder Überwindung der bisherigen staatlichen und kulturell-sprachlichen Grenzen. Trotz dieses weitgehend geteilten alltagstheoretischen Verständnisses von Globalisierung kann von einer eindeutigen Definition des Begriffs auch im engeren wissenschaftlichen Diskurs allerdings nicht die Rede sein.

Das Konzept der Globalisierung, wie es in diesem Buch verwendet wird, bedeutet nicht einfach „Universalität“, die Vorstellung also, dass Menschen heute weltweit in ähnlichen Formen der (technischen usw.) Moderne leben, die sich auf mysteriöse Weise über den Erdball ausgebreitet hat. Globalisierung wird vielmehr explizit als „Konnektivität“ verstanden (Axford 2013, S.22). Es geht dabei um die Frage, wie Medien, Systeme und Lebensweltakteure mit vielfältigen Arten der menschlichen Kommunikation Grenzen überschreiten und ob und wie diese kommunikative Weltentgrenzung mit neuen Formen einer integrativen Welt- und Wissensgemeinschaft und -gesellschaft zusammenhängt.

Die Globalisierung ist gewissermaßen ein Mythos im umfassenden Wortsinn geblieben – nicht, weil sie gar nicht realisiert worden wäre, sondern weil die mit ihr verbundenen Phänomene ambivalent bleiben. Rückschläge der und Gegentendenzen zur Globalisierung lassen sich allenthalben erkennen. Der deutsche Soziologe Richard Münch hat die Herausforderungen der Globalisierung klar benannt. Er geht davon aus, dass die wachsende Interdependenz zwischen den Staaten von den nationalen Bevölkerungen vielfach keineswegs unmittelbar nachvollzogen wird, sondern dass sich politische, ökonomische und gesellschaftliche Eliten in einer Vermittlerrolle befinden, aus der heraus sie den Nationalstaat nach außen öffnen, während sie zugleich nach innen um Vertrauen für diese Politik werben müssen (1998, S.350ff.). Münch spricht von einer Spaltung zwischen der „Avantgarde“ einer „global denkenden Modernisierungselite und eine(r) umso heftiger auf nationale Solidarität pochende(n) Masse“ (ebenda, S.352). Eine weltbürgerliche Gemeinschaft zu schaffen, hält er für eine zentrale Gegenwartsaufgabe.

Trotz eines gewissen Unbehagens an den Konzepten der „Elite“ und der „Masse“ erinnert Münchs Analyse an frühere Unterscheidungen wie die von Richard K. Merton zwischen „Kosmopoliten“ (cosmopolitans) und „Einheimischen“ (locals) (1968, S.441ff.) oder an den Begriff der „Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten“ von Kai Hafez (2009a, S.14ff.). Die Ungleichzeitigkeit der Globalisierung betrifft nicht nur soziale Gruppen, sondern auch organisierte Sozialsysteme, zum Beispiel die Massenmedien, die in den vergangenen Jahrzehnten eine „tektonische Verschiebung“ erlebt haben, weil technische und ökonomische Aspekte der Medienglobalisierung vielfach schneller vorangeschritten sind als inhaltliche und weil im angeblichen Zeitalter der Globalisierung weder mehr noch vielfältiger über die Welt berichtet wird als zuvor (Hafez 1999). Im Gegenteil: Die Ressourcen des Auslandsjournalismus sind knapper geworden, was folglich dazu beiträgt, dass strukturelle politische und ökonomische Interdependenzen zwischen Staaten wachsen, ohne dass das dialogische und diskursive Verständnis der Gesellschaften automatisch mitwächst, was wiederum innen- und außenpolitische Feindbilder und Konflikte anheizt (ebenda, vgl. a. Stone/Rizova 2014).

Ähnlich uneinheitlich verläuft auch die innere Entwicklung der vorgeblichen globalen Eliten. Selbst der liberale Gesellschaftsteil denkt und agiert vielfach alles andere als kosmopolitisch und bleibt tief verwurzelt in nationalem Habitus (Müller 2019a, 2019b). Die politischen und wirtschaftlichen Systeme tragen in ihrer ambivalenten Haltung gegenüber der Globalisierung zur Globalisierungsfeindlichkeit manch politischer Strömungen bei, wenngleich ihr Globalisierungstempo insgesamt ein höheres sein mag als das der Lebenswelten der Bevölkerungen. Zumindest erscheint die „Globalisierung des Alltags“ von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften bei genauerem Hinsehen wenn auch heterogen dennoch träger als die von Politik und Wirtschaft zu sein. Trotz zahlreicher „globaler Injektionen“ durch Waren, Massenmedien und punktuelle globale Mobilität in den Privatwelten von Menschen sind diese doch nach wie vor stark lokal geprägt. Die „Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten“, die „Kluft zwischen Avantgarde und Massen“, die „tektonische Verschiebung“ der „Ambivalenzen“: All dies sind mehr oder weniger treffende Bilder für die heterogene Stellung von Systemen und Lebenswelten im Prozess der Globalisierung.

Die Renaissance rechtsradikaler Politik weltweit mit ihren Symptomen wie der Wahl Donald Trumps in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem „Brexit“ in Großbritannien und rechtspopulistischen Regierungen in so unterschiedlichen Ländern wie Ungarn, Polen, Brasilien oder Indien – vom Islamismus ganz zu schweigen – ist als anti-globalistische Revolte zu deuten. Spätestens der Rechtspopulismus in Regierungsverantwortung beweist, wie wenig die Gesellschaften der Welt auf die Globalisierung eingestimmt sind und dass Vieles im Bereich der Internationalisierung in den letzten Jahrzehnten eher oberflächliche und kulturell unverdaute Warenzirkulation geblieben ist.

Selbst eine weltumspannende und – man könnte meinen verbindende – Pandemie wie die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 seit Beginn des Jahres 2020 verläuft nicht ohne globale Wahrnehmungsdiskrepanzen. Die Perzeption der globalen Pandemie scheint abhängig davon zu sein, wie lokal über sie kommuniziert wird. Keineswegs erzeugen diese medialen und öffentlichen Konstruktionen auf Knopfdruck globale Solidaritätsnarrationen, sondern es werden ebenso lokal existierende Länderklischees aufgewärmt, rassistische Reaktionen verstärkt und eine Deutung der Globalisierung als Hochrisikoangelegenheit bemüht. Die Überbetonung des Negativen in der Ferne ist dabei keineswegs neu oder besonders, sondern eine bekannte Begleiterscheinung der globalen Moderne. Die „Ferne“ ist in ihrer und durch ihre kommunikative Vermittlung noch nicht hinreichend nah gerückt.

Medien, Systeme und Lebenswelten in der globalen Kommunikation

In der zeitgenössischen Diskussion gibt es zahlreiche Versuche einer Ursachenanalyse für den populistischen Rückschlag: Rassismus und kulturelle Überforderung, soziale Deprivation oder eine Kombination aus beiden Faktoren (Geiselberger 2017). Bislang existiert allerdings kein Ansatz, der die Verantwortung bei kommunikativen Defiziten sucht, also im Bereich der von Münch als notwendig beschriebenen „Vermittlungsleistungen“. Die Vorstellung aber, man könne globale Kommunikation quasi als feste Variable voraussetzen, während alle anderen Motive des globalen sozialen Handelns schwanken, ist grundfalsch. Weltweite Konnektivität ist ebenfalls ein heterogenes Phänomen, dessen Bilanz sich dieses Buch widmet.

Bis zum heutigen Tag beschäftigt sich kein Werk wirklich umfassend mit den grenzüberschreitenden Kommunikationsprozessen innerhalb wie auch zwischen den sozialen Systemen und Lebenswelten dieser Welt. Dabei erscheint es recht offensichtlich, dass die organisierten Systeme der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, dass also Staat, Unternehmen, Verbände und soziale Bewegungen, über bessere Voraussetzungen zur globalen Kommunikation verfügen als viele Bürgerinnen und Bürger. Bei der globalen Kommunikation geht es um den Umgang mit räumlicher Distanz und um grenzüberschreitende Kontakte. Mit hoher Intensität und Nachhaltigkeit zu interagieren und sprachübergreifend lokale Diskurse in anderen Erdteilen zu verfolgen, kann ein aufwendiges Unterfangen sein, für das viele Organisationen und die globale Avantgarde der Zivilgesellschaft trotz Massentourismus und kultureller Austauschprogramme besser ausgestattet sind als die meisten Privatpersonen. Zieht man zudem die Wohlstandskluft zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern in Betracht, so wird deutlich, dass globaler Tourismus überhaupt nur einem kleinen Teil der Menschheit möglich ist. Statistisch gesehen ändert auch die Migration an diesem Sachverhalt wenig, denn weltweit leben lediglich etwa 3Prozent der Menschen außerhalb des Landes, in dem sie geboren wurden (IOM UN Migration 2018, S.18). Auf der anderen Seite zeigen globale soziale Bewegungen und internationale Netzgemeinschaften in welch faszinierendem Tempo zumindest ein Teil der Bevölkerungen globale Distanzen kommunikativ überwinden kann. Globales „Fremdverstehen“ und eine „globale Bürgergesellschaft“ sind keine Fantastereien mehr – das macht sie aber trotzdem noch nicht zu einer allumfassenden Realität.

Einen theoretischen wie empirischen Überblick über die disparaten Leistungen und Defizite der globalen Kommunikation zu verschaffen, ist die Intention dieses Buches. Dabei scheint die grundlegende Kapitelgliederung des Werkes nach sozialen Akteuren (Massenmedien, Staat, Unternehmen, Zivilgesellschaft, Großgemeinschaft, Kleingruppe und Individuum) statt nach Kommunikationsprozessen (wie Interaktion, Diskurs, Beobachtung) für eine Studie über globale Kommunikation erklärungsbedürftig zu sein. Zunächst einmal ist ersichtlich, dass Kommunikationsprozesse kopräsent sind, da sie die interne Gliederung der einzelnen Kapitel prägen. Die tiefere Ursache für den Hauptaufbau liegt aber in einer Herangehensweise begründet, die man als Mittelweg zwischen strukturalistischer und konstruktivistischer Betrachtungsweise bezeichnen kann. Im Rahmen der theoretischen Einführung wird ein System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz vorgestellt, der davon ausgeht, dass Kommunikation kein frei flottierendes Epiphänomen ist, sondern nur verstanden werden kann, wenn die Kommunikatoren in ihren jeweils spezifischen Voraussetzungen und Fähigkeiten reflektiert werden.

Die Autoren dieses Buches schließen sich der Ansicht an, dass in der heutigen Globalisierungsforschung ein „Mangel an akteurs- und praxiszentrieren Studien“ besteht (Schmitt/Vonderau 2014, S.11) und dass das handelnde Subjekt wieder in die Analyse einbezogen werden muss, um zu einer überzeugenden Theoretisierung zu gelangen (Hay/Marsh 2000, S.13). Um ein Beispiel zu nennen: Ein egozentriertes globales Netzwerk eines Individuums ist etwas ganz Anderes als ein Unternehmensnetzwerk, was den prominenten Begriff der globalen „Vernetzung“ (u.a. Castells 2001) nur dann sinnvoll erscheinen lässt, wenn man die konkrete sozialtheoretische Verwendung mitdenkt. Globale Kommunikation wird also erst durch die Verbindung von kommunikationswissenschaftlichen Prozesstheorien mit sozialwissenschaftlichen Strukturtheorien verständlich. Im vorliegenden Werk werden auf der Prozessebene unter anderem Diskurs-, Interaktions-, Organisationskommunikations- und Diffusionstheorie sowie Ansätze der Inter-/Intra-Gruppen- sowie der interpersonalen Kommunikation und der Stereotypentheorie verwendet. Auf der Strukturebene kommen Theoreme der Mediensystemforschung und der Öffentlichkeitstheorie, der allgemeinen System-, Organisations- und Zivilgesellschafstheorie sowie der Lebenswelt- und Handlungstheorie zum Zuge. Da derzeit keine einheitliche Globalisierungstheorie zur Verfügung steht, haben wir uns bemüht, die unterschiedlichen Ansätze in der modularen Theoriebildung in einen möglichst stringenten Analyserahmen zu fügen, der die globale Kommunikation als Gesamtphänomen erklärt.

Trotz der Breite des Überblicks über verschiedene Teile der Gesellschaft müssen auch einige Leerstellen dieses Buches benannt werden, weil bestimmte Bereiche nicht einbezogen worden sind. Zum Beispiel sind weder dem globalen Wissenschaftssystem noch dem Kunst- und Kultursektor im engeren Sinne eigene Kapitel gewidmet worden. Bei den tatsächlich untersuchten Sozialsystemen sind im Bereich der Politik der Staat und nicht Parteien und Verbände, in der Wirtschaft die transnationalen Unternehmen und nicht der Handel und bei der Zivilgesellschaft NGOs und soziale Bewegungen, nicht aber Vereine und Verbände einbezogen worden. Die Darstellung der Großgemeinschaften beschränkt sich auf Netzgemeinschaften und bei der Reflexion der Kleingruppe ist ebenfalls nicht jeder einzelne Typus berücksichtigt worden. Dennoch wollen wir behaupten, dass das vorliegende Handbuch einen systematischen Überblick über die meisten zentralen Felder der globalen Kommunikation bietet, von den Massenmedien über organisierte Handlungssysteme bis hin zu wesentlichen Bereichen der Lebenswelten, und sie vielleicht erstmals in eine Gesamtschau fügt. Diese Arbeit betrachtet sich dennoch als Teil eines langfristigen Projekts im Bereich der kommunikationsorientierten Globalisierungsforschung, dem weitere Analysen folgen sollten.

Phasen der Globalisierungsforschung

Globalisierung, verstanden als Lehre der nationalen Grenzüberschreitung, ist einer der bedeutsamsten wissenschaftlichen Referenzbegriffe, der im 21.Jahrhundert allerdings in eine konzeptionelle Krise geraten ist. Der „seltsame Tod der ‚Globalisierung‘“ (Rosenberg 2005) hinterließ nicht wenige Protagonisten der Globalisierungsdebatte annähernd ratlos. Wie kam es zu dem raschen Niedergang des vielleicht schillerndsten wissenschaftlichen Paradigmas der Gegenwart? Ein Grund bestand sicher darin, dass der frühe „Hyperglobalismus“ von Autoren wie Anthony Giddens (2000), Ulrich Beck (1997), David Held und Anthony McGrew (2000, 2002) oder Manuel Castells (2001), der von der Globalisierung als einem geradezu allmächtigen Phänomen ausging, einfach zu vermessen gewesen war, um empirisch haltbar zu sein. Das Ende des Nationalstaates, die Transnationalisierung der Wirtschaft und die komplette Deterritorialisierung sozialer Beziehungen waren als Visionen zu weitgehend und zu anspruchsvoll, um realisierbar zu sein.

Gegen diesen ausufernden Normativismus formierte sich alsbald eine skeptische „zweite Welle“ der Globalisierungsforschung, die, wie es sich für einen ordentlichen Revisionismus gehört, die Grundannahmen des Feldes auf den Kopf stellte (Martell 2007). Aus Sicht der Kritiker wie Paul Hirst und Graham Thompson (1999), Colin Hay und David Marsh (2000), Terry Flew (2007) oder Kai Hafez (2005) war der Nationalstaat äußerst vital, die wirtschaftliche Globalisierung von begrenzter Tragweite und insbesondere die Vorstellung einer medial-kommunikativen Komplettvernetzung der Welt in weiten Teilen ein Mythos.

Es gibt jedoch Gründe dafür, warum auch das „Post Mortem“ (Rosenberg 2005) auf den Globalisierungsansatz ebenso verfrüht zu sein scheint wie der einstige Hyperglobalismus und wir uns mittlerweile in einer realistischeren „dritten Welle“ der Globalisierungstheorie befinden (Martell 2007). Absurderweise sind es gerade die einstigen Schwächen der Globalisierungsforschung, die nun für ihr Überleben sorgen. Globalisierung ist nämlich eigentlich immer ein Schlagwort geblieben, das zwar ein neues Raumkonzept für die Wissenschaft heraufbeschworen hat, dabei aber nie eine kohärente sozialwissenschaftliche Theorie geworden ist. Wenn eher klassische Ansätze wie der Neo-Institutionalismus, der Funktionalismus oder auch die Akteur-Netzwerk-Theorie heute so vital zu sein scheinen (vgl. Kap. 1.2), dann auch deshalb, weil die Globalisierungstheorie ihre Potenziale nie wirklich ausgeschöpft hat. Die Transformation älterer Konzepte der Sozialtheorie wie „Nation“, „Gesellschaft“, „Öffentlichkeit“, „Organisation“ oder „Gemeinschaft“ ist in der Globalisierungsdebatte selten überzeugend gelungen. Kernbegriffe der Diskussion wie „Transnationalisierung“, „Weltöffentlichkeit“, „Weltgesellschaft“, die „virtuelle Gemeinschaft“ oder das „globale Dorf“ (global village, McLuhan 1962) suggerieren eine einfache Deterritorialisierung bekannter Sozialkonzepte, ohne wirklich der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der raumlose Zustand die Dinge substanziell verändert. Was vormals „Gesellschaft“ war, ist global keine Gesellschaft mehr, ebenso wenig wie Öffentlichkeit oder Gemeinschaft noch nach bekannten Regeln funktionieren. Dies aber bedeutet nichts anderes als eine Überforderung der Wissenschaft, denn es verlangt nach einer Aufgabe der Kompartmentalisierung von akademischen Fächern und Theorien (Axford 2013, S.3) und nach einer Interdisziplinarität, die bis heute nicht eingelöst worden ist.

Eine der Hauptursachen für die Stagnation mag dabei sein, dass Kommunikationsprozesse von den bekannten Vordenkerinnen und Vordenkern nie wirklich konsequent berücksichtigt wurden. Die Kommunikationswissenschaft, die eigentlich eine zentrale Rolle in der Debatte spielen sollte, wurde von den in der Diskussion führenden Soziologen und Philosophen zu einer Hilfswissenschaft degradiert, deren Prozesslogiken vielfach unter nebulösen Begriffen wie „Vernetzung“ verborgen blieben. Bei Vordenkern wie Giddens oder Held wurde die Beschleunigung und Deterritorialisierung technikbasierter Kommunikation geradezu zur unhinterfragten Prämisse einer Forschung, die sich fortan nur Gedanken darüber machte, wann der Nationalstaat diesem Druck der grenzüberschreitenden Kommunikation zum Opfer fallen würde (Hafez 2005, S.83ff.). Die Marginalisierung der Kommunikationstheorie hat eine der drei großen Ressourcen der Theoriebildung – Macht, Kapital, Kommunikation – an den Rand gedrängt und den Primat der anderen beiden (und den ihrer wissenschaftlichen Disziplinen) für Jahrzehnte gesichert.

Über die Ursachen für diese Ausgrenzung der Kommunikationstheorie kann man nur spekulieren. Lag es an der „Technophilie“, an einer übertriebenen Faszination für neue digitale Möglichkeiten? Ähnlich wie bei früheren theoretischen Auseinandersetzungen zwischen Modernisierungs- und Dependenztheoretikern waren die digitale Technikfixierung und die Unterbewertung sozialer Kommunikation immer auch Ausdruck eines Eurozentrismus, weswegen es nicht verwunderlich ist, dass die Globalisierungsdebatte vor allem von den anglo-amerikanischen Ländern ausging – und auch von dort aus scheiterte. Bei all dem hat die Kommunikationswissenschaft sicherlich auch eine Form der Selbstmarginalisierung betrieben, weil in ihr heute umfassende Makrotheorien weniger bedeutsam erscheinen als Teiltheoreme der Medienforschung oder der interpersonalen Kommunikation. Ein Fach, das sich die Makrotheorie der Öffentlichkeitstheorie oder der Systemtheorie (Habermas, Luhmann u.a.) von anderen Sozial- und Geisteswissenschaften borgt oder ihre Reflexion gleich ganz vernachlässigt, darf sich über seine Randstellung bei großen Wissenschaftsfragen nicht beklagen.

Dass einer der beiden Autoren dieses Buches frühzeitig globalisierungsskeptische Positionen äußerte, soll nun allerdings nicht bedeuten, dass das folgende Werk einfach der zweiten Welle der Globalisierungsdebatte zuzuordnen wäre. Zwar fließen zahlreiche revisionistische Fakten und Argumente in die nachstehenden Ausführungen und vor allem in die empirische Bilanz des gegenwärtigen Ist-Zustandes der globalen Kommunikation ein. Zugleich wird aber versucht, auf der Basis einer fundierten Kommunikationstheorie das zu tun, was man eigentlich der „dritten Welle“ der Globalisierungsforschung zuschreibt. Diese geht zwar nicht mehr von einer generellen, alles durchdringenden und überformenden Globalisierung aus, erkennt aber globale „patterns of stratification across and within societies involving some becoming enmeshed and some marginalised“ (Martell 2007, S.189). Auf der Basis einer skeptisch-revisionistischen Sicht der Dinge werden also zugleich Transformationspotenziale aufgezeigt, die auf eine tatsächliche neue Qualität der Globalisierung hinweisen, deren Auswirkungen auf die Welt heute allerdings noch recht unklar sind. Dieses Buch ist daher als ein realistisch orientierter Versuch einzuschätzen, auf der „dritten Welle“ der Globalisierungsforschung zu „reiten“.

Grundlagen der globalen Kommunikation

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