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1.3 Spezifische Kommunikationsmodi (Systemverbindungen) von Systemen und Lebenswelten

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Globale Kommunikationsmodi der Akteure: ein Kontinuum

Fragen wir nun, welche Formen globaler Kommunikation für die Akteure typisch sind, so ist zunächst erkennbar, dass eigentlich alle Akteure im Feld eine Reihe von Kommunikationskanälen/-medien simultan verwenden, unter anderem

 Massenmedienkommunikation

 Face-to-Face-Kommunikation

 Versammlungs- und Gruppenkommunikation

 Interpersonale mediatisierte Kommunikation.

Bezeichnend ist allerdings, dass auf jeder dieser Ebenen die oben erörterte kommunikative Leitdifferenz zwischen Beobachtung und Interaktion/Dialog in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke vorliegt. Subsysteme und Individuen der Gesellschaften kommunizieren vielfältig, ihre Fähigkeiten zur Beobachtung wie auch zur Interaktion sind aber mehr oder weniger ausgeprägt, was das Kontinuum der Abbildung 1.2 zu veranschaulichen versucht.

Mit Hilfe des dargestellten Kontinuums lassen sich in Anlehnung an die kommunikativen Grundmodi nunmehr spezifische primäre und sekundäre Kommunikationsmodi der einzelnen Akteure globaler Kommunikation bestimmen, die im Fortgang des Kapitels genauer beschrieben werden. Massenmedien können gut beobachten, archivieren und systematisieren, sie gehören zu den zentralen Speichermedien kollektiver Erinnerung, sie pflegen aber monologische One-to-Many-Kommunikation und sind im Kern nicht-interaktiv, auch wenn einzelne Elemente der Massenmedienkommunikation (Rechercheinterviews, Talkshows) einen interaktiven Charakter haben, was allerdings als sekundärer Kommunikationsmodus einzustufen ist.

Abb. 1.2:

Akteursspezifische Kommunikationsmodi

Auf der anderen Seite des Kontinuums befinden sich Individuen und Kleingruppen, begrenzt auch Großgemeinschaften (vor allem in interaktiven Netzgemeinschaften), die gut im Interagieren und im Dialog sind, aber schlechter im Beobachten als organisierte Sozialsysteme, da ihnen die Ressourcen für organisierte Beobachtung fehlen. Sie sind allerdings prädestiniert für „echte“ Dialoge und gemeinsame Sinndeutungen im Zuge der Face-to-Face-Interaktion. Zum Beispiel sind auf internationalen Reisen die Möglichkeiten der direkten Beobachtung begrenzt: Das Expertenwissen über das Land, das eine Person bereist, ist weitgehend nur mit Hilfe der anderen Sozialsysteme abrufbar, die etwa systematisiertes Wissen über die Region in Medien und Büchern zur Verfügung stellen. Die Möglichkeiten der direkten Interaktion sind hingegen ohne große Transaktionskosten gegeben, sieht man einmal von Sprachhürden ab, und einfacher zu realisieren als in den die Beobachtung ermöglichenden Sozialsystemen wie den Massenmedien, in denen Interaktion bestenfalls vor Abfassung eines journalistischen Textes als Prozesselement vorhanden ist, dann aber durch die klare Produzenten-Rezipienten-Beziehung einer monologischen Kommunikationsform weicht.

Andere organisierte Sozialsysteme wie die Politik, Wirtschaft oder NGOs/soziale Bewegungen zeichnen sich durch hohe Hybridität mit Blick auf die Grundmodi der Kommunikation aus, da sie einerseits über ähnlich hohe Ressourcen und Kompetenzen der Weltbeobachtung verfügen wie die Massenmedien. Nicht umsonst ähnelt sich der strukturelle Aufbau des diplomatischen Botschafter- und des journalistischen Korrespondentenwesens. Beide Institutionen dienen der globalen Informationsbeschaffung. Auch internationale NGOs (INGOs) wie Amnesty International fertigen weltweit Berichte (z.B. über die Situation der Menschenrechte) an. Andererseits pflegen diese Sozialsysteme als dezidierte Handlungssysteme, die nicht nur beobachten, sondern gestalten, direkte grenzüberschreitende Interaktion (Diplomatie, Außenwirtschaftskommunikation, Unternehmens- und Organisationskommunikation in TNCs und INGOs).

Globale Interaktivität jenseits der Massenmedien?

Insgesamt lässt sich festhalten, dass Beobachtung und Interaktion bei allen Akteuren in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen, was jeweils auf spezifische Funktionen und Zielsetzungen der Akteure zurückzuführen ist. Es versteht sich von selbst, dass die Aufzählung der Systeme nicht vollständig ist und durchaus erweiterbar, etwa um das Subsystem der Wissenschaft mit ihrer ganz eigenen Mischung aus globalen Diskursen und Interaktionen. Die vielfältigen Wechselwirkungen von Individuen und Sozialsystemen, die jeweils „Umwelten“ füreinander darstellen, werden Gegenstand eines weiteren Schrittes der Theoriebildung der Interdependenz sein und keineswegs unterschlagen (vgl. Kap. 1.4). Zunächst lässt sich jedoch folgende Arbeitshypothese formulieren: Wenn wir heute von globaler Gemeinschaftsbildung (Weltgemeinschaftlichkeit) sprechen, dann weniger von den Massenmedien, deren primäre Aufgabe es ist, diskursive Weltöffentlichkeit herzustellen, als von anderen interaktiven Sozialsystemen sowie von den Individuen und ihren Lebenswelten, in denen prinzipiell interaktive Gemeinschaftlichkeit zum Tragen kommen kann.

Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass der Hauptgegenstand der Globalisierungsforschung bislang die Diskursanalyse in Form der Öffentlichkeits- und Medienkommunikation gewesen ist, während die Interaktionsanalyse vor allem im Bereich der nicht-öffentlichen Kommunikation bei Systemen wie auch Lebenswelten nur selten im Fokus theoretischer wie auch empirischer Betrachtungen gestanden hat. Die grundlegende Frage, ob soziale Interaktion im Prozess der Globalisierung eigentlich ebenso „mitwandern“ kann wie diskursive Kommunikation, bleibt daher unbeantwortet. Damit ist auch die Gemeinschaftsdimension bislang vollständig vernachlässigt worden. Eine umfassende Globalisierungsbilanz muss allerdings alle Bereiche der Kommunikation im Blick behalten.

Synchronisation der Weltöffentlichkeit: das Problem der Massenmedien

Wie lassen sich nun die globalen Kommunikationsprozesse der drei wesentlichen Akteurstypen beziehungsweise -dimensionen – Massenmedien, organisierte Sozialsysteme und Lebenswelten – genauer beschreiben? Die Hauptaufgabe der Massenmedien besteht in der Herstellung nicht-interaktiver Diskurse. Natürlich gibt es Ausnahmen: Talkshows, Medienblogs usw., aber die zentrale Funktion bleiben Themenstrukturierung und Diskursorganisation, sonst würde der Journalismus zu Public/Civic Journalism mutieren, also zu von Bürgern (mit-)gestalteten Medien (Rosen 1999, Merritt 1998), was eher sozialen Medien und Netzgemeinschaften vorbehalten ist (Forster 2006). Zudem hat Tanjev Schultz am Beispiel Deutschlands zu Recht festgestellt, dass große Talkshows mit spezifisch globalen Thematiken einen verschwindend geringen Anteil der Medienproduktion ausmachen, so dass interaktive Formate auch im Rahmen der Auslandsberichterstattung eine untergeordnete Größe darstellen (2006, S.169). Die Herstellung von Texten funktioniert bei Massenmedien weniger dialogisch als diskursiv durch eine begrenzte Auswahl von gesellschaftlichen Aussagen, die zum Teil, aber nicht durchgehend, in Beziehung gesetzt werden. Dies ist auch nicht anders möglich, da eine bloße Wiedergabe des Gesprächs von Milliarden von Menschen auf dieser Welt eine unüberschaubare Kakophonie produzieren würde, so dass sogenanntes „Gatekeeping“ und Selektivität zu den Grundprinzipien redaktionellen Arbeitens gehören. In den Medien reden nicht alle miteinander, sondern wenige beobachten viele und kommunizieren mittels und über Texte.

Bei der Herstellung der Diskurse funktionieren die Massenmedien – zumindest unter demokratischen Rahmenbedingungen – nach autonomen Programmierungen, die eine Kombination aus medienethischen Grundsätzen und Verlagsprogrammen oder Programmaufträgen sind. Im Falle der Medien variieren die Funktionszuschreibungen je nachdem, ob zum Beispiel eher demokratietheoretische Ziele (z.B. deliberative, rationale Öffentlichkeit) oder funktionalistische Bezüge (z.B. Themenstrukturierung, auch durch Unterhaltung) zugrunde gelegt werden (Hafez 2010). Die Hauptaufgabe der Medien ist es, in Anlehnung an Niklas Luhmann, eine Differenz zwischen sich selbst und ihrer Umwelt zu erzeugen, die man als die ureigene Funktion eines Systems beschreiben kann (Hafez 2002a, Bd.1, S.124ff.). Die Autonomie der Massenmedien lässt sie spontan als geschlossene Systeme erscheinen, die selbstbestimmt die Welt beobachten. Als Theorie der Massenmedien ist daher auch weniger die Organisations- als vielmehr die Text- und Diskurstheorie bedeutsam, denn die Textproduktion ist ja der finale Sinn eines Beobachtungssystems. Handlungssysteme wie die Politik werden letztlich zwar auch an ihren Texten – zum Beispiel an der politischen Rhetorik oder an Verträgen – gemessen, wichtiger jedoch ist ihr kommunikatives und strategisches Handeln, denn dieses hat nahezu unausweichlich gesellschaftliche Konsequenzen.

Natürlich bedeutet Autonomie im Falle der Massenmedien dennoch nicht Autarkie, denn Medien werden auf Mikro-, Meso- und Makroebenen und vom politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umfeld beeinflusst (Hafez 2002a). Sie sind in komplexe Umwelteinflüsse eingebettet und existieren in Relation zu ihrer Umwelt in einem „Fließgleichgewicht“ (Kunczik 1984, S.205ff., 212ff., Hafez 2002a, Bd.1, S.124ff.), das sie immer wieder auch zu Anpassungen zwingt, wie noch zu erörtern sein wird (vgl. Kap. 1.4). Zunächst einmal geht es in diesem Teilkapitel aber um die Autonomiefunktion der Medien.

Wenn autonome Beobachtung der primäre Modus der Massenmedien ist, dann steht im globalen Maßstab die Frage nach der „Synchronisation“ ihrer Beobachtungsleistungen im Vordergrund. Die Transnationalisierung des Mediensystems muss der ultimative Ausdruck einer rationalen und auf Koorientierung der Bürger dieser Welt abzielenden Qualität der Weltöffentlichkeit sein, denen Weltwissen zur Verfügung gestellt werden soll. Die Luhmann’sche Differenzidee autonomer Systeme bezog sich eigentlich immer nur auf andere Sozialsysteme, nicht aber auf andere Medien anderer Länder. Die Massenmedien müssen unabhängig von der Politik und der Wirtschaft sein; sie müssen aber nicht notwendigerweise zu anderen Erkenntnissen kommen als Medien im Ausland. Im Prinzip scheint es durchaus sinnvoll zu sein, die Welt so zu sehen, wie andere Menschen in der Welt und deren Medien sie auch sehen – der rationale Abgleich aller sinnvollen Frames und Diskurse ist geradezu das Signum der auf intime Weltkenntnis verweisenden These vom „globalen Dorf“. Im Sinne der ursprünglichen ersten Welle der Globalisierungstheorie und der radikalen Idee einer Weltöffentlichkeit (global public sphere) muss man die Massenmedien dieser Welt sogar prinzipiell als ein einziges System betrachten können, das nicht mehr an nationalen Grenzen Halt macht.

Hier nun allerdings liegt das Hauptproblem der globalen Medienkommunikation. Ist sie zu einer hohen Synchronisierung und einer starken Globalisierung in der Lage? Eine Reihe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, unter anderem einer der Autoren dieses Buches, haben in der zweiten Welle der Globalisierungsforschung in Frage gestellt, dass eine Homogenisierung der Diskurse auf Grund einer optimierten Beobachtungsleistung durch die Massenmedien erfolgt, da sowohl die Aufmerksamkeit für Themen als auch die Art der journalistischen Aufbereitung selbst bei identischen Ereignissen in den einzelnen nationalen Mediensystemen oft grundlegend unterschiedlich sind, wie wir in diesem Buch noch eingehender untersuchen werden. Vielmehr betonen sie die vorherrschende Domestizierung der Auslandsberichterstattung(en) dieser Welt (Hafez 2002a, Bd.1, S.24ff., 2005, Flew 2007, Stanton 2007, Ulrich 2016, vgl. a. Williams 2011, S.21ff.). Im Kontrast dazu gibt es auch Werke, die die Synchronität durch mediale Grenzüberschreitung hervorheben (Volkmer 2014, Fraser 2014).

Lokal-globale Mehrebenen-Medienöffentlichkeit(en)

Um nicht in unproduktiven Dogmatismus zwischen konträren Schulen zu verfallen, kann man versuchen, ein transformatives Konzept lokal-globaler Öffentlichkeit(en) zu etablieren. Der primäre Bezug bleibt hier die nationale Auslandsberichterstattung mit ihrer Tendenz zur Domestizierung. Allerdings findet auch in der nationalen Auslandsberichterstattung ein gewisser – wenn auch begrenzter – Abgleich mit globalen Diskursen statt; ein Effekt, der andernorts als Tip-of-the-Iceberg-Phänomen beschrieben worden ist (Hafez 2011, S.484) und der noch immer recht weit entfernt ist vom Ideal einer völligen Synchronisierung aller Diskurse, Themen und Frames, wie sie in einer durch transnationale Medien geprägten Welt realisiert wäre (Splichal 2012, S.149, Wessler et al. 2008, S.15f.).

Zudem kann in homogenen Sprachräumen eine erste Form der grenzüberschreitenden Transnationalisierung von Produktionskontexten erfolgen (z.B. lange Jahre Al-Jazeera in der arabischen Welt). Zuletzt ermöglichen technische Zugriffe auf ausländische und fremdsprachliche Medien vor allem einer multilingualen Informationselite unter den Verbrauchern einen komparativen Zugriff auf unterschiedliche nationale Mediensysteme, was das Simulationsproblem zwar auf der Produktionsebene bestehen lässt, es aber auf der Rezipientenebene löst (vgl. Abbildung 1.3). Wir werden im Kapitel über die Massenmedien (Kap. 2) auf die verschiedenen Ebenen der globalen Massenkommunikation eingehen, um sinnvolle Antworten auf die Frage nach der Synchronität der globalen Medienbeobachtung zu finden.

Abb. 1.3:

Lokal-Globale Mehrebenen-Medienöffentlichkeit(en)

Globale Organisationskommunikation zwischen Diskurs und Interaktion

Kommunikationsprozesse in anderen organisierten und nicht-organisierten Sozialsystemen müssen auch mit anderen spezifischen Theorien untersucht werden als die Medien. Mit der Vielfalt der Akteure wachsen auch die theoretischen Herausforderungen, denn eine einheitliche Theorie für deren kommunikatives Handeln gibt es nicht. Grundsätzlich gilt, dass mit der Verlagerung vom Beobachtungssystem der Massenmedien zu den organisierten Handlungssystemen (Politik, Wirtschaft usw.) eine Akzentverschiebung von der Diskurs- zur Organisationsanalyse einhergeht. Eine der Herausforderungen für die Forschung besteht darin, dass ein großer Teil der Kommunikationsprozesse dieser Sozialsysteme nicht öffentlich sichtbar und auch für die Forschenden selbst schwer zugänglich ist. Um nicht-mediatisierte Kommunikation verstehen zu können, bedarf es eines guten Verständnisses der Organisationsstrukturen und der mit ihnen verbundenen typischen Kommunikationsprozesse. In Anlehnung an die Organisationssoziologie lassen sich einige „Kommunikationsstrukturen“ erkennen (u.a. Endruweit 2004, S.178ff.), die gleichermaßen auf alle organisierten Sozialsysteme zutreffen, wobei allerdings, wie wir sehen werden, an verschiedenen Stellen Ergänzungen aus anderen Theorierichtungen wie der Verhandlungskommunikation, Entscheidungstheorie, Netzwerktheorie und Deliberationsforschung erforderlich sind.

Die erste Struktur betrifft die oben dargelegte Dualität beziehungsweise Hybridität von Beobachtungs- und Interaktionsleistungen. Wir haben es als charakteristisch für Handlungssysteme bezeichnet, dass sie sowohl beobachten (speichern, systematisieren, analysieren) als auch interagieren. In Manfred Rühls organisationstheoretischer Analyse von Redaktionen zum Beispiel, die aber auch auf andere Organisationen anwendbar ist, macht dieser klar, dass die Zweckprogrammierungen (der Chefebene) und die Konditionalprogrammierung (Erfahrungswissen und Routinen der Mitarbeiter) bei veränderten Bedingungen immer wieder sozial nachverhandelt werden müssen (Rühl 1979, 1980). Entscheidungstheoretische Prozessmodelle zeigen, dass es etwa in der Außenpolitik darauf ankommt, Probleme zu bestimmen, Informationen zu sammeln, Handlungsalternativen zu erarbeiten usw. (Behrens/Noack 1984, S.113). Die prinzipielle Rationalität von Prozessen der Sozialsysteme sollte man gleichwohl nicht idealisieren. Oft sind politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme so aufgebaut, dass sie – ähnlich wie das Mediensystem – unterschiedliche Organisationen umfassen, die durch Richtlinienkompetenzen nur lose zusammengehalten werden (globale Kommunikation der Außenpolitik findet etwa durch verschiedene Ministerien statt).

Innerhalb einer jeden Organisation werden Beobachtungs- und Interaktionsleistungen zudem von verschiedenen Abteilungen und auf unterschiedlichen Hierarchiestufen getätigt, die nicht immer ideal koordiniert werden. Nicht selten kommt es etwa in der Außenpolitik vor, dass hausinterne Analysen und Monitoring-Dienste nicht hinreichend in Entscheidungsprozesse eingehen, weil diese Entscheidungen zum Beispiel von Ad-Hoc-Teams und „vorbei am Apparat“, unter Zeitdruck oder nach ideologischen Prämissen getroffen werden. Global Governance hat zudem zu einer neuen Form der sogenannten „Nebendiplomatie“ (second track diplomacy) geführt, die auch Netzwerke von NGOs, Lobbies und externe Experten einbezieht (Hafez 2002c, S.138). Da Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politiksysteme sich zudem in ihren Organisationszielen unterscheiden, sind auch die Organisationsstrukturen nicht identisch und damit sind auch die Kommunikationsstrukturen zu vielfältig, so dass sie im Rahmen einer Einführung nur exemplarisch behandelt werden können. Das Spannungsverhältnis zwischen Beobachtungs- und Interaktionsstrukturen von organisierten Sozialsystemen erzeugt einen erhöhten Kommunikationsbedarf, der der Kommunikationsberatung auch in politischen wie wirtschaftlichen Organisationen ein ganz neues Feld eröffnet hat (Hafez 2002c).

Informalität und Mediatisierung der Organisationskommunikation

Erschwerend kommt hinzu, dass man im Inneren von Organisationen zwischen formeller und informeller Kommunikation unterscheiden muss, was etwa im Nebeneinander von Abteilungssitzungen und dem „Flurfunk“ zum Ausdruck kommt. Schon lange ist bekannt, dass informelle Kommunikation in Bürokratien eine erhebliche Rolle spielt, da hier innovative Lösungen gefunden werden, aber auch formale Kommunikationsprozesse blockiert werden können. Bei der Bewertung der informellen Kommunikation, die früher als Störfaktor betrachtet wurde, tendiert man heute immer stärker zur positiven Hervorhebung emotionaler und kognitiver Facetten (Torjus 2014, S.29ff.). Gelingende informelle Kommunikation ist in jedem Fall für das Wir-Gefühl einer Gemeinschaft wichtig, was in unserem Kontext die Frage aufwirft, ob Informalität auch bei globalen Distanzbeziehungen etwa in transnationalen Unternehmen zum Tragen kommt und dadurch interaktive Gemeinschaftlichkeit, also „Weltgemeinschaft“ statt nur „Weltöffentlichkeit“, im internationalen Rahmen fördert. Die Gemeinschaftsdimension der informellen Kommunikation spielt zudem nicht nur in der Binnenkommunikation von Organisationen und Systemen eine Rolle, sondern verläuft auch zwischen Systemen, im Bereich des Handels wie auch in der zwischenstaatlichen Diplomatiekommunikation. Jürgen Habermas würde sagen: Hier geht es nicht nur um strategische, sondern auch um dialogische Kommunikation und damit auch um echtes kommunikatives Handeln (Habermas 1995, Bd.1, S.126ff.). Mehr noch als die Organisationskommunikation und die Entscheidungstheorie ist daher oft die Verhandlungskommunikation der zentrale Bereich der Theorie der globalen Interaktion.

Eine zweite bedeutsame Kommunikationsstruktur ist die Text-Sprech-Differenz. Texte können bei Beobachtungen wie bei Interaktionen eine Rolle spielen, zum Beispiel bei internationalen Verträgen oder Kommuniqués, in denen die Sichtweisen verschiedener internationaler Partner fixiert werden. Interaktion kommt also in verschiedenen Aggregatzuständen daher, zum Beispiel als Sprech- oder als Schriftdialog. Jede Variante besitzt spezielle Vorzüge. Gesprochene Dialoge verfügen über ein hohes Partizipations- und Gemeinschaftspotenzial. Der geschriebene Text hingegen macht Gemeinschaften verbindlich, denken wir nur an die Völkerrechtsabkommen. Wir müssen jedenfalls beide Interaktionsformen der organisierten Sozialsysteme im Blick behalten und ihre Eigendynamiken und Wechselwirkungen erfassen.

Die nächste bedeutsame Kommunikationsstruktur ist die Unterscheidung zwischen direkter und mediatisierter sozialer Kommunikation. Nahezu alle Kommunikationsstrukturen besitzen heute eine zusätzliche Dimension der mediatisierten interpersonalen Kommunikation (E-Mail, Telefon, Netzdienste usw.). Dadurch entstehen neue Chancen der Deterritorialisierung, aber auch Einbußen bei der Qualität der Beobachtungsleistungen ebenso wie bei der partizipativen, interaktiven Vergemeinschaftung. Es bilden sich neue Textsorten – zum Beispiel die internationale Online-Petition – und informelle Beziehungen im digitalen Raum. Technische Veränderungen der Digitalisierung haben direkte Auswirkungen auf globale Kommunikation. Für die Weltgemeinschaft eröffnen sich neue Möglichkeiten, aber eben auch zusätzliche Gefahren.

Globale Innen-/Außen-Hybridität

Für die Bilanz globaler Kommunikation von entscheidender Bedeutung ist nicht zuletzt eine weitere Struktur: das Innen-/Außenverhältnis von Kommunikation. Die Grenze zwischen Binnen- und Außenkommunikation ist identisch mit der zwischen nicht-öffentlicher und öffentlicher Kommunikation. Hier kann dann auch erneut, ähnlich wie bei Massenmedien, die Diskursanalyse publizierter Texte und politischer Rhetorik eine Rolle spielen. Binnenkommunikation der Sozialsysteme, einschließlich der Netzwerkkommunikation mit anderen Systemen (Diplomatie usw.), ist oft interaktiv. Außenkommunikation ist hingegen durch strategische Kommunikation gekennzeichnet (z.B. Wirtschafts-PR, staatliche PR/Propaganda) und damit in der Tendenz monologisch-persuasiv und nicht interaktiv und gemeinschaftsbildend. Die Kernfrage für das vorliegende Buch in diesem Zusammenhang lautet daher: Wieviel gemeinschaftsbildende Kraft entwickelt beispielsweise die Interaktion nicht-öffentlicher Diplomatie, wenn im öffentlichen Raum dann schließlich doch wieder außenpolitische Propaganda vorherrscht? Inwiefern verbindet strategische Unternehmens-PR, bei allem Dialogverhalten in der Binnenkommunikation, unsere Welt zu einer „Weltgemeinschaft“? Die Hybridität der Sozialsysteme des politisch-wirtschaftlichen Sektors, ihr ständiges Oszillieren zwischen Egozentrismus und Gemeinschaftsorientierung, ist kommunikationstheoretisch gut damit zu erklären, dass sie an der Schnittstelle zwischen Diskurs und Dialog angesiedelt sind. Diskursive Public Relations und dialogische Interaktion über Ländergrenzen hinweg gehen eine komplizierte und vielfach verwirrende Mischung ein, um deren analytische Unterscheidung und Bilanzierung wir uns in dieser Arbeit bemühen.

Da wir im Kontext des System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes aber neben den funktionalen Austauschprozessen auch die intrinsischen Strukturen der Systeme verstehen müssen, ist es wichtig, die globale kommunikative Hybridität nicht nur als kommunikativen Widerspruch oder Ungleichzeitigkeit zu verstehen, sondern auch als strukturelle Problematik. „Hybridität“ von Diskurs und Dialog erklärt ja noch nicht, wann und warum welche Modi verwendet werden und warum Widersprüche – etwa zwischen Innen- und Außenkommunikation – entstehen können. Dies wird allerdings sofort verständlicher, wenn man die Idee des strukturellen autonomen Selbsterhalts bei gleichzeitig erforderlicher Umweltanpassung einbezieht. Interaktion ist dann ein Weg der Anpassung; diskursive Kommunikation hingegen dient der Autonomisierung. Systeme kommunizieren mit den jeweiligen Modi, die ihnen zum Erhalt der Grundfunktionen von Autonomie und Anpassung opportun erscheinen. Kommunikative Hybridität wird damit zum Gegenstand des systemischen „Fließgleichgewichts“. Robert S. Fortner hat bereits vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass internationale Kommunikation teils als einheitliches globales System und teils als Ansammlung separater Systeme zu denken ist (1993, S.37f.). Dies gilt mit Blick auf die Kommunikation zwischen gleichen Systemen (also etwa der Interaktion zwischen Staaten in der Diplomatie) ebenso wie bei der Interdependenz zwischen ungleichen Systemen (z.B. Medien, Politik, Wirtschaft), die uns weiter unten noch beschäftigen wird.

Globale Interaktionspotenziale nicht-organisierter Sozialsysteme

Nicht-organisierte Sozialsysteme kann man nicht ohne weiteres mit den Mitteln der Organisationskommunikation untersuchen. An die Stelle der organisatorischen treten diskursive oder auch dialogische Strukturen, was dazu führt, dass Netzgemeinschaften sowohl ein Untersuchungsgegenstand der Netzwerkforschung der Soziologie wie auch der Deliberationsforschung der Kommunikationswissenschaft sind (Stegbauer/Rausch 2006, Stromer-Galley/Wichowski 2013). Soziologisch interessant ist, dass die Kehrseite der organisationslosen und im Prinzip hierarchiefreien Netzgemeinschaften oft eine Dominanz informeller hegemonialer Meinungsführer und „Informationseliten“ ist. Für die „Masse“ der Menschen sind Sprachraumgrenzen und kulturelle Hegemonien in Netzgemeinschaften oft eine ernst zu nehmende Hürde. Dies wiederum kann den angeblichen Dialogcharakter des als interaktiv geltenden Internets einschränken, was wiederum Konsequenzen für globale Gemeinschaftlichkeit hat. Es wird also über die Qualität von Online-Diskursen zu sprechen sein. Wie global sind Online-Communities wirklich? Ist das Internet letztlich ein globales oder ein lokales Medium?

Eine weitere Herausforderung liegt in der systematischen Untersuchung der (globalen) Lebensweltkommunikation, die eine Erweiterung an theoretischen Instrumentarien erfordert. Wenn wir die globalen Kommunikationsbeziehungen von Individuen, Gruppen und „kleinen Lebenswelten“ (Luckmann 1970) in den Blick nehmen, dann müssen wir uns stärker an den Überlegungen der interpersonalen Kommunikation, dem symbolischen Interaktionismus, der Soziopsychologie und vor allem an den soziologischen Kommunikationstheorien orientieren, die in der Tradition der Wissens- und Kultursoziologie stehen (Schützeichel 2004, Averbeck-Lietz 2015). Denn hier werden die Grundlagen der menschlichen Kommunikation und Weltwahrnehmung verhandelt, die für die Frage nach globaler Kommunikation aus der Mikroperspektive des Alltags entscheidend sind.

In Anlehnung an die oben eingeführten Kommunikationsmodi und die soziologischen Kommunikationstheorien gehen wir zunächst davon aus, dass das kommunikative Handeln des Individuums wechselseitig interaktiv ist. Menschen lernen durch Interaktion mit anderen, sich selbst und die Welt zu deuten und zu verstehen und auf der Basis dieses Weltverstehens wiederum eigene Handlungen aufzubauen (Mead 1934, Blumer 2010, Blumer et al. 2013). Unser Erfahrungswissen, welches wir so in fortlaufender Kommunikation ansammeln, verdichtet sich schließlich zu Kategorien, die Schütz und Luckmann als soziale Typenbildung beschrieben haben (2003, S.313ff., Schützeichel 2004, S.128ff.). Wir entwickeln also Alltagstheorien über Kommunikationssituationen, antizipieren das Handeln anderer und ordnen neue Erfahrungen in diese Klassifikationssysteme ein. Dies bedeutet auch, dass unsere individuellen Wissenssysteme, mit deren Hilfe wir uns die Welt erschließen, von unseren spezifischen Sozialisations- und Kontakterfahrungen geprägt sind. Die wechselseitige Orientierung aneinander hat nämlich auch zur Folge, dass wir kommunikative Muster, Repertoires und Routinen kennenlernen, die in bestimmten sozialen Milieus als kommunikative Konventionen institutionalisiert und damit sozial tradiert werden. Insofern können wir sagen, dass sich das lebensweltliche Erfahrungswissen des Einzelnen aus einem Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer Wissenssysteme speist. Die „Strukturen der Lebenswelt“ (Schütz/Luckmann 2003), also die generellen Bedingungen der räumlich, sozial und zeitlich strukturierten Interaktion in der Alltagswelt, bleiben dabei aber für alle Menschen gleich, so dass eine wechselseitige Verständigung mit „sozialen Anderen“ grundsätzlich immer möglich sein sollte.

Für die grenzüberschreitende Verständigung heißt das nun im ersten Schritt, dass diese von einer spannungsreichen Dialektik geprägt ist. Einerseits ist unser kommunikatives Handeln immer ein Produkt unserer jeweiligen sozialen Umwelten und Sozialisationserfahrungen, die bei vielen Menschen auch heute noch in erster Linie lokalen Ursprungs und abhängig von lokalen Diskursen sind. Andererseits unterliegt das lebensweltliche kommunikative Handeln eben auf Grund des intrinsisch sozialen Charakters immer auch einem dynamischen Wandlungsprozess. Denn wenn unsere Erfahrungen fortlaufend zur (Neu-)Ordnung unserer typischen Handlungs- und Kommunikationsschemata führen, dann ist theoretisch immer auch die Möglichkeit zur Veränderung dieser Typen und damit unserer handlungsleitenden Wissenssysteme durch neue Erfahrungen gegeben.

Diese Dialektik ist bezüglich der zentralen Unterscheidung von Beobachtung und Interaktion von besonderem Interesse. Wir hatten festgestellt, dass die bloße Beobachtung der Welt durch individuelle Akteure weitestgehend von den Leistungen der anderen Sozialsysteme abhängig ist, da Expertenwissen in modernen Gesellschaften primär durch die Medien, das Schul- und Wissenschaftssystem zur Verfügung gestellt wird. Dabei beobachten wir aber noch lange nicht alltägliche Interaktionen in anderen, ferneren Lebenswelten, sondern zu großen Teilen die strategischen Handlungen politischer Sozialsysteme (Hafez/Grüne 2015). Insofern ist die Medienkommunikation nur eine sehr eingeschränkte Form globaler Kommunikation in der Lebenswelt. Die Lebenswelt ist theoretisch ganz im Gegenteil der prädestinierte Ort für globale Dialoge, da hier gemäß unserer bisherigen Herleitung vor allem Face-to-Face-Interaktion stattfindet. In den Interaktionen können individuelle Akteure nun mittelbare und unmittelbare grenzüberschreitende Dialoge führen und sie können direktes und vermitteltes Erfahrungswissen sammeln, also aus dem globalen Selbstkontakt oder Gesprächen über den globalen Kontakt Dritter.

Globale Lebenswelten und Gruppenkommunikation

Die letztere Form weist auf eine Komplexität globaler Lebensweltkommunikation hin. Auch wenn Menschen nämlich gelegentlich Wissen aus reinen interpersonalen Kommunikationssituationen beziehen, so wird dieses häufig im Gruppenkontakt weiterverhandelt. Familien, Peers, Interessengemeinschaften oder Hobby- und Fangemeinschaften bestehen selten aus nur zwei Personen, sondern es handelt sich in der Regel um vergemeinschaftete Gruppenbeziehungen. Das gilt nicht nur für informelle Rollen der Privatwelt, sondern ebenso für soziale Kontexte, in denen Akteure in ihren zugewiesenen formalen Handlungsrollen agieren. Auch in der Ausbildung oder im Beruf finden sich Menschen meist in Gruppenkontexten wieder.

Diese unterschiedlichen Gruppen und Gemeinschaften sind wiederum der lebensweltliche Horizont geteilter Erfahrungen und Wissenssysteme. Das individuelle Wissen muss also für die soziale Integration in Transaktionsleistungen immer wieder an diese Gruppenkontexte rückgebunden werden und bedarf somit einer diskursiven Anschlussfähigkeit. Individuelle Lebenswelten stehen also immer in Zusammenhang mit milieuspezifischen „kleinen Lebenswelten“, wie sie Benita Luckmann beschrieben hat (1970). Dieses Verhältnis kann wiederum helfen, Prozesse der Reproduktion oder Irritation von gesellschaftlich verhärteten Fehldeutungen, Stereotypen oder Ignoranz gegenüber globalen „Anderen“ und deren Lebenswelten zu verstehen. Daher werden uns insbesondere Fragen nach der Veränderungsdynamik des akteursspezifischen Alltagswissens wie auch nach den Voraussetzungen zur Herausbildung echter globaler Gemeinschaft unter den Bedingungen globalen Kontakts in den folgenden Kapiteln des Buches weiter beschäftigen.

Mobilität, erweiterter Interaktionsraum und das Rollenproblem

Bisher deuten Daten aus dem Bereich des Tourismus, der transnationalen Vergemeinschaftung oder der Nutzung Sozialer Medien darauf hin, dass die Potenziale einer globalen Erweiterung der Kommunikationserfahrungen, also soziale Kommunikation über die Grenzen der alltäglichen Lebensrealität hinaus, zu großen Teilen noch ungenutzt bleiben (Zuckerman 2013, vgl. a. Mau 2007). Dies gilt sowohl für die physische wie auch die digitale Mobilität, was insofern interessant ist, als dass im Verhältnis von direkter und mediatisierter sozialer Kommunikation der Lebenswelt der indirekte globale Dialog durch die Tools der Sozialen Medien deutlich einfacher geworden ist. Aber die lokalen Grenzen von Sprach- und Diskursgemeinschaften scheinen sich vorerst in den digitalen Lebenswelten zu behaupten. Nur wenige individuelle Akteure verlagern ihre Interaktion mittelbar oder unmittelbar jenseits lokaler Grenzziehungen in einer Weise, in der sie sowohl an den Dialogen als auch den Diskursen anderer Lebenswelten teilhaben und damit wirklich grenzüberschreitend Wissenssysteme verhandeln und globale Gemeinschaft entwickeln.

Das Wissen dieser „Kosmopoliten“ (Hannerz 1996, S.102ff.) kann wiederum nur in ausgewählten Kommunikationskontexten weitergegeben werden. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, auch für die kommunikativen Lebenswelten die theoretische Unterscheidung zwischen Formalität und Informalität einzubeziehen. Analog zu den formalen und informellen Kontexten der Organisationskommunikation finden wir auch in Lebenswelten beide Modi vertreten. Zwar scheint auf den ersten Blick die informelle Kommunikation in der Privatwelt zu dominieren, doch im Laufe der lebensweltlichen Kommunikation schlüpfen Individuen auch immer wieder in formalisierte Rollen, in denen sie Träger von Organisationszielen werden. Je nach Ausrichtung kann nun die globale Erfahrung entweder an formale (z.B. Außenmitarbeiter in global agierenden Unternehmen) oder informelle Rollen (Privatperson auf Reisen) gekoppelt sein, wobei im ersten Fall beide Rollenfunktionen zusammenfallen können. Die Weitergabe der globalen Erfahrung kann dann eher strategischer oder zufälliger Natur sein und die lokalen Lebensweltkontexte unterschiedlich stark beeindrucken oder gar nachhaltig verändern. Das Potenzial globaler Gemeinschaftsbildung ist damit in den grenzüberschreitenden Face-to-Face-Interaktionen von Individuen noch nicht automatisch begünstigt, sondern hängt auch von Kommunikationsstrukturen ab.

Dazu zählt zudem das variierende Innen- und Außenverhältnis lebensweltlicher globaler Kommunikation. So ist es, wie eben angedeutet, vor allem die Binnenkommunikation der Kleingruppe, die mit über die Art und Weise der kollektiven Anschlussfähigkeit globaler Erfahrungen entscheidet, da die private soziale Rückverhandlung derselben zumeist dort vorgenommen wird. Kleingruppen haben aber wiederum keine verfasste strategische Außenkommunikation, wie wir sie von sozialen Bewegungen, Organisationen oder Großgemeinschaften kennen. Dass gerade Kleingruppen globales Wissen strategisch an größere Öffentlichkeiten nach außen kommunizieren, ist daher theoretisch problematisch. Im kulturellen „Transit“-Raum der Kleingruppe kann aber durchaus ein neuer alltäglicher Umgang mit Globalisierung durch deren Mitglieder verhandelt und umgesetzt werden. Während bei der Kleingruppe vor allem nicht-öffentliche direkte oder indirekte globale Kontaktszenarien dominieren, können Individuen auch als Einzelne in funktionalen (Teil-)Öffentlichkeiten global interagieren. Sie können dies zum Beispiel strategisch in Repräsentationsrollen von organisierten Systemen tun. Individuelle Akteure können theoretisch sowohl Diskurse mitgestalten (etwa, indem sie publizieren) oder direkte globale Dialoge mit anderen führen. Sie sind also viel mehr noch als die Kleingruppe der eigentliche Akteur der globalen lebensweltlichen Außenkommunikation.

Soziale Medien und globaler Monolog/Dialog

Schließlich ist noch auf die Text-Sprech-Differenz des kommunikativen Handelns in der Lebenswelt einzugehen. Auch hier scheint die Dominanz der Face-to-Face-Interaktion auf eine analoge Dominanz der Sprechakte hinzuweisen, die zugleich auch eine grundsätzlichere Unverbindlichkeit der kommunikativen Leistung der Lebenswelt impliziert – selbst Konventionen des Alltagshandelns folgen ja nicht fixierten Regeln wie etwa in der Diplomatiekommunikation, sondern tradierten, impliziten Institutionalisierungen. Globale Verhandlungen der Sozialsysteme führen im besten Fall zu fixierten globalen Abkommen, globale Dialoge der Lebenswelt aber zu globalem Wissen, globaler Erfahrung und Gefühlen globaler Solidarität, was sich nicht sofort sichtbar umsetzt und eine empirische Bilanzierung zweifelsohne erschwert.

Dennoch lässt sich ein Anfangsverdacht einer Verschiebung hin zu Textualität der globalen Kommunikation formulieren. Denn wenn die Möglichkeiten globaler Interaktion der Sozialen Medien genutzt werden, dann müssen sich globale Alltagsdialoge zwangsläufig in digitale Texte verwandeln, was wiederum eine Rationalisierung der Lebensweltgespräche beeinflussen kann. Auch die Praktiken der Verarbeitung globaler Kontakterfahrungen produzieren materielle Texte: Über Fotos, Berichte und Blogs werden etwa globale Kontakterfahrung wieder in monologische Textsorten verwandelt und in Archive der Alltagserinnerung verschoben, was ebenso eine lebendige Verhandlung im lokalen Lebensweltalltag verhindern kann.

Fazit: Weltgesellschaft, Weltgemeinschaft und globale Kommunikation als ein multiples Phänomen

Insgesamt ist es an der Zeit, globale Kommunikation als ein multiples Phänomen zu behandeln, in dem verschiedene Akteure durch ihre jeweils spezifischen Kommunikationsmöglichkeiten unterschiedliche Leistungen erbringen können oder sogar bereits erbringen. Grob gesagt lassen sich drei Akteurstypen unterscheiden. Die Massenmedien liefern durch ihre vor allem durch Beobachtung erzeugte Kommunikation monologisch konstituierte Diskurse über distantes Weltgeschehen, das Informations- und Wissensangebote für andere Teilsysteme bereitstellt. Vor allem die organisierten Handlungssysteme von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft setzen diesen Beobachtungen eigene Beobachtungsleistungen entgegen, agieren darüber hinaus jedoch in einem interaktiven Modus der Herstellung einer wie auch immer begrenzten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gemeinschaftlichkeit. In den Lebenswelten zuletzt ist trotz der Möglichkeit strategischer, formaler, öffentlicher und textbasierter Kommunikation die kommunikative Eigenlogik als primär informell dialogisch zu beschreiben. Wie die spezifischen globalen Kommunikationsmöglichkeiten genutzt werden, ist Gegenstand dieses Buches. Da die Systeme aber nicht getrennt operieren, sondern vielfältig zusammenwirken, ist als letzter Theorieschritt ein Nachdenken über Fragen der kommunikativen Interdependenz erforderlich.

Grundlagen der globalen Kommunikation

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