Читать книгу Einführung in die Literatur des Sturms und Drang und der Weimarer Klassik - Kai Kauffmann - Страница 13
2. Literarische Öffentlichkeit in Deutschland und kulturelles Leben in Weimar
ОглавлениеStrukturwandel der literarischen Öffentlichkeit
Im Zeitalter der Aufklärung war die Literatur ein integraler Bestandteil jener ,bürgerlichen Öffentlichkeit‘, die laut Jürgen Habermas dadurch gekennzeichnet sein sollte, dass sich Privatleute zum Publikum versammeln und in literarischen Formen und publizistischen Medien über gesellschaftsrelevante Themen räsonnieren (Habermas 1962). Mit dem Sturm und Drang begann jedoch die Entwicklung der Literatur zu einem weitgehend autonomen Bereich der Kunstproduktion. Entsprechend verstanden sich die Autoren zunehmend als freie Dichter, für die das ästhetische Gelingen ihrer Werke entscheidend war. Allein vom Ertrag ihrer Feder konnten sie allerdings nicht leben, sogar wenn sie sich, wie etwa Wieland und Schiller, neben der eigenen Dichtung als Herausgeber von Zeitschriften und Musenalmanachen betätigten, um damit Geld zu verdienen. Weil das an Belletristik interessierte Publikum in Deutschland erst einige Tausend Leser umfasste, blieben die Schriftsteller auf einen bürgerlichen Brotberuf oder auf adeliges Mäzenatentum angewiesen.
Soziale Herkunft der Autoren
Die Mehrheit der Autoren, die zum Sturm und Drang und zur Weimarer Klassik gerechnet werden, war bürgerlicher Herkunft, wobei die meisten aus den bescheidenen Haushalten von Pastoren (Wieland, Bürger, Lenz), Lehrern (Herder) und Ärzten (Lavater, Schiller) stammten. Goethe, der Spross einer reichen Patrizierfamilie, stellte eine Ausnahme dar. Nicht zum bürgerlichen Spektrum gehörten die beiden Grafen Stolberg-Stolberg auf der Seite des Adels sowie Klinger, der Sohn eines Konstablers, und Voß, das uneheliche Kind eines Kammerdieners, auf der Seite des ,gemeinen Volks‘. Die Unterschiede der Herkunft verloren dadurch an Bedeutung, dass die Autoren ähnliche Bildungswege durchliefen, die in der Regel zum Studium der Theologie (Herder, Bürger, Voß, Lenz), der Jurisprudenz (Wieland, Bürger, Goethe, Klinger, Wagner, Stolberg, auch Schiller, der dann aber zur Medizin wechselte) oder der Philosophie (Wieland) führten. Nach dem Besuch der Universität war die Mehrheit der Autoren gezwungen, eine – wenn überhaupt – schlecht bezahlte Stelle als Haus- oder Schullehrer, als Hofprediger, Gemeindepastor oder Universitätsprofessor anzunehmen. Vor diesem Hintergrund wird die besondere Stellung von Weimar deutlich. Indem die Herzogsfamilie der Reihe nach Wieland als Prinzenerzieher und Goethe als Legationsrat berief, sowie Herder in das Amt des Generalsuperintendenden einsetzte, hat sie die materiellen Voraussetzungen für ein literarisches Zentrum geschaffen, das über Jahrzehnte bestand und in Deutschland den Ton angab. Obwohl es sich um Ämter mit ausreichender Besoldung handelte, hatten sie auch eine Schattenseite. Besonders Goethe und Herder litten an ihren beruflichen Verpflichtungen, die sie von der literarischen Arbeit abhielten.
Autorengruppen und Treffpunkte zur Zeit des Sturm und Drang
Anders als die Berliner Aufklärung und die Weimarer Klassik besaß der Sturm und Drang kein Zentrum, mit dem er dauerhaft verbunden gewesen wäre. Doch bildeten sich an einigen Orten literarische Gesprächszirkel und Freundeskreise gleich gesinnter Autoren, die freilich nicht als feste Einrichtungen angelegt waren und selten über eine längere Zeit bestanden. In letzterer Hinsicht war der 1772 von Göttinger Studenten gegründete Dichterbund des ,Göttinger Hains‘ eine Ausnahme. Seine Mitglieder – unter ihnen Heinrich Christian Boie, Johann Friedrich Hahn, Christoph Heinrich Hölty, Johann Anton Leisewitz, Johann Martin Miller, die Brüder Christian und Friedrich Leopold von Stolberg sowie Johann Heinrich Voß – sammelten sich um den Göttinger Musenalmanach und blieben durch dieses Gemeinschaftsorgan auf Jahre und Jahrzehnte untereinander verbunden. Seine feste Gruppenstruktur, die sich noch an den Geselligkeitsformen der Empfindsamkeit orientierte, ist einer der Gründe dafür, dass der Göttinger Hain nur mit Schwierigkeiten in die Epoche des Sturm und Drang eingeordnet werden kann. Straßburg gilt als der wichtigste Treffpunkt der Stürmer und Dränger. Hier unterhielt der Aktuarius Salzmann eine Tischgesellschaft von Studenten, der zeitweilig Goethe, Lenz, Wagner und Johann Heinrich Jung (genannt Jung-Stilling) angehörten. In diesem Rahmen konnte man nicht nur über literarische Themen sprechen, sondern, wenn sich die Gelegenheit ergab, auch eigene Texte vortragen. In seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit betont Goethe, dass der sechzigjährige Salzmann als Vorsitzender auf das schickliche Benehmen der jungen Studenten geachtet habe (MA 16, 400), mithin ein genialisch freies Treiben gar nicht möglich gewesen wäre. Unabhängig von der Tischgesellschaft lernten sich 1770/71 Goethe und Herder kennen, als dieser wegen einer Augenoperation in Straßburg weilte. Andere Schriftsteller kamen für einige Tage zu Besuch. Zusammen unternahm man Spaziergänge in der Stadt und Ausflüge in die Umgebung. Besonders die Ausflüge kamen den Vorstellungen der Stürmer und Dränger vom gemeinsamen Ausleben der eigenen Individualität am Busen der Natur nahe. Auch nachdem Goethe und Herder die Stadt verlassen hatten, bot sich Straßburg als Versammlungsort an. Eine Inschrift auf dem Turm des Straßburger Münsters bezeugt, dass hier an einem Tag des Jahres 1776 einundzwanzig Autoren der jungen Generation weilten, unter ihnen Goethe, Herder, Lenz, Wagner, Schlosser, Lavater, Kaufmann und die Brüder Stolberg.
Publikationsorgane der Stürmer und Dränger
Neben Straßburg waren Frankfurt, Darmstadt, Gießen, Düsseldorf und Zürich wichtige Treffpunkte. Aus einem Frankfurter und einem Darmstädter Kreis – hier lernte Herder seine spätere Frau Caroline Flachsland kennen – sowie einem Gießener Zirkel rekrutierten sich die meisten Mitarbeiter der Frankfurter gelehrte Anzeigen. Diese Zeitung wurde 1772 von Johann Georg Schlosser – Goethes Schwager – und Johann Heinrich Merck neu gegründet und war genau einen Jahrgang lang das literaturkritische Hauptorgan der Stürmer und Dränger, in dem die selbst impulsiv schreibenden Rezensenten für die Freiheit des Künstlergenies eintraten. Die damit einhergehende Opposition gegen die Regelpoetik (und das Autorenkartell) der Aufklärung wurde schon in der Ankündigung der Zeitung deutlich: „Eine Gesellschaft Männer, die ohne alle Autorfesseln und Waffenträgerverbindungen im stillen bisher dem Zustand der Litteratur und des Geschmacks hiesiger Gegenden, als Beobachter zugesehen haben, vereinigen sich, um dafür zu sorgen, dass das Publikum von hieraus nicht mit unrichtigen, oder nachgesagten, oder von den Autorn selbst entworffenen Urtheilen getäuscht werde.“ (Frankfurter gelehrte Anzeigen, Neudruck 1883, XXXI) Dass die spontan entstandene Gesellschaft der Beiträger nach einem einzigen Jahrgang ihr Unternehmen aufgab, zeigt das Desinteresse der Stürmer und Dränger an festen Strukturen. Zu den wenigen Zeitschriften, die sich für die Ideen der Stürmer und Dränger öffneten, gehörten der von Matthias Claudius redigierte Wandsbecker Bote (1771–75), die von Johann Georg Jacobi in Düsseldorf herausgegebene Iris (1774–76) sowie Christian Friedrich Daniel Schubarts in Augsburg erscheinende Deutsche Chronik (1774–77). Doch handelte es sich bei ihnen um keine gemeinsamen Projekte der Stürmer und Dränger. Für deren Kommunikation waren öffentliche Publikationsorgane ohnehin weniger wichtig als die persönliche Briefkorrespondenz und Reisetätigkeit. Wie über gemeinsame Reisen und wechselseitige Besuche ein Netzwerk von Freundschaften entstand, die aber im Unterschied zur empfindsamen Geselligkeit als intime Gefühls-, ja Liebesbeziehungen zwischen individuellen Persönlichkeiten aufgefasst wurden, lässt sich in Dichtung und Wahrheit nachlesen – Goethes Autobiographie berichtet unter anderem von seiner Schweizreise mit den Brüdern Stolberg und der Rheinreise zu Jacobi.
Wandlungen von Goethes Lebenskonzept und Dichtungsverständnis in der Weimarer Zeit
Bezeichnenderweise nahmen diese Reiseaktivitäten ab, nachdem sich Goethe und Herder in Weimar fest etabliert hatten. Dass die dortigen Besuche von Lenz und Klinger (1776) jeweils mit einem Zerwürfnis endeten, hing mit dem Rollenwechsel von Goethe zusammen, der nicht länger an individuellen Dichterfreundschaften im Zeichen des Geniekults interessiert war. Stattdessen versuchte er in Weimar ein anderes Lebenskonzept zu verwirklichen, in dem die dichterische Tätigkeit mit der gesellschaftlichen Rolle des Höflings und den beruflichen Funktionen des Staatsbeamten vereinbart werden sollte. Wie wenig dieses Konzept im ersten Jahrzehnt seiner Weimarer Zeit aufging, ist bekannt: Trotz der Nähe zu Herder und Wieland, von der man eine künstlerische Befruchtung hätte erwarten können, blieb die eigene Dichtung auf der Strecke. Erst nach der Rückkehr von der italienischen Reise gelang Goethe der Durchbruch zu neuer Produktivität. Das hatte nicht allein mit der weitgehenden Entlastung von Amtspflichten, sondern auch mit einer veränderten Auffassung der Künstlerrolle zu tun. Statt seine Dichtung in den ,Dilettantismus‘ der höfischen Kreise zu integrieren, nahm Goethe für sich die Autonomie der Kunst in Anspruch und intensivierte die Zusammenarbeit mit anderen in Weimar oder Jena lebenden Künstlern und Gelehrten – die 1794 entstehende Partnerschaft mit Schiller war Teil eines dichten Beziehungsnetzes. Durch die professionelle Zusammenarbeit bekannter Künstler, Wissenschaftler und sonstiger Fachleute wurde Weimar um 1800 zum wichtigsten Zentrum der deutschen Literatur, das fortan jüngere Autoren wie ein Magnet anzog, sei es, dass diese sich ebenfalls in Weimar niederließen (Jean Paul, Kotzebue) oder eine Weile bei einem der Weimaraner wohnten (so Kleist) oder aber die bewunderten Vorbilder für einige Tage und Stunden besuchten (so Hölderlin, Grillparzer, Heine u. v. m.).
Gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse in Weimar
Wie sich das gesellschaftliche und kulturelle Leben in Weimar zur Zeit der Klassiker gestaltete, ist von der literaturwissenschaftlichen Forschung detailliert untersucht und beschrieben worden (Zusammenfassungen bei Barth 1971; Oellers/Steegers 1999; Steinfeld 2003). Die Stadt war die Residenz der ernestinischen Herzöge von Sachsen-Weimar und damit der Mittelpunkt eines kleinen Fürstentums, zu dem auch die Universitätsstadt Jena gehörte. Weimar selbst hatte in den siebziger Jahren ca. 6 000 Einwohner (1801 zählte man 7 500, 1829 rund 10 000) und besaß, abgesehen von einigen höfischen Gebäuden, einen fast dörflichen Charakter (vgl. Herders Brief an Knebel vom 28. August 1785, Herder 1979, 135). Die kulturellen Impulse gingen zunächst allein von der Fürstenfamilie aus. Zwar fehlten ihr die finanziellen Mittel für eine repräsentative Hofhaltung, doch fand sie einen Ersatz in weniger aufwändigen Geselligkeitsformen mit musischer Ausrichtung. Vor allem Herzogin Anna Amalia (1739–1807), die bereits mit 19 Jahren Witwe geworden war und 1775 die Regierung an ihren Sohn Carl August übergab, war intellektuell und künstlerisch interessiert. Besonders wichtig waren die regelmäßigen Tischgesellschaften, die Anna Amalia in ihrem Weimarer Wittumspalais und auf den Sommerschlössern Ettersburg und Tiefurt abhielt. Sie entsprachen dem Typus des Salons, insofern sich hier – jenseits der höfischen Etikette – Angehörige unterschiedlicher Stände zur musischen Unterhaltung versammeln konnten. Allerdings hat die Forschung in den letzten Jahren zeigen können, dass die Rolle Anna Amalias und die mit ihr verbundene Rede vom ,Musenhof Weimar‘ nicht überbewertet werden darf, da es sich um ein literaturgeschichtliches Konstrukt des 19. Jahrhunderts handelt. In diesem Zusammenhang ist auch vom ,Musenhof-Mythos‘ gesprochen worden (vgl. Berger 2003; Berger/Berger 2006). Auf Goethes Initiative ging die ,Freitags-Gesellschaft‘ zurück, die von 1791 bis ca. 1796 im Wittumspalais zusammenkam. Seit 1805 lud Goethe zur ,Mittwochs-Gesellschaft‘, die über eine längere Zeit – möglicherweise bis in die zwanziger Jahre hinein – Bestand hatte. Hier berichtete der Hausherr von seinen eigenen naturwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Studien.
Theater
Betrachtet man diese und andere Formen des kulturellen Lebens in Weimar, so fällt auf, dass sie immer wieder von denselben, teils aus dem Hofadel, teils aus dem Bildungsbürgertum stammenden Personen getragen wurden. Das galt auch für die Anfänge des Weimarer Theaters. Anna Amalia hatte 1772 die Seylersche Schauspielgesellschaft engagiert, die ihre Stücke in einem Saal des Stadtschlosses aufführte, bis dieses 1774 abbrannte. Für einige Zeit existierten nur noch zwei Amateurgruppen: Aus Mitgliedern der Hofgesellschaft formierte sich 1775 ein Ensemble, das im ersten Jahr von Oberhofmarschall Graf Putbus geleitet wurde. Anlässlich von Hoffesten spielte es vorwiegend französische Stücke in der Originalsprache. Etwa zur selben Zeit organisierte Friedrich Justin Bertuch eine bürgerliche Amateurgruppe, von der Dramen – meist Lustspiele – in deutscher Sprache dargeboten wurden. Ein Festsaal im Haus des Hofjägers Hauptmann diente als provisorischer Theaterraum. Als Goethe gegen Ende des Jahres 1775 nach Weimar kam, spielte er sofort in dem höfischen Ensemble mit und studierte mit Bertuchs Truppe neue Stücke ein, so das eigene Singspiel Erwin und Elmire. Er trug maßgeblich dazu bei, dass nach dem Tod des Grafen Putbus im Herbst 1776 die Trennung von adeligen und bürgerlichen Amateuren aufgeben wurde und ein gemeinsames Liebhabertheater mit gemischtem Programm entstand. Ende 1778 übernahm er auf Vorschlag des Herzogs die Leitung. „Das Repertoire des Weimarer Liebhabertheaters war vielseitig; mit Rücksicht auf den Geschmack des Publikums mußten auch Stücke niederen Genres, Possen und Rührseligkeiten mit auf die Bühne gebracht werden. Neben Stücken von Voltaire, Lessing, Destouches, Legrand, Molière standen Lustspiele von Ayrenhoff, Cumberland, Goldoni, Gozzio, Gotter und Singsspiele deutscher, französischer und italienischer Autoren. Nicht selten wurden die Stücke erst in Weimar übersetzt und in Musik gesetzt […].“ (Barth 1971, 108) Aus literaturgeschichtlicher Sicht erscheint die Uraufführung der Iphigenie auf Tauris (6. April 1779), in der Goethe die Rolle des Orest verkörperte, als Höhepunkt des Weimarer Liebhabertheaters.
Eine neue Theaterära begann mit dem Bau eines eigenen Komödien- und Redoutenhauses, das 1780 eröffnet und ein Jahrzehnt lang von der Bellomosschen Theatertruppe bespielt wurde. Nach der Erhebung zum Hoftheater übernahm Goethe die Intendanz und stellte ein festes Ensemble von professionellen Akteuren zusammen, die er im Sinne seiner späteren Regeln für Schauspieler schulte. Unter seiner Direktion fand mehrmals pro Woche eine Aufführung vor bis zu fünfhundert Zuschauern statt. Für eine kleine Residenzstadt war dies eine einzigartige Kulturleistung. Da sich das Theater zu zwei Dritteln aus Eintrittsgeldern finanzierte, musste das Programm allerdings auf das Unterhaltungsbedürfnis der meisten Zuschauer eingehen. „So wurden unterhaltsame Stücke, die Sitten- und Familiengemälde der Zeit und Singspiele ebenso gegeben wie Dramen Shakespeares und Opern Mozarts. Goethe wählte eine Mischung, die Zerstreuung und anspruchsvolle Kunst bot. […] In der Zeit seiner Intendanz von 1791 bis 1817 blieben immerhin 118 von den insgesamt 601 Inszenierungen Stücken Ifflands und Kotzebues vorbehalten, während nur 37 Einstudierungen seinen und Schillers Werken galten.“ (Conrady 2006, 556) Wie viel Wert auf die Inszenierung dieser Werke gelegt wurde, bezeugt freilich die intensive Zusammenarbeit der beiden Dichter am Weimarer Theater. So kümmerte sich Goethe selbst um die Uraufführungen des Wallenstein und der Braut von Messina und vertraute Schiller umgekehrt die Regie bei eigenen Stücken an.
Zusammenarbeit der Weimarer Autoren
Abgesehen vom Bereich des Theaters, vollzog sich die Zusammenarbeit der Weimarer Autoren in drei Hauptformen:
in der geselligen Konversation der oben erwähnten Zirkel
im persönlichen Gesprächsaustausch und Briefwechsel
in öffentlichen Almanachen und Zeitschriften
Was die erste Form betrifft, so ist bemerkenswert, dass von den Schriftstellern noch unveröffentlichte Werke im geselligen Kreis vorgelesen wurden. Einwände und Anregungen der Zuhörer konnten dann bei der endgültigen Fassung berücksichtigt werden. Üblich war es auch, unfertige Manuskripte an die literarischen und wissenschaftlichen Freunde zu verschicken, um sich von diesen ein professionelles Urteil einzuholen. Die am Ort lebenden Autoren besuchten sich in ihren Häusern, um Werkstattfragen zu diskutieren. Mindestens ebenso sehr nutzen sie das schriftliche Medium des Briefes zu diesem Zweck. Berühmt geworden ist der 1794 begonnene Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller, den die beiden sogar dann noch fortsetzten, als Schiller 1799 von Jena nach Weimar umgezogen war. Das professionelle Gespräch beschränkte sich nicht auf die Dichter und andere Künstler, sondern bezog – seit den neunziger Jahren zunehmend – auch Wissenschaftler ein, von denen viele an der Universität Jena lehrten.
Zeitschriftenorgane und Musen-Almanach
Unter den literarischen und publizistischen Gemeinschaftsprojekten der Weimaraner besaß Das Journal von Tiefurt (1781–83) eine Sonderstellung, weil dieses von Anna Amalia und ihrem Freundeskreis herausgegebene Periodikum nur in elf handschriftlichen Exemplaren kursierte. Die Weimaraner waren jedoch auch als Herausgeber und Mitarbeiter öffentlicher Zeitschriften aktiv. Wieland rief 1773 den Teutschen Merkur ins Leben, eine Literatur- und Kulturzeitschrift, die in vier (später drei) Bänden pro Jahr erschien und unter wechselnden Umständen bis 1810 fortbestand. Der Anteil von Weimarer und Jenaischen Beiträgern war hoch, selbst wenn sich der Teutsche Merkur, darin der Tradition der aufklärerischen Publizistik verpflichtet, als ein allgemein zugängliches Organ der deutschen Öffentlichkeit verstand. Zusammen mit dem Weimarer Unternehmer Bertuch, der eine ganze Reihe von bedeutenden Zeitschriften unterschiedlicher Art verlegte, gehörte Wieland im Jahr 1785 auch zu den Mitbegründern der Allgemeinen Literatur-Zeitung. Das in Jena herausgegebene Blatt brachte sechsmal wöchentlich Artikel und Rezensionen mit wissenschaftlichem Anspruch. Zu seinen prominenten Beiträgern zählten unter anderem Schiller, Kant, Fichte und die Brüder Schlegel. „Als 1803 die Redaktion nach Halle verlegt wurde […], setzte sich Goethe mit Erfolg für eine Fortsetzung in der Universitätsstadt Jena ein, übernahm selbst die Oberleitung, gewann den Altphilologen Heinrich Karl Eichstädt als Herausgeber und konnte die neue, so genannte ,Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung‘ zu hoher Blüte bringen.“ (Barth 1971, 87)
Ein ganz anderes Gepräge gab Schiller seinen Zeitschriften Thalia (1785; 1786–91, 1792–93) und Die Horen (1795–97), die beide der philosophischen Reflexion der Künste und darüber vermittelt der ästhetischen Erziehung des Menschen dienen sollten. Besonders die monatlich erscheinenden Horen waren von Schiller als Programmschriften der von Weimar und Jena ausgehenden Kunstauffassung und Humanitätsgesinnung geplant. Zwar gewann er für die bei Cotta in Tübingen verlegte Zeitschrift hervorragende Mitarbeiter – allein das erste Heft versammelte Beiträge von Goethe, Herder, Fichte, Wilhelm von Humboldt, August Wilhelm Schlegel und Johann Heinrich Meyer – und erreichte zu Beginn auch eine beachtliche Auflage, die sich mit 2000 Exemplaren den ehemaligen Erfolgszahlen des Teutschen Merkur näherte. Doch das hohe Reflexionsniveau der Artikel überforderte das größere Lesepublikum, während der elitär vorgetragene Kunst- und Erziehungsanspruch all jene Literaturkritiker verärgerte, die noch den Prinzipien der Populäraufklärung anhingen. So mehrten sich die öffentlichen Angriffe auf die Horen und trugen zum Misserfolg der Zeitschrift bei, was Schiller und Goethe ihrerseits zu der heftigen, die persönliche Diffamierung der Gegner nicht scheuenden Polemik der Xenien veranlasste. Aus ähnlichen Gründen scheiterte Goethe mit seiner jährlich erscheinenden Zeitschrift Propyläen (1798–1800), die sowohl die Produzenten als auch die Rezipienten der bildenden Künste zum Klassizismus hinführen sollte. Die verkaufte Auflage der Propyläen blieb so gering, dass Schiller sein verächtliches Urteil über den Geschmack des deutschen Publikums, das er vor dem Versuch der Horen ausgesprochen hatte, noch verschärfte (vgl. den Brief an Fichte vom 4. August 1795 und den Brief an Johann Friedrich Cotta vom 5. Juli 1799, NA 28, 20 ff. und NA 30, 66). Erfolgreicher waren die fünf Jahrgänge des von Schiller redigierten Musen-Almanachs (1796–1800). Die Taschenbüchlein enthielten eine Anthologie von neuen Gedichten verschiedener Autoren. Zum ersten Musen-Almanach steuerten neben Schiller unter anderem Goethe, Herder, Hölderlin, Matthisson, Kosegarten, Tieck und die Brüder Schlegel bei. Der zweite Jahrgang konzentrierte sich auf die von Schiller und Goethe verfassten Xenien, der dritte auf ihre Balladen (daher spricht man vom ,Xenien-Almanach‘ und vom ,Balladen-Almanach‘).
Nach der Zeitschrift Die Horen und dem Musen-Almanach übernahm Cotta auch die Einzel- und Gesamtausgaben von Schillers Werken in seinen Verlag, die zuvor bei Göschen erschienen waren. Da er sich, vermittelt durch Schiller, 1806 zudem die exklusiven Rechte an Goethes Œuvre sichern konnte und darüber hinaus einzelne Schriften von Herder und Wieland im Programm hatte, wurde er zu dem wichtigsten Verleger der Weimarer Klassik.