Читать книгу Einführung in die Literatur des Sturms und Drang und der Weimarer Klassik - Kai Kauffmann - Страница 14
3. Diskurse des Wissens: Philosophie, Anthropologie, Psychologie
ОглавлениеDer Sturm und Drang und die Weimarer Klassik sind keine isoliert zu betrachtenden Epochen. Vielmehr reichen Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts – den Jahrhunderten der Aufklärung – weit in das 19. Jahrhundert hinein.
Diskurse des Wissens
Dies gilt vor allem für die Ausbildung der verschiedensten Wissensdiskurse. Die Rede von ,Diskursen des Wissens‘ meint dabei nicht nur einzelne wissenschaftliche Disziplinen – etwa die Physik, Chemie oder Biologie –, die sich erst langsam etablierten (vgl. Stichweh 1994), sondern das insgesamt für den Menschen verfügbare und relevante Wissen. Dieses Wissen kann sowohl in philosophischen und primär wissenschaftlichen Texten als auch in literarischen und anderen nicht-fiktiven Texten und Praktiken seinen Ausdruck finden. Erkenntnistheorie, Anthropologie und Psychologie sind entsprechend auch nicht als Einzeldisziplinen abzuhandeln, sondern bezeichnen eher thematische Felder, denen sich die Denker verstärkt zuwenden. Auch wenn man diese Felder nicht isoliert voneinander betrachten kann, so zeugen sie dennoch vom Bemühen, im verfügbaren Wissen Gebiete abzustecken, die anschließend einer genauen Prüfung unterworfen werden. Ein solcher Wandel kann nicht an einem Datum oder einem singulären Epochenumbruch festgemacht werden. Vielmehr vollzieht sich in der Neuzeit, also etwa nach 1500, ein Prozess der zunehmenden Systematisierung von Wissensgebieten (vgl. Blumenberg 1974).
Rationalismus
Der Rationalismus in der Nachfolge des französischen Philosophen, Mathematikers und Naturwissenschaftlers René Descartes (1596–1659) reagierte auf die „logische Verlegenheit“ (Blumenberg 1974, 10), in die er bis zum 17. Jahrhundert geraten war, weil aufgrund des großen Zuwachses an Wissen, dessen Systematisierung durch Klassifizierung immer unübersichtlicher wurde. Der Rationalismus stellte deswegen bald von der Systematik der Bestände auf die Systematisierung und Methodisierung des Wissenserwerbs um, bei der die Vernunft und der Verstand zu den leitenden Erkenntnisvermögen wurden. Diese beiden Vermögen sollten es ermöglichen, alle Felder menschlichen Wirkens anzuleiten. Die rationalistische Aufklärung hielt mit Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1717) lange daran fest, dass die Welt von Gott als beste aller möglichen Welten vernünftig eingerichtet wurde und die Vernunft daher selbst ein regulatives Prinzip der Natur, auch des Menschen, darstellt. Gemessen an diesem Regulativ war dem Menschen geboten, jene vernunftwidrigen Tendenzen seines Daseins zu zügeln, also Triebe, Gefühle und Unbewusstes als irrational abzuwerten.
Es wäre allerdings gänzlich falsch, diesen Rationalismus vorschnell mit der Aufklärung insgesamt zu identifizieren. Lange Zeit wurde auch in der Forschung ,Aufklärung‘ vorschnell mit einem solchen an Vernunft, Verstand und Logik orientierten Verständnis von Rationalität gleichgesetzt. Seit den 1980er Jahren aber wird im Irrationalen, dem Sinnlichen und Wahnhaften auch die andere Seite der Vernunft als wichtiger Aspekt der Aufklärung gesehen (vgl. Kondylés 1981; Böhme/Böhme 1983).
Empirismus
Spätestens mit John Locke (1631–1704) war die empiristische, also erfahrungsgeleitete Aneignung der Welt eine ebenbürtige Option, ja sie geht sogar aus dem Rationalismus mit hervor. Zu unterscheiden sind also ein erkenntnistheoretischer und ein empiristischer Rationalismus. Ersterer behauptet vermittels der oberen Erkenntnisvermögen Verstand und Vernunft sich die Natur unterwerfen zu können, letzterer hingegen versteht die Erkenntnisvermögen selbst als Elemente von Natur und naturalisiert bzw. biologisiert sie, z. B. im Rahmen der psychologischen Anthropologie, ohne deshalb natürlich in seiner methodischen Vorgehensweise auf Rationalität verzichten zu können. Beide Richtungen, und darin erweisen sie sich als aufklärerisch, führen zu einer „Autonomisierung von Natur, d. h. ihre völlige Emanzipation von Gott“ (Kondylés 1981, 59). Die Beherrschung der Natur setzt dabei ein weitgehend mechanistisches Naturverständnis voraus, das die physikalische Welt gänzlich durch das Ursache-Wirkung-Prinzip determiniert sieht.
Französischer Materialismus
Am radikalsten formulieren ein solch mechanistisch-materialistisches Natur- und Menschenbild der französische Philosoph und Arzt Julien Offray de La Mettrie (1709–1751) in seiner Abhandlung L’homme Machine (1748), dt. Die Maschine Mensch, sowie der deutschstämmige Philosoph Paul-Henri Thiry Baron d’Holbach (1723–1789) mit seinem zweibändigen Werk Système de la nature ou des loix du monde physique & du monde moral (1770), dt. Das System der Natur: Oder von den Gesetzen der physikalischen und moralischen Welt, das aufgrund des darin begründeten Atheismus in Frankreich verboten und öffentlich verbrannt wurde. Einer allzu materialistischen ,Entseelung der Natur‘, wie sie auch Schiller noch in seinem philosophischen Gedicht Der Spaziergang beklagt, versuchen die Autoren des Sturm und Drang einen anderen Naturbegriff entgegenzuhalten, indem sie die menschliche Seele und ihre Leidenschaften zum Modell für Natur machen. Versuchte etwa La Mettrie auch die menschliche Seele mit seinem mechanistischen Naturbegriff zu domestizieren, so streben die Stürmer und Dränger danach, die Natur durch die ,wilde Seele‘ zu anthropomorphisieren. Goethe beschreibt seine eigene und die Enttäuschung seiner Freunde über die rationalistisch-materialistische Naturauffassung rückblickend in Dichtung und Wahrheit: „Ich gedenke statt aller des Systême de la Nature, das wir aus Neugier in die Hand nahmen. Wir begriffen nicht, wie ein solches Buch gefährlich sein könnte. Es kam uns so grau, so cimmerisch, so totenhaft vor, daß wir Mühe hatten, seine Gegenwart auszuhalten, daß wir davor wie vor einem Gespenste schauderten. […] System der Natur ward angekündigt, und wir hofften also wirklich etwas von der Natur, unserer Abgöttinn, zu erfahren.“ (MA 16, 523 f.) Goethe nimmt mit Holbach sogleich die gesamte französische Kultur in Haftung, die als starr und tot charakterisiert wird. Der Sturm-und-Drang-Forscher Matthias Luserke hat gegen diese rückblickende Abwertung Holbachs durch Goethe vorgeschlagen, das im System der Natur liegende Anregungspotential näher zu untersuchen, da auch Holbach z. B. über den Naturbegriff eine politische, religiöse und individuelle Emanzipation befürwortet habe (vgl. Luserke-Jaqui 1997, 57–59).
Englischer Senusalismus
Für Goethe, wie auch Herder, wird aber in der Konsequenz England zur neuen Leitkultur. Nicht nur Shakespeare im Bereich der Dichtung konnte ihnen als Gegenmodell zur französischen Tradition dienen, sondern auch die englische, sensualistisch-anthropologische Philosophie mit der Aufwertung von „fancy“ und „imagination“ schon Anfang des 18. Jahrhunderts etwa bei Shaftesbury (1671–1713), David Hume (1711–1776) oder Joseph Addison (1672–1719). In dessen Essay on the Pleasures of the Imagination (1712) sprach er sich wie schon Shaftesbury gegen die alleinige Beschränkung der Erkenntniskräfte auf Verstand und Vernunft aus und erkannte der visuellen Wahrnehmung im Zusammenspiel mit der Einbildungskraft eine, wenn auch qualitativ zu unterscheidende, so doch unmittelbare und evidente Erkenntnisleistung (des Ästhetischen) zu.
Erfahrung: Wahrnehmung/ Experiment
Mit England konnte auch ein empiristisches Wissenschaftsmodell in Verbindung gebracht werden, das kaum mehr Einschränkungen seiner Gegenstandsbereiche kennt, ist es doch erklärtes Ziel, alle Phänomene zuerst zu registrieren und dann induktiv zu ergründen, anstatt sie deduktiv zu erklären. Der Erfahrungsbegriff erfährt aber sehr bald eine weitere Ausdifferenzierung. Unterschieden wird nämlich zwischen Wahrnehmung und Beobachtung auf der einen Seite und Experiment auf der anderen. Wahrnehmung meint dabei die unmittelbare Sinneswahrnehmung, Beobachtung eine durch Instrumente vermittelte. So konnten die Sterne durch das Auge wahrgenommen, aber durch ein Fernrohr beobachtet werden. Im Experiment hingegen wird das Objekt der Erfahrung bewusst aus seinem Normalzustand gebracht und unter diesen neuen Bedingungen beobachtet (Zelle 2001, 93–97).
Empirie vs. Theologie
Unbestreitbar gibt es seit dem 17. Jahrhundert durch die Empirisierung des Wissenserwerbs einen exponentiell ansteigenden Zugewinn an wichtigen Erkenntnissen über die Natur, die mit dazu beitrugen, dass die theologische Systematik der Welt zunehmend in Erklärungsnöte geriet. Die langsame Infragestellung von religiösen Dogmen, vor allem der Auffassung, in Gott liege der Zusammenhang der Ordnung der Dinge (letzt)begründet, bedeutet zugleich eine größere Selbstverantwortung des Menschen für sich. So war es eine geradezu notwendige Folge, dass die oft wiederholte Leitforderung der Aufklärung nach der Selbstbestimmung des Menschen nicht nur die emanzipatorische Befreiung aus metaphysischen und politischen Herrschaftsverhältnissen meinte. Das „Sapere aude!“ (Habe Mut zu denken/zu wissen!), das Immanuel Kant in seinem berühmten Aufsatz Was ist Aufklärung? (1784) den Zeitgenossen zurief, sollte zunächst die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich selbst, seine Möglichkeiten, Vermögen, Rechte und Pflichten, lenken. Der Mensch wurde damit zugleich Subjekt und Objekt seiner Erkenntnis. An die Stelle der Letztbegründung aller Existenz durch Gott setzte sich nun der Mensch selbst mit seiner reflexiven Vernunft. Eine Setzung, die sich dadurch legitimiert, dass sie die Erlösungserwartung der Religion in ein innerweltliches Fortschrittversprechen verwandelte. Die Aufklärung verspricht die Perfektibilität, d. h. die Vervollkommnung des Menschen in der Geschichte. Die Selbstaufklärung des Menschen ist für diesen Prozess keineswegs nur ein reflexives Moment, sondern die vorwärtstreibende Kraft. In dieser doppelten Funktion, reflexiv und zugleich progressiv zu sein, liegt der rasante Aufstieg der Humanwissenschaften im 18. Jahrhundert begründet, denen Kant in der Kritik der reinen Vernunft (1781) drei Grundfragen zur Beantwortung aufträgt:
1 Was kann ich wissen?
2 Was soll ich tun?
3 Was darf ich hoffen? (Kant 1977b, 677 f.).
Der französische Philosoph Michel Foucault hat Recht, wenn er – wie Kant übrigens selbst in einem Brief vom 4. Mai 1793 an den Göttinger Theologen Carl Friedrich Stäudlin – festhält, dass die eigentliche Frage, auf die Kant ziele, die Grundfrage des 18. und 19. Jahrhunderts sei: Was ist der Mensch? (Foucault 1974, 410).
Die neue Wissenschaft: Anthropologie
Diese Grundfrage führt Ende des 18. Jahrhunderts zu einer neuen Modewissenschaft: der Anthropologie (die Lehre vom Menschen), so dass Herder – etwa in Humes Treatise of Humane Nature (1739) – die Philosophie bereits als Leitdisziplin in Frage gestellt sieht, „wenn unsre ganze Philosophie Anthropologie wird“ (FAH 1, 134). Die unterschiedlichen Ansätze lassen sich dabei kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Gemeinsam aber ist ihnen doch, dass der Mensch als Ganzes in den Blick genommen wurde. Anthropologie war zunächst vor allem empirische Psychologie als „Wissenschaft von den allgemeinen Prädikaten der Seele“, wie sie schon Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762) in seiner Metaphysica (1739) bestimmt hatte (Baumgarten 1983, 3). 1772 publiziert der philosophische Arzt Ernst Platner (1744–1818) seine Schrift Anthropologie für Aertze und Weltweise, in der er das seit Leibniz und Christian Wolff (1679–1754) diskutierte Verhältnis von Seele und Körper als eine psychophysiologische Wechselbeziehung von Leib und Seele (commercium mente et corporis) interpretiert und die Anthropologie zu einer Leitdisziplin ausbaut.
Hierarchie der Erkenntnisvermögen
Weil der Empirismus, auch als methodisches Verfahren der Naturwissenschaften, vor allem auf die menschliche Wahrnehmung angewiesen ist, entwickelt sich von hier aus in mehreren Stufen eine Anthropologie, die die alte hierarchische Einteilung der Erkenntnis in obere (Vernunft, Verstand) und untere Vermögen (Sinne, Begehren, Einbildungskraft) ablehnt. Lange war nämlich den unteren Erkenntnisvermögen allenfalls ,dunkle‘ bzw. ,undeutliche‘ Erkenntnis zugestanden worden, wohingegen das Licht der Vernunft (Aufklärung!) für klares und deutliches Wissen sorge. In Deutschland ist es der Philosoph Alexander Gottlieb Baumgarten, der die systematische Aufwertung der unteren Erkenntnisvermögen in seiner Schrift Aesthetica (1750/58) vornimmt. Er rechtfertigt sein Unternehmen damit, dass ein Philosoph „ein Mensch unter Menschen“ sei, „und es ist nicht gut, wenn man glaubt, ein so bedeutender Teil der menschlichen Erkenntnis vertrage sich nicht mit seiner Würde“ (Baumgarten 1988, 5).
Rehabilitierung der Sinnlichkeit
Anders als noch Baumgarten, der die unteren Erkenntnisvermögen als Analogon der oberen beschreibt, weil beide „Vorstellungen“ erzeugten, wird bereits einige Jahre später durch Johann Georg Sulzer (1720–1779) der Bereich der Vorstellungen und des Denkens ganz vom Bereich der „Empfindungen“ getrennt, wie bereits der Titel der 1763 erscheinenden Schrift Anmerkung über den verschiedenen Zustand, worinn sich die Seele bey Ausübung ihrer Hauptvermögen, nämlich des Vermögens, sich etwas vorzustellen und des Vermögens zu empfinden, befindet deutlich wird. Herder nimmt in der Beantwortung einer Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaften zum Verhältnis von Erkennen und Empfinden, der er den Titel Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele (1778) gibt, diese Trennung dann auf, leitet nun aber das Erkennen aus der Empfindung ab, nicht umgekehrt. Damit zielt er erneut auf eine Einheit der Seelenkräfte, „die jetzt von unten nach oben aufgebaut wird“ (Riedel 1994, 416). Sulzer aber hatte mit der Trennung von Erkennen und Empfinden das Problem des freien Willens aufgeworfen. Empfindungen haben ist ein passiver Vorgang, der auf den Mensch wirkt und ihn beeinflusst, ohne dass er selbst in der Lage wäre, diese zu steuern. In der Schrift von 1763 bestimmt er sie als „uneigentliche Handlungen der Seele“, kurz „Leidenschaften“ (ebd., 419). Dies betrifft aber keineswegs nur den Bereich der Seele, denn die Anthropologie des 18. Jahrhunderts ist (fast) immer Psychophysiologie, d. h. sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen körperlicher Prozesse auf den Nervenapparat sowie die Seele und umgekehrt (Influxionismus). Je stärker die Sinneseindrücke sind – Sulzer etwa spricht von ,Schlägen‘ und ,Stößen‘ – je stärker wird das Nervensystem und in der Folge der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen und die Freiheit der eignen Handlung in Frage gestellt.
J. G. Krügers Experimentalseelenlehre
Den Zusammenhang zwischen seelischen und körperlichen Prozessen macht der philosophische Arzt, Professor für ,Artzneygelahrtheit und Weltweisheit‘ in Halle, Johann Gottlob Krüger (1715–1759) mit seiner Schrift Versuch einer Experimental = Seelenlehre (1756) zu einer eigenen Disziplin, der „Erfahrungsseelenkunde“. Krüger plädiert entsprechend der verfügbaren Bestimmung von „Experiment“ für eine absichtsvolle Veränderung der im Normalzustand ausgewogenen Einheit von Körper und Seele. Durch eine außerordentliche Veränderung des körperlichen Zustandes, können, so Krüger, Phänomene der Seele beobachtet werden, die sonst verborgen blieben. Da Krüger aber vor Menschenversuchen warnt, schlägt er vor, diese entweder an Kriminellen, denen damit das Menschenrecht abgesprochen wird, an Tieren oder mittels von Fallstudien zu betreiben, für die ein Magazin, eine Datenbank aufgebaut werden müsse, um an extraordinären Seelenzuständen den Zusammenhang mit der physischen Konstitution erforschen zu können. Krügers eigene ethische Bedenken gegen eine rein experimentelle Seelenkunde lassen ihn letztlich für die Methode der Fallstudien argumentieren. Damit aber räumt Krüger der (literarischen) Darstellung dieser Krankheitsfälle einen gewichtigen Platz ein.
Körperzeichen: Lavaters Physiognomik
Im Schlagschatten der anthropologischen Wende der Aufklärung entwirft der Schweizer Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741–1801), der früh Kontakt zum Straßburger Kreis um Herder und Goethe knüpft, eine seit der Antike bekannte Disziplin neu, die sogenannte Physiognomik. Wie bereits die empiristische Psychophysiologie von Krüger, so behauptet auch die Physiognomik einen Zusammenhang zwischen seelischen und körperlichen Prozessen, geht sogar noch einen Schritt darüber hinaus, indem sie postuliert, Seelenzustände ließen sich direkt aus der menschlichen Mimik ablesen, das menschliche Antlitz sei sogar ein lesbares Zeichen für die individuelle Charakterdisposition einer Person. Mit seiner vierbändigen Schrift Physiognomische Fragmente (1775–1778), zu der auch Goethe eine Zugabe beisteuert, versucht Lavater die bei den Aufklärern in Misskredit geratene Lehre einer Entzifferung innerlicher Gemütszustände anhand der äußerlichen Gestalt des Körpers (Lineamenten-Lehre) auf eine neue Grundlage zu stellen. Der genuine und vielleicht für den Sturm und Drang entscheidende Beitrag Lavaters besteht in seiner Theorie des Individuums (Pabst 2007, 24). Für Lavater ist es der „erste, tiefste, sicherste, unzerstörbarste Grundstein der Physiognomik, daß bey aller Analogie und Gleichförmigkeit der unzähligen menschlichen Gestalten, nicht zwo gefunden werden können, die, neben einander gestellt und genau verglichen, nicht merkbar unterschieden wären.“ (Lavater 1968, 45). Gleiches gilt für den „Gemüthscharakter“. Lavater will nun die äußere und innere Individualität in ein Entsprechungsverhältnis setzen.
Präformationslehre
Lavater nimmt an, dass der innere Körper vom Moment der Zeugung an die Gestalt präformiert, also bestimmt. Der äußere Körper ist Ausdruck der Entfaltung des inneren Körpers und so wesentlich präformiert. Damit behauptet er eine physische Repräsentation der Seele und schafft die Voraussetzung für ihre Lesbarkeit über die Körpergestalt.
Konnte Lavater über die Präformationstheorie zwar die Individualität des Menschen als Urgesetz seiner Existenz verstehen, so bildet sie keine Brücke für eine moralische Bewertung dieser Individualität bzw. eine moralische Hierarchisierung von Körperzeichen. Dazu übernimmt er von Leibniz die Idee einer Stufenleiter der Wesen, die ihnen in der Schöpfung ihren Platz zuweist. Diese Leiter führt auf einen höchsten Punkt zu. Da die Stufenleiter der Wesen als Ausdruck des Schöpfungsplanes Gottes gedeutet wird, kann Lavater nun physische Differenzen auch moralisch differenzieren: je niedriger die Stufe, auf die ein Individuum gesetzt wird, desto zweifelhafter seine Moralität. Die Stufenleiter der Wesen wirft aber für das Individuum zugleich ein Problem auf. Denn bei entsprechend präformierter Anlage, die sich in der individuellen Gestalt zeigt, bleibt wenig Spielraum für persönliche Freiheit. Wer ganz in seinem Wesen bestimmt ist, dem kann diese Bestimmung auch als Entschuldigung für amoralisches Handeln dienen. Muss Lavater also einerseits eine Systematisierbarkeit und Rubrizierung von Gestalt- und Moraltypen vorschlagen, um die Physiognomik als Wissenschaft im Sinne der Naturgeschichte konzeptualisieren zu können, so hebelt eine solch starke Determination des Individuums andererseits die moralische Klassifizierung aus, weil Moral nicht ohne Freiheit zu denken ist.
Physiognomik als Verstehenslehre des Gefühls
Lavater versucht dem Problem zu entgehen, indem er die wissenschaftliche Physiognomik nur als einen Schritt zu einem ganz neuen Verständnis der Menschen untereinander sieht. Ist einmal das Geschäft der physiognomischen Klassifizierung abgeschlossen und den Menschen in Fleisch und Blut übergegangen, so kann sie als Wissenschaft abgelöst werden von einer sozialen Utopie, in der Gefühl und Empfindung das gegenseitige Verstehen garantieren.
„Je mehr indeß die Beobachtung sich verschärft; die Sprache sich bereichert; die Zeichnungskunst fortschreitet; – der Mensch, das Nächste und Beste dieser Erden, den Menschen studiert – desto wissenschaftlicher, das ist, desto bestimmter, desto lernbarer, und lehrbarer wird die Physiognomik. – Sie werden die Wissenschaft der Wissenschaften, und dann keine Wissenschaft mehr seyn – sondern Empfindung, schnelles Menschengefühl!“ (Lavater 1968, 55)
Die Einsetzung des Gefühls als zentrales Verstehensvermögen, die Theorie des Individuums und die Zurückweisung einer rationalen Wissenschaftlichkeit boten für die Stürmer und Dränger zentrale Anknüpfungspunkte, so wenn etwa im ungefähr zeitgleich entstehendem Urfaust von Goethe sich die Gelehrtenkritik mit einer Theologie des individuellen Gefühls verbindet. Der seinem dunklen Studierzimmer entflohene Faust antwortet auf die Gretchen-Frage: „Wie hast du’s mit der Religion?“ (V. 1107): „Und wenn du im Gefühle seelig bist, / Nenns Glük! Herz! Liebe! Gott! / Ich habe keinen Nahmen / Dafür. Gefühl ist alles“ (Vv. 1144–1148).
Karl Philipp Moritz
Karl Philipp Moritz kritisierte 1782 mit seiner Rede Aussichten einer Experimentalseelenlehre Lavaters Ansatz zur Entzifferung der Seele, denn: „Daß das Gepräge der Seele von dem Gesichte des Menschen schon früh verwischt wird, daß sein Ton und seine Mienen schon so früh die selige Übereinstimmung mit Gedank und Empfindung verlernen; dies ist es, was den Blick des Beobachters hemmt.“ (Moritz 1981, 87) Moritz sah in dem Scheitern des physiognomischen Ansatzes bei Lavater die Notwendigkeit einer Experimentalseelenlehre begründet, die sich zunächst aller Interpretation zu enthalten habe und rein beschreibend verfahren müsse. Er knüpfte also im Begriff und im Ansatz an Krügers Seelenlehre an. Da auch er, wie Krüger, moralische Bedenken gegen tatsächliche Menschenversuche hatte, nahm er dessen Anregung auf, ein Magazin zu gründen, in dem alle möglichen Arten von Fallgeschichten, idealerweise „Beobachtungen aus der wirklichen Welt“ (ebd., 90) zu versammeln seien. Ein solches Magazin wäre „dem Seelsorger, dem Richter, dem Arzt und vorzüglich dem Schriftsteller des menschlichen Herzens unentbehrlich“ (ebd., 91).
Magazin für Erfahrungsseelenkunde
Moritz setzte seinen Plan bald in die Tat um. 1783 gründet er die Zeitschrift Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Das griechische „Erkenne dich selbst!“ stellte das Projekt ganz in den Rahmen der aufklärerischen Anthropologie. Beachtung verdient auch der Begriffswechsel zu „Erfahrungsseelenkunde“, zu dem der Philosoph Moses Mendelssohn geraten hatte, trifft doch dieser auf den Aspekt von Erfahrung als Beobachtung weit besser zu als die zuvor verwendete Bezeichnung Experimentalseelenlehre. Das Magazin „soll das Mannigfaltigste von den äußern Erfahrungen unsers Wesens sammeln, und es für den Denker und Forscher aufbewahren“. Moritz zielte auf eine wechselseitige Befruchtung von Erfahrung und Reflexion: „die Erfahrungen sollen freilich durch Nachdenken geleitet, das Nachdenken aber auch wechselseitig durch die Erfahrung berichtigt werden“ (Moritz 1986b, 9). Wenn Moritz die Rubriken seines Archivs einteilt in „Seelennaturkunde“, „Seelenkrankheitskunde“, „Seelenzeichenkunde“, „Seelendiätätik“ und „Seelenheilkunde“ und „Sprache in psychologischer Hinsicht“, dann deutet sich ein weiteres Ziel an. Nicht nur die Sammlung und Analyse von Seelenphänomenen war beabsichtigt, sondern auch die Behandlung ,kranker‘ Seelen. Eine Heilung „muß das verletzte Verhältnis zwischen Seelenfähigkeiten, wo möglich, wieder herzustellen suchen“ (ebd., 31).
Psychophysiologie und Ästhetik
Die Psychophysiologie oder auch Psychopathologie, wie sie im 18. Jahrhundert entworfen wurde, hatte auch für die Ästhetik Konsequenzen, weil es Grundüberzeugung des 18. Jahrhunderts war, dass Dichtung Affekte erzeugt. Hier konvergieren u. a. Aristoteles’ Katharsis-Lehre mit einer elaborierten Affektenlehre im 18. Jahrhundert (Rothschuh 1978). Dabei wird die Regel übernommen: Je heftiger, je unverhältnismäßiger diese Affekte auf den Rezipienten einwirken, desto „gefährlicher“ werden sie. Andersherum lässt sich ein ästhetisches Programm, das auf Symmetrie, Einheit und Form zielt, wie jenes der Klassik, auch als Versuch einer Diätetik der Seelenkräfte lesen, die in einem Equilibrium gehalten werden sollen. Eine ähnliche Gedankenfigur findet sich auch in Moritz’ ästhetischer Hauptschrift Über die bildende Nachahmung des Schönen (1788).
Jean-Jacques Rousseau
Sind die Bezüge zwischen wissenschaftlichem Diskurs und Literatur auch kaum zu übersehen, so ist es doch ein Dichter und politischer Philosoph, der zum Gewährsmann für die Aufwertung von Dichtung als Erkenntnis der affektiven Vermögen sowie einer politischen Interpretation des Naturbegriffs wurde. Mit seinen Romanen Julie ou La Nouvelle Héloise: ou lettres de deux amants, habitants d’une petite ville au pied des Alpes (1761) und Emile ou de l’éducation (1762) hatte der in Genf aufgewachsene Philosoph, Dichter und Pädagoge Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) der Entfesselung der Gefühle und Leidenschaften (unter moralischer Begleitung) bereits literarisch vorgearbeitet. Sein philosophisches Werk enthält eine grundlegende Kritik an der aufgeklärten Zivilisation, die nach Rousseau die Natur des Menschen in starre Verhaltenskonventionen zwinge und die Ausbildung zum ganzen Menschen verhindere. Der Mensch ist, darin besteht die Grundprämisse der Rousseauschen Anthropologie, von Natur aus gut.
Kulturkritik
Erst die Errungenschaften der Zivilisation, die (notwendige) Gesellschaftlichkeit des Zusammenlebens verwandeln ihn in ein am Eigennutz orientiertes und sich beständig verstellendes Wesen (vgl. Bollenbeck 2007, 22–76). Rousseau hatte hier offenbar das gesellschaftliche Treiben unter der Etikette am französischen Königshof vor Augen. Er forderte daher eine ,Rückkehr zur Natur‘, was zunächst hieß, Begriffe wie Herz, Gefühl und Leidenschaft neben der Vernunft und dem Verstand zu rehabilitieren. Natur kann dann kein allein durch Ursache und Wirkung bestimmter Mechanismus mehr sein, wie noch bei La Mettrie und Holbach. Die Seele des Menschen ist Natur und die Natur wird zur Projektionsfläche der menschlichen Seele. Rousseaus Idealbild der Natur wurde bald aus seinem konkreten Verwendungszusammenhang gelöst und zur Formel all jener, die in Natur und Gefühl die Erlösungsutopie einer durch Kultur verstellten und depravierten Menschheit sahen.
Natur als Politikum
In seinem Hauptwerk Du contrat social ou Principes du droit politique (1762), dt. Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, konstruiert Rousseau einen Naturzustand, in dem alle Menschen frei und gleich leben. Um überleben zu können, ist der Mensch als Mängelwesen darauf angewiesen, Gemeinschaften zu bilden. Ist der Zustand natürlicher Freiheit aber auch durch das Recht des Stärkeren gekennzeichnet, so muss es Aufgabe einer Gesellschaftstheorie sein, eine Form der Gemeinschaft zu begründen, die den Einzelnen „verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor“ (Rousseau 2006, 17). Eine solche Form wird durch den sogenannten Gesellschaftsvertrag (contrat social) begründet. Der Vertrag gründet sich auf den Gemeinwillen (volonté générale), der das Wohl aller will und daher mehr ist als die Summe der Einzelinteressen, aber auch über den Begriff der demokratischen Mehrheit hinausgeht. Da niemand sicher sein kann, stets selbst der Stärkste zu sein und so im Stande der natürlichen Freiheit seine Interessen durchsetzen zu können, treten alle dem Vertrag freiwillig bei, da er die natürliche Freiheit nicht aufhebt, sondern in die Rechtsform einer idealen bürgerlichen Gesellschaft überführt. Dies war auch der Grund, warum die Schrift in Frankreich sofort verboten wurde. Anders als in der politischen Philosophie des John Locke gibt es bei Rousseau keinerlei Legitimationsbasis mehr für eine absolutistische Monarchie, wie sie in Frankreich, aber auch in Teilen Deutschlands herrschte.
Es war die Verbindung von Natursehnsucht einerseits und politischer Emanzipation in der Idee eines freien und gleichen Bürgertums andererseits, die für die Stürmer und Dränger anschlussfähig war. Der Name Rousseau wurde zur „Kristallisationsfigur des Naturenthusiasmus und Exempelfigur für Lebensreform und moralische wie gesellschaftlich-politische Erneuerung“, so dass man auch vom „Rousseauismus“ am Ende des 18. Jahrhunderts spricht (Link-Heer 1992, 1088). In seiner Ode Rousseau (1. Fassung 1778) präsentierte Schiller diesen vermittels eindeutiger Schlagworte (Genie, Prometheus, das Titanenhafte) denn auch geradezu als Stürmer und Dränger. Die Hinwendung zu und das Interesse der Stürmer und Dränger an pathologischen Figuren mit ihren Wahnzuständen, ihren Gewaltexzessen, der Aufwertung des Ästhetischen jenseits moralisierender Instrumentalisierung poetischer Rede, all dies ist ohne die „Rehabilitierung der Sinnlichkeit“ (Kondylés 1981, 19) nicht zu verstehen. Zeigt sich aber bei Rousseau bereits eine anthropologische Dialektik von Gefühl und Vernunft, so gilt dies auch für seine Rezeption im Sturm und Drang. Rousseau wie die Denker des Sturm und Drang stehen nicht außerhalb der Aufklärung, wie die ältere Forschung meinte, sondern sind im Bemühen, das Verhältnis von Vernunft und Sinnlichkeit, von Moral und Gewalt, von Liebe und Trieb neu auszuloten, selbst ein genuiner Teil der Aufklärung als ,polemische Epoche‘ (vgl. ebd., 19–35) und nicht ihr Gegenpart. Der Sturm und Drang ist mit einer Formulierung des Literaturwissenschaftlers Gerhard Sauder zugleich „Dynamisierung und Binnenkritik der Aufklärung“ (Sauder 1984, 332).
Natur und Geschichte
Die Rousseau entwendete Formel vom „Zurück zur Natur“ führte auch zu einer intensiven Auseinandersetzung, ob es überhaupt möglich sei, vom Standpunkte der reflektierten Kultur wieder in einen naiven Naturzustand zurückzukehren bzw. ob es einen solchen Naturzustand je gegeben habe und wenn, wann dieser historisch anzusetzen sei. Dabei wurde übersehen, dass der Naturzustand bei Rousseau eher den Status eines fiktiven Gedankenspiels hat, um seine Vertragstheorie zu rechtfertigen. In seinem geschichtsphilosophischen Gedicht Die Götter Griechenlands, wie auch in seiner Schrift Über naive und sentimentalische Dichtkunst erteilte Schiller der Möglichkeit einer realen Rückkehr in diesen Idealzustand eine klare Absage. Die Kunst wird für ihn aber zum Medium, in dem dieser Zustand erinnert werden kann. In der Moderne, so Schiller, kann nur durch die ästhetische Erziehung der ,zerstückte‘ Mensch sich wieder zum ganzen Menschen ausbilden, da nur die Kunst sowohl höhere als auch niedere Erkenntnisvermögen, Vernunft und Sinne, gleichermaßen anspricht und in Bewegung setzt.
Schillers Anthropologie und die Philosophischen Briefe
Dabei steht auch der junge, angehende Mediziner Friedrich Schiller während seiner Ausbildung an der Hohen Karlsschule in Baden von 1773 bis 1780 unter dem Einfluss psychophysiologisch argumentierender Ärzte und Philosophen. Seine Dissertationen (1779/80), wie auch seine Philosophischen Briefe (1786) sind wesentlich vor diesem Hintergrund zu sehen (Riedel 1985). In den Philosophischen Briefen, die 1786 in der von Schiller gegründeten Zeitschrift Thalia in der Form eines philosophischen Briefromans erschienen, aber nicht fortgesetzt wurden und deren Entstehung wohl bis 1778 in die Entstehungszeit der Räuber zurückreicht, sehen wir den jungen Friedrich Schiller mit den Konsequenzen der Anthropologie-Diskussion ringen, wenn gegen den französischen Materialismus eines La Mettrie und gegen eine gänzlich antimetaphysische Bestimmung des Menschen Stellung bezogen wird. Die Briefe bilden gleichsam ein ideengeschichtliches wie auch werkgeschichtliches Scharnier zwischen Sturm und Drang und Klassik. Ohne dass es hier wie in den Kallias-Briefen (1793) oder in Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) schon ausbuchstabiert würde, so wird in den Philosophischen Briefen die Idee einer ,Vervollkommnung durch Schönheit‘ vorbereitet.
Übergang zur Philosophie der Weimarer Klassik
Am Ende der Abhandlung fragt einer der beiden briefwechselnden Jünglinge, Julius: „Was ist die Summe von allem bisherigen?“ (FAS 8, 228) Seine Antwort markiert nun prägnant die Scharnierfunktion des Textes zwischen der Anthropologie des Sturm und Drang und der späteren Klassik.
„Laßt uns Vortrefflichkeit einsehen, so wird sie unser. Laßt uns vertraut werden mit der hohen idealischen Einheit, so werden wir uns mit Bruderliebe anschließen an einander. Laßt uns Schönheit und Freude pflanzen, so ernten wir Schönheit und Freude. Laßt uns helle denken, so werden wir feurig lieben. Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist, sagt der Stifter unsers Glaubens. Die schwache Menschheit erblaßt bei diesem Gebote, darum erklärte er sich deutlicher: liebet euch unter einander.“ (Ebd., 228)
Die Philosophischen Briefe zeigen Schiller einerseits noch tief verwurzelt in der psychophysiologischen Diskussion des 18. Jahrhunderts und sind andererseits der Versuch, den Sturm-und-Drang-Schlagworten Natur, Genie, Gefühl eine philosophische Begründung zu geben, um damit dem rein thetischen Gestus zu entkommen. Mit dieser reflektierenden Geste aber markiert er bereits den Unterschied zu den Stürmern und Drängern der ersten Generation und ihrer dezidierten Theoriefeindlichkeit. Dem entspricht die Zwitterform des Briefromans, der hier zugleich literarische Gattung und philosophische Abhandlung sein will. Auch werkgeschichtlich bilden die Briefe den – leider oft übersehenen oder unterschätzten – Übergang zur philosophischen Phase Schillers in den 1790er Jahren, in der er die hier angelegte Theorie der Bildung durch Schönheit und Form ausbaut und damit die theoretische Grundlage für die Weimarer Klassik legen will.
Autonomieästhetik und Anthropologie
Die Autonomieästhetik der Weimarer Klassik ist letztlich eine konsequente Weiterführung der anthropologischen Wende des 18. Jahrhunderts, indem sie Sinnlichkeit und die Vernunftbegabung des Menschen, aus der seine Freiheit hervorgeht, zusammenzudenken versucht. Der Mensch, darin sind sich Goethe und Schiller einig, darf weder auf seine Naturhaftigkeit, seine Triebe oder seine Sinne reduziert werden, weil er dann Sklave der Natur bliebe, noch die Vernunft dazu gebrauchen, sich die Natur gewalttätig zu unterwerfen. In den Briefen findet Schiller letztlich noch keine befriedigende Lösung für das Vermittlungsproblem von Sinnlichkeit einerseits und Rationalität andererseits. Unmittelbar darauf wendet er sich zu Beginn der 1790er Jahre den Schriften Immanuel Kants zu, von denen er entscheidende Impulse für seine theoretischen Schriften zur Ästhetik erhält.
Immanuel Kants kritische Philosophie
Die epochemachende Leistung Kants besteht in seinen drei großen Kritiken. Mit der Kritik der reinen Vernunft (1781/87), der Kritik der praktischen Vernunft (1788) und der Kritik der Urteilskraft (1790) hat er die Philosophie neu begründet und einen Ausweg aus der Gegenüberstellung von Rationalismus und Empirismus/Skeptizismus gefunden.
Einheit der Vernunft
Ziel Kants ist die Philosophie als systematische Wissenschaft zu konzipieren, die einheitlich ist und in der Verstand und Sinne ergänzende Vermögen der einen einheitlichen Vernunft sind. Vernunft ist für Kant zunächst einmal das Vermögen, sich unabhängig vom Bereich der sinnlichen Welt zu machen, sich nicht durch sie determinieren zu lassen. ,Kritik der reinen Vernunft‘ heißt dann nach Prinzipien zu suchen, die unabhängig, also rein, von aller Erfahrung sein können bzw. diese überhaupt erst begründen können. Kant stellt also die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt. Die ,Kritik der praktischen Vernunft‘ ist hingegen auf den praktischen Gebrauch der Vernunft für das Handeln ausgerichtet und sucht nach von anderen Bestimmungsgründen wie Trieben, Leidenschaften und Bedürfnissen unabhängigen, durch die Vernunft selbst gegebenen Gesetzen, die unser moralisches Handeln leiten sollen. Das Vermögen nach Gesetzen zu handeln, nennt Kant „Wille“, der den Menschen vom Tier trenne. In seinem System der Philosophie können daher verschiedene Zuständigkeitsbereiche angegeben werden. Die einheitlich gedachte Vernunft hat zwei Hauptgegenstände: Natur und Freiheit. Mit dem Begriff Natur meint Kant eine Erkenntnis, die sich auf alles richtet, „was da ist“, Freiheit hingegen bezeichnet das Gebiet der Moralphilosophie, das Sittengesetz, das angibt, „was sein soll“ (Kant 1977b, 701). Damit übernimmt Kant die übliche Einteilung der Philosophie in eine theoretische und eine praktische. Hatte Kant die Bedingungen für jene in der Kritik der reinen Vernunft dargelegt, so für diese in der Kritik der praktischen Vernunft.
Kritik der reinen Vernunft
In der ersten Kritik widerspricht Kant der rationalistischen These, dass zur Erkenntnis allein der Verstand nötig sei, weil so die große Bedeutung der Sinne für die Erkenntnis geleugnet werde. Zugleich aber weist er die empiristische Annahme zurück, die nicht nur behauptete, die Erkenntnis ginge aus den sinnlichen Erfahrungen hervor, sondern sei selbst sinnlich, also wahrnehmbar. Diese Ansicht, so Kant, sei in sich widersprüchlich, da sie selbst ein Ergebnis eines kognitiven Aktes sei. Der Empirismus sei ohne Begriffe des Verstandes, die aller Erfahrung vorausgehen – er nennt diese Begriffe a priori im Gegensatz zu Begriffen a posteriori – schlicht nicht denkbar. Kant gesteht also der Sinnlichkeit zu, ein eigenständiges Erkenntnisvermögen zu sein, das aber ohne die reinen, von Erfahrung unabhängigen Verstandesbegriffe und -kategorien nicht auskommt. Kant prägt dafür die Formel: „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. […] Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen.“ (Kant 1977b, 97 f.)
Transzendentale Fragestellung
Kant zeigt nun in der ersten Kritik, dass eine reine Erkenntnis unabhängig von der Erfahrung schlechterdings unmöglich ist. Zugleich legt er aber auch die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung – Kant nennt diese „transzendental“ – offen, die eine Erkenntnis von Dingen an sich unmöglich machen. Alle Erfahrung folgt den Formen unserer Anschauung, Raum und Zeit, die selbst unabhängig von Erfahrung sind, also Prinzipien a priori darstellen.
Kritik der praktischen Vernunft
In der zweiten Kritik, die insbesondere auf der Schrift Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) aufbaut, wiederholt Kant die Unterscheidung von empirisch Bedingtem und Unbedingtem. Der bedingte Wille lässt sich von Trieben, Wünschen, Ängsten und Bedürfnissen beeinflussen, der unbedingte, reine Wille nicht. Kant insistiert darauf, dass die praktische Vernunft nur eine reine sein kann, da der Begriff der Freiheit schlechterdings unverträglich mit der Vorstellung empirischer Bedingtheit sei, „weil sie die Bedingung des moralischen Gesetzes ist“ (Kant 1977a, 108). Damit setzt sich Kant bewusst in Gegensatz zu vielen anthropologischen Denkern seiner Zeit, die ja gerade die Bedeutung und den Einfluss der unteren Seelenkräfte auf das menschliche Handeln beschrieben hatten. Kant geht es aber nicht um eine beschreibende Analyse menschlichen Verhaltens, sondern um die normative Setzung und Herleitung gültiger moralischer Prinzipien. Dieses Sittengesetz findet Kant im kategorischen Imperativ. Da der Mensch eben kein reines Wesen ist – das gesteht er den empirischen Psychologen zu –, bedarf es eines Gebotes, das die Einhaltung des Sittengesetzes einfordert. Die Form eines solchen Gebotes nennt Kant ,Pflicht‘. Nach Kant kann das Subjekt auf dreierlei Arten seine Pflicht erfüllen.
1 Pflichtbefolgung aus bloßen Eigeninteresse
2 Pflichtbefolgung aus Neigung und Sympathie
3 Pflichtbefolgung, weil man die Pflicht als solche anerkennt
Pflichtethik
Kant erkennt nur der dritten Form das Prädikat moralisch zu. Nur wer ohne die Verfolgung eigener oder fremder Interessen pflichtgemäß handelt, nur wer also handelt, weil er oder sie die Reinheit des Pflichtgebots als sittliches Gesetz anerkennt, der oder die handelt moralisch. Daraus ergibt sich auch, dass Kant die Folgen einer Handlung für irrelevant für ihre moralische Bewertung hält. Entscheidend ist allein die Maxime, aus der heraus die Handlung geschieht, folge daraus, was wolle.
Schiller, der Kant in den 1790er Jahren intensiv las, konnte sich mit diesem Punkt nie recht befreunden. Wenn er in der Xenie Gewissensscrupel (1798) ausruft: „Gerne dien ich den Freunden, doch thu ich es leider aus Neigung / Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin“ (NA I, 357), dann möchte er auch für Handlungen aus Freundschaft und Liebe Moralität beanspruchen können. Allerdings ist diese Kritik Schillers, die er auch in seiner Schrift Über Anmut und Würde (1793) vorträgt, ein symptomatisches Beispiel für die oft verkürzte Rezeption der Philosophie Kants bei Schiller, denn Kant würde ihm nur das Prädikat „tugendhaft“ verwehren, wenn er allein den Freunden diente, aber gegen andere sich nicht pflichtgemäß verhielte, die Neigung also alleiniges Handlungskriterium wäre. Kant weist denn auch in Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1794) den Vorwurf zurück.
Der kategorische Imperativ
Kant gibt neben der formalen Bestimmung des pflichtgemäßen Handelns (Legalität), auch eine inhaltliche Bestimmung für die Moralität einer Handlung. Er entwirft mit dem kategorischen Imperativ eine Prüfinstanz, die über das reine Handeln aus Pflicht hinausgeht. Hatte Kant noch in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten drei Varianten des kategorischen Imperativs voneinander unterschieden, so reduziert er diese in der Kritik der moralischen Vernunft auf das „Grundgesetz“: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ (Kant 1977a, 140)
Kritik der Urteilskraft
Bald erkannte Kant, dass er durch seine bisherigen Arbeiten die Zweiteilung von sinnlicher und moralischer Welt eher vertieft als überwunden hatte. Hatten in der Kritik der reinen Vernunft der Verstand und seine apriorischen Erkenntnisprinzipien im Fokus gestanden, und in der Kritik der praktischen Vernunft die Vernunft und die aus ihr herleitbare Freiheit als einziges Prinzip a priori, so fragt Kant nun nach einer vermittelnden Instanz von Verstand und Vernunft, um natürliche und moralische Welt miteinander zu verbinden und so ein einheitliches System zu erschaffen. Dieses vermittelnde Vermögen ist für Kant nun die Urteilskraft. In der Kritik der reinen Vernunft hatte Kant zwar die apriorischen Begriffe, Kategorien und Schemata des Verstandes angegeben, aber nicht erklärt, wie denn diese nun auf die sinnlich gegebenen Objekte angewandt werden können. Genau dies leistet die Urteilskraft. Sie ist „das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken“ (Kant 1977c, 88). Kant sucht nun auch für dieses Vermögen nach einem apriorischen Prinzip, d. h. nach einem Prinzip, das nur auf Seiten des Subjektes, nicht des Objektes zu finden ist. Die sogenannte reflektierende Urteilskraft versucht, ist das Besondere gegeben, dafür einen Allgemeinbegriff zu finden. Der reflektierenden Urteilskraft kommt daher eine wichtige Rolle bei der Suche nach Gesetzmäßigkeiten in der Welt der Erscheinungen zu. Die reflektierende Urteilskraft soll die Einheit der empirischen Welt begründen und einen Zusammenhang zwischen den mannigfachen Erscheinungen der Natur ermöglichen. Kant nennt dies auch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur. Zweckmäßigkeit ist nun aber nichts, was den Objekten selbst zugehört, sondern ein subjektives Prinzip, „wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen“ (ebd., 93). Insofern die Gegenstände der Natur hier bloß subjektiv vorgestellt werden, heißt die Vorstellung ästhetisch. Sie zielt nicht auf eine Erkenntnis des Objektes, sondern richtet sich ganz auf die Vorgänge im Subjekt und ist – so Kants etwas überraschende Formulierung – mit Lust oder Unlust verbunden. Lust entsteht dabei immer dann, wenn die reflektierende Urteilskraft durch die Form des Objektes nicht auf dessen Erkenntnis gelenkt wird, sondern allein auf die Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen. Objekte, bei deren Wahrnehmung sich ein solch reflexives Gefühl der Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen einstellt, die also weder sofort unter die Verstandesbegriffe noch unter die moralischen Freiheitsbegriffe gebracht werden, nennt Kant „schön“.
Kants Schönheitsbegriff
Schönheit ist dabei keine Eigenschaft des Objekts, sondern ein rein subjektives Geschmacksurteil als Folge, „wie es [das Subjekt] durch die Vorstellung affiziert wird, sich selbst fühlt“ (ebd., 115). Insofern das Geschmacksurteil nur auf einen inneren Zustand absieht und gar nicht auf ein Objekt, ist es ein freies Wohlgefallen. Es ist durch nichts bedingt oder „uninteressiert“, wie Kant es nennt. Wenn wir einen Gegenstand „schön“ nennen, dann tun wir so, als sprächen wir über eine Eigenschaft des Objektes, obwohl wir eigentlich nur eine Empfindung des Zusammenstimmens der Erkenntnisvermögen, das freie Spiel der Erkenntniskräfte, artikulieren. Dies ist aber der Grund, warum wir auch von anderen verlangen, unser Urteil zu teilen. Das Geschmacksurteil „schön“ muss „Anspruch auf subjective Allgemeinheit“ (ebd., 125) machen, weil wir von einem beim Menschen stets gleich strukturierten Erkenntnisapparat ausgehen.
Das freie Spiel der Erkenntnisvermögen
Das ästhetische Urteil kann dabei aber nicht zu einer Erkenntnis führen, da dies die Unterordnung einer Vorstellung unter einen Begriff bedeutete, sich damit aber auf den Gegenstand der Vorstellung richten würde. Kant nennt eine Vorstellung, die zwar viel zu denken gibt, „ohne daß ihr jedoch irgend ein bestimmter Gedanke, d. i. ein Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann“ (ebd., 250), ästhetische Idee. Die ästhetischen Ideen setzen also die verschiedenen Erkenntnisvermögen in Bewegung, ohne aber das eine von ihnen zur ihrem Endzweck gelangt. Das Schöne ist deshalb vom Gefühl der Lust begleitet, weil hier alle Erkenntnisvermögen ihre volle Kraft auszuschöpfen suchen, weil jede ihrer Bestimmung gemäß den jeweiligen Zweck zu realisieren sucht. Obwohl sich die Vermögen in einem Wettstreit befinden, ergibt sich insgesamt ein harmonischer Gesamteindruck. Anders gesagt: In der ästhetischen Erfahrung werden wir uns unserer ganzen Möglichkeiten bewusst. In diesem autonomen Spiel der Erkenntniskräfte, die zu keiner (weder begrifflichen noch moralischen) Bestimmung führt, erfährt sich das Subjekt zugleich als ein freies.
Autonome Kunst und Freiheit bei Schiller
Schiller greift dieses Moment auf. Die Kunst, die ästhetische Erfahrung, kann so bei ihm in ein anderes Verhältnis zur politischen Freiheit führen. Als frei erfährt sich der Mensch nicht im republikanischen oder demokratischen, sondern im ästhetischen Staat, wie er in Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795) ausführt. Das ist auch der Grund, warum der klassische Schiller das Politische aus der Kunst heraushalten will. Wandert es in die Kunst hinein, so wird diese an einen konkreten Zweck gebunden, ist nicht mehr interesselos. Nur aber in der autonomen Kunst kann der Mensch sich als frei erfahren.
„In dem ästhetischen Staate ist alles – auch das dienende Werkzeug ein freier Bürger, der mit dem edelsten gleiche Rechte hat, und der Verstand, der die duldende Masse unter seine Zwecke gewalttätig beugt, muß sie hier um ihre Beistimmung fragen. Hier also in dem Reiche des ästhetischen Scheins wird das Ideal der Gleichheit erfüllt, welches der Schwärmer so gern auch dem Wesen nach realisiert sehen möchte.“ (FAS 8, 676)
Es ist immer darüber gestritten worden, ob Schiller damit die Kunst als bloßen Ersatz der politisch bedrängten Freiheit sehen wollte oder ob in der Kunsterfahrung nicht vielmehr das Versprechen einer Utopie liegt, die ihrer Einlösung harrt.
Goethes Wissenschaftsmodell
Hatte Schiller Kants Schriften vor allem als Grundlage für seine Konzeption des Ästhetischen rezipiert, so bleibt Goethe in seiner Kant-Lektüre enger am erkenntnistheoretischen Gehalt orientiert, wenn er diesen für sein Wissenschaftskonzept nutzbar zu machen sucht. Dies wird deutlich in Goethes Idee einer individuellen Aneignung der Natur. In seiner naturkundlichen Schrift Erfahrung und Wissenschaft (1798) bringt er das Verhältnis beider in eine dreistufige Abfolge, in der zuerst das empirische Phänomen, „das jeder Mensch in der Natur gewahr wird“, zweitens das wissenschaftliche Phänomen, das „durch Versuche erhoben wird, indem man es unter andern Umständen und Bedingungen als es zuerst gewesen“ hervorbringt, und drittens „das reine Phänomen, das erst der bestimmende Geist erkennt und von allem Zufälligen der Erfahrungen befreit“, erkannt wird (WA II.2, 40). Das reine Phänomen ist also das Ergebnis einer Vermittlungsoperation zwischen untersuchtem Objekt in der Welt wie im Experiment und dem wahrnehmenden und beobachtenden Subjekt. Das Subjekt schreibt der Natur nicht ihre Gesetze vor, aber genauso wenig vermag die Natur allein durch bloßes Anschauen Auskunft über sich geben. Einer allein nach dem logischen Gesetz der Serie verfahrenden Wissenschaft setzt Goethe mit der Idee des reinen Phänomens als Ziel der Erkenntnis ein letztlich ästhetisches Wissenschaftsprogramm entgegen. Naturerkenntnis, darin besteht der Kern des Goetheschen Wissenschaftsbegriffs, ist Der Versuch als Vermittler zwischen Objekt und Subjekt, wie eine andere Schrift aus dem Jahr 1793 titelt, in dem Goethe Auskunft über seine eigene Methode der Naturaneignung gibt. Das Programm einer durch das Subjekt idealisierten Naturanschauung kann daher von Goethe auch als poetisches Darstellungsprogramm z. B. in der Italienischen Reise genutzt werden und zeigt die enge Verbindung an, die Goethe immer zwischen Naturerkenntnis und Kunst gesehen hat.